6 Mittwoch 25. November 2015 www.streiflichter.com Coesfeld Die Reise einer Vertriebenen „Meine Reise nach Masuren“: Wolfgang Kraska verfasst Roman nach den Erinnerungen seiner Tante VON THERESA SCHRÖER Coesfeld. „Wie ist es denn so gewesen mit Adolf?“ – Wahrscheinlich nicht viele Menschen haben so eine Frage derart direkt ihren Vorfahren gestellt oder gar eine Antwort darauf bekommen. Lucia Studenroth gab mehr als nur Antworten, sie erzählte von ihrer gewaltsamen Vertreibung durch die Russen und von Nachmittagen im Bund Deutscher Mädel. Vor allem aber erzählte sie ihre Geschichten, Märchen und Mythen, als ihr Neffe Wolfgang Kraska sie danach fragte. „Meine Tante hat sich immer wieder an die Schreibmaschine gesetzt und kurze Manuskripte geschrieben. Bei ihrem Umzug ins Altersheim tauchten diese Texte wieder auf und als ich einige gelesen hatte, erklärte ich mich sofort bereit, ihren Wunsch von einer Veröffentlichung zu erfüllen“, erinnert sich Kraska. Aus diesem Versprechen wurde ein Buch, das der 56-Jährige vor zwei Jahren fertigstellte und das nun am 21. Dezember veröffentlicht wird. Titel: „Meine Reise nach Masuren – Oma Lucie erzählt von ihren Kinder- und Jugendjahren in Ostpreußen“. Für Kraska, der zuvor nur Lucia Studenroth und Wolfgang Kraska schrieben gemeinsam an dem Roman „Meine Reise nach Masuren“ und erzählen von Studenroths Jugend in Ostpreußen und ihrer Vertreibung. als Spanischlehrer am Oswald-von-Nell-Breuning-Berufskolleg einige Fachaufsätze oder als FDP-Ortsvorsitzender Artikel für die Website des FDP-Ortsverbands Coesfeld verfasst hatte, wurde das Lebenswerk seiner Tante zur Herausforderung. Teilweise konnte er die Originaltexte übernehmen, manchmal musste er aber etwas mehr recherchieren. Auf Reisen mit seinem Vater in das heutige Polen lernte er die Heimat seiner Familie kennen und wälzte die Unterlagen der Stadt Allenstein. Manchmal erzählte seine Tante bereitwillig, was passiert war, manchmal blieb die Antwort aus. „Was meine Tante erlebt hat, ist unvorstellbar grausam. Und genau wie mir manchmal schon nach dem bloßen Zuhören die Worte beim Schreiben fehlten, fiel es ihr oft schwer, davon zu erzählen. Viel wurde weggelassen, manches auch beschönigt“, sagt Kraska. So sei der „plätschernde Bach“, an den sich die heute 91-Jährige aus ihren Kindheitstagen erinnert habe, tatsächlich ein Entwässerungskanal gewesen. Und so klinge die Erklärung, die eigene Mutter habe die Uniform des Bruders für die Hitlerjugend aus moralischen Gründen nicht gekauft, sicherlich freundlicher, als die Offenbarung, dass die Uniform schlichtweg zu teuer gewesen sei. Und vielleicht erinnere man sich auch nur daran, wie der Bruder lehmbeschmiert nach Hause kam und sauer war, weil er wegen der fehlenden Uniform bei der Hitlerjugend durch den Schlamm robben musste, und vergisst dabei, dass seine Wut nicht etwa Hitler, sondern der eigenen Mutter gegolten hatte – schließlich hatte sie die Uniform nicht gekauft. „Meine Tante war bei Kriegsende 20 Jahre alt, eine junge, intelligente Frau, die vor den Russen davongerannt war, als sie sie zum Zug treiben wollten, die mehrfach vergewaltigt wurde und zusah, wie Leichenteile aus den Fenstern eines Krankenhauses geworfen wurden. Was ist da schon Wahrheit?“, fragt der Coesfelder. „Meine Tante war bei Kriegsende 20 Jahre alt, eine junge, intelligente Frau, die vor den Russen davongerannt war, als sie sie zum Zug treiben wollten, die mehrfach vergewaltigt wurde und zusah, wie Leichenteile aus den Fenstern eines Krankenhauses geworfen wurden. Was ist da schon Wahrheit?“ einzukleiden. Jahreszahlen und Einzelheiten durften dabei hinter Bildern und Symbolen zurücktreten. „In unserer Familie wurden immer Geschichten erzählt, sie wurden so lange ausgeschmückt, bis sich bei uns im Haus die Balken bogen. Als mein Opa starb, schwebte sein Bett einige Zentimeter über dem Boden. Und als meine Tante ihre hübschen Zöpfe abschnitt, weinte das Foto ihrer Mutter darüber“, lacht Kraska. Anekdoten wie die vom weinenden Bild, der wilden Geisterjagd und dem Erlebnis des Vaters mit der Schmierseife haben es so zwischen die Erinnerungen in den Roman geschafft. Manches sind Erinnerungen, manches ist dazu erfunden – was genau verrät Kraska allerdings nicht. Es entsteht ein fließender Übergang zwischen den Erinnerungen seiner Tante und kurzen Märchen, die es dem Leser ermöglichen, eine eigene Wahrheit zu finden. Eine Wahrheit, die leichter zu ertragen ist als die Sammlung zu vieler zu grässlicher Szenen, die sich tatsächlich vor den Augen Lucia Studenroths abgespielt haben. Der Titel „Meine Reise nach Masuren“ stand für Lucia Studenroth immer fest. Und so wurde das Buch zu einem Reisebericht durch die drei Stationen ihres Lebens: die behütete Kindheit in Radostowen, einem winzigen Dorf in Ostpreußen, ihr Verbleib als unbedarfte Jugendliche in Allenstein und ihre von außen erzwungene Abreise. In kurzen Kapiteln versucht Wolfgang Kraska die Erinnerung seiner Tante zu bewahren und das Unbeschreibliche in Worte zu fassen. WOLFGANG KRASKA In seinem Buch hält sich Wolfgang Kraska daher nicht steif an die recherchierten Fakten, sondern versucht die Realität, die seine Tante erlebt hat, in ihre „Märchen“ „Meine Reise nach Masuren: Oma Lucie erzählt von ihren Kinder- und Jugendjahren in Ostpreußen“ (Verlag Rautenberg) erscheint am 21. Dezember, kann aber bereits im Buchhandel und bei Amazon vorbestellt werden. DAS BUCH Inhalt: Erinnerungen aus Paradies und Höllenfeuer: Wenn Oma Lucie, eine über 90jährige Ostpreußin, erzählt, erwachen augenblicklich Bilder aus längst vergangenen Tagen zu neuem Leben. Rührend schöne Erinnerungen an ein Kinderparadies werden greifbar, aber genauso die Widersprüche des Er- wachsenwerdens in einem totalitären Staat sowie die unbarmherzigen Grausamkeiten des Kriegsendes. Autoren: Lucia Studenroth und Wolfgang Kraska.
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