■ TIERWELT ■ ■ TIERWELT ■ Winston Churchill verhätschelte seine Haustiere Er dressierte Goldfische, verkaufte sein Velo für eine Bulldogge und ging auf Nashornjagd in Afrika. Winston Churchill hatte eine extrem vielschichtige Beziehung zu Tieren. D er britische Premierminister Winston Churchill (1874–1965) liebte seine Haustiere, seine Hunde, Katzen und Vögel, aber auch die Tiere im Park – die Schwäne, Gänse und Goldfische – und erst recht als Reiter, Kavallerist und Polospieler seine Pferde. Dabei begann alles mit der Jagd. Als Angehöriger einer adeligen Familie – sein Urahn (nicht in direkter Linie) war John Churchill, Duke of Marlborough (1650 –1722), der siegreiche Feldherr im Spanischen Erbfolgekrieg – war es völlig normal, dass der junge Winston jagen und fischen lernte, und zwar nicht nur mit Flinte und Angelrute. Wie dies in seinen Kreisen üblich war, ging er auch auf die berittene Fuchsjagd mit Hundemeute, die in Grossbritannien seit 2004 verboten ist. Man nannte diese Hetzjagd damals «blood sports». Aber nicht nur die Fasane und Rebhühner in Schottland, auch die Hirsche, Hasen, Rehe und Wildsauen in England lebten gefährlich, wenn Churchill auf die Pirsch ging. In Afrika erlegte der junge Abenteurer nicht nur Krokodile und Strausse, sondern – man darf es heute fast nicht mehr erwähnen – ebenso drei Nashörner. Der Trick mit den Goldfischen Gleichzeitig hatte Churchill aber schon als Kind und Jugendlicher durchaus auch ein grosses Herz für Tiere. So gerne er die Büchse auf den Feldhasen anlegte, so stark liebte er seine Haustiere – Kaninchen, Katzen und Hunde. Ja er ging sogar so weit, im Internat sein Velo zu verkaufen, um eine Bulldogge Aber ganz allgemein war ihm keine Kreatur zu niedrig, um seine positiven Gefühle zu wecken. Bei einer Runde Golf rettete er einst einen Regenwurm vor dem Zertretenwerden. Und als ihm im Krieg einmal ein Marienkäfer auf dem Ärmel landete, bat er einen amerikanischen General, diesen in Sicherheit zu bringen beziehungsweise am Fenster wieder starten zu lassen. Churchill lernte schon in Kindertagen zu reiten. Insofern kam seine Liebe für Pferde auf natürliche Weise. Als Kavallerist und zu erstehen. Erst richtig zum Tierliebhaber wurde der inzwischen erfolgreiche Autor, Parlamentsabgeordnete und Minister 1924, als er ein grosses und schönes Landgut erwerben konnte: Chartwell in Westerham in der Grafschaft Kent. Hier legte er umgehend drei grosse Teiche an, in denen alsbald nicht nur einheimische Enten und Gänse lebten, sondern auch schwarze Schwäne aus Australien. Hatte er als Junge noch Schmetterlinge gejagt und aufgespiesst für seine Sammlung, so züchtete er von nun an Sommervögel. Besondere Freude hatte er an seinen Goldfischen in einem separaten Teich, für die er extra aus Yorkshire besonders schöne Maden kommen liess. Nie um einen Scherz verlegen, trainierte er den Goldfischen einen Pawlowschen Reflex an: Wenn er mit einem Besucher vor dem Teich stand und mit der Zunge schnalzte, kamen sämtliche Fische aus den tieferen Lagen an die Oberfläche. Bild: Xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Bild: Xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Bilder: Imperial War Museum (1); Keystone (1); Rover Ltd. (pd) (1); zVg (1); © LiliGraphie / shutterstock.com (3) Pferde, Pudel und Katzen liebte Winston Churchill besonders. Kriegsberichterstatter in fünf Kriegen auf vier Kontinenten lernte er zwischen 1895 und 1900 sodann, sich auf das Pferd als Nutztier unter extremsten Bedingungen zu verlassen. Am 2. September 1898 ritt Churchill in der letzten Kavallerieattacke der britischen Kriegsgeschichte mit, in Omdurman (Sudan). Später, als Karrierepolitiker und Minister, hatte er weniger Zeit für den Reitsport, wobei er nach dem Zweiten Weltkrieg mit immerhin 74 Jahren zum letzten Mal im Sattel sass. Abermals einige Jahre älter, nach seiner zweiten Amtszeit als Premierminister (1951–1955) erfreute er sich an seinem Rennpferd Colonist II. Diesem flüsterte er einmal bei einem wichtigeren Rennen ins Ohr: «Colonist, wenn Du dieses Rennen gewinnst, musst Du nie mehr auf den Turf, sondern darfst Deinen Lebensabend mit ein paar netten Stuten verbringen.» Doch scheint der Funke nicht gesprungen zu sein: Colonist II. wurde Vierter. Je älter Churchill wurde, desto stärker entwickelte sich seine Tierliebe. Sein Pudel Rufus II. war bei jedem noch so wichtigen Diner im Hause Churchill dabei und wurde von seinem Meister nach Strich und Faden verwöhnt. Nicht zur Freude aller. Von einem Dienstmädchen ist der Satz überliefert: «Dieser Hund hat einen Mundgeruch wie ein Flammenwerfer.» Das zweite Tier in seiner Hierarchie war Jock, die rötliche Katze, die ihm sein Privatsekretär Jock Colville geschenkt hatte. Jock, die Katze, und all ihre Nachfolger durften auch auf dem Bett des Premiers schlafen. Mit diesen beiden Tieren hatte Churchill einen anthropomorphen Umgang: Er redete mit ihnen, als ob sie Personen wären. Kanarienvogel im Brandyglas Vollends skurril war aber der Umgang mit Toby, dem Kanarienvogel, der in Churchills Studierstube frei herumfliegen durfte, sich auf seinen Kopf setzte oder – noch schlimmer – auf seiner Zigarre landete und an dieser herumzupicken begann. Doch damit nicht genug: Toby erhielt auch freien Ausflug, wenn wichtiger Besuch da war. Richard Austen Butler, Churchills Schatzkanzler von 1951–1955, wurde einmal während einer Sitzung in Chartwell nicht weniger als 14 Mal «beschissen» von Toby. Butler konnte nur konsterniert feststellen: «Es ist ja unglaublich, was ich für unseren Winston alles auf mich nehme.» Toby kam mit der Zeit auch auf den Geschmack für die diversen Drinks seines Chefs, und zwar so stark, dass er einmal in des Premiers Brandyglas fiel. Eine von Churchills Katzen sorgte während des Kriegs in Nordafrika übrigens fast für eine Verstimmung auf höchster Ebene. Churchill telefonierte eines Morgens im Bett mit dem Kommandanten in Nordafrika, General Claude Auchinleck. Die Nachrichten waren schlecht und entsprechend nervös wippte Churchill mit der grossen Zehe. Dies weckte die Jagdinstinkte des Katers, der im Sprung auf die grosse Zehe losging. Churchill erschrak, gab dem Tier einen Tritt und rief: «Hau ab, du Trottel!» Der Truppenkommandant war zunächst sprachlos, konnte aber von Churchill beruhigt werden, als er sich wieder gefasst hatte nach der Katerattacke. Der Mops begrüsst seine Katze Winston Churchills eigentümliche Beziehung zur Tierwelt machte selbst vor seiner Ehe nicht halt. Seine Frau Clementine trug den Kosenamen Cat (Katze), Winston war Pug (der Mops). Sehr oft unterschrieben die beiden ihre Briefe mit Cat oder Pug, gefolgt von einer Zeichnung des entsprechenden Tiers. Bemerkenswert ist aber doch die Tatsache, dass Clementine und Winston sich auch «tierisch» begrüssten. Sehr oft, wenn die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, begrüsste er Clementine mit «wuff-wuff», worauf sie mit «miau» antwortete. Besonders hübsch ist die Anekdote aus der Battle of Britain, der Luftschlacht um England, die 1940 tobte. Als man einmal im Londoner Regierungsviertel überall Schlachtenlärm hörte, verkroch sich Churchills schwarzer Kater Nelson – benannt nach dem berühmten Admiral Horatio Nelson, Sieger in der Schlacht von Trafalgar – unter einer Kommode. Der Premier liess dies allerdings nicht durch: «Nelson, komm sofort hervor. Du solltest dich schämen. Mit deinem Namen versteckt man Werner Vogt sich nicht vor dem Feind.» Der Autor ist Historiker, Journalist und Kommunikationsberater. Er hat ein eben veröffentlichtes Buch über Winston Churchills Beziehung zur Schweiz geschrieben. Werner Vogt: «Winston Churchill und die Schweiz», gebunden, 232 Seiten, Verlag: NZZ-Libro, ISBN: 978-3-03810-086-7, ca. Fr. 48.– 23
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