Wenn Testresultate nicht zusammenpassen

Wenn Testresultate nicht zusammenpassen:
Allergologische Diagnose-Instrumente auf dem Prüfstand
Priv.-Doz. Dr. med. Jörg Kleine-Tebbe
Allergie- und Asthma-Zentrum Westend, Praxis Hanf, Ackermann & Kleine-Tebbe, Berlin
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Zur Diagnose IgE-vermittelter Reaktionen und Erkrankungen dienen
a) Anamnese,
b) Sensibilisierungstests und
c) Provokationstests; letztere, um in Zweifelsfällen die klinische Relevanz einer IgESensibilisierung zu klären.
Abbildung: Sämtliche (theoretischen)
Pyramide" zur Allergieabklärung.
Ergebnisvarianten
der
"diagnostischen
Bei der allergologischen Abklärung klinischer Beschwerden stimmen die Befunde
nicht immer überein. Die Kenntnis möglicher Gründe für die qualitativen
Abweichungen hilft bei der Interpretation und Bewertung der erzielten Resultate.
Anamnese: Klinische Angaben des Patienten; Hauttest: z. B. Pricktest; Labor:
allergen-spezifisches
IgE;
Provo:
Provokation
(nasal,
konjunktival,
bei
Nahrungsmitteln oral). Schrift und Hintergrund dunkel: positiver Befund; weiße
Schrift: negativer Befund.
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Sensibilisierungstests gestatten einen
1) direkten IgE-Nachweis im Serum (allergenspezifische IgE-Tests) oder einen
2) indirekten Nachweis von funktionellem, zur Aggregation fähigen IgE (z. B Pricktest,
Basophilen-Aktivierungstest, BAT).
Der häufig verwendete Begriff „Allergietest" ist strenggenommen ungeeignet, da diese Tests
nicht zwischen klinisch stummen und relevanten IgE-Sensibilisierungen unterscheiden
können.
Nicht immer stimmen die Stufen der „diagnostischen Pyramide" (Abbildung) komplett überein
wie in Beispiel 1A (sämtliche diagnostischen Parameter positiv) und 4D (alles negativ). In der
Abbildung werden sämtliche Varianten durchdekliniert: Die Beispiele in Reihe A und B
verfügen über eine positive Anamnese (= allergieverdächtige Symptome); sie ist in den
Beispielen der Reihe C und D negativ. Reihe A und C zeigen positive Reaktionen im
Provokationstest im Gegensatz zu Reihe B und D. Spalte 1 enthält positiv und Spalte 4
negativ übereinstimmende Sensibilisierungstests; Spalte 2 ausschließlich positive Hauttests
und Spalte 3 nur positive IgE-Tests.
Folgende Ursachen können für die qualitative Nichtübereinstimmung der diagnostischen
Elemente verantwortlich sein:
A2: spezifischer IgE-Test wahrscheinlich falsch negativ (geringe Testempfindlichkeit?
verantwortliches Allergen unterrepräsentiert oder nicht vorhanden?). TIPP: IgE-Test
ignorieren; bei wichtigen Entscheidungen ggfs. IgE-Test mit anderem (vorzugsweise
empfindlicheren) Testsystem wiederholen.
A3: Pricktest wahrscheinlich falsch negativ (nicht stark genug geprickt? Allergengehalt
unzureichend? Verantwortliches Allergen unterrepräsentiert oder fehlend? Extrakt nicht
mehr haltbar? Versehentlich anti-allergische Medikation nicht abgesetzt?). TIPP:
Pricktest ignorieren; ggfs. Pricktest wiederholen mit neuem (bei Nahrungsmitteln ggfs.
nativem) Extrakt.
A4: Verdacht auf „lokale" IgE-Allergie (z. B. allergische Rhinokonjunktivitis durch lokale IgEProduktion) ohne systemischen Sensibilisierungsnachweis (max. 5 % der Patienten mit
verdächtigen Symptomen). TIPP: Vor relevanten Entscheidungen (z. B. Indikation zur
spezifischen Immuntherapie) ggfs. hoch empfindlichen BAT veranlassen (in ca. 50 %
der Fälle positiv = erfolgreicher indirekter IgE-Sensibilisierungsnachweis). Sonst
symptomatische Behandlung wie bei normaler Rhinokonjunktivitis und Wiederholung der
Sensibilisierungstests bei anhaltenden Beschwerden nach ca. 2 Jahren.
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B1: Provokation vielleicht falsch negativ durch zu geringe Allergenkonzentration oder
unterrepräsentiertes Allergen im Extrakt? Versehentlich anti-allergische Medikation vor
Provokation nicht abgesetzt? TIPP: Provokation wiederholen mit ggfs. höherer
Konzentration.
B2: IgE-Nachweis misslungen (siehe A2)? Ungeeigneter Extrakt? IgE-Testmethode nicht
ausreichend empfindlich? Laborfehler? TIPP: bei wichtigen Entscheidungen ggfs. IgETest mit anderem (empfindlicheren) Testsystem wiederholen.
B3: Sensibilisierungsnachweis im Hauttest misslungen (siehe A3)? Ungeeigneter Extrakt
durch Instabilität der beteiligten Allergene oder Haltbarkeitsdatum überschritten? Nicht
ausreichend geprickt? TIPP: Pricktest wiederholen, ggfs. mit neuem Extrakt.
B4: Möglicherweise keine allergischen, sondern unspezifische, nicht-allergische Symptome
(„Schleimhautschwächling"). Bei regelmäßig in der warmen Jahreszeit wiederkehrenden
Beschwerden während Pollenexposition ggfs. unspezifische Effekte (z. B. Pollenassoziierte Lipidmediatoren, PALMs)? TIPP: Örtliche und zeitliche Abhängigkeit
sorgfältig abfragen; nach unspezifischen Auslösern für Schleimhautbeschwerden fragen.
C1: Betroffener Allergiker, der sich offenbar vollständig an seine Symptome adaptiert hat
oder im Alltag nur unter marginalen Beschwerden leidet. TIPP: Nachanamnese, ob
Symptome ggfs. nicht wahrgenommen wurden und Verlaufsbeobachtung.
C2: Gleiche Konstellation (wie C1), allerdings mit falsch negativem IgE-Nachweis. Andere
Option: Falsch positiver Haut- und Provokationstest (bei sehr stark eingestellten
Allergenextrakten
theoretisch
möglich,
aber
unwahrscheinlich).
TIPP:
ggfs.
Nachanamnese, Verlauf beobachten.
C3: gleiche Konstellation (wie C1), allerdings mit falsch negativem Hauttest. Andere Option
(falsch positiver IgE-Nachweis und Provokationstest durch „potente" Allergenextrakte)
eher unwahrscheinlich. TIPP: ggfs. Nachanamnese, Verlauf beobachten.
C4: Falsch positiver Provokationstest (unspezifische Reaktion durch stark eingestellte,
unspezifisch wirksame Extrakte?), im Alltag sehr seltene Konstellation. TIPP: Keine
weiteren Maßnahmen, Verlauf beobachten.
D1: Typische Konstellation bei klinisch stummer (irrelevanter) Sensibilisierung (Atopie ohne
Symptome). Eher zufälliges Testresultat, wenn die Diagnostik nicht symptomorientiert
vorgenommen wurde (z. B. in epidemiologischen Studien). TIPP: Pat. beruhigen, Verlauf
beobachten.
D2: Verdacht auf Sensibilisierung ohne klinische Relevanz (siehe D1) bei falsch negativem
IgE-Nachweis (Allergen im Extrakt unterrepräsentiert oder fehlend?). Andere Option:
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falsch positiver Hauttest (kontaminierter oder zu stark vom Hersteller eingestellter
Extrakt),
eher
unwahrscheinlich.
TIPP:
Pat.
beruhigen,
Wiedervorstellung
bei
Symptomen.
D3: Verdacht auf Sensibilisierung ohne klinische Relevanz (siehe D1) bei falsch negativem
Hauttest (Allergen im Extrakt unterrepräsentiert oder fehlend? Überschrittenes
Haltbarkeitsdatum?). Andere Option: falsch positiver IgE-Test (klinisch irrelevante IgEBindung an Kohlehydratseitenketten CCD). TIPP: Pat. beruhigen, zunächst kein
Handlungsbedarf; Wiedervorstellung bei Symptomen.
Fazit:
Diagnostische Ergebnisse (Anamnese, Sensibilisierungstests, Provokationsergebnisse)
stimmen nicht immer überein.
Bei IgE-Sensibilisierungstests gilt die Faustregel: Bei abweichenden Ergebnissen sind eher
die positiven Ergebnisse richtig als die (falsch) negativen. Ausnahmen:
- Falsch positive Hauttests durch urtikariellen Dermografismus, unspezifische Reaktionen
durch zu stark eingestellte Allergenextrakte
- Extrem hohes Gesamt-IgE mit niedrigtitrigen spezifischen IgE-Konzentrationen fraglicher
Relevanz
- Irrelevante IgE-Tests durch IgE gegen pflanzliche Kohlenhydratseitenketten (CCD), die
durch unzureichende Kreuzvernetzung keine Reaktionen im Hauttest oder BAT auslösen.
Die klinische Relevanz der Sensibilisierungstests ist nur bei korrespondierenden Symptomen
gegeben und muss individuell geprüft werden (Vorgeschichte, Symptomprotokoll, ggfs.
Provokation mit der zugehörigen Allergenquelle). Somit ermittelt der behandelnde Arzt die
klinische Relevanz der diagnostischen Ergebnisse, nicht der Sensibilisierungstest. Bei
widersprüchlichen Resultaten wird die Interpretation zur Herausforderung und stellt eine
wichtige Kernkompetenz allergologisch arbeitender Ärzte dar.
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