N ATU R © FOTO: REGULA ZELLWEGER Esel In den Wintermonaten kann es sein, dass man einem Schäfer und seiner Herde begegnet. Mit dabei als Lasttiere oder Herdenschutztiere sind oft auch Esel. Auch zur Advents- und Weihnachtszeit gehört der Esel. Er trägt die Säcke für den Nikolaus und steht an der Weihnachtskrippe. Zu Unrecht werden die schlauen und genügsamen Tiere noch immer mit den Attributen störrisch und dumm besetzt. © FOTO: REGINA RUTISHAUSER (rr) Esel gehören zu den ältesten Haustieren des Menschen. Ursprünglich waren Esel Wildtiere aus der Steppe Afrikas. DNA-Analysen bestätigen, dass alle heutigen, weltweit verbreiteten Hausesel von afrikanischen Wildeseln abstammen. Dieser Ursprung erklärt die besondere Genügsamkeit dieser Tiere. Ihre Heimat ist eine karge, raue und gebirgige Region, die nur wenig Nahrung und Wasser bot. Geschichte Vor 6000 bis 7000 Jahren wurden die Hausesel in Ägypten domestiziert. Bereits beim Bau der Pyramiden wurden sie als Lasttiere eingesetzt und waren auch, wie zahlreiche Wandreliefs zeigen, wertvolle Arbeitstiere bei der Ernte. Erst vor wenigen Jahren entdeckten Archäologen in der altägyptischen Totenstadt Abydos Grabkammern mit vollständig erhaltenen Skeletten von zehn Eseln. Das hohe Ansehen der Tiere zeigt sich darin, dass sie mit den höchsten Ehren und Grabbeigaben bestattet worden waren. Auch in Europa wurden die ersten Hausesel bereits mehrere hundert Jahre vor Christus hauptsächlich zum Tragen und Ziehen von Lasten gehalten, beispielsweise in Rom beim Bau des Kolosseums. Die Römer waren es auch, die die Esel auf die Nordseite der Alpen brachten. Im Mittelalter nutzen vor allem Klöster und Gewerbetreibende die Kraft der Tiere. Bis vor wenigen Jahrzehnten dienten sie auch in unseren Breitengraden als Lasttiere und fristeten beispielsweise im Bergbau und in Mühlen ein anstrengendes Leben. Und überall, wo es mit Waren steile Wege und Übergänge © FOTO: REGINA RUTISHAUSER 58 Dezember 2015 zu überwinden galt, waren die trittsicheren und schwindelfreien Esel früher das wichtigste Transportmittel. Heute noch sind sie in weiten Teilen Afrikas, Asiens und Zentralamerikas ein äusserst wertvolles Nutztier. Christentum Im Christentum spielt der Esel eine zentrale Rolle. In der Bibel finden sich viele Stellen, in der ein Esel oder die Eselin erwähnt ist. Bereits Maria ritt, der Überlieferung zufolge, auf einem Esel von Nazareth nach Bethlehem. Dieser Esel war bekanntlich bei Christi Geburt im Stall anwesend und später ritt Jesus am Palmsonntag auf einer Eselin durch Jerusalem. Eselgeschichten Es gibt viele Legenden, Geschichten, Analogien und Begriffe, die mit dem Esel in Zusammenhang stehen und die bis heute gebräuchlich sind. So nimmt ein Eselsohr im Buch Bezug auf die geknickten Ohren des Fohlens unmittelbar nach der Geburt. Der Goldesel verhilft im Märchen zu ungeahntem Reichtum. Bei den Bremer Stadtmusikanten schüttelt der arme Mülleresel sein Joch ab und sagt zum Hahn: «Etwas Besseres als den Tod finden wir überall.» Andererseits werden dümmliche Trottel als Esel bezeichnet, eine Dummheit als Eselei. Verhalten Im Gegensatz zum Pferd ist der Esel kein ausgesprochenes Fluchttier. Panische Flucht etwa im NAT UR der Geburt kann es laufen und ist lebhaft. Eselsfohlen werden während rund neun Monaten gesäugt. Danach bleibt das Fohlen weiterhin bei der Mutter, sie passt auf, beschützt und verteidigt es bis zur Geburt eines neuen Fohlens. Die Esel sind sehr soziale und ausgesprochene Gruppentiere. Meist bilden die Stuten und ihr Nachwuchs eine Gruppe ohne feste Rangordnung. Hausesel können über 40 Jahre alt werden. Kreuzung Gebirge würde seinen Tod bedeuten oder viele Kraftreserven verbrauchen. So bleibt er bei Gefahr stehen und verifiziert, was ihn beunruhigt. Deshalb verstärkt zusätzlicher Stress durch Schläge oder Schreie die Starre eher noch. Dieses instinktive Verhalten hat dem feinsinnigen und intelligenten Esel fälschlicherweise die Attribute dumm, störrisch und stur eingehandelt. Doch wenn der Esel nicht weitergehen will, hat das immer einen Grund. Zum Beispiel erscheinen dem Wüstentier auch kleinste Wasserläufe gefährlich, und es weigert sich beharrlich, die spiegelnde Oberfläche zu durchwaten. Daher baute man Eseln kleine Brücken aus Steinen oder Hölzern, die so genannten «Eselsbrücken». Muss sich der Esel verteidigen, tut er dies mit Bissen und Tritten. Ein Eselstritt verfehlt nie sein Ziel, sondern trifft bis auf wenige Zentimeter genau, auch wenn der potentielle Angreifer in Bewegung ist. Mit allen Sinnen Eselsohren Lange Ohren sind ein Merkmal vieler Wüstentiere. Auch Esel haben lange, grosse und bewegliche Ohren. Mithilfe von mehr als einem Dutzend Muskeln kann der Esel seine Ohren in alle Himmelsrichtungen drehen. Er kann damit einen riesigen Radius erreichen und Geräusche in einer Entfernung von bis zu drei Kilometern hören. Mit seinen langen Ohren hört der Esel nicht nur die Umgebung nach Freunden und Feinden ab, er kann mit ihnen auch seine Stimmung und Absicht zum Ausdruck bringen. Hängende Ohren bedeuten Entspanntheit, aufrecht stehende Ohren Neugier und Wachsamkeit, zur Seite gedrehte Ohren Angst, ange- legte Ohren Unzufriedenheit, Drohung und Kampfbereitschaft. Speziell ist, dass die Esel ihre Ohren auch asymmetrisch bewegen können. Zudem dienen die grossen Ohren den Tieren bei heissen Temperaturen als praktische Klimaanlage, weil das Blut beim Durchfliessen gekühlt wird. Eselslaute Der Esel hat ein lautes Stimmorgan und kann es extrem laut und ausdauernd einsetzen. Seine heiseren Schreie sind auch noch in grosser Entfernung zu hören. Das typische «I-AHH» kennt jeder. Es entsteht, weil der Esel als eines der wenigen Tiere sowohl beim Ein- als auch beim Ausatmen Töne erzeugen kann. Esel können mit Pferden gekreuzt werden. Dabei entstehen unfruchtbare Nachkommen, denn beide Tierrassen haben unterschiedlich viele Chromosomen. Die weitverbreiteten Maultiere haben als Vater einen Eselhengst und als Mutter eine Pferdstute, während der Maulesel von einem Pferdhengst und einer Eselstute abstammt. Maultiere waren bereits im alten Orient bekannt. In der Antike galten sie als die edelsten Tiere überhaupt. Im Mittelalter waren sie bei adligen Damen und Kirchenmännern als Reittiere sehr begehrt. Durch ihre Zuverlässigkeit, ihr flottes Tempo und ihre Trittsicherheit übertrafen sie den Esel und das Pferd. Man schreibt den Maultieren zu, dass sie die Besonnenheit, die Ausdauer und die Trittsicherheit eines Esels in Kombination mit der Geradlinigkeit, der Kraft und dem Mut eines Pferdes besitzen. Charles Darwin schrieb in Bezug auf die hervorragenden physischen Eigenschaften: «Das Maultier scheint mir ein sehr erstaunliches Tier zu sein; es macht den Anschein, dass hier die Kunst die Natur übertroffen hat.» Augen und Nase Esel besitzen auch ein ausgezeichnetes Sehvermögen. Weil sich ihre Augen seitlich am Kopf befinden, haben sie eine fast komplette Rundsicht nach vorne, zur Seite und nach hinten. Mit ihrer guten Nase können sie drohende Gefahren und nahende Feinde bereits früh wittern. Auch für das Zusammenleben in der Herde ist der Geruchssinn sehr wichtig. Nachwuchs Die Partnerwahl trifft bei den Eseln die Stute, sie sucht den Hengst auf. Nach einer Tragzeit von etwa 12 Monaten bringt die Eselstute in der Regel ein Fohlen zur Welt. Gleich nach Dezember 2015 59
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