Ressourcencheck – ein strukturiertes Gespräch über Stärken und

Ressourcencheck – ein strukturiertes Gespräch über Stärken und was
daraus zu machen ist
erschienen in:
Wolfgang Budde, Frank Früchtel, Andrea Loferer: Ressourcencheck. Ein strukturiertes Gespräch über Stärken und was
daraus zu machen ist, in Sozialmagazin 6/2004, S.14 – 22
Wolfgang Budde, Frank Früchtel, Andrea Loferer: der Ressourcencheck in der Anwendung, in Sozialmagazin 6/2004, S.
23 - 27
Keep away from people who try to belittle your ambitions. Small people always do that, but the really great make you feel that you, too,
can become great. (Mark Twain)
Was ist ein Ressourcencheck?......................................................................................................... 1
Erkenntnistheorie der Stärkenorientierung – Gedanken über eine triviale Ambivalenz.................... 2
Theorie der Stärken .......................................................................................................................... 4
Durchführung .................................................................................................................................... 8
5. Fazit ............................................................................................................................................ 10
6. Der Ressourcencheck in der Anwendung: ein Beispiel aus der stationären Erziehungshilfe..... 10
Schritt 1: „Franz – Das bin ich!“ .................................................................................................. 10
Schritt 2: Strengths Storming ...................................................................................................... 11
Schritt 3: Feedback zum Feedback ............................................................................................ 11
Schritt 4: Gelegenheiten schaffen............................................................................................... 12
7. Literatur....................................................................................................................................... 13
Lässt sich Son Goku als Partner der Sozialen Arbeit gewinnen? Der Artikel beantwortet diese
Frage mit einem eindeutigen „JA“. Behördliche Sozialarbeit ist noch etwas schwach auf der Brust,
wenn es um Arbeit mit Stärken geht. Son Gokus oder allgemein Klienten als Helden kommen nicht
häufig vor. Dazu müsste es nämlich Werkzeuge geben, die herausholen, was in den Leuten steckt.
Der Ressourcencheck ist eines dieser Werkzeuge Man kann damit an den Stärken, die in dem
Willen, den Träumen und Hoffnungen stecken (zielspezifisch) anpacken. Oder man kann
zielunspezifisch Ressourcen zu Tage fördern, die ersteinmal nicht auf der Hand liegen und zu der
eine klassische Bedarfsfeststellung häufig nicht vordringt.
Was ist ein Ressourcencheck?
Der Begriff verweist auf einen speziellen Blick, den Sozialarbeiter auf lebensgeschichtlich
gewonnene Kompetenzen, Talente, Ausstattungen und vorteilhafte Zufälligkeiten und nützliche
Netzwerke, die Klienten mitbringen, werfen. Der Check lobt nicht, verstärkt nicht, baut nicht auf,
tröstet nicht, sondern nimmt die Stärken der Leute ernst. Er beschreibt, bewundert, analysiert, ist
in seinen Inhalten klar und sachlich. Er ist ein Kontrapunkt (manchmal gar eine Kampfansage) zur
problemfokussierten Langweiligkeit helfender Beziehungen. Checken heißt dabei wahrnehmen,
begreifen und anerkennen von Stärken, die manchmal geradezu ins Auge springen, manchmal
nicht so leicht zu entdecken sind oder sogar systematisch übersehen werden, weil man sich so an
sie gewöhnt hat, dass sie als Selbstverständlichkeiten im Hintergrund unseres Bewusstseins
versunken sind. Der Blickwinkel wird so gewählt, dass auch Kompetenzen sichtbar werden, die
mehr oder weniger gelingenden Alltag überhaupt möglich machen, gerade in schwierigen
1
Situationen. Klienten vergewissern sich dabei ihrer eigenen Stärken und Ressourcen über die sie
verfügen können, um auf den eigenen Alltag und seine Umwelt Einfluss zu nehmen.
Die Ziele des Verfahrens können auf zwei Ebenen formuliert werden. Zum einen erschließt der
Ressourcencheck Fachkräften ein Gebiet, wo man sich voll auf die Bewältigungsressourcen von
Betroffenen konzentrieren und wohltuend vom Untergrund des Problematischen abheben kann.
Indem die Perspektive gleichsam auf Ressourcen fokussiert wird, steigen Auflösungsgrad, Schärfe
und Tiefe dieser spezifischen Sicht. Man sieht – obgleich die Blickrichtung fixiert und der
Ausschnitt reduziert wird - mehr und gründlicher. Man sieht übrigens auch anders, was aber noch
zu zeigen sein wird. Eigenschaften, Errungenschaften, Beziehungen, Überlebensstrategien,
Möglichkeiten und Merkwürdigkeiten tauchen auf, an denen sich die Suche nach Lösungen
anschließen kann.
Zum anderen ermöglicht das Verfahren Klienten Neues zu erfahren. Inhaltlich ergibt sich in der
Regel eine nicht erwartete Vielfalt von Kraftquellen, die man prinzipiell zwar kannte, die als
Summe aber imposant wirkt. Hilfesuchende werden unübersehbar darauf aufmerksam gemacht,
dass sie ganz und gar nicht mit leeren Händen dastehen. Man entdeckt, dass man mit der Fülle
von eigenen Ressourcen ausgerüstet und weder seinen Belastungen noch externer Hilfe
ausgeliefert ist – ein guter Einstieg in eine Arbeitsbeziehung auf gleicher Augenhöhe. Auf der
sozialen Seite, also z.B. im Arbeitsverhältnis zwischen Klient und Sozialarbeiter oder in der
Beziehung zwischen Mutter und Sohn erfährt der Betroffene eine nicht alltägliche, in der Regel
aber angenehme Überraschung, die stolz macht und Hoffnung erzeugt.
Der Ressourcencheck wird umso wirkungsvoller je mehr Beteiligte mitarbeiten, denen der
Stärkenblick gelingt, weil die Quantität der Entdeckungen steigt und Geltungsansprüche umso
akzeptabler werden je mehr Leute zustimmen. Das können Fachkräfte aus sozialen Berufen
genauso wie Familienmitglieder und Freunde sein, im Prinzip alle Personen aus der Lebenswelt,
zu denen einen signifikante Beziehung besteht. Voraussetzung für die Teilnehmer ist, sich
einlassen können auf bestimmte Regeln, ein gewisser Level an Insiderwissen über den
Betroffenen und natürlich dessen Zustimmung.
Erkenntnistheorie der Stärkenorientierung – Gedanken über eine triviale
Ambivalenz
Die geläufige Alltagsweisheit, wonach jedes Ding zwei Seiten hat (mindestens zwei, möchte man
hinzufügen) ist richtig. Stärken sind immer auch Schwächen und Schwächen sind immer auch
Stärken. Das klingt für unsere Logik paradox und aus unserer Lebenserfahrung wissen wir, dass
es dennoch stimmt1. Denn, was Stärke oder Schwäche ist, hängt vom Betrachter ab. Dieser sieht,
was er sehen will beziehungsweise sehen kann und bestimmt damit die Möglichkeit und Grenzen
der Erkenntnis. Die Erscheinung der Dinge legt nicht fest, was der Betrachter sieht, sondern
dessen innere Struktur, Haltung, Überzeugung und Befindlichkeit (vgl. Maturana, 1994, S.57). „Wir
sind die Verfasser der anderen“ schrieb Max Frisch und „auf eine heimliche und unentrinnbare
Weise verantwortlich für das Gesicht, das sie uns zeigen, verantwortlich nicht für ihre Anlage, aber
1
Warum sich hier unser logisches Grundverständnis unserer Lebensweisheit entgegenstellt scheint in der
prinzipiellen Begrenztheit gängiger Logik zu liegen, von der wir zwar gelernt haben, dass sie stimme, die
aber die gleichen Fehler macht wie unsere natürliche Einstellung (Schütz). A=A und A≠B ist eine Formalität,
die nicht mit Realität zu verwechseln ist: „Wer zum Beispiel das ‚Gleiche’ nicht oft genug aufzufinden wusste,
... wer zu vorsichtig in der Subsumption war, hatte geringere Wahrscheinlichkeit des Fortlebens als welcher
bei allem Ähnlichen sofort auf Gleichheit riet.... Das Ähnliche als gleich zu behandeln, ein unlogischer Hang
– denn es gibt an sich nichts Gleiches -, hat erst alle Grundlage der Logik geschaffen.“ (Nietzsche 1990,
Aphorismus 111, S. 455) Das, was wir heute als fraglos logisch empfinden, z.B. dass Probleme nur
Schwierigkeiten darstellen und Fehler stets zu vermeiden sind, ist eine Unterschiebung einer Welt ‚logischer’
Idealitäten (vgl. Husserl 1998, S. 254). Der Lebenswelt wird ein „Ideenkleid“ angepasst, das dann „als ‚die
objektiv wirkliche und wahre’ Natur die Lebenswelt vertritt, sie verkleidet“ und wir für Sein nehmen, was
lediglich Methode ist (ebd., S. 258)
2
für die Ausschöpfung dieser Anlage“ (Frisch 1976, S.37). Je nachdem was ein Betrachter eine
Beobachtung „hineinsieht“ (ebd.), ergeben sich unterschiedliche Ergebnisse. Handlungen zum
Beispiel, sind nicht aussagekräftig an sich. denn sie müssen interpretiert werden, in einen Rahmen
versetzt werden, in dem sie Sinn machen. Je nachdem welchen Rahmen eine Fachkraft wählt,
erscheint eine Handlung als problematisch und unvernünftig oder als zielführend und clever. Es
gibt eben keine von unseren Interpretationen unabhängige eigenständige Außenwelt, obwohl wir
ständig so tun als ob. Oder systemtheoretisch ausgedrückt: Es gibt keine beobachterunabhängige
Realität, denn Realität wird von Beobachtern konstruiert. (vgl. Luhmann 1993a7, S. 31ff.) Das
Realitätskonzept der Phänomenologie bietet eine ähnliche Sichtweise an: „Der Ursprung aller
Realität ist subjektiv: alles, was unser Interesse hervorruft, ist wirklich“ (Schütz 1979, S 48). Etwas
real nennen, heißt, sich in eine bestimmte Beziehung dazu zu stellen.
Ein Handy im Besitz eines insolventen jungen Mannes mag bei dem Sozialarbeiter einer
Schuldnerberatungsstelle wegen der Unterhaltskosten Befürchtungen auslösen. Das gleiche
Handy gewährleistet aber auch Erreichbarkeit des Mannes, sichert ihm – wenn es ein
entsprechende Modell ist – Prestigegewinne und kann Anreiz zu weiteren Erfolgen sein. Oder als
Metapher ausgedrückt: Das Handy ist der Schnittpunkt zweier Kurven. Obgleich der Schnittpunkt
dieselben Koordinaten hat, ist er in seiner Bedeutung nicht derselbe Punkt. Der Unterschied ergibt
sich daraus, dass der Punkt ein Glied in zwei ganz verschiedenen Logiken darstellt. Welche Logik
„gilt“ und dem Handy damit Sinn gibt, hängt davon ab, was „sozial“ durchgesetzt wird, durch
Beobachter, die den Rahmen festlegen, der dem Handy Sinn (als Risiko oder Chance) gibt und
durch Zuschauer, die diese Erklärung akzeptieren oder eben nicht. Beide, Fachkräfte als
Interpreten und Betroffene als Rezipienten entscheiden über die Gültigkeit von Erklärungen, wenn
sie auch mit ganz unterschiedlichen Möglichkeiten der Durchsetzung ihrer Sicht ausgestattet sind.
Nun ist es keineswegs so, dass Beobachtungsergebnisse von ungefähr entstünden und zufällig
streuten auf der Stärken-Schwächen-Skala. Unser Alltagsverstand ist auf Fehlersuche getrimmt.
Effektiv laufende Routine ist alles andere als ein Blickfang. Uns stechen die Dinge ins Auge, die
nicht funktionieren. Das „Rädchen“, das quietscht zieht meist die Aufmerksamkeit von den lautlos
laufenden Teilen ab (Senge 1996, S. 145). „Störungen haben Vorrang“ (auch in diesem Sinne) In
der Logik des effizient organisierten beruflichen Handelns macht das zweifellos Sinn. Denn
orientiert der bisherige Festnetztelefonierer sein Verhalten am vereinbarten Sanierungsplan, dann
kann sich der Schuldnerberater den Anliegen anderer Leute widmen. Erst ein
„sanierungsplanwidriges Verhalten“ stellt eine aufmerksamkeitserregende Information dar.
Gemessen am Plan, der Ausgabendisziplin auferlegt, wirkt die Anschaffung eines MMS-fähigen
Mobiltelephons als Fehler. Das Handeln des frischgebackenen MMS-Handybesitzers wird zum
Versagen, weil es zum Plan nicht passt, welcher als dominanter Zielhintergrund das Verhalten als
defizitär markiert. Die Entscheidung die Stärke in der Entscheidung zum Handy zu sehen, führt zu
einer Weitung des Verhaltensspektrums und des Wahrnehmungsspielraums und ist anstrengend.
„Alle Dinge tief finden – das ist einen unbequeme Eigenschaft: Sie macht, dass man beständig
seinen Augen anstrengt und am Ende immer mehr findet als man gewünscht hat.“ (Nietzsche
1990, S. 482, Aphorismus 158) Ressourcenorientierte Arbeit mutet aber genau das zu, nämlich
bereit zu sein, auf Bequemlichkeiten der eigenen Wahrnehmung, die mit den organisierten und
gelernten Routinen korreliert, zu verzichten und Stärken auch dort zu sehen und gebrauchen, wo
sie nicht den eigenen gleichen.
Nach dem Prinzip „Es gibt keine Fakten für die Akten, es gibt nur Sichten von Geschichten“, geht
die Soziale Arbeit mit Techniken wie Kontextverschiebung, Umdeutung (Ausführungen und
Beispiele hierzu: Watzlawick 1974, S. 16 ff., de Shazer, Heidelberg 1989, S. 117 ff. und Berg,
1992, S. 151, in der Arbeit mit Familien Minuchin, Heidelberg 2000, S. 76f) und Ressourcencheck
auf die Suche nach Stärken und Potentialen, während die Scheuklappen des klassischen
Defizitblicks dies oft nicht gestatten: Man entdeckt Problemverhalten weil die eigene
Wahrnehmung Problemlösungsverhalten ausfiltert. Wer den Statusgewinn beim MMS-fähigen
Handy – man hat, was nicht jeder hat – nicht sieht, sieht eben nur den Punkt, der zur eigenen
Kurve gehört. Stärken zu erkennen braucht professionelle Phantasie, reflexive Freiheitsgrade
3
sowie Courage neben und hinter Routinen zu schauen und dadurch an die Power des Klienten
anzuschließen, was aber allemal spannender ist als die platte Ansicht der Dinge.
Theorie der Stärken
Wir können handeln – schrieb William James in Rekurs auf Kant – „as if there were a God; feel as
if we were free; consider nature as if she were full of special designs; lay plans as if we were to be
immortal; and we find then that these words do make a genuine difference in our moral life.“
(James 1940, S. 55) Wörter sind mächtig. Sie können aufrichten und anfeuern genauso wie
erniedrigen und vernichten. Sprache ist der Stoff aus dem unser Selbstkonzept gemacht ist. Ihr
spezifischer Gebrauch hat spezifische Effekte. Der Ressourcencheck besteht neben
Erkenntnisregeln aus Sprachregeln. Letztere geben eine Sprache vor, die Aussagen bevorzugt,
die nicht relativieren, stets mit Möglichkeiten, Optionen und Chancen operiert und die Betroffenen
in den Mittelpunkt der Aktivität stellt. Sie sind die Entscheidenden und Handelnden. Indem der
Ressourcencheck Du-Botschaften wie „du bist in der Lage“, „du hast es geschafft“, „du willst,
planst, beabsichtigst,...“ verwendet, rückt er die Betroffenen ins Zentrum der Macht über die
eigenen Geschicke. Das kann Stress erzeugen, denn wir wollen uns oft nicht so selbstgesteuert
sehen, vor allem nicht in schwierigen Situationen, weil das Verantwortung schafft und Entlastung
reduziert. Das Ich in der Kommandozentrale seiner selbst ist leicht zu überfordern und zur wirklich
produktiven Bemächtigung ist die Ausbalancierung mit einem zweiten Mechanismus wichtig.
Neben den Spielräumen muss auch die Ausstattung in den Griff des Bewusstseins kommen.
Inventur und intellektuelles Mobilisieren von Fähigkeiten und Ressourcen ist die Voraussetzung,
sich bietende Gelegenheiten und Freiräume nutzen zu können.
Das Menschenbild des Ressourcenchecks sieht Adressaten als Leute, die ihren Alltag in der Regel
erfolgreich handhaben, sich aber in einem Prozess der Auseinandersetzung befinden. Sie sind mit
der bisherigen Bearbeitung von Herausforderungen „nicht zufrieden“, etwa weil bisherige
Lösungsversuche nicht zu einer ausreichenden Entlastung geführt haben, z.B. weil sie
Nebeneffekte hatten, die sich erneut belastend auswirkten (vgl. Herriger, Soziale Arbeit 5/89, S.
165 ff.). Der Ressourcencheck bedient sich einer Theorie der Stärken, die unterstellt, dass
Betroffene auch in schwierigen Lebenslagen über Ziele, Kompetenzen und Vertrauen verfügen,
genauso wie deren Lebenswelt Ressourcen und Chancen bietet. Allerdings sind unsere
Wahrnehmungsfähigkeiten - was Stärken und Ressourcen betrifft – schwach ausgebildet (Rapp
1998, S. 24) und durch Diskurse geprägt, die auf einen Defizit-Blickwinkel (Herriger 2002, S.63)
begünstigen. „Diskurs“ im Sinne Foucaults meint, eine Sprech- und Denkpraxis, die systematisch
die Dinge erzeugt, von denen sie spricht. Gesellschaftliche Diskurse folgen Regeln und Prinzipien,
die bestimmen, wie überhaupt gesprochen und gedacht werden kann, was als jeweils wahr oder
falsch gilt (vgl. Foucault 1991). Skeptisch und kritisch zu sein, wirkt gescheit und professionell.
Nicht selten verdankt sich der Erfolg des einen Experten der Demontage des anderen. Wer die
Stärken beim anderen sieht, läuft Gefahr, dass seine eigenen übersehen werden. Es ist folglich
nicht einfach und zeugt sowohl von Übung als auch Größe, sich auf die Stärken der anderen
konzentrieren. Wir sehen viel leichter Probleme als die darin liegenden Chancen; Begrenzungen
als den dadurch markierten Besitz; Krankheit als die Gesundheit, auf die sie aufsetzt. Oft geben
wir Betroffenen den Eindruck, es wären ihre Defizite, die wichtig sind. Organisationen, Systeme
und Disziplinen der Hilfe sind an diese Diskurse angeschlossen. Disziplinen sind Systeme von
Regeln, die das Wahre vom Falschen scheiden und dadurch gültige Aussagen konstruieren.
Dieses Resultat von Inklusion und Exklusion wird dann mit Techniken bearbeitet, die verfestigen,
was vorher als solches definiert wurde.
Auch die Phänomenologie bietet Anhaltspunkte, warum die natürliche Einstellung (Schütz) eine
Problemsicht ist. Unsere Denken wird angeleitet von Relevanzen. Unvertrautes ist stets
thematisch relevant (Schütz 1979, 230) Es sticht hervor indem es unsere Idealisierung des „Undso-weiter“ (Husserl) ins Stocken bringt und sich als „Problem“ (da haben wir es!) darstellt. Wenn in
unserem lebensgeschichtlich erworbenen Wissensvorrat eine Problemlösung auf Lager liegt,
wenden wir sie routinemäßig an, ohne dass uns bewusst werden muss, ein „Problem“ bewältigt zu
4
haben. Nur wenn solcherart Automatik nicht funktioniert wird die Angelegenheit interpretativ
relevant. Man ist zur Auslegung der Situation gezwungen, wobei der Wissensvorrat nach
Ähnlichkeiten durchsucht wird. Als Typen abgespeicherte Problem-Lösungs-Kombinationen
werden auf die aktuelle Situation hin modifiziert. Während wir sozusagen unsere
Routinekompetenzen gar nicht mitbekommen, sind es daneben die Schwierigkeiten, die unseren
Denkapparat in Schwung bringen, welcher sich nun wieder ganz konsequent auf Wahrnehmung
und Bearbeitung von Schwierigkeiten spezialisiert hat. Das ist so weil handeln in der Lebenswelt
immer ein praktisches Handeln ist, eines, das bei gegebenen Motivationen Widerstände
überwindet. Wir sind derart gelernte und eingefleischte Problemlöser, dass wir Situationen
vorrangig als zu lösende interpretieren und es eines bewussten Innehaltens bedarf um die in der
Situation steckenden Möglichkeiten zu sehen. So wird z.B. jemand, der nach Hilfe sucht, eher als
hilfebedürftig denn als Sich-Helfender wahrgenommen. Die Problematik, die im „Problemlösen“ als
Denkorientierung steckt, liegt in seiner Dominanz. Probleme präsentieren sich in unserem
Alltagsverstand von selbst, wie das Steinchen im Schuh (vgl. de Bono 1996, S. 69f). Andere
Denkorientierungen, wie z.B. „Gelegenheiten erkennen“ oder die „Stärkenperspektive“ müssen
dagegen immer wieder bewusst und diszipliniert eingeschaltet werden.
Die Stärkentheorie2, Häresie im Sinne orthodoxer Diskurse und nicht-natürliche Einstellung im
Sinne Schützscher Lebenswelttheorie bietet eine alternative Perspektive zum „Problemlösen“ an.
Theorie ist - wie die natürliche Einstellung - von Relevanzen bestimmt. Ihr hochselektives Bild ist
immer Produkt interessengebundener Wahrnehmung. Die Stärkentheorie hat ein
ausgesprochenes Interesse an einem spezifischen Diskurs, nämlich einen, der Stärken in den
Mittelpunkt der Betrachtung rückt. Obgleich die Stärkensicht nicht weniger selektiv wie jede andere
ist, wirkt sie außerordentlich einseitig, eben weil sie nicht mit der natürlichen Einstellung
korrespondiert.
Die Stärkentheorie geht von fünf Grundtypen von Stärken aus (vgl. Rapp 1998, S. 30ff), wie das
Schaubild zeigt.
Person
Wille & Ziele
Kompetenzen & Ausstattung
Dimensionen
von Stärken
Selbstvertrauen
e
genh
Gele
iten
Umwelt
Ressourcen
des Sozialen Raums
1. Wille & Ziele: Menschen haben Sehnsüchte, Ziele, Ambitionen, Wünsche und Träume. Das
sind auch die Motivations-Relevanzen (Schütz 1979, S. 253ff), die uns antreiben. Über Um-zuVerkettungen wird Handeln mit Zielen in Verbindung gebracht, wobei im Ziel die Motivation
steckt. Es ist Auslöser und Energiequelle für oft lange und komplexe Ketten von
Einzelhandlungen, die allesamt nach dem Prinzip „first things first“ (Schütz 1979, S. 258) nötig
sind, um Ziele zu erreichen. Motivatoren zu entdecken, ist ein fundamentaler Bestandteil des
Ressourcenchecks. Das ist einmal der Wille des Klienten, so eigensinnig und sperrig er auch
aussehen mag. Der Wille und die damit verbundene Selbstachtung sind das höchst Gut einer
anständigen Gesellschaft (Margalit 1999), weil ohne sie nichts der Mühe wert ist (Rawls 1979).
Mit Zielen meinen wir nicht „zu lösende Probleme“, die eben als verändernswerter Zustand
2
vg. dazu die Prinzipien in Kirsthardt 1997, S. 98ff, Saleebey 1997, S. 12ff und Herriger 2002, S. 72ff
5
formuliert werden. Solche Zieldefinitionen sind noch „Problemtrance“ (de Shazer) und sind
nicht mit genügend positiver Zukunft aufgeladen. Ziele müssen eine Pakt mit Visionen sein, der
nicht allein rational geschlossen werden kann.
2. Kompetenzen & Ausstattung: Menschen besitzen ein breites Spektrum an Talenten,
Fertigkeiten, Gebrauchswissen, Rezeptwissen und Wissen im engeren Sinne (Schütz). Die
Stärkentheorie geht davon aus, dass in der Normalbiographie - wie bei einem Eisberg – nur ein
kleiner Teil davon sichtbar wird, aber in den submarinen Teilen immer ausreichend
Veränderungskraft liegt. Der erste Schritt ist die Sichtbarmachung dieser Eigenschaften und
der Respekt diesen gegenüber. Gerade schwierige Biographien scheinen besonders viel an
Widerstandskräften und Überlebensstrategien zu erzeugen - entgegen aller Erwartung.
Allerdings würde die klassische Klientenrolle oft bewirken, dass Leute ihre
Überlebensstrategien auf das Hilfesystem einstellen und sich so zu „guten“ aber dauerhaft
abhängigen Klienten entwickeln (Rapp 1998, S. 32). Weiterhin fallen in diese Kategorie auch
sozioökonomische Ressourcen, also materielle, soziale und ökonomische Ausstattungen:
Vermögen, Arbeitsplatz, Bildungsabschluss, Wohnraum, etc ( vgl. Haye & Kleve 2002, S. 44).
3. Selbstvertrauen, Ausdauer, Optimismus, Courage und Durchsetzungskraft und der Glaube
an den eigenen Willen sind das dritte Element des individuellen Stärke-Konzeptes.
Menschlicher Erfolg ist nicht nur eine Funktion von Zielen und Mitteln. Jeder Sportler weiß wie
fundamental der Glaube an sich selbst ist, jeder Redner weiß, dass die eigene Begeisterung
sich überträgt und Menschen zu erstaunlichen Leistungen bringt. Es gibt viele Dinge, die
Menschen tun wollen und eigentlich auch tun können, mit dem entsprechenden Quantum an
Selbstvertrauen. Diese lebensgeschichtlich gewachsene Variable ist im Prinzip mit
kommunikativen Mitteln bearbeitbar, wären da nicht viele institutionelle Programmierungen, die
auf Demoralisierung und Ohnmacht aufsetzen. Leistungsberechtigt ist wessen
Lebenssituationen in Standardprobleme zu übersetzen ist. Je besser es gelingt, Adressaten
krank- bzw. kaputtzuschreiben, desto schneller und großzügiger lässt sich Unterstützung
abrufen und finanzieren. Solche Zuschreibungen stellen Hilfebedürftigkeit fest, unter
Vernachlässigung und auf Kosten des Vertrauens der Betroffenen in ihre Selbsthilfefähigkeit.
Inszenierte Hilfebedürftigkeit (Herriger 2002, S. 63) setzt sich fort in erlernter Hilflosigkeit (Rapp
1998, S. 33), einem Gefühl von Beschädigung und Unzulänglichkeit, das sich immer wieder
selbst beweist. Wer hingegen die dokumentierten Ergebnisse eines Ressourcencheck liest,
fragt sich, warum dieser Mensch externe Hilfe nötig haben soll und genau dieser Effekt ist die
entscheidende Kraft für die Betroffenen selbst.
4. Ressourcen: Neben den individuellen Stärken geht der Ressourcencheck davon aus, dass
der Soziale Raum eine nahezu unerschöpfliche Quelle von Ressourcen darstellt. Menschen
haben Netzwerke: Familie, Freunde, Bekannte, Kollegen, Gleichgesinnte, Freizeitpartner,
Nachbarn, Frisöre, u.ä. Darum herum ist der Stadtteil mit seinen Möglichkeiten: Räume,
Arbeitgeber, professionelle Dienstleister, Vereine, Initiativen, Fußballplätze,
Kirchengemeinden, Kindergärten, Bibliotheken, Schulen, Ämter, Grünflächen, Schrottplätze,
Flohmärkte... Der Soziale Raum meint ein mehrdimensionales Konzept von Umwelt (Kemp,
1997, S. 10) und ist der Ort, wo Alltag gestaltet wird. Menschen sind darin physisch, emotional,
sozial und institutionell verankert. Sie sind ihrem Sozialen Raum genauso ausgesetzt, wie sie
ihn ausnutzen und gestalten können. Dabei ist der Sozialraum eine jeweils individuell zu
definierende Sache, nämlich die eigene Schnittmenge (Hinte 1999b, S. 86) von Person und
Welt (Kemp, 1997, S. 64). Die in dieser Schnittmenge vorfindbaren Ressourcen sind vielfältig:
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Engagement:
Nachfrage:
Beispiele für Ressourcen des Sozialen Raums (vgl. auch Hinte 1999, S. 106)
Hier wird deutlich, dass sich das beim Ressourcencheck vorauszusetzende Insiderwissen auf die
gesamte Lebenswelt der Leute erstrecken muss. Insofern passt diese Technik natürlich eher in
eine stadtteilorientierte Arbeitsform. Natürlich gilt auch hier der perspektivische Blick: Der
Sozialraum ist keine objektive, sondern eine sozial konstruierte Realität. Hässliche Sackgassen
können auch wunderbar geschützte Spielplätze sein (vgl. Kemp 64). Eine kalte Betonwand kann
zum Stöhnen bringen oder zu Graffitikreativität herausfordern (vgl. Hinte 2002, S.541). Wem die
Ausstattungsmängel und Risiken des Stadtteils ins Auge stechen, der wird im Kopf einen
Bedarfsplan anfertigen, wem die Möglichkeiten auffallen, der zeichnet eine Schatzkarte. (vgl. das
Asset Based Community Development (ABCD) nach Kretzmann & McKnight 1993)
5. Es braucht aber auch Gelegenheiten. Das können Lehrstellen, Arbeitsplätze, leerstehende
Wohnungen, Mitfahrgelegenheiten, Partnerschaft (...) sein, genauso wie Leute in ähnlicher
Situation, die sich unterstützen oder durchsetzungsfähiger machen können. Ressourcen im
Sozialraum sind – wie unter 4. gezeigt - vielfältig und überraschen uns – bei entsprechend
eingestellten Blick - auf Schritt und Tritt. Damit sie zu Gelegenheiten werden, muss eine
Verbindung hergestellt werden zu den individuellen Stärken und Zielen. Sowohl die Anzahl der im
Sozialraum entdeckten Ressourcen als auch die im Kopf der Fachkräfte abgespeicherten
Kompetenzen der Adressaten erhöhen die Wahrscheinlichkeit, Gelegenheiten zu installieren. Man
braucht dazu eines gewissen Möglichkeitssinns, der sich vorstellen kann, was es noch nicht gibt,
aber auch praktisches Geschick beim Einfädeln und Coachen.
Mathematisch lässt sich das Verhältnis von Stärken, Gelegenheiten und Ressourcen in folgenden
Gleichungen darstellen:
f(Ind. Erfolg)
f(Erfolg)
=
=
Wille
& Ziele
Ind. Erfolg
x
x
Kompetenzen
& Ausstattung
Gelegenheiten
x
x
Selbstvertrauen
Ressourcen
7
Snyder definiert Erfolg als “the sum of mental willpower (Selbstvertrauen) and waypower
(Kompetenzen & Ausstattung that you have for your gools (Ziele). Wahrscheinlich handelt es sich
dabei um ein Produkt in dem keiner der Multiplikatoren Null sein darf um ein positives Ergebnis zu
erhalten. Gleiches gilt für Ressourcen, denn nur wenn sie zu Gelegenheiten werden, sind sie
nutzbar.
Durchführung
Das Verfahren benötigt wegen der sozialen Nähe, die dabei immer wieder entsteht, Akzeptanz von
allen Beteiligten. Die Feedback-Geber offenbaren mit ihren Feedbacks nicht nur viel über den
Betroffenen, sondern auch über sich selbst, z.B. ihre Sicht des Betroffenen. Wegen dem
ambivalenten Charakter von Zuschreibungen, die immer als Stärken und Schwäche
gleichermaßen ausgelegt werden können, sind Kontextualisierungen über Beispiele notwendig
(siehe Schritt 5).
Überblick zum Ressourcencheck
Phasenmodell
1. Vertrauen schaffen
beim Adressaten
2. Zusammenstellen der
Teilnehmer,Ort und Zeit finden
3. Spielregeln klären
4. Strengths Storming
Gesichtspunkte
für den Erfolg
9Ist Neugier des Adressaten
geweckt?
9Sind die Teilnehmer vom
Adressaten ausgewählt?
5. Feedback zum Feedback
9Wurden Lebensweltexperten
6. Schatzkartei der Ressourcen
erstellen
9Ist die Dokumentation der
gefunden?
Stärken gut sichtbar?
9Vermeidet das Feedback zum
7. Gelegenheiten schaffen
Feedback Relativierungen und ist
es konkret und damit
nachvollziehbar?
9Sind die Ressourcen des Sozialen Raums bekannt
9um damit Gelegenheiten schaffen zu können?
In der ersten Runde, dem Strengths Storming, sammeln alle Teilnehmer, wie beim Brain
Storming, stichpunktartig, auf Zuruf, unstrukturiert, unkommentiert, aber durchaus aneinander
anknüpfend und kreativ weiterspinnend Stärken des Adressaten. Erfahrungsgemäß trägt die
Heuristik "Wir suchen nach Stärken von Hirn, Herz und Hand!“ zu einer Differenzierung der Suche
bei. Dabei kann es sich um Eigenschaften handeln, wie Ehrgeiz, um besondere Fähigkeiten,
Beziehungen oder verfügbare Sozialraumressourcen, Zufälligkeiten oder Möglichkeiten. Ganz
wichtig ist, dass nur Stärken genannt werden und keine Schwächen.
Richtig ist, dass sich über alles streiten lässt und genau das gilt es beim Ressourcencheck zu
vermeiden. Es geht nicht darum, ob etwas wirklich eine Stärke ist, sondern darum, was sich
daraus machen lässt. Realitätstests für Stärken haben – wenn überhaupt - erst bei der Umsetzung
ihren Wert und man braucht sie auch nicht eigens zu installieren, denn sie kommen von ganz
alleine. Die moderierende Sozialarbeiterin schreibt im Prozess alle genannten Ressourcen
stichpunktartig gut leserlich auf große Plakate, so dass jeder mitlesen kann. Das großformatige
Protokoll ist Bestandteil der Methode, nicht zuletzt deswegen weil Größe zu Größe passt. Damit
dieser Teil gut funktioniert, ist eine gewisse Vorbereitung nötig. Die Teilnehmer müssen wissen,
was von ihnen erwartet wird, damit sie sich vorher ein paar Gedanken machen können. Wichtig ist
es natürlich auch, die richtige Zusammensetzung der Teilnehmer zusammen mit dem Klienten zu
finden. Wenn ein breites Spektrum an Insiderwissen abgedeckt wird, wird sich auch ein breites
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Spektrum an Ressourcen ergeben. Die Fachkräfte können dann wertvolle Beiträge liefern, wenn
ihre Arbeitsphilosophie lösungs- und stärkenorientiert ist, wenn sie sich im Sozialen Raum ihrer
Adressaten auskennen, wenn ihre Organisationskultur Mitarbeiter erlaubt „quer zu denken“ und
Provisorien zu schätzen und wenn sie die Merkwürdigkeit von Klienten als das sehen können was
sie ist: nämlich würdig bemerkt zu werden.
Im Feedback zum Feedback, der zweiten Runde, werden die genannten Stärken begründet und
konkretisiert, vorher genannte Eigenschaften werden in Verhalten übersetzt und damit für den
Feedback-Empfänger nachvollziehbar gemacht.. (Zur „Architekur“ wirksamer Feedbacks Klaus
Antons, 1976, S. 109). Wenn z. B. als Stichpunkt aufgeschrieben wurde „P kann sich Hilfe
beschaffen“, so könnte dies in der zweiten Runde so konkretisiert werden: „P hat seinen
Kompetenz sich Hilfe zu beschaffen gezeigt, als er auf die Suche nach einer ihm geeignet
erscheinenden Beratungsstelle ging. Er hat dazu Freunde angesprochen, seinen Hausarzt gefragt,
Telefonnummern ausfindig gemacht, angerufen, ein Vorgespräch geführt, entschieden, dass er’s
hier versuchen will und ist auch gekommen. Es gehört Courage dazu andere Leute
einzubeziehen.“
Wichtig ist, dass keine Relativierung erfolgt, was allerdings nicht einfach ist, denn in unserer
Alltagssprache relativieren wir außerordentlich häufig: Also nicht „meistens schaffen Sie es
morgens aufzustehen“ sondern „Sie nehmen sich immer vor am nächsten Tag früh aufzustehen“.
Nicht „P ist hilfsbereit, wenn es ihm gut geht“ sondern „P lässt es andere spüren wenn er gut drauf
ist, indem er hilft wo er kann“. Ressourcen zu nennen und sie im gleichen Atemzug wieder
abzuschwächen, kann leicht zu einer versteckten Mängelbeschreibung werden und birgt das
Risiko, dass sich Hörer den Defizitaspekt rauspicken. Da dies eine ziemlich ungewöhnliche Art des
miteinander Sprechens ist, müssen die Regeln dafür von vornherein bekannt gegeben werden,
erstens um Irritationen vorzubeugen und zweitens um die Gesprächsteilnehmer auf das Vorgehen
einzunorden. Folgende Fragen eignen sich, um genannte Stärken zu konkretisieren oder an ihrem
Potential weiterzudenken: „Was könntest du (bzw. könnte er/sie) mit dieser Stärke anfangen wenn
du (er/sie) wolltest?“ „Was würde Sie veranlassen, diese Stärke zu gebrauchen und was würden
sie dann damit machen?“ „Welchen Unterschied würde es machen, wenn Sie (er/sie) diese Stärke
ausspielten?“ „Können Sie noch andere Erlebnisse erzählen, wo Sie diese Stärke eingesetzt /
genutzt haben / wo sich diese Stärke gezeigt hat?“ „Wie haben Sie das fertiggebracht / geschafft /
durchgestanden?“
Im nächsten Schritt des Ressourcenchecks, der Erstellung einer Schatzkartei, geht es nicht nur
darum sich einen Überblick über die zusammengetragenen Kompetenzen und Ausstattungen zu
verschaffen. Dies ist schon gelungen, als die Ergebnisse der ersten beiden Schritte für alle gut
sichtbar notiert und als eine Art „Stärken-Tapete“ im Raum aufgehängt worden sind. Stärkekartei
meint hier auch Dokumentation für spätere Fallarbeit. Die Ergebnisse, auch wenn in einem
anstehenden Unterstützungsprozess nicht genutzt werden, sollen doch festgehalten und damit
„behalten“ werden. Möglicherweise weisen die Inhalte der Schatzkartei auch über einen Einzelfall
hinaus. Denn die Dokumentation verweist ja auch auf Ressourcen des Stadtteils. Durch
wiederholte Durchführung der hier vorgestellten Technik wächst auch das Wissen der Fachkräfte
über den Stadtteil und seine „Stärken“.
Denn um deren Nutzung, um die Aktivierung“ auch der Stadtteil-gebundenen Ressourcen geht es
in der nächsten Phase, dem Gelegenheiten schaffen. Andrea Loferer macht in ihrem Beitrag
(„Franz“) exemplarisch deutlich welche „Gelegenheiten für Franz“ im sozialen Umfeld der
Erziehungshilfeeinrichtung gesucht und gefunden werden können. Es handelt sich hier um
funktionierende Strukturen des Sozialraums (siehe „Ressourcen“ S. 8), die den Teilnehmern des
Ressourcenchecks bekannt sind und so zu „Gelegenheiten“ werden.
Die Umsetzung der Ergebnisse des Ressourcenchecks in ein tragfähiges und aussichtsreiches
Unterstützungskonzept verlangt oft aber mehr als das bloße Wissen um funktionierende Strukturen
im sozialen Umfeld. Wir gehen davon aus, dass die Möglichkeiten des Sozialraums vor allem dann
erschlossen werden können, wenn in dem Stadtteil, in dem der Adressat des Checks lebt,
systematische Ressourcenarbeit geschieht. Ressourcenarbeit zielt systematisch auf das Finden,
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das Erschließen, die Pflege, aber auch auf die Herstellung von Ressourcen des Sozialen Raums.
(vgl. zu diesem Ansatz Früchtel, 2001, S. 155ff). Im Beispiel kommt als Technik Ressourcenarbeit
in erster Linie die Variante des Networking zum tragen: Man kennt die im Stadtteil aktiven Vereine,
Verbände, Kirchengemeinden, Initiativen, Banken, Geschäfte, weiß was sie tun, über welche
Möglichkeiten sie verfügen und welches Image sie gerne haben. Man hat gleichzeitig etwas zu
bieten, um als Kooperationspartner ins Geschäft zu kommen.
5. Fazit
Als diagnostisches Verfahren ist der Ressourcencheck einerseits ein sinnvoller Schritt im
Hilfeprozess (Strengths Assessment) weil er als Zusammenstellung von Stärken und Ressourcen
Potential liefert, auf das sich Lösungen aufbauen lassen. Gleichzeitig ist der Ressourcencheck ein
absichtlich hergestellter Anlass zum (zufälligen) Entdecken von Ressourcen. Nach unserer
Einschätzung vermittelt der Ressourcencheck über den (überraschenden) Wertschätzungseffekt
etwas wie Aufbruchstimmung und den Optimismus, der zu lösenden Aufgaben gewachsen zu sein.
Überraschend sind diese Effekte auch, weil es ungewöhnlich ist über eigene Stärken zu reden
bzw. so konzentriert Rückmeldungen von eigene Stärken zu erhalten.
6. Der Ressourcencheck in der Anwendung: ein Beispiel aus der stationären
Erziehungshilfe
Das sonderpädagogische Kinderheim, in dem der 11-jährige Franz seit 16 Monaten lebt, liegt zwar
in einer Großstadt, arbeitet aber so abgekoppelt von allen funktionierenden Strukturen des
Gemeinwesens, dass es auch irgendwo auf der grünen Wiese stehen könnte. Die Technik des
Ressourcenchecks führte eine Fachkraft nach einer entsprechenden Fortbildung dort erstmals ein.
Insofern waren Abstriche zu machen was Existenz sozialräumlicher Ressourcen in den Köpfen der
Mitarbeiter und natürlich auch deren die Nutzung betrifft.
Als Grund für Franz den Heimaufenthalt ist eine psychische Erkrankung seiner Mutter in den Akten
dokumentiert, die nach Überzeugung des Jugendamtes einem Verbleib im mütterlichen Haushalt
unmöglich mache. Franz hat zur Zeit keinen Kontakt zu seiner Mutter. Sein Vater ist nicht
auffindbar. Der Ressourcencheck wurde nicht aufgrund eines speziellen Anlasses, sondern
zielunspezifisch durchgeführt. Motiv war, neue Anregungen und Motivationen für die Hilfeplanung
zu gewinnen.
Schritt 1: „Franz – Das bin ich!“
Hinter diesem ersten Schritt versteckt sich die Idee mit dem Jungen ein Plakat zu erstellen, auf
dem seine Wünsche, Präferenzen und Träume niedergeschrieben werden sollen. Dieser Weg
macht Sinn, da es erst einmal darum geht Franz auf spielerische Weise mit dem Ressourcencheck
vertraut zu machen. Es nehmen nur Franz und seine Bezugsbetreuerin (Andrea) teil. Die
Sozialpädagogin nimmt anfangs eine aktive Rolle ein, indem sie Franz das Vorgehen erklärt und
versucht ihm Anregungen in Form von Fragen zu geben, wie z.B.: „Was magst Du gerne? Was
hast Du für Wünsche?“ und „Welche Menschen magst Du gerne?“ Mit Franz wachsender aktiver
Teilnahme am Gespräch, konzentriert sie sich mehr aufs interessierte Zuhören und
Zusammenfassen. Was Franz über sich sagt wird von ihr mit bunten Filzstiften gut leserlich auf ein
großes Plakat geschrieben. Wichtig ist ihr dabei, nachfragen so zu stellen, dass sie Franz nicht
unterbrechen, sondern bestärken (vgl.: die skills for not knowing in: De Jong 1998, S. 21ff). Bei der
Mitschrift ist ihr wichtig, Relativierungen zu vermeiden und die Sprache des Jungen zu verwenden.
Franz nimmt das Angebot an und erzählt spontan und flüssig, was ihm zu den Fragen einfällt.
Als Ort des Geschehens entscheidet sich Franz übrigens für sein eigenes Zimmer, möglicherweise
weil es für ihn eine vertraute Umgebung darstellt und weil die beiden dort ungestört sind.
Nachdem alle Beiträge von Franz auf dem Plakat festgehalten worden sind, werden die einzelnen
Punkte noch mal gewürdigt. Allein diese Sammlung liefert viele wertvolle Anregungen für das
BetreuerInnenteam von Franz und böte ergiebigen Stoff für am Willen des Jungen ansetzende
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Hilfeplangespräche., was hier aber nicht das Thema sein soll. Franz jedenfalls ist sehr stolz auf
„sein“ Plakat. Er wird es anschließend als Poster in seinem Zimmer aufhängen.
Ich mach’ gern Karate, Ich mag Fußball spielen, Turnen, Völkerball,
Schwimmen, Tanzen.
Mein Lieblingsfach ist Mathe. Es macht Spaß, den Wochenplan in der Schule
zu machen.
Ich mag gerne Fotos anschauen, Tiere anschauen, Singen, Game Boy spielen,
Radio hören, Disco machen, Dragon Ball Bücher lesen und auch andere Bücher
lesen, mit Stofftieren spielen.
Ich schau gerne Pokemon, Dragon Ball, Digimon, Simpsons.
Ich geh’ gern auf den Prater und esse gern Eis.
Ich möchte vielleicht mal Hausmaler werden
So sein wie Son Goku wäre klasse.
Ich würde gerne fliegen können.
Ich will mehr Freunde haben.
Öfter und alleine rausgehen können wäre gut.
Ich möchte gerne länger aufbleiben können.
Peter ist mein bester Freund. Mit dem üb ich Karate
Ich mag außerdem Rudi und Phillip, Frau Stettner (Besuchstante), Dominik
und Karin
Meine Lieblingstiere sind Tiger, Krokodile, Spinnen, Babyleoparden
Tante Elke ist klasse.
Der Sozialarbeiterin ist es wichtig, sich von Franz eine Rückmeldung zu holen, ob ihm das
Vorgehen gefallen hat. Um ihn auch im Ressourcencheck „stark“ zu machen, soll er den Verlauf
möglichst aktiv mitgestalten. Und sie braucht von dem Jungen auch für das weitere Vorgehen ein
Mandat.
Franz Feedback lautet: „Es hat mir viel Spaß gemacht, nur das Nachdenken was ab und zu a
bisserl fad.“ Er sichert zu gerne weiter zumachen und bestimmt vier Personen, die er beim
Ressourcencheck dabei haben will: Heike (eine Wohngruppenerzieherin), Karin (Franz heimliche
„Liebe“ aus einer anderen Gruppe), Sara (die Leiterin der Wohngruppe) und Andrea (seine
Bezugsbetreuerin, die Anleiterin im Ressourcencheck).
Schritt 2: Strengths Storming
Vor dem Treffen werden die Materialien (Flipchart-Block, Klebeband und Filzstifte) bereit gelegt.
Franz wählt wieder einen Raum, der für ihn die passende Atmosphäre ausstrahlt, in diesem Fall
ein Wohnzimmer der Gruppe. Nachdem sich alle Personen eingefunden haben wird das Vorgehen
genau abgeklärt. Es wird ein Zeitlimit von 15 Minuten für das Strengths Storming gesetzt. Die
überschaubare Zeit fordert Dichte und soll sich positiv auf Dynamik des Checks und Konzentration
der Personen auswirken. In diesen 15 Minuten finden alle Anwesenden Zeit, Stärken zu nennen,
die sie bei Franz kennen. Die Beiträge werden als „Stärke-Tapete“ aufgeschrieben und an die
Wand geklebt. Dass hier Widerholungen von Schritt 1 vorkommen, ist gewollt. Wiederholen ist
eine wirkungsvolle Technik beim Verstärken von Stärken.
Schritt 3: Feedback zum Feedback
Das Feedback zum Feedback erfolgt mündlich, um das Gespräch nicht durch Schreibpausen zu
verlängern. Diese Abkürzung wurde gewählt um die Konzentration der Kinder nicht zu sehr zu
strapazieren. Der Ressourcencheck „muss“ Spaß machen, was übrigens nicht nur für Kinder gilt.
Das Feedback zum Feedback wird also anschließend rekonstruiert und als Schatzkartei
niedergeschrieben. Franz erhält eine Kopie.
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Abschrift der Mitschriften. Stärken, die beim „Gelegenheiten schaffen“ eine Rolle
spielen werden, sind unterstrichen.
Strengths Storming
Feedback zum Feedback
Man kann sich gut mit dir unterhalten. (Heike)
->
Weil du gut erzählen und zuhören kannst. (Andrea)
Du hast viel Humor und ich mag dein Lachen
dabei. (Heike)
->
Über deine Späße kann man gut lachen. (Sara)
Du hast einen besten Freund und ihr macht viel
zusammen. (Sara)
->
Z.B. Karate üben (Andrea), Fußball spielen. (Sara)
Du machst mir Freude. (Andrea)
->
Z. B. durch Kleinigkeiten, wie mit dem Dragon-BallBild, das du mir gezeichnet hast. (Andrea)
Du bist mutig, neue Sachen auszuprobieren.
(Karin)
->
Z. B. Klettern, (Karin) oder Einrad fahren. (Sara)
Du bist freundlich. (Andrea)
->
Z. B. weil du mich immer lieb grüßt, wenn du mich
siehst. (Andrea)
Ich finde es toll, wie du Streitereien löst.
(Andrea)
->
Nicht zuschlagen, sondern erst mal reden. (Andrea)
Man kann sich auf dich verlassen. (Andrea)
->
Z. B erledigst du deine Sachen selbständig und gut.
(Andrea)
Wie du den Wochenplan machst, find ich gut.
(Heike)
->
1a und ganz selbständig. (Heike)
Du kannst toll zeichnen. (Karin)
->
Z. B. Dragon-Ball Figuren. (Karin) und Son Goku.
(Heike)
Du bist sehr musikalisch und kannst auch gut
tanzen. (Heike)
->
Wie z. B. auf Angelo’s Geburtstagsfeier (Sara).
Getrommelt hast du auch super. (Andrea)
Frau Stettner ist eine tolle Bezugstante. (Sara) ->
Und ihr beide verstehst euch super. (Sara) Sie macht
auch viele Sachen mit dir, die dir gefallen. (Heike)
Es ist überhaupt schön, dass du bei uns in der
Gruppe bist. (Heike)
->
Ja, es ist schön, dass du hier bist! (Andrea)
Du findest sehr schnell Kontakt zu anderen
Kindern. (Andrea)
->
Beispielsweise als wir einen Ausflug auf die
Jägerwiese oder in das Diana-Bad gemacht haben,
hast du dort sofort Kinder gefunden, mit denen du
spielen konntest. (Heike)
Ich find es gut, dass ich sportlich bin. (Franz)
->
Ich kann gut Fußball und Karate. (Franz)
Du hast ein echt gutes Fahrrad. (Karin)
->
Stimmt! (Franz)
Es macht einfach Spaß, mit dir zusammen Zeit
zu verbringen. (Andrea)
->
Ja, das ist so! (Andrea)
Du bist an vielen Dingen interessiert (Heike)
->
Z. B. als wir letztes Mal gemeinsam Nachrichten
geschaut haben, hast du immer nachgefragt, „wo ist
dieses Land?“, usw. und so habe ich gesehen, dass es
dich interessiert, nicht dass du das Programm nur
über dich ergehen lässt. (Heike)
Schritt 4: Gelegenheiten schaffen
Die Ergebnisse des Ressourcenchecks unterstreichen Franz Interessen und machen einige seiner
Stärken deutlich. Gesucht wird jetzt nach Gelegenheiten, die Franz die Möglichkeit bieten, auf der
Basis seiner eigenen Stärken, das was er will zu realisieren. Auch hier wird nur ein Ausschnitt
dargestellt. Franz sagte, dass er gerne mehr Freunde hätte und Lust auf mehr Unternehmungen
außerhalb der Einrichtung hätte. Er ist ausgesprochen sportlich und steht auf Son Goku. Da Franz
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Interesse an Karate hat, entwickelt sich die Idee, diese Kunst quasi professionell zu vertiefen.
Franz hat das Zeug dazu und sähe sich bei Erreichen dieses Ziels auch seinem Ideal Son Goku
einen Schritt näher gebracht. Dass man beim Karate auch ganz gekonntes „Auf-die-Matte-fliegen“
lernt, macht die Idee aus Franz Sicht nahezu perfekt.
Eine sozialraumorientierte Einrichtung hätte jetzt Kontakte zu Sportvereinen und Übungsleitern.
Die Fachkräfte wüssten, was, wo, von wem, für wen angeboten wird und welcher Verein oder Club
ein gutes Matching für Franz Stärken und Ziel wäre. In unserem Fall wusste die Bezugsbetreuerin
von einem Karateclub im angrenzenden Stadtteil. Bei einem Gespräch mit dem Jugendtrainer
entscheidet sich Franz für die Teilnahme am Training. Als das erste Training allerdings vor der Tür
steht, wird ihm doch etwas bange. Deswegen fragt er seinen Karatefreund Peter, ob der nicht auch
Lust hätte, die Sache mal richtig zu lernen. Als Problem erweist sich auch der Transport: Zu Fuß
ist es zu weit und ein Bus geht dorthin auch nicht. Auch hier helfen die Ergebnisse des
Ressourcencheck weiter. Franz hat ein gutes Verhältnis zu seiner Besuchstante, der wiederum der
Junge am Herzen liegt. Sie erklärt sich bereit, die beiden Jungs für eine Übergangszeit zweimal
pro Woche zu fahren. Das Heim zahlt Benzingeld. Geplant wird allerdings, die Jungs mit dem
Fahrrad fit zu machen, die Strecke alleine zu meistern.
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