Datum: 07.09.2015 Tages-Anzeiger 8021 Zürich 044/ 248 44 11 www.tagesanzeiger.ch Medienart: Print Medientyp: Tages- und Wochenpresse Auflage: 172'920 Erscheinungsweise: 6x wöchentlich Themen-Nr.: 831.005 Abo-Nr.: 831005 Seite: 31 Fläche: 55'408 mm² Ein wildes Durcheinander, in dem selbst eine Kuh ästhetisch muht Der US-Komponist Tod Machover hat den Luzernern eine Sinfonie auf den Leib geschrieben. Darin spielen Schritte auf der Kapellbrücke, flatternde Fahnen und Guggenmusig eine Rolle. a Tod Machover hat Luzern als atemberaubende Klangkulisse vertont. Foto: Stefan Deuber (Lucerne Festival) Tom Hellet Luzern Neue klassische Musik ist Kunst für Machover und die Stadt Luzern. zusteuern. Zudem streunte der ProfesRandständige. Also etwas für Eliten. Denn Machover entwickelte eine «Ich sor aus Boston als zweibeiniges MikroEtwa so exotisch wie der Pudelzüchter- höre Luzern»-App, die es jedem Luzer- fon selbst durch die Strassen und nahm verein von Wutzelhausen. Etwas, von dem die meisten normalerweise keine Notiz nehmen. Anders sieht die Sache beim US-amerikanischen Komponisten ner ermöglichte, Musikerlebnisse aus Geräusche wahr und auf: eine knatdem Alltag aufzunehmen. Jedes Smart- ternde Fahne im Wind, Fusstritte auf phone wurde zum potenziellen Aufnah- der Kapellbrücke, den Schlagzeuger megerät und Soundpuzzlestein für die Fredy Studer im ehemaligen Gefängnis Tod Machover aus! Er hat eine Sinfonie «Sinfonie für Luzern». Und für digital Sedel oder die jazzige Solokadenz einer von und für Luzern geschrieben. Wobei Debile gab es die Möglichkeit, im Street- muhenden Kuh am Rotsee, die eine läses wortwörtlich zwei Komponisten gab: Studio vorbeizuschauen, um Klänge bei- tige Fliege verjagt. Aus all diesen Klän- Medienbeobachtung Medienanalyse Informationsmanagement Sprachdienstleistungen ARGUS der Presse AG Rüdigerstrasse 15, Postfach, 8027 Zürich Tel. 044 388 82 00, Fax 044 388 82 01 www.argus.ch Argus Ref.: 58975965 Ausschnitt Seite: 1/2 Datum: 07.09.2015 Tages-Anzeiger 8021 Zürich 044/ 248 44 11 www.tagesanzeiger.ch Medienart: Print Medientyp: Tages- und Wochenpresse Auflage: 172'920 Erscheinungsweise: 6x wöchentlich Themen-Nr.: 831.005 Abo-Nr.: 831005 Seite: 31 Fläche: 55'408 mm² gen komponierte Machover seine «Sin- Durcheinander aufeinander los. Ein fonie für Luzern» - eine Art ästhetische wahres Gleichnis ist das auf die DiversiSynchronisation mit unserer musikali- tät einer Stadt. Auch Benjamin Brittens 1946 komposchen Lebenswirklichkeit. nierte Oper «Albert Herring», die in LuEs rauscht, fiept, plätschert zern am Samstagabend zur Aufführung Bei der Uraufführung am Lucerne Festikam, handelt von einer Stadt: Loxford. val am Samstagmittag rauscht die Musik, Aber nicht von deren Klängen, sondern sie fiept, sie zwitschert, sie wird durch- ihren nicht so honorigen Honoratioren tropft von plätscherndem Wasser. Ein und einem Aussenseiter, den noch kein Trommelfeuer von Erlebnissplittern, Mädchen geküsst. Er ist kein Held, sondas das Interesse wach und die Hör- dern ein Trottel und heisst Albert Hererwartung immer ein bisschen in Schief- Ein unterdrücktes Muttersöhnlage hält. So unverhofft wandert und ring. chen, dem mangels weiblicher Alternawandelt sich der Klang von einem zum anderen, so infam kriecht ein Ton in den tiven der Titel des keuschen Maikönigs verliehen wird - bis der schauspielerisch Nachhall des vorangegangenen oder wie vokal agile Metzgerbursche Sid schneidet ihn ab. Diese Musik ist eine (Todd Boyce) dem armen Albert Rum in Kulissenschieberei auf höchstem Ni- die Limonade mischt. veau, bei der man vor lauter Bäumen Und schon ists mit der unfreiwilligen den Wald nicht vermisst und vor lauter Geräuschen die Musik dennoch nicht zu kurz kommt. Trotz Stilpluralismus hat man den Eindruck, dass es eine durchgehende Linie gibt. Vielleicht auch deshalb, weil Machover die dargebotene Vielfalt immer durch seine Individualität sieht. Wie das Lucerne Festival Academy Orchestra unter Matthias Pintscher das Krabbeln und Klingen spieltechnisch ko- Keuschheit vorbei. Albert bricht aus der engstirnigen Spiessbürgergesellschaft aus und verleiht seinem Leben einen neuen Kick - samt Prügeleien, Liebeleien sowie weiterer Ausschweifungen. In Vino steckt offenbar nicht nur Veritas, sondern manchmal eben auch ein zweites Leben. Den Werdegang vom tumben Toren zum lebenswilligen Jüngling zeichnete ordiniert, musikalisch durchgestaltet Utku Kuzuluk als Albert stimmlich ein- und überhaupt den grossen, im Raum drucksvoll nach, während das übrige verteilten Orchester-, Chor- und Elektro- Ensemble mit Witz und Gespür für musinikapparat zusammenhält, ist gross- kalische Pointen das Vergnügen perfekt artig. Wobei, was heisst hier zusammen- macht. Aus der Personenzeichnung herhalten? Wenn gegen Ende der Sinfonie aus entwickelt sich in Luzern eine temdie Guggenmusig der «Barfuessfäger» poreiche Inszenierung von Tobias Heymitsamt Masken, Trommeln und Trom- der, die engen Kontakt zur Musik wahrt. peten ihre Märsche ins Rund feuert, Brittens schillernde Klangsprache, die während das Orchester, der Chor und mit vielen Zungen redet und deren Tonder Kinderchor und auch die Orgel in fälle - ein Schuss Walzerseligkeit hier, ein pantagruelsches Gelächter einstimmen, ist dies eine echte Kakofonie der Stile und Stimmen. Charles Yves hätte sich dieses Stimmengewirr nicht besser ausdenken können. ein wenig Elgar-Pomp dort - der Dirigent Howard Arman mit dem Luzerner Sinfonieorchester genau trifft, bleibt stets Re- ferenzpunkt. Auch hier ein Stilpluralis- mus sondergleichen. An das radikale Das Atemberaubende daran: Die Stimmengewirr der «Sinfonie für Lu- musikalischen Ereignisse werden nicht zern» reichte diese Oper dennoch nicht etwa auf den Nenner einer Ästhetik ge- ganz heran. bracht; vielmehr gehen sie in wildem Medienbeobachtung Medienanalyse Informationsmanagement Sprachdienstleistungen ARGUS der Presse AG Rüdigerstrasse 15, Postfach, 8027 Zürich Tel. 044 388 82 00, Fax 044 388 82 01 www.argus.ch Argus Ref.: 58975965 Ausschnitt Seite: 2/2
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