Laudatio von Martin Maria Blau

Lieber Joachim,
sehr geehrter Herr Rempe,
und alle, die Sie in den Grußworten bereits genannt wurden,
meine sehr verehrten Damen und Herren.
Lieber Joachim, lass mich dir vorweg schon einmal sagen, dass ich mich
als Künstler, als Regisseur und nicht zuletzt als Freund sehr, sehr freue,
eine Lobrede auf dich zu halten. Und ich freue mich über den Anlass zu
dieser Lobrede. Du bist ihn deinem Tun und Schaffen erkannt und
geschätzt worden. An dieser Stelle auch noch einmal ein Dank an die
Preisverleihenden, die Jury und alle, die diesen Preis möglich machen.
Ridendo dicere verum. Lachend das Wahre sagen.
Dieser Satz aus den Satiren von Horaz ging mir, als du mich vor ein paar
Monaten gefragt hast, ob ich die Laudatio zur Preisverleihung halten
möchte, sofort durch den Kopf.
Ein Adhoc-Leitmotiv, ein sofortiger limbischer Impuls.
Es gibt sie, diese Sätze - wenn auch nicht immer lateinischdie sofort als Impuls anwesend sind. Klar. Unmittelbar. First thought best thought, heißt es. Also bin ich dieser Eingabe gefolgt.
Ridendo dicere verum. Lachend das Wahre sagen.
Ein ganzes Flächengewirk schimmert in diesem Satz auf.
Auf der ersten Ebene verweist er sogleich auf einen, der spricht, das
Wahre offenbar, und das auch noch lachend. Nichts einfacher als das.
Und nichts verweist besser auf das Genre, die Kunst, die heute Abend
hier geehrt wird und seinen gepriesen Repräsentanten.
Natürlich soll in diesem Sinne der Bühnenkünstler respektive der
Kabarettist bei seinen öffentlichen Auftritten nicht selber lachen, das ist
klar.
Wir Zuschauer und Zuhörer hätten dann keinen Imaginations-Raum
mehr. Nein, wir sollen lachen, lächeln, interagieren, den Impuls, den der
Performer sendet vervollständigen, ihn zu unserem eigenen machen.
Aber, und darauf zielt der Satz auf der nächsten Ebene, es braucht
vielmehr das Lachen selbst als eine innere Haltung, eine A-Priori-Quelle,
um als Sendender das Wahre zu sagen zu können.
Joachim, du hast deine Diplomarbeit genau diesem Thema gewidmet:
dem Witz, dem Lachen und dem Humor. Bei allen unseren Gesprächen,
die wir gerne und lange führen, kommst du an einer bestimmten
Wegstrecke, nämlich wenn wir ins Numinose zu driften drohen -oder
vielmehr ich- immer an diesen Punkt zurück.
Wie eine Immunisierungsbeschwörung wider das horizontal
Beschwerende. Eine Aufforderung zur vertikalen Leichtigkeit.
Humor als Basisingredienz des eschatologischen Vorbehalts.
Die Bedeutung, die fundamentale Wichtigkeit des Humors - Herr Rempe,
Sie haben es ebenfalls vorhin angesprochen - die Fähigkeit, sich über
sich oder über etwas lustig zu machen und mit anderen lachen zu
können, gehört wohl zur vitalitätserhaltenden und kulturschöpfenden
Conditio humana.
Aber zu dieser Conditio, und Sie haben die drohende Kontextualisierung
wohl schon voraus geahnt, gehört wohl auch ihre immerwährende
Gefährdung.
Dies wird uns in diesen Zeiten wieder einmal mehr schmerzlich und
drängend bewusst.
Satire hat ihren Preis und wird mit dem Leben bezahlt.
Es kostet also wieder etwas, wie einer die Worte wählt, wann und wo,
womit er das Zeichenblatt füllt, und vor wem er sich äußert, auch in
unseren Breiten. Ein Jota zählt oder ein Strich zu viel.
Und nicht nur die Künstler. Wir alle sind gemeint und bedroht in unserer
Lebensgebärde.
Und kein bekanntes Denkmuster wird uns hier aus der Bedrängnis
retten.
Also voran! Verlassen wir die Komfortzonen, die längst keine mehr sind!
Hören wir zu! Tauschen wir uns aus! Forschen wir! Wandeln wir uns!
Weekend war gestern. Fliegen wir guten Mutes auf Sicht. Gemeinsam!
Aus dieser Lage heraus erscheinen die Satire, das Kabarett und ihre
individuellen Streiter wie ein Phönix aus der Asche.
Wir hatten uns schon gewöhnt an das ewig Höchstreiz versprechende
Stakkato-Pointengewitter, abgestumpft von der Zapping berauschten
Medien-Agora.
Nivellierend, aktualitätsinflationär, systemimmanent. Hauptsache
unterhaltend, Hauptsache lustig. Satire: ein altes Vehikel, zerbeult
geschunden, angeschossen, reizüberhöht. Hofnarrengeplänkel?
Aus heutiger Sicht jedoch erscheint mir der Kabarettist, der Satiriker
wieder in seiner wesentlichen Funktion neu inthronisiert: ein Erinnerer
an den Mut, an die Haltung zur Wahrheit und an die unaufhörliche
Notwendigkeit zur Differenzierung.
In diesen Zeiten großer Umbrüche ist dies ein hohe Aufgabe, zumal die
Realpolitik und ihre Inszenierungen manchmal selbst zur Realsatire
werden und den Satiriker zu überholen drohen.
Er ist also ein Erinnerer an ein Noch-Nicht. Ein utopistischer Hofnarr.
Und von dort aus entsteht die ironische Kritik, der humoristische Blick
auf die vielfältigen Ausformungen des Lebens.
Ein Reminder der anderen Art; von hinten durch die Brust ins Auge,
indirekt, subkutan, zum Lachend bringend und auf diese Weise
anarchisch.
Das Zwerchfell ist ein anarchischer Muskel, sagt Hans Magnus
Enzensberger.
Recht hat er.
„Wann kommt denn endlich die Laudatio auf Joachim Zawischa?“, werden
Sie fragen.
Sie ist es die ganze Zeit.
Mit Joachim Zawischa ehren Sie ein Künstler, der sich der Komplexität all
dieser Ebenen und darüber hinaus bewusst ist und es sich uns zuliebe
nicht leicht macht, damit wir es als sein Publikum leicht haben, lachend
das Wahre zu hören.
Seine Fähigkeiten als Schauspieler, Autor, Liedermacher und Coach,
seine gesamte Vorausbildung, die eine spirituelle ist, seine
Vergangenheit als DDR-Bürger und die dadurch entstandene Sensibilität
für unterdrückende und unterdrückte Töne, haben ihn als
Bühnenkünstler geformt. Mit diesen Fähigkeiten und
Persönlichkeitsschichten gestaltet er Bühnenwerke, die lachend,
spielerisch, wortklug, wortforschend, durchleuchtend, bissig, beherzt
erhellen und berühren.
Wenn ich Dich mit einem Wort beschreiben sollte, lieber Joachim, dann
würde, ich sagen, von deinen künstlerischen Fähigkeiten mal abgesehen:
Du bist ansprechbar. Immer ansprechbar. Also meistens..
Wenn ich bei meinen manchmal langen Autobahnfahrten - und die gibt
es häufiger - denke, wen könnte ich denn jetzt mal anrufen, um zu
sprechen, fällt mir natürlich sofort meine Liebste ein, aber dann auch
sofort du, Joachim.
Unterschätzen wir dies nicht in einer Zeit, wo alles ununterbrochen
spricht, aber kaum mehr zuhört. Der Angesprochene muss bereit sein,
seinem Gegenüber Interesse, Neugierde, Hingabe und Gestaltungslust zu
schenken. Mit einem Wort entsprechend zu sprechen.
Dafür braucht es ein geistiges Fundament.
Lieber Joachim, du hast dieses Fundament.
Wir haben uns vor sechs Jahren bei der gemeinsamen Arbeit kennen
gelernt. Du brauchtest einen Regisseur für dein neues Bühnenprogramm
und ich habe nach einem Gespräch - oder waren es zwei - sehr schnell
zugesagt.
Die Arbeit mit dir war spannend und bereichernd und sie ist es bis heute
- unerschöpflich.
Wo Meinungen sind, plädierst du für Differenzierung.
Wo Ratlosigkeit keimt, setzt du auf Forschung.
Wo Gesinnungskonformismus herrscht, setzt du auf Kontrapunkt.
Wo Verzweiflung ist, setzt Du auf Humor.
Voilà.
Du bist ein eigenwilliger Mix aus ostdeutschem Katholiken mit
anarchisch-ironiebegabten Kräften und Genusspotential, aber vor allem
ein Mensch mit Herz und Poesie.
Ein Mensch, der sich auf Grund seines Wesens und seiner
Bildungsgenese zur Gänze der permanenten Erinnerung an die
Eigentlichkeit des Menschlichen verpflichtet fühlt und dies mit Gabe,
Erfahrung, Handwerk und nicht zuletzt mit Fleiß tut.
Ansprechbar in jeder Hinsicht und auf allen Ebenen.
Sicher nicht ganz leicht für dich und die Deinen. Aber so ist es nun mal,
das Los der Berufung. Art ist a cruel mistress.
Sehr geehrte Jury, mit Joachim Zawischa zeichnen Sie einen Künstler,
einen Menschen aus, der sich dieser eben skizzierten Klimazonen
verpflichtet fühlt und sie mit uns inspiriert und inspirierend teilen will.
Fast möchte ich Joachim Zawischa in Anlehnung an den Essay-Titel
eines heute geächteten Autors in der Uckermark „einen letzten
Kabarettisten“ nennen.
Und indem ich dich, lieber Joachim, über das Loben hinaus lobe,
die Rolle des Kabarettisten und seine Bedeutung überhöhe, tue ich dies
voll hoffender nötigender Absicht, dich, mich, uns alle in die
Verantwortung zu nehmen, liebend, ja kämpfend mehr als unser Bestes
zu geben.
Es steht etwas auf dem Spiel.
Zugegebenermaßen. Ein Spiel ist ein Spiel, aber wir sollten es ernst
nehmen.
Ridendo dicere verum.
Den Finger in die Wunde legen - ja. Sie zeigen - ebenso.
Sie als eigentliche Quelle des Schöpferischen zu schätzen, das ist unsere
kreative Pflicht.
Ohne Wunde keine Wunder.
Und immer wieder: Ridendo dicere verum.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre
Aufmerksamkeit.
Und nicht zuletzt:
Lieber Joachim, Kunstkampfgenosse, Bühnenmusketier und Agapebruder,
auf weitere Taten: deine, meine, unsere!
Meine herzliche Gratulation zu diesem Preis!
Copyright by Martin Maria Blau 2015