Mieter verloren ihre Wohnung wegen

Die unabhängige Schweizer Tageszeitung
Samstag
3. Oktober 2015
123. Jahrgang Nr. 229
Fr. 4.50, Ausland: € 3.70 / AZ 8021 Zürich
Wochenende
Fabian Unteregger
will mit Humor den
Blutdruck senken.
FC Zürich
Dem Team fehlen
die Charakterköpfe,
sagt der Captain.
Hijab
Der Schleier
erobert die
Modeindustrie.
Fotoblog
Rollbrettfahren war
nie stilvoller als
in den Siebzigern.
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perlen.tagesanzeiger.ch
Mieter verloren ihre
Wohnung wegen
Onlineportal Airbnb
Möchtegern-Bundesräte bringen sich in Stellung
Erste Immobilienverwaltungen kontrollieren,
ob ihre Wohnungen illegal untervermietet werden.
Das Untervermieten von Wohnungen
boomt. Gegenwärtig werden auf der Internetplattform Airbnb rund 13 000
Schweizer Unterkünfte angeboten. Allein in der Stadt Zürich sind es 2200.
Manch ein Mieter versucht so, sein Einkommen aufzubessern – etwa indem er
die Wohnung während der Ferien anderen überlässt.
Was viele nicht wissen: Solche Untervermietungen bedürfen einer Bewilligung. Laut Gesetz muss ihnen der Eigentümer zustimmen. Doch die meisten
Mieter, die ihre Wohnung auf Airbnb
ausschreiben, foutieren sich darum.
Eine Umfrage des TA unter Immobilienverwaltungen ergab, dass bei den meisten noch gar nie ein solches Gesuch eingegangen ist. Bei anderen meldeten sich
Vereinzelte.
Die Kluft zwischen dem gesetzlichen
Anspruch und der Wirklichkeit ist derart eklatant, dass einige Verwaltungen
nun Airbnb-Angebote kontrollieren. Sie
durchsuchen sie auf eigene Wohnungen,
die dort illegal angepriesen werden. Ist
dies der Fall, verschicken sie eine Kündigungsandrohung. In extremen Fällen
haben fehlbare Mieter ihre Wohnung effektiv auch schon verloren. Sowohl bei
Wincasa als auch bei Livit – den beiden
grössten Schweizer Immobilienverwaltungen – ist es bereits zu Kündigungen
wegen illegaler Untervermietung gekommen.
Das Kontrollieren ist jedoch knifflig,
weil bei Airbnb-Inseraten die genaue
Adresse fehlt. Angegeben wird nur die
ungefähre Lage. Die Verwaltungen müssen ihre Wohnungen also aufgrund der
Fotos identifizieren. Zuweilen erhalten
sie aber auch Hinweise von Nachbarn
und Hauswarten, wenn ständig Bewohner mit Koffern ein und aus gehen.
Und was geschieht, wenn ein Mieter
um eine Erlaubnis ersucht? Die meisten
Liegenschaftsverwaltungen entscheiden
jeden Fall einzeln. Die Stadt Bern hingegen lehnt Airbnb-Gesuche konsequent
ab. Ihr Wohnraum stehe den Bernern
zur Verfügung, nicht Touristen.
Kommentar Seite 2, Bericht Seite 11
Unheilige Allianz
gegen BDP-Chef
Licht ins Dunkel der
Zürcher Hundehütten
Im Kanton Glarus muss BDP-Präsident
Martin Landolt um seinen Sitz im Nationalrat bangen. Konkurrenz erhält er von
Jacques Marti, dem Sohn des ehemaligen Nationalrats Werner Marti. Der SPLandrat hat pikanterweise prominente
Fürsprecher aus SVP und FDP. Eine
Nichtwiederwahl Landolts käme der
SVP gelegen: Die BDP wäre geschwächt,
ebenso die Position ihrer Bundesrätin
bei den Bundesratswahlen. Der Glarner
Wahlkampf wirft deshalb Wellen bis ins
Bundeshaus. Bundesparlamentarier der
BDP halten das Vorgehen der SVP für
«jenseits von Gut und Böse», der SP halten sie vor, einen taktischen Fehler zu
begehen. (sth) – Seite 5
Die Stadt Zürich hat die Daten des Hunderegisters veröffentlicht. Name, Rasse,
Geschlecht, Fellfarbe sowie Alter von
mehr als 6500 Hunden sind darin ersichtlich – aufgeschlüsselt nach Stadtkreisen. Auf 100 Einwohner kommen
1,7 Hunde, je reicher das Quartier, desto
mehr sind es. Neben aufwendigen Namen wie White Magic Pretty Jewel oder
Wicki Custom Smoking Gun fällt auf:
Es markieren noch lediglich 3 Bellos und
1 Fifi ihre Reviere. Zudem gibt es in
der Stadt 21 registrierte Kampfhunde:
12 American Staffordshire Terrier, 4 Staffordshire Bullterrier, 4 Pitbulls, 1 Bullterrier. Um sie zu halten, braucht es seit
2008 eine Bewilligung. (bra) – Seite 19
Die SVP bereitet den Angriff auf BDPFinanzministerin Eveline WidmerSchlumpf vor. Für die Bundesratswahl
im Dezember baut eine parteiinterne
Findungskommission unter dem früheren Aargauer Regierungsrat Ernst Hasler
derzeit Kampfkandidaten auf – sie klärt
deren Eignung ab und ermittelt dunkle
Flecken in der Biografie. Offiziell gibt es
mindestens bis zu den Parlamentswahlen vom 18. Oktober keine Auskünfte. Als
aussichtsreichste Bewerber gelten derzeit aber der Bündner Heinz Brand und
der Zuger Heinz Tännler.
Für Spannung sorgt die Frage, ob der
CVP-Sitz im Bundesrat neu zu besetzen
sein wird. Obschon es bis zum Wahltermin nur noch zwei Monate sind, lässt
Bundesrätin Doris Leuthard eine erneute Kandidatur noch immer offen. Beobachter vermuten, Leuthard könnte innert zwei Wochen über ihre Pläne informieren – und damit ihrer Partei kurz vor
dem 18. Oktober noch Aufmerksamkeit
verschaffen. Oder sie plane den Rücktritt, wolle aber bis zum 18. Oktober
Wahllokomotive bleiben. (fre) – Seite 3
Service
Kommentare & Analysen
Heute
Das Magazin
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«Berlin boomt.
Auf dem Land
aber, da fällt
das Aufrappeln
schwer.»
Ein Arzt verteidigt die
unerlaubte Fettentnahme-Therapie
Der Leiter der Seegarten-Klinik in Kilchberg soll «unerlaubte Heilmittel» angewendet haben; gegen ihn läuft ein entsprechendes Strafverfahren. Ein Arzt,
der anonym bleiben will, beschreibt,
warum er das Verfahren zur Gewinnung
von Stammzellen trotz fehlender Zulassung selbst angewendet hat. – Seite 4
Iwan Städler
Börse
Leserbriefe
Todesanzeigen
Gottesdienste
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26
28
Veranstaltungen
42
Fernsehprogramme 43
Rätsel
48
Wetter
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Online www.tagesanzeiger.ch, [email protected]
Dominique Eigenmann über den
Osten seit der Wende. – Seite 7
Amokläufe verkommen in den
USA zu einem Ritual, bei dem sich
die TV-Sender treffen. – Seite 9
Roger Köppel schafft, was derzeit
kein anderer Politiker schafft: Er
füllt ganze Säle. — Seite 21
Die Ostukraine braucht Zeit,
um Wahlen zu organisieren
Im Friedensprozess zur Beilegung des
Konflikts in der Ukraine wird es vermutlich zu Verzögerungen kommen, sagte
Präsident François Hollande gestern
nach einem Spitzentreffen. Insbesondere benötige man Zeit, um in der Ostukraine Wahlen nach internationalen
Standards zu organisieren. – Seite 8
Unseren Stärken
Sorge tragen!
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Regine Sauter
in den Nationalrat
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2× auf Ihre Liste
und Ruedi Noser
in den Ständerat
Sie ist wieder da! Charlotte Roche
über ihr neues Buch.
www.regine-sauter.ch
LISTE
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Tages-Anzeiger – Samstag, 3. Oktober 2015
Wochenende
«Ich platziere Humorbomben»
Fabian Unteregger kennt man als Parodist der Cervelatprominenz . Nun geht er mit seinem abendfüllenden
Programm «Doktorspiele» auf Tour. Und erzählt von seinen eigenen Doktorspielen.
Mit Fabian Unteregger
sprach Michèle Binswanger
sungen. Das waren sicher Schlüsselmomente, was
meinen Hang zur Unterhaltung betrifft.
Ihr neues Programm heisst «Doktorspiele».
Welche Doktorspiele haben Sie als Kind
gespielt?
Oh, ich habe viele Untersuchungen gemacht. Der
Titel meines Programms spielt aber nicht auf meine
frühkindlichen Erfahrungen an. Ein Arzt versucht
vielmehr herauszufinden, was nicht in Ordnung ist
mit dem Patienten. Das ist bei der Comedy ähnlich,
nur dass der Patient nicht ein Einzelner ist, sondern die Gesellschaft insgesamt.
War Ihnen dort schon klar,
dass Sie das auch später machen wollen?
Im Gegenteil. Im Gymnasium war ich ein guter
Schüler, aber ich landete ständig vor der Tür, weil
ich immer Unsinn machte. Das erweckte in mir
nicht gerade die Zuversicht, dass Comedy ein valabler Zukunftsplan ist. Dann ging es weiter im Militär, wo ich zum Truppenclown mutierte. An der
ETH nahm ich mir vor, seriös zu werden und das
alles zu unterdrücken. Aber auch dort wurde ich
beim Abschluss dazu ermuntert, die Rede zu halten, und bekam viel Lob für den Auftritt. Später begann ich einen Job als Brandmanager und machte
nebenher Theatersport und wurde 2008 Europameister. Das war der Moment, als auch mir langsam
dämmerte, dass es vielleicht eine realistische Möglichkeit gibt, das zum Beruf zu machen.
Sie sind ausgebildeter Lebensmittelingenieur
und als Comedian erfolgreich. Dieses Jahr
haben Sie nun noch ein Medizinstudium
abgeschlossen – können Sie nie genug kriegen?
Es ist nicht so, dass ich hyperaktiv wäre oder dauernd 200 Prozent geben muss. Im Gegenteil, ich
hasse es, wenn alles verplant ist. An Wochenenden
mache ich eigentlich am liebsten gar nichts. Und
ich brauche auch viel Zeit, in der ich einfach für
mich bin und meine Gedanken sortieren kann.
Theatersport ist eine Art
Improvisationstheater?
Genau – und damit auch eine gute Comedyschule.
Ich bin von Hause aus eher ein scheuer Typ und
fühle mich nicht gerade prädestiniert, vor Leute
hinzustehen und sie zu unterhalten. Das fände ich
recht peinlich. Deshalb war es eine glückliche
Fügung, dass es immer wieder Leute gab, die mich
nach vorne gestellt haben und gesagt haben: Jetzt
aber los.
Aber warum denn noch ein Medizinstudium?
Aus brennendem Interesse, der Faszination am
Fach und weil ich mir tatsächlich vorstellen kann,
als Arzt zu arbeiten. Das Studium war anspruchsvoll und hart, aber ich wusste, dass ich das packen
kann. Daneben bin ich seit zehn Jahren Comedyunternehmer – was ja fast dasselbe ist.
Sie machen länger schon Parodien
am Radio unter dem Titel «Zum Glück ist
Freitag». Wie gehen Sie dabei vor?
Als mich SRF 3 damals anfragte, steckte ich gerade
mitten in meinem Medizinstudium. Deshalb habe
ich ein Autorenteam verlangt, das im Turnus
schreibt, ich mache dann nur noch die Endredaktion. Wenn in der Nacht von Donnerstag auf
Freitag etwas passiert, dann schreibe ich den
Sketch am Donnerstagabend noch.
Inwiefern?
Comedy hat positive, unmittelbar erfahrbare Effekte: Im Idealfall löst man eine Reaktion aus, die
den ganzen Körper betrifft. Der Komiker setzt sozusagen eine kleine Bombe ins Hirn des Zuschauers, die sich dann verselbstständigt. Lachen
senkt den Blutdruck, fördert die Durchblutung,
sorgt für Endorphinausschüttungen. Für mich ist
es faszinierend, zu beobachten, wie gelöst die
Leute nach der Show sind. Da kann ich ebenso viel
bewirken wie als Arzt.
Welches ist Ihre Lieblingsfigur?
Ich mag es, Neues auszuprobieren, und deshalb gefällt mir im Moment Roger de Weck am besten. Das
Tolle daran ist, dass wir völlig frei sind. Wenn Roger
Schawinski das echte «Roger gegen Roger» absetzt,
dann kann es in meinem Programm immer noch
stattfinden lassen.
Dann machen Sie Comedy aus Liebe
zu den Menschen?
Nein, aus Freude zum Fach. Ich finde Menschen
nicht grundsätzlich wahnsinnig toll. Als Arzt sieht
man ja alles Mögliche: Es gibt welche, die noch
grosses Potenzial in der Körperhygiene haben, andere leiden immer und sehen immer nur das Negative. Wenn man den ganzen Tag damit zu tun hat,
ist das sehr anspruchsvoll.
Dann können Sie einfach nicht anders?
In den Skilagern, in denen ich als J+S-Leiter dabei
war, wurde ich immer ins Ressort Gutenachtgeschichte versetzt – wo ich doch eigentlich viel lieber das Ressort Lagerarzt gehabt hätte. Aber es gab
immer irgendeine Krankenschwester, die mir dieses Ressort weggeschnappt hat, das hat mich immer wahnsinnig geärgert. Diese Krankenschwester
brachte keinerlei Feuer mit, während ich immer
tipptopp vorbereitet war, mit einer Hausapotheke,
Pflästerli und Vita-Merfen. Aber ich habe es nie bekommen. Vielleicht musste ich deshalb noch das
Studium nachschieben.
Sie wollten als Kind Kasperli von Beruf
werden. Was haben Sie sich darunter
eigentlich vorgestellt?
Fabian Unteregger
Multiple Persönlichkeit
Der öffentliche Fabian Unteregger ist meistens nicht
sich selbst. Bekannt geworden ist er als Parodist von
Schweizer Persönlichkeiten auf Radio SRF, im SRF war er
als rasender Reporter des fiktiven Brig zu sehen. Der
gelernte Lebensmittelingenieur ETH hat vergangenen
November ein Medizinstudium an der Universität Zürich
abgeschlossen. «Doktorspiele» im Zürcher Kaufleuten:
7. Oktober (Premiere) und 16. Oktober. (mcb)
Ahmen Sie eigentlich nur den Sprachduktus
nach oder müssen Sie sich auch
in die Personen hineinversetzen?
Ich scheine ein sehr musikalisches Gedächtnis zu
haben und kann Sprachmuster und -melodien sehr
gut abrufen.
«Das Klischee, dass Schweizer keinen Humor haben, ist völliger Blödsinn», sagt Unteregger. Foto: Doris Fanconi
Für mich war klar, irgendwo da draussen wohnt ein
Junge namens Kasperli, der nie zu Hause ist und nie
schläft, eine Familie hatte er auch nicht. Für mich
war das ein autarker, witziger junger Typ, dem
nichts die Sinne trüben kann, der immer gut gelaunt ist, der Probleme löst und lustig ist.
Sie haben an den Kasperli geglaubt
wie an den Samichlaus?
Ja, bis zu meinem zündenden Erlebnis in der
Primar schule. In der zweiten Klasse kündigte die
Lehrerin einen neuen Mitschüler an, das sei der
Kaspar. Für mich war klar, dass der Kasperli jetzt
zu uns in die Klasse kommt. Und ich war wahnsinnig aufgeregt. Als dieser Junge dann da war,
brach mein kasperlizentrisches Weltbild zusammen. Unser Kaspar war eine durchs Band enttäuschende Erscheinung, worauf ich an allem zu
zweifeln begann.
Was ist die beste Kasperlikassette?
Da gab es verschiedene: «Der Velochlauer chunnt
in Chefi» – oder der Medizinmann mit den «Pilleli
und Pülverli». Aber ich hatte nie alle Kassetten,
«Mit meiner Show
kann ich ebenso viel
bewirken wie als Arzt.»
denn mein Vater war von Haus aus Ökonom und er
hat irgendwann die Grenzkosten berechnet, bis zu
welcher Anzahl Kassetten es einen zusätzlichen
Nutzen gibt. Nämlich bei ungefähr acht.
Gab es einen Schlüsselmoment, in dem Sie
Ihr Comedytalent entdeckt haben?
In der Primarschule spielte ich Klavier und musste
zuweilen auch eine Vortragsübung geben. Normalerweise spielt man da die klassischen Basisstücke,
und die Zuschauer erleiden beinahe einen Nervenzusammenbruch, weil sie genau wissen, dass der
Vortragende an irgendeinem Fingersatz scheitern
wird. Das wollte ich mir nicht antun. Deshalb habe
ich immer Sachen von Jerry Lee Lewis vorgetragen,
mit der Mundharmonika begleitet und dazu ge-
Sind Sie eher Perfektionist oder improvisieren
Sie lieber?
Ich improvisiere gern.
Eher ein Sprinter oder ein Marathonläufer?
Weder noch. Ich mache Sport, um mich zu entspannen. Im Sommer mache ich gern Wassersport,
Segeln oder Schwimmen, im Winter Schneesport.
Oder ich laufe im Wald, aber einfach, um in der
Natur zu sein, das ist mir wichtig. Ich muss nicht an
einem Marathon teilnehmen, um meine Kräfte zu
messen. Es gibt ja Leute, die sind erst im Zustand
des höchsten Glücks, wenn die Muskeln beinahe
auseinanderfallen. Da bin ich anders. Für mich ist
der Sport Mittel zum Zweck, um mich körperlich
gut zu fühlen.
Wie gehen Sie mit negativen Gefühlen um:
aggressiv oder depressiv?
Ich gehe hinaus und bewege mich. Aber ich habe
keinerlei depressive Veranlagung.
Das ist für einen Komiker doch eher
die Ausnahme.
Es kam einmal eine Kollegin auf mich zu und erFortsetzung auf Seite 36
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Wochenende
Fortsetzung von Seite 35
«Ich platziere
Humorbomben»
kundigte sich, warum ich als Komiker eigentlich nie
depressiv sei. Das war für mich sehr erstaunlich,
denn ich wusste gar nichts von diesem Hang zur
Depression bei Komikern. Aber ich bin dazu wohl
einfach nicht veranlagt. Ich bin übrigens auch nicht
besonders aggressiv.
Jetzt kommen ein paar Stichwortfragen,
auf die Sie spontan antworten müssen.
Harald Schmidt oder Stefan Raab?
Beide grossartig. Aber vielleicht eher Raab, weil er
so vielseitig ist. Und weil er der Grund ist, warum
mein Freund Bernhard mir mit 25 eine Ukulele
kaufte. Dafür bin ich dankbar.
Amy Schumer oder Tina Fey?
Tina Fey.
Simon Ammann?
Höhöhö (imitiert sein Lachen).
Annina Frey?
Ihr ist ein starker Auftritt sehr wichtig.
Heinz Günthardt?
Grosser Unterhaltungswert.
Christoph Mörgeli?
Sünneliaufgang.
Sind Sie ein politischer Mensch?
Ich bin politisch sehr interessiert, aber das ist für
mich kein Bühnenstoff. Es gibt viel lustigere Themen als Politik, und ich möchte ein breites Publikum ansprechen. Ich nehme auch gern irrelevante
Sachen, Nonsens aufs Korn.
Was haben Sie zuletzt gelernt?
Schwedisch. Zunächst wirkt die Sprache ganz einfach, beim Lesen hat man das Gefühl, man versteht
alles. Wenn man die Sprache dann hört, ist das ein
einziges Mus, ein sprachlicher Bandwurm. Irgendwann beginnen sich einzelne Muster zu kristallisieren, man beginnt, Wörter und Sätze zu identifizieren. Das ist übrigens das Faszinierende an der
Plastizität unseres Hirns: Ein Computer hat seine
Leistung von A bis Z, wir nicht. Spezifische Bereiche können durch Übung gestärkt werden.
Es gibt das Klischee, dass Schweizer
nicht lustig sind . . .
Was natürlich völliger Blödsinn ist. Das ist eine
gausssche Kurve, das heisst, es gibt bei bald neun
Millionen Schweizern eine Normalverteilung. Das
hat ja auch eine neurologische Komponente.
Humor ist im sensorischen Cortex angesiedelt, und
es gibt tatsächlich Menschen, bei denen da nichts
ist. Sie sind physiologisch nicht in der Lage, Humor
zu erkennen.
Trotzdem haben die Angelsachen ja
eine ganz andere Humorkultur.
Auf jeden Fall. Da gibt es tatsächlich gravierende
Unterschiede, nicht was die Fähigkeit zum Humor
betrifft, sondern was man daraus macht. Bei uns
gibt es keine Stand-up-Tradition, wir haben nur
einen winzigen Markt, und die Mentalität ist eine
andere. Angelsächsische Comedyshows funktionieren nach dem Null-eins-Prinzip: Wenn die
Show beginnt, schnellt der Pegel sofort auf hundert hoch und bleibt da bis zum Ende der Show.
Es gibt nur null oder eins. In der Schweiz oszilliert
das, die Schweizer müssen sich erst warmlaufen,
zwischendurch sinkt es wieder ab. Dieses Muster
muss mit den Erwartungen und der Einstellung zu
tun haben.
Woran liegt es, dass die Comedyszene
in der Schweiz so klein ist?
Die Szene hier ist noch sehr jung. Früher gab es nur
Kleinkunst, und klassische Stand-ups mussten auf
die Kleinkunstbühnen. Jetzt gibt es in den Städten
Einzelinitiativen, und es entwickelt sich langsam
auch ein eigenes Publikum dafür. Die Leute sind in
der Regel zwischen 25 und 35 und wissen, was sie
von einem Comedyabend zu erwarten haben.
Langsam kann man die Entstehung einer Comedytradition hier beobachten.
Wenn Sie mal nicht inspiriert sind,
können Sie als Komiker dann
auf ein Handwerk zurückgreifen?
Nicht direkt. Aber mein Hirn arbeitet sehr assoziativ, und es arbeitet unausgesetzt. Wenn ich arbeite
oder sonst unterwegs bin, fliegen mir oft Ideen und
Pointen zu. Die notiere ich dann auf meinem Smartphone. Lustigerweise brauche ich die Notizen am
Ende dann doch nicht, denn sobald ich eine Pointe
aufgeschrieben habe, ist sie auch memoriert. Ansonsten arbeite ich mit dem klassischen angelsächsischen Modell von Set-up und Punchline. Das Geniale an Stand-up-Comedy ist, dass man ohne Requisiten auf die Bühne stehen kann, und es funktioniert. Das ist eigentlich das Pendant zur Art, wie
ein Federer Tennis spielt: sehr ökonomisch, so
bleibt man auch von Verletzungspech verschont.
Videos Clips aus der SRF-3-Sendung
«Zum Glück ist Freitag»
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Tages-Anzeiger – Samstag, 3. Oktober 2015