Friedrich-Schiller Universität Jena Institut für Philosophie und Institut für germanistische Literaturwissenschaft Sommersemester 2008 Hauptseminar: Literatur und Philosophie Leitung: Prof. Gabriel und Prof. Matuschek Protokollanten: Christian Franke und Michael Hartmann Arthur Schopenhauer – Die Welt als Wille und Vorstellung Schopenhauer fordert den Leser seines Werk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ dazu auf, dieses zweimal zu lesen, obgleich in diesem nur ein zentraler Gedanke mitgeteilt wird: Die Welt ist in zweifacher Weise zu erkennen – als Wille und als Vorstellung. Die Welt als Vorstellung basiert auf dem Satz vom Grunde – nichts ist ohne Grund, warum es sei – also auf Kausalität. Des weiteren begreifen wir diese Welt über vier Kategorien: 1. empirische Objekte (Alltagsgegenstände); 2. Begrifflichkeit (in dem sich der Unterschied des Menschen zum Tier zeigt); 3. Raum und Zeit und 4. Das Wollen (ständiges Wollen). Die Welt als Vorstellung ist Gegenstand der Wissenschaft – also der Frage nach empirischen Gegenständen unter dem Postulat der Kausalität. Unter der Welt als Wille versteht Schopenhauer hingegen die Welt als Wille eines alles treibenden Urtriebes – also unter anderem den Trieb zur Erhaltung der eigenen Art. Indem Schopenhauer die Welt auf diese zweifache Weise begreift, ist er zugleich Platoniker und Kantianer, jedoch unterscheidet er sich in der zentralen Frage nach dem Ding an sich von Kant, der meint, dass wir das Ding an sich nicht erkennen können. Schopenhauer glaubt dieses im Willen erkannt zu haben. Um Philosophie zu betreiben, welche die wahre Schau der Dinge im Sinne Platons als Ziel hat, muss man sich vom Willen lösen. Der Mensch löst sich aus der Verstricktheit und Kausalität der Welt und beginnt diese als Vorstellung zu betrachten. Das Benutzen eines Stückchens Kreide beispielsweise ist Ausdruck der Welt als Wille, wohingegen das Nachsinnen über die Idee der Kreide in der Welt als Vorstellung zum Tragen kommt (Was macht Kreide überhaupt unabhängig von Kausalität aus?). Ein Subjekt kann also den Willen haben, die Kreide zu benutzen, oder die Vorstellung hegen, über ebendieses zu reflektieren. Wir sind mit der Welt als Wille alle naturgegeben verbunden, die Welt als Vorstellung müssen wir uns erst erarbeiten. Der Weltwille verursacht einen ewigen Kampf, da er stets unbefriedigt bleibt. Um davon erlöst zu werden, muss dieser Wille durch Askese, Kontemplation oder Kunst verneint werden. Sie stellen damit eine Art Therapie dar. Inwiefern kann uns aber beispielsweise die Kunst vom Willen befreien? Indem sie allgemeine Gültigkeit proklamiert, schafft sie es den Menschen aus der Individuation zu lösen. Kunst ist also nicht individuell-subjektiv, sondern stets allgemeinphilosophisch. Kunst kann allerdings nur von Subjekten hervorgebracht werden, die sich bereits vom Willen emanzipiert haben, also von Genies. In einem Stilleben etwa kann die Idee eines Apfels unabhängig von der Versuchung des Hineinbeißens vermittelt werden und somit wird Kants Bestimmung vom interesselosen Wohlgefallen der Kunst erfüllt. Das Ziel kontemplativer Ruhe kann jedoch mittels der Kunst nicht erreicht werden, da ihr Wirken temporär bedingt ist. Musik stellt für Schopenhauer die höchste Form aller Künste dar, indem sie gänzlich ohne referentiellen Bezug zur Welt auskommt und damit Ausdruck reinen Willens ist, der uns zur Vorstellung wird. Schopenhauer entwirft kein System in dem Sinne, dass in einem solchen auf einem Fundament aufgebaut wird, sondern versteht sein Werk vielmehr als Organismus, in dem alle Teile in Bezug zueinander und zum Ganzen stehen. Schon an der Verwendung der Fundament- und Organismusmetaphorik und deren künstlich hochgespielte gegensätzliche Darstellungsweise zeigen sich Schopenhauers Ausarbeitungen als literarisch geformt. Der Text ist des weiteren von vielen Wiederholungen gekennzeichnet, welche ein immer enger werdendes Kreisen um jenen einen Gedanken verdeutlichen. Mit diesem Paraphrasieren unter Zuhilfenahme immer wieder anderer Begriffe und Beispiele zeigt sich der Hauptgedanke von mehreren Seiten beleuchtet. Mit dem Verzicht auf Paragraphen und anderen Text strukturierenden Elementen sollte sich der Inhalt in der Form konstituieren – der Ausdruck lediglich eines Gedankens soll auch nur in einem homogenen Text hervortreten. Die zweite und die darauf folgenden Auflagen von „Die Welt als Wille und Vorstellung“ weisen allerdings aus pragmatischen Gründen des Verweisens Paragraphen auf. An dieser Stelle zeigt ein Problem der Darstellungsweise, welches aufgrund der Natur der Sprache entsteht. Diese ist diskursiv und unterliegt der Anschauungsform der Zeit und konterkariert somit Schopenhauers Forderung der organischen Einheit. Aus dem Verständnis dieser Einheit heraus muss die Forderung des zweimaligen Lesens als Strukturgesetz begriffen werden, weil der Leser erst beim zweiten Lesen so etwas wie ein synoptischen Blick für den einen großen Gedanken entwickeln kann. Schopenhauers Philosophie drängt auf totale Zustimmung oder Ablehnung und widersetzt sich einem partiellen Verständnis. Sie stellt daher vielmehr eine Aufforderung der Übernahme dieser Weltanschauung im Sinne einer Lebenshaltung dar und weniger eine Philosophie des intellektuellen Nachvollzugs. Nachtrag: Schopenhauers Vorstellung von Kunst ist keine triviale, aber trotzdem eine einseitige, die er mit viel Emphase hervorbringt. Kunst soll demnach die Schau der Ideen ermöglichen und stellt somit die eigentliche Möglichkeit der Erkenntnis dar. Die Philosophie hingegen kann nur mittelbare Erkenntnis darstellen und ist dementsprechend rational. Während die Kunst die Aufgabe hat, Dinge zu vergegenwärtigen, soll die Philosophie diesen Akt der Vergegenwärtigung thematisieren. Trotz allem muss gesagt werden, dass es keine starre Trennung von Kunst, in dem Fall besonders die Literatur, und Philosophie gibt. Schopenhauers emphatischer Kunstbegriff verliert an Überzeugung, wenn man diesen in der empirischen Welt umsetzen will.
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