Rede des Präsidenten des Bundesamtes für

Rede des Präsidenten des
Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle
Dr. Arnold Wallraff
anlässlich des 10. Exportkontrolltages
„Krisen und Herausforderungen“
am 25./26. Februar 2016
in Berlin
(es gilt das gesprochene Wort)
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Meine sehr verehrten Herren Botschafter, dear Excellencies,
liebe Freunde des BAFA, dear friends of the Federal Office of Economic Affairs and Export Control,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
es ist mir eine große Freude und Ehre in diesem Jahr den 10. Exportkontrolltag zu eröffnen. Im Herzen der Bundeshauptstadt Berlin darf
ich anlässlich dieses Jubiläums nahezu 500 Teilnehmer aus Wirtschaft,
Politik und Verwaltung begrüßen.
Mit besonderem Stolz freue ich mich auf die Anwesenheit von Herrn
Bundesminister Altmaier, über das Kommen der Botschafter und Botschafterinnen bzw. ihrer Vertreter und nicht minder über alle anderen hochrangigen Repräsentanten und Referenten aus dem In- und
Ausland, aber natürlich auch über Sie, meine Damen und Herren, die
Vertreter der deutschen Exportwirtschaft, um deren Geschäfte es hier
ja in erster Linie geht!
Dear Excellencies,
Ladies and Gentlemen,
it is a great pleasure for me to welcome you all at the tenth Export
Control Day here in Berlin!
Historie
Vor 10 Jahren hatten mein Vorgänger Bernhard Heitzer und Prof.
Hans-Michael Wolffgang vom Zentrum für Außenwirtschaftsrecht
der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster den ersten Exportkontrolltag eröffnet. Schon seinerzeit waren ein internationales Publikum und Redner u.a. aus Russland und von der Europäischen Kommission in Brüssel angereist. Für die Fachexperten und ganz alten Ha2
sen unter Ihnen: Damals wie heute war im Politikforum die Novellierung der EG-Dual-use-Verordnung ein vieldiskutiertes Dauerthema!
Die Welt, aber auch die Exportkontroll-Community hat seit dieser
ersten Tagung viele Krisen und Herausforderungen durchlebt. Aber,
meine Damen und Herren, jede neue Herausforderung, und auch jede
Krise ist ein Tor zu neuen Erfahrungen. Und an diesen Erfahrungen
können wir alle wachsen, auch wenn mancher vielleicht denkt, dass
wir nicht alles schaffen können.
(Welt-)Wirtschaftslage/Krisen
Wir sprechen auch heute intensiver denn je über Krisen. Aber
eigentlich ist für uns heute in Deutschland – jedenfalls wirtschaftlich
betrachtet – ein guter Tag, hat ein mit positiven Prognosen versehenes Jahr 2016 begonnen. Die deutsche Wirtschaft wächst: Überwiegend durch die günstige Arbeitsmarktlage, die gestiegenen realen
Einkommen der privaten Haushalte bzw. deren ungebrochenem Konsumverhalten, aber auch die neuen Exportrekorde – binnen- wie außenwirtschaftlich!
Die Bundesregierung geht daher von einem Wachstum des BIPs im
Jahr 2015 von 1,7 Prozent und in ihrer Jahresprojektion im Jahreswirtschaftsbericht für 2016 von ebenfalls 1,7 Prozent aus. Das sind für
2015 sogar 0,2 Prozent mehr als von BM Gabriel im Jahreswirtschaftsbericht 2015 zunächst erwartet.
Die deutliche Ausweitung der Beschäftigung und der niedrige Ölpreis lassen uns allen mehr Geld für privaten Konsum, der den verhaltenen, aber soliden Aufschwung trägt.1 Kurzfristig stimuliert auch
die hohe Flüchtlingsmigration die privaten und staatlichen Ausga-
1
BDI zur Herbstprojektion 2015, S. 2.
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ben.2 Nicht zu vergessen natürlich die positiven Auswirkungen des
niedrigen Euro-Kurses. Der kommt insbesondere der Exportwirtschaft zugute. Er macht deutsche Güter in den wichtigen Absatzmärkten wie den USA und China billiger und verteuert gleichzeitig
die Konkurrenzprodukte auf dem Heimatmarkt.3 Ob der immer weiter, zum Teil sogar ins Negative sinkende Zinssatz und generell die
Politik der EZB, ob die aktuelle Diskussion zur Begrenzung oder gar
Abschaffung des Bargeldes stimulierend oder dämpfend wirken,
überlasse ich mangels formaler Zuständigkeit Ihren Pausengesprächen. Als Ökonom alter Schule habe ich natürlich eine Meinung dazu!
Meine Damen und Herrn,
Davos
wie sie wissen, schlage ich gerne eine Brücke vom EKT nach Davos –
und heute besonders gerne, da wir auch die Schweizer Botschafterin
hier herzlich begrüßen dürfen. Als Vertreterin eines ungeachtet des
unvorteilhaft hohen Frankenkurses ebenfalls sehr erfolgreichen
Exportlandes und mit Ihrem unverfälschten Blick aus der Perspektive
eines neutralen Landes sind Sie uns besonders willkommen!
In Davos haben sich Regierungschefs und Konzernlenker im letzten
Monat zum jährlichen Weltwirtschaftsforum versammelt. Die dort
behandelten Themen gehen auch uns an: Die Nachwirkungen der Finanzkrise 2008, die wohl gescheiterte Doha-Runde der WTO, neue
und alte Parteien, die auf Abschottung und Nationalisierung setzen,
Strukturwandel in China, ungebremste Flüchtlingsströme: Wirtschaftlich, politisch und geostrategisch mehren sich die Anzeichen,
dass das Schnurren des Motors der Weltwirtschaft nicht vor Aussetzern und Softwarefehlern gefeit ist, die weit über das Dieselgate von
VW hinausgehen, um im automobiltechnischen Bild zu bleiben!
2
3
Schlaglichter der Wirtschaft v. November 2015, S. 10.
Handelsblatt „Dt. Wirtschaft macht Tempo“ v. 16.04.2015, S. 3
4
Vor diesem Hintergrund wird Oliver Wieck, Generalsekretär der Internationalen Handelskammer (ICC) Deutschland, die „Erwartungen
der Wirtschaft an die Exportkontrolle 2016“ im nachfolgenden Politikforum formulieren. Vielleicht kann er uns auch etwas beruhigen,
was die etwas ratlosen Ergebnisse von Davos angeht. Aber auch in Bezug auf die nicht nur in Bürgerinitiativen weit verbreitete Besorgnis
vor Schiedsgerichten, ein vertrautes Thema der Handelskammern!
Wendling
Der beim EKT langjährig geschätzte Karl Wendling, Unterabteilungsleiter Außenwirtschaftskontrollen im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, berichtet morgen über die „Außenwirtschaftlichen Entwicklungen“ des vergangenen Jahres. Er wird auch einen
Ausblick auf das Jahr 2016 geben.
Geopolitische Krisen
Meine Damen und Herren,
ungeachtet dieser wirtschaftspolitischen Herausforderungen: Wo liegen denn unsere Probleme in Deutschland, wenn in der aktuellen
Umfrage des DIHK bei 27.000 Unternehmen knapp die Hälfte ihre Lage für gut und immerhin 46Prozent für befriedigend halten? Warum
schaut eine Mehrheit der Bundesbürger skeptisch bis sehr skeptisch
in das gerade angelaufene neue Jahr – so viele wie seit Jahrzehnten
nicht mehr, nach den Befunden von Allensbach?
Wie so oft mag auch hier ein Goethezitat aus dem Drama „Faust I Vor
dem Tore“ weiterhelfen:
„Nichts bessers weiß ich mir an Sonn- und Feyertagen,
als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrey,
Wenn hinten, weit, in der Türkey,
Die Völker auf einander schlagen.
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Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man abends froh nach Haus,
Und segnet Fried‘ und Friedenszeiten.
Herr Nachbar, ja! so laß ich's auch geschehn:
Sie mögen sich die Köpfe spalten,
Mag alles durcheinander gehn;
Doch nur zu Hause bleib's beim alten.“
Meine Damen und Herren,
ich verrate Ihnen kein Geheimnis: Diese Idylle ist endgültig vorbei.
Das Zitat passt in einer geradezu erschreckenden Aktualität, was geographische Verortung wie grausamer Charakter des „Aufeinanderschlagens“ anbetrifft. Es bleibt auch nicht bei fernem Schlachtgetümmel. Syrien, der Irak, Libyen und überall der Islamische Staat mit
seinem Terror bisher ungeahnten Ausmaßes auch mitten in Europa,
die entsprechenden Nachrichten und Bilder, vor allem aber die
dadurch ausgelösten Flüchtlingsströme insbesondere in unser Land
trüben diesen arglosen Blick aus dem Fenster nachhaltig. Und zwar
ungeachtet aller „Wir schaffen das“-Beschwörungen!
Mittlerweile kommt man beim Aufzählen der aktuellen Krisen kaum
noch mit. Zum Szenario gehören Euro- und Ukraine-Krise, die neue
Völkerwanderung, das Erstarken nationalistischer Parteien und Bewegungen überall in den Mitgliedstaaten, der Verlust von Vertrauen
in die europäische Problemlösungskompetenz, der Rückfall in einzelstaatliches Vorgehen, die Heimsuchung europäischer Kernländer von
islamistischen Terroristen, um nur einiges zu nennen.
„Ewiger Friede“
Ich fürchte, der Traum vom kantianischen „Ewigen Frieden“ in Europa nach der Öffnung im Osten ist durch die Häufung von Krisen an
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der europäischen Peripherie ausgeträumt worden. Die Grenzen der
Landesverteidigung liegen vielleicht nicht am Hindukusch, wie der
allzu früh verstorbene frühere Verteidigungsminister Struck es formuliert hatte. Sie sind uns aber sehr viel näher gerückt als sich das
kaum ein Politiker nach dem friedlichen Ende des Ost-WestKonfliktes hat vorstellen können!
Fukuyamas „Ende der Geschichte“, seine Erwartung, dass sich nach
dem Ende der Sowjetunion die Prinzipien des Liberalismus in Form
von Demokratie und Marktwirtschaft endgültig und quasi überall
durchsetzen würden, ist nicht in Erfüllung gegangen. Auch unsere
abendländisch-christliche Vorstellung von universalen Menschenrechten wird nicht überall geteilt, ja zum Teil als imperialistische Bedrohung wahrgenommen.
Auf Kants schon zitierter Schrift „Zum ewigen Frieden“ fußte einmal
die Hoffnung der liberal aufgeklärten Kreise in Europa, dass der „Geist
des Handels“ und der „Geist des Krieges“ auf Dauer nicht zusammen
bestehen können4. Jetzt wo Nationalismus und Totalitarismus nicht
mehr im Wege stehen, würden endlich Entwicklungen zum Tragen
kommen, die den Krieg zum Verschwinden bringen. Auch diese Erwartung trog.
Stattdessen scheint immer mehr Samuel Huntingtons Gegenthese
vom „clash of civilisations“, dem Kampf der Kulturen wahr zu werden. Samuel Huntingtons Prognosen basierten vor allem auf den
weltweiten, gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Muslimen
und Nichtmuslimen. Er geht bekanntlich von einer Verlagerung des
klassischen Konfliktes zwischen unterschiedlichen Ideologien zu ei-
4
Dazu m.w.V. H. Münkler: Kriegssplitter. Die Evolution der Gewalt im 20. und 21. Jahrhundert
7
nem Konflikt zwischen Zivilisationen wie der des Islam und der des
Westens aus.
Ob Huntingtons Kritiker wie Fred Halliday (1946–2010) von der London School of Economics angesichts von IS und seinen Terroranschlägen mitten in Europa noch ihre Gegenthesen aufrecht erhalten
können, seit dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches verfüge
noch kein muslimisches Land über eine dermaßen starke Armee, dass
es den Westen bedrohen könnte, kann man sehr bezweifeln. Heute
gelten ja ganz andere Szenarien asymmetrischer, hybrider und/oder
psychologischer Kriegsführung und Konflikte jenseits klassischer
Kriege zwischen Armeen und Staaten mit tausenden von Panzern und
Flugzeugen.
Ukraine
Mit den Kämpfen im Osten der Ukraine kehrte auch die Angst vor einem großen Krieg wieder zurück. Selbst der russische Ministerpräsident Medwedjew hat dieses große Wort in einem Interview mit dem
Handelsblatt jüngst in den Mund genommen. Außer Frage steht der
Wille des Westens, dass Russland Partner ist und bleibt. Aber die Politik Putins erscheint nicht frei von Ansätzen auch als eine Bedrohung
für westliche Werte und insbesondere Osteuropa verstanden werden
zu können. Mehr noch als die Wirtschaftssanktionen trifft der niedrige Ölpreis Russland hart. Auch sinkt der Rubel mit dem Ölpreis.
Aber nicht nur die Lage in Russland eröffnet vielfältige Möglichkeiten
für Sorgen. Auch aus der Ukraine nimmt man im Zusammenhang
mit dem Rücktritt des Wirtschaftsministers nicht nur ermutigende
Signale wahr.
Die Situation rund um die Krim und die Grenze zwischen Russland
und der Ukraine bildet ein gutes Beispiel asymmetrischer Kriege. Es
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erfolgt dort quasi eine „Demilitarisierung/Privatisierung des Krieges“,
da den regulären Militärs nicht länger das alleinige Monopol der Konfliktführung zukommt. Zudem ist es ein „eingefrorener Konflikt“.
Die Verlängerung der Exportkontrollsanktionen gegen Russland wird
nur noch am Rande wahrgenommen. Eine Lösung scheint fern und
dient maximal als Hebel bei der Lösung anderer Konflikte wie Syrien
nach dem Motto: Alles hängt mit allem zusammen.
Meister
Insofern freue ich mich sehr, dass uns Dr. Stefan Meister von der
Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) – anknüpfend
an den letzten EKT – ein aktuelles Bild zur Lage im Russland-UkraineKonflikt zeichnen wird. Viel besser als ich das laienhaft vermag, wird
er analysieren, wie deren Auswirkungen auf Europa aussehen mag.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Stichwort Afrika: Auch der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer berief sich wie ich auf Goethe und sagte 2003 in einem
Interview: „Bei Goethe hieß es noch: ‚Wenn hinten, weit in der Türkey,
die Völker aufeinander schlagen‘. Heute würde der große Dichter anders
schreiben: Ein zusammenbrechender Staat in Afrika geht nicht mehr nur
Afrika an.“
Zerfallende
Staaten
In der Tat: Bei dem Stichwort „Afrika“ und „zusammenbrechender
Staat“ denk man heute schnell an Somalia, Mali oder Libyen. Letzteres
ein Staat, eine ehemalige Staatsführung, die die Exportkontrolle unter
ihrem Führer Gaddafi jahrzehntelang in Atem gehalten hat: Stichwort für die Exportkontrollhistoriker unter Ihnen: „Rabda“. Heute
nun droht dieses Gebilde in die Kategorie der „zerfallenen Staaten“
(failing states) gezählt werden zu müssen.
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Es ist für den gesamten „Arabischen Frühling“, aber auch Libyen und
Syriern ernüchternd, wie wenig politisch handhabbare Vorstellungen
bestehen, wie Bürgerkriege beendet werden können. Insbesondere,
solange man die Rückkehr zu oft nur notdürftig verschleierten Militärdiktaturen nicht als (Zwischen-)Lösung ansehen will5. Was heißt
das für unsere Exportkontrolle? Und wer ist dann in deren Augen
noch belieferungsfähig?
Waffen an Kurden
Wenn wir zerfallende oder wenig stabile Staaten diskutieren, müssen wir unseren Blick auch zum Irak hinwenden. Die Waffenlieferungen an den Irak bzw. die kurdischen Peschmerga-Einheiten verdeutlichten die widerstreitenden Sichtweisen in der Exportkontrolle.
Seit dem Sturz 2003 des Hussein-Regimes ist es kaum gelungen,
stabile Strukturen zu etablieren. Die alte Erkenntnis, vor einer militärischen Intervention konkrete Vorstellungen dazu zu haben, wie es
danach weitergehen soll, wurde nicht nur hier sträflich vernachlässigt.
Die Taten und Territorialansprüche des IS kennen keine Staatsgrenzen. Selbstmordanschläge, Entführungen, Sklaverei und Hinrichtungen gehören im Irak wie auch in Syrien leider zum Alltag. Über vier
Millionen Menschen haben dieses Land bereits verlassen.6 Die Migrationsfrage habe eine wirtschaftliche, eine geopolitische, eine humanitäre, eine soziale, eine nationale, eine geostrategische und eine Sicherheitsdimension, sagte Bundesminister Altmaier vorige Woche auf
der Münchner Sicherheitskonferenz.
Insgesamt ist in Syrien an die Stelle eines Krieges zwischen regulären
Armeen, die sich gegenseitig niederzuringen versuchen, um den poli5
6
Siehe dazu Münkler: Kriegssplitter – Die Evolution der Gewalt im 20. und 21. Jahrhundert
http://mediendienst-integration.de/migration/flucht-asyl/syrische-fluechtlinge.html
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tischen Willen der Gegenseite zu brechen, ein diffuses, hochgefährliches Gemisch an unterschiedlichen Akteuren mit unterschiedlichen
Kampfstrategien und Zielen getreten.
Es geht in diesem Konflikt aber längst nicht mehr allein um Syrien.
Wie der Spiegel neulich schrieb, ist das Land ein „Ground Zero“ der
Weltpolitik geworden. Hier trifft alles zusammen, in unheilvoller Mischung: Der Anspruch Russlands, wieder als Groß- und Weltmacht
anerkannt zu werden, eine autoritärer werdende Türkei, eine als zaghaft wahrgenommene US-Politik, das Ringen der Kurden um eigenständige Strukturen, die religiöse und strategische Erzfeindschaft zwischen dem Iran und Saudi-Arabien, der islamistische Terror und die
wenig einige Europäische Union, um nur einiges zu nennen.
Die wichtigste Errungenschaft des Kriegsvölkerrechts, die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nonkombattanten ist dabei
obsolet geworden7. Staatlicher Einfluss und Erklärungen über die
Verwendung und den Endverbleib von der Exportkontrolle unterfallenden Waffen kollidieren mit einer völlig diffusen, kaum plan- oder
vorhersagbaren Wirklichkeit.
Flüchtlingen/IS
Meine Damen und Herren,
der seinerzeitige deutsche Bundespräsident Horst Köhler sagte zum
Auftakt der 41. Münchener Sicherheitskonferenz 2005 folgendes:
„Mit behaglicher Distanziertheit ist es heute vorbei. Fernsehen und Internet bringen uns Katastrophen aus allen Teilen der Welt ins Wohnzimmer – nicht nur Naturkatastrophen, sondern auch Krieg und Terror. Wir
7
Siehe dazu Münkler: Kriegssplitter - Die Evolution der Gewalt im 20. und 21. Jahrhundert
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werden umfassend unterrichtet. Aber wir können auch selbst betroffen
sein.“
Und zehn Jahre später hat es uns getroffen! Rund eine Million Menschen aus Syrien, Irak, den Balkan-Staaten und weiteren Ländern sind
vor Terror und Krieg nach Deutschland geflohen. Die Menschen „kehren nicht mehr froh heim“, wie im Goethe´schen Osterspaziergang!
Sie haben kein Heim mehr, suchen ein neues in Europa und vor allem
in Deutschland! Hoffen wir alle sehr, dass die in München anlässlich
der diesjährigen Sicherheitskonferenz vereinbarte Waffenruhe in Syrien auch wirklich rasch in Kraft treten kann, im Interesse der Menschen in den Kriegsgebieten.
Grundfreiheiten
Ohne dass Sie jetzt befürchten müssen, dass ich hier nun auch im Exportkontrollkontext allzu vertieft auf das Flüchtlingsthema eingehen
werde – das Überthema der Münchner Sicherheitskonferenz und des
Europäischen Rates gleichfalls letzte Woche. Auch im Rahmen der
Flüchtlingsdebatte stellt sich für mich durchaus eine rein exportwirtschaftspolitische Frage: Können/sollen nämlich die vier Grundfreiheiten der EU – freier Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital
und Personen – nun auch jenseits des Binnenmarktes global eingefordert werden, und zwar mit besonderer Betonung auf der Personenfreizügigkeit. Motto: Was der weltweit operierenden Exportwirtschaft und Ihren Unternehmen recht ist, soll den Menschen in aller
Welt billig sein, ihnen gleichermaßen zustehen, von Süd nach Nord,
von Ost nach West. Wie gut es uns geht, erfahren die Menschen im
Nahen Osten, in Afrika oder auch in Asien ja tagtäglich über ihre
elektronischen Medien. Sie wollen einfach ihren Anteil daran haben.
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Meine Damen und Herrn,
angesichts all dieser Krisenszenarien: Jenseits ökonomischer oder
wirtschaftspolitischer Aspekte sollte – ungeachtet der am Montag
veröffentlichten neuesten SIPRI-Zahlen – Beitrag einer verantwortungsvollen Exportkontrollpolitik sein, Konflikte nicht durch problematische Exporte eskalieren zu lassen, damit krisengeplagte Regionen wieder sicherer werden können. Damit ist die Hoffnung verbunden, dass einige der Gründe der Flüchtlingsmigration – die unsicheren Lebensbedingungen in den Heimatländern der Flüchtlinge – eingedämmt werden können: Ziel, wie es die Bundeskanzlerin immer
wiederholt: Die geschundenen Menschen können und werden wieder
in ihre Heimat zurückkehren.
Altmaier
Die politische Großwetterlage spiegelt sich also stets in der Exportkontrolle wieder. Wir arbeiten sozusagen am Puls der Zeit. Es ist daher eine besondere Freude, dass einer der Taktgeber der Bundesregierung heute in seinem Keynote-Vortrag zu den politischen Rahmenbedingungen der Exportkontrolle sprechen wird. Bundesminister Peter Altmaier ist nicht nur Chef des Kanzleramtes, sondern auch
zuständig für besondere Aufgaben, d.h. potenziell für alles!
Meine Damen und Herrn,
Terrorismus
die Exportkontrolle rückt auch in den Fokus, wenn es um die Bekämpfung des internationalen Terrorismus und instabiler Lagen
geht. Exportkontrolle ist ein unverzichtbares Instrument, um Sicherheitsrisiken möglichst vorzubeugen bzw. hierauf zu reagieren. Nicht
zuletzt birgt das massive Auftreten des internationalen Terrorismus
neue Risiken bezüglich der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen in Krisenregionen. So soll der IS chemische Waffen eingesetzt haben.
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Doch ohne entsprechende Informationen zur Lage in einem Land
oder über mögliche Empfänger und Verwender von Gütern, ist das
prüfende Auge des Exportkontrolleurs getrübt.
BND
Die Frage, wer wo welche Informationen sammelt ist spätestens seit
Edward Snowden ständiger Bestandteil der öffentlichen Diskussion.
Als einfacher Staatsbürger möchte ich nicht verhehlen, dass auch ich
mich manchmal frage, wer alles bei mir zuhört. Und damit meine ich
nicht meine Mitarbeiter die gelegentlich zuhören sollen. Ich meine
solche, von denen man sagt, dass dies „gar nicht ginge“, wie es eine
führende Politikerin gesagt hat.
Aber gleichzeitig, wenn die „terroristischen Einschläge“ näher kommen, bin ich als Behördenchef doch für fast jede Information dankbar, was ich wo von wem zu erwarten haben könnte.
Diese gewisse Ambivalenz ist in der Exportkontrolle eindeutig aufgelöst. Will sagen, dass trotz manch öffentlicher Kritik am Wissensdurst
der Nachrichtendienste die Zusammenarbeit mit den Kollegen vom
Bundesnachrichtendienst, die Zusammenarbeit zwischen BAFA und
BND ein wichtiger, ja unverzichtbarer Baustein der Exportkontrolle
ist. Und von so manchem Unternehmensvertreter habe ich schon den
Satz gehört: “Wenn ich das nur gewusst hätte“.
Daher freue ich mich sehr, dass über „Exportkontrolle und Beschaffungsnetze“ heute der Vizepräsident des Bundesnachrichtendienstes,
Herr Guido Müller, im Politikforum informiert. Herzlich willkommen! Auch dadurch wird sicher die Unabdingbarkeit einer engen –
und aus unserer Sicht fruchtbaren – Zusammenarbeit deutlich bei der
Bekämpfung der Proliferation, deren Opfer auch Sie als exportierende
Unternehmen sein könnten.
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Ich bin aus Zeit- wie Kompetenzgründen nur zu einem kurzen Blick
auf die aktuelle Weltkarte in der Lage. Aus Sicht des Auswärtigen
Amtes müssten sicher weitere Regionen und Entwicklungen in den
Focus genommen werden. Daher erwarte ich mit Spannung den Vortrag zu den „Internationalen Herausforderungen in der Exportkontrolle von Dr. Bernhard Schlagheck, Unterabteilungsleiter im AA, im
morgigen Forum IV“.
Meine Damen und Herrn, lieber Herr Schlagheck,
erlauben Sie mir insofern, einen großen diplomatischen Erfolg gerade
auch der deutschen Außenpolitik anzusprechen obwohl das BAFA –
noch – nicht zum Auswärtigen Amt gehört, wie man nach der Rede
von BM Gabriel zur Rüstungsexportkontrollpolitik im Herbst 2015
vielleicht hätte erwarten können:
Stichwort Iran
Der wohl größte Sieg der diplomatischen „Einmischung“ in jüngster
Zeit ist nun einen Monat alt und darf wohl als erfolgreiches Beispiel
einer gelösten Krise gesehen werden: Die internationale Gemeinschaft und der Iran haben den Streit um das iranische Atomprogramm beigelegt. Am 16. Januar 2016 hat die IAEO den Beginn des
Rückbaus des Atomprogramms bestätigt. Somit ist der Weg für die
weitreichende Aufhebung der Sanktionen eingeschlagen. Die ersten
Wirtschafts- und Finanzsanktionen wurden bereits gelockert. Insbesondere in den Bereichen Finanzen und Energie sind Beschränkungen aufgehoben worden.
Diese Entwicklungen eröffnen auch positive Veränderungen in der
Exportkontrolle und neue Handelsmöglichkeiten für Sie, meine sehr
verehrten Damen und Herren von der Exportwirtschaft. Ich füge hinzu: Allerdings nicht weniger, sondern mehr Arbeit für mein Amt, das
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BAFA, die wir aber gerne in Ihrem Interesse erledigen. Mehr dazu
morgen.
Ich würde mir als Staatsbürger sehr wünschen, dass dieses erfolgreiche Modell erdteil- und großmächteumspannender internationaler
Zusammenarbeit und friedlicher Diplomatie auch Pate stehen könnte
für die Lösung der hochgefährlichen Konflikte und Kriege, die uns im
Nahen Osten aktuell und voraussichtlich leider auch noch eine ziemliche Weile beschäftigen werden. Vielleicht erfahren wir in unserem
Botschafterpanel etwas dazu.
Meine Damen und Herrn,
es ist mir deshalb eine besondere Ehre Ihnen das diesjährige Diskussionsforum zum Iranthema zu präsentieren. Ich erwarte mit Spannung die Wertung dieses historischen Wendepunkts durch hochkarätige Teilnehmer.
Die Frage „The Vienna Agreement – a watershed moment?“ wird von
keinen geringeren diskutiert als Herrn Ali Majedi, Iranischer Botschafter in Deutschland, Herrn Li Xiaosi, Gesandter der Volksrepublik
China, Frau Christine Schraner, Botschafterin der Schweizerischen
Eidgenossenschaft, Herrn Sergej Linevitsch, Botschaft der Russischen
Föderation und Frau Susanne Baumann, Stellvertreterin der Beauftragten der Bundesregierung für Abrüstung und Rüstungskontrolle
im Auswärtigen Amt.
Die bewährte Leitung hat wie in den Vorjahren wieder Uwe Proll,
Chefredakteur des Behördenspiegels. Seien Sie alle herzlich willkommen!
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Iran-Wahlen
Der morgige 26. Februar ist übrigens nicht nur deswegen ein sehr interessanter Tag, weil dann immer noch EKT ist. Es stehen auch Wahlen im Iran an. Die Bevölkerung wird morgen ein neues Parlament
wählen. Auch der anstehenden Wahl des Expertenrats kommt eine
hohe politische Bedeutung zu. Vielleicht auch schon eine erste Bewährungsprobe für die errungenen Änderungen!
Gerade die deutsche Exportindustrie, die historisch gesehen auf besondere Handelsbeziehungen mit dem Iran zurückblicken kann,
blickt gespannt auf diese positiven Vereinbarungen. Sie haben sicherlich an die Politik, aber auch darüber hinaus viele Fragen. Wie nun
die praktische Umsetzung der neuen Rechtslage aussieht, wird Ihnen
am morgigen Tag Herr Holger Beutel, Unterabteilungsleiter im
BAFA, in seinem Vortrag „Neues aus dem BAFA“ präsentieren.
Wenn wir schon über positive Änderungen sprechen, kurz ein Blick
zurück nach Deutschland. Hier steht die Reform der Struktur der
Bundesfinanzverwaltung an. Seit dem 1. Januar 2016 ist die neu geschaffene
Generalzolldirektion
ins
Leben
gerufen
worden.
Wie genau die „Neuorganisation des Zolls“ aussieht, ob und was sich
für Sie als exportierende Unternehmen geändert hat, wird Ihnen Jürgen Hartlich, Direktionspräsident der Direktion VI, morgen im Forum IV erläutern.
Eingeleitet wird dies morgen u.a. durch einen zusätzlichen Beitrag
eines Vertreters des Bundesministeriums der Finanzen, Herrn
Thomas Mazet. Ich selber hatte schon Gelegenheit, den neuen Präsidentenkollegen Herrn Schröder anlässlich seiner Amtseinführung in
Bonn zu begrüßen.
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GBA
Meine Damen und Herren, wie Sie alle wissen, stehen hinter den
Normen der Exportkontrolle auch Strafrecht und Strafverfolgung. Bei
nahezu jedem EKT ist deshalb der Vortrag unseres geschätzten Kollegen Stefan Morweiser, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof,
der die aktuell relevanten Urteile im Außenwirtschaftsrecht aus Sicht
der Generalbundesanwaltschaft morgen im Forum III einordnet,
höchst wertvoll und unverzichtbar. Ich bin gespannt, welchen Herausforderungen sich die Justiz im vergangenen Jahr bei der Verfolgung von Verstößen stellen musste.
Meine Damen und Herrn,
am Ende meiner kurzen Reise bin ich wieder in Europa angekommen, und damit bei der EU.
Europa
Die Westeuropäer haben sich inzwischen mehr oder minder daran
gewöhnt, in postklassischen Nationalstaaten zu leben, die Teile ihrer
Hoheitsrechte auf supranationale Einrichtungen übertragen – nach
meinem persönlichen Eindruck allerdings mit stark abnehmender
Begeisterung.8 Aber ob dies auch der allumfassende Erfolgsweg in der
Exportkontrolle wird – mit vielleicht mal einem Brüsseler BAFA,
wenn ich schon lange nicht mehr Präsident bin – bleibt abzuwarten.
Die Wirkung der alten Zauberformel von der europäischen Einigung
als solides Bollwerk gegen Krisen und Kriege hat ohnehin erkennbar
nachgelassen.
EG-VO
Immerhin: Bereits jetzt trägt die EG-Dual use-Verordnung zu einem
wettbewerbspolitisch durchaus erwünschten „Level-playing-field“
bei. Sie ist das „Herzstück“ europäischer Exportkontrolle. Und diese
Verordnung befindet sich auf dem Prüfstand. Unter Beteiligung der
Bundesregierung, Mitarbeitern des BAFA sowie der deutschen Industrie wird die Novelle dieser gesetzlichen Grundlage zwischen den
8
So Winkler: Geschichte des Westens, S. 279ff – siehe Fß 7
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EU-Mitgliedstaaten diskutiert. Eine der vielen spannenden Fragen ist
dabei auch, wie sich eine stärkere Berücksichtigung der Menschenrechte in das System der Exportkontrolle einfügen lässt.
Chardon
Wie weit die Verhandlungen gediehen sind, was wir wann erwarten
können und müssen, wird Ihnen deshalb im Politikforum Stéphane
Chardon, Vertreter der Europäischen Kommission der zuständigen
Generaldirektion für Handel, in seinem Vortrag über die Perspektiven
der Novelle erläutern.
Meine Damen und Herren,
Abschluss
leider habe ich Ihnen keine Antworten auf die zahlreichen alten und
neuen Krisen und Herausforderungen anbieten können. Auch die
Münchner Sicherheitskonferenz war hier kaum erfolgreicher, konnte
es wohl auch nicht sein. Die aktuellen Krisen und Probleme sind bekanntermaßen hochkomplex und zum Teil eng miteinander verwoben. Nur multifaktorielle Ansätze helfen – vielleicht – weiter, auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene.
Es ist unser Bestreben im BAFA, dabei weder die Dynamik der Exporte noch das notwendige Sicherheitsniveau mehr als notwendig zu beeinträchtigen. Um diesen Ausgleich der Interessen bestmöglich zu gestalten, legen wir viel Wert auf den vertrauensvollen Diskurs mit
Ihnen. Es ist mir insofern eine Freude, dass wir zum 10. Mal in diesem
Forum der Community zusammen treffen und gemeinsam den Exportkontrolltag 2016 begehen können.
Ich wünsche Ihnen erkenntnisreiche Tage!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
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