Reportage Brasilien

Wegen seiner Weltmachtambitionen
baut Brasilien Staudämme –
und stößt zunehmend auf den Widerstand
Eine Reportage von Sandra Weiß
der Bevölkerung.
Fotos von Florian Kopp
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imental. „Ist es wahr, dass man in der Stadt für Wasser bezahlen muss?“, will Raimundo dos Santos wissen. Die bejahende Antwort lässt ihn verstummen.
Das ist unvorstellbar in seiner Welt, in der es zwar viel sauberes Wasser, aber wenig Geld gibt. Der schweigsame Santos
stellt viele Fragen in letzter Zeit, seit diese Männer mit orangenen Westen in sein Fischerdorf Pimental kamen, ungefragt Pflöcke in den Boden schlugen und alles vermaßen.
Jetzt gleitet sein Kanu fast lautlos durch das dunkle Wasser
des Tapajós, dem ursprünglichsten der vier rechten Nebenflüsse des Amazonas. Entlang seiner 2.200 Kilometer leben
Raimundo dos Santos
fischt gerne früh am
Morgen. Schon einmal
wurde er mit seiner
Familie wegen eines
Naturschutzgebietes
vertrieben. Heute lebt
er in Pimental. Jetzt bedroht das Staudammprojekt seine Existenz.
rund 13.000 Munduruku-Indigenas. Sie gelten als wehrhaft. Hier
gibt es nur wenig Siedlungen,
kaum Sojafelder und Viehweiden,
dafür 300 verschiedene Schmetterlings- und 350 verschiedene Fischarten. Der Tag ist gerade angebrochen. Noch ist es
kühl, aber schon in einer Stunde wird die Sonne gnadenlos
vom Himmel brennen. Santos fischt gerne frühmorgens
und ist schon wieder auf dem Heimweg. In Pimental zieht
der hagere, sehnige Alte das Kanu auf das sandige Ufer und
verstaut das Paddel unter dem Sitz. Mehr Sicherheitsvorkeh-
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rungen braucht es nicht in dem 850-Seelen-Dorf, wo jeder
jeden kennt. Der Fluss ist die Lebensader von Pimental, um
ihn dreht sich alles. Ein paar Frühaufsteher sind schon da,
waschen ihre schmutzige Wäsche oder nehmen ein morgendliches Bad. Santos Enkel Marilson kommt den Hang
heruntergerannt, schlägt ein paar Saltos und landet mit
einem großen Platsch im Wasser. Flott krault er ans Ufer
zurück. Schwimmen, fischen und Kanu fahren kann er
blendend. Das sind die wichtigen Dinge, die Fischerkinder
schon in jungen Jahren lernen. „Opa, was hast du gefangen?“, fragt der patschnasse, achtjährige Tausendsassa aufgeregt. Santos hält ihm das Netz entgegen, in dem ein paar
Piranhas zappeln. Richtig sehen kann er sie nicht mehr mit
seinem grauen Star.
51 seiner 67 Jahre hat Santos im Urwald des Amazonas
verbracht. Seit 30 Jahren lebt er in Pimental. Einem Dorf
mit drei Kirchen, einer Grundschule, zwei Bäckern, zwei
Fußballplätzen, einem Frisör, drei Tante-Emma-Läden und
zwei Kneipen. Seine Familie gehört zu den Alteingesessenen. „Früher lebten wir flussaufwärts. Als die Regierung
dort ein Naturschutzgebiet einrichtete, mussten wir weg.
Hier gefiel es uns, und hier bauten wir alles neu auf“, erzählt Santos, als sei es das Normalste auf der Welt. Doch einfach war sein Leben nicht. Seine Eltern waren einst vor der
Dürre aus der Trockensteppe des Nordostens in den Dschungel geflohen. Als Kautschuk-Zapfer, Holzfäller und Goldsucher schlugen sie sich durch – im Rhythmus der wechselhaften Wirtschaftszyklen des Amazonas, die sich für die Bewohner immer nur als kurze Schimäre erwiesen. Die Gewinne der Rohstoffausbeutung flossen ab, in die Taschen
weniger Investoren, die sich damit ihr Leben in den Großstädten versüßten. Die einfachen Arbeiter hingegen – wie
Santos Familie – stellte der Dschungel auf eine harte Probe.
Statt Straßen gab es Flüsse, die ihre eigenen Regeln diktieren. Im Sommer, bei Niedrigwasser, sind die Stromschnellen
so reißend, dass sie unpassierbar werden. Bei Hochwasser
im Winter verwandeln sich mäandernde Flusstäler in Seen.
DIE NATUR: NICHT PARADIESISCH, ABER PRÄSENT
Es gab keine Schulen in der Wildnis; Lesen und Schreiben
haben Santos und seine zehn Geschwister deshalb nie gelernt. Mit acht half er bereits seinem Vater beim Kautschukzapfen, mit 14 war er alleine im verwirrenden Baumdickicht
des Dschungels unterwegs. Einmal suchte er zwei Tage lang
Kinder in Pimental wie
der achtjährige Marilson können Schwimmen, Fischen und Kanu
fahren. Paradiesisch
ist das Leben am Fluss
aber nicht. Die Arbeit
ist hart. Nur wenige
Piranhas gehen den
Fischern ins Netz.
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Die „ribeirinhos“ leben
bescheiden: Die Lehmhütte von Familie dos
Santos hat Raimondo
selbst gebaut. Möbel
gibt es nur wenige. Die
Natur gibt den Bewohnern des Flussufers
alles, was sie zum
Überleben brauchen.
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Karte: Fischer-Weltalmanach
den Rückweg zu seinem Boot. Dreimal wurde er von Schlangen gebissen, fünfmal von Rochen gestochen, Malaria und
Denguefieber plagten ihn. Drei seiner Kinder verlor er, als
das Familienkanu in einer Stromschnelle kenterte. Paradiesisch ist die Natur am Amazonas nicht immer. Aber sie ist
präsent, im Gegensatz zum Staat, der meist nur auf dem Papier existiert oder sporadisch in Form korrupter Funktionäre auftaucht. Santos kann mit der Natur deshalb besser umgehen als mit der Staatsbürokratie. Er kann die giftigen von
den essbaren Pflanzen unterscheiden. Er weiß, welches Blatt
als Regenschirm dienen kann und welches als Heilmittel.
Die Natur gibt ihm fast alles, was er zum Leben braucht. Fische und Waldfrüchte, frisches Wasser im Überfluss, etwas
Maniok und Gemüse, das er auf einem kleinen Acker anbaut.
Die kleine Lehmhütte, bedeckt mit Palmblättern, hat er eigenhändig gebaut. Möbel gibt es darin nur wenige. Ein Sofa,
einen Holztisch mit vier Stühlen, ein batteriebetriebenes
Radio. Handyempfang hat das Dorf nicht, Strom gibt es seit
zehn Jahren, Internet erst seit ein paar Monaten. Das Bett
ist ein Geschenk seines Sohnes Resnildo, aber kaum benutzt.
Santos schläft lieber in der ausgebleichten Hängematte.
In Kürze werden die Piranhas frisch gebraten auf seinem
Frühstücksteller landen. Dazu ein wenig frittierter Maniok
und ein schwarzer Kaffee. Mehr braucht Santos nicht. Die
„ribeirinhos“, die sogenannten Ufermenschen, sind genügsam. Während Marilson den Rucksack schultert und zur
Dorfschule marschiert, widmet sich der Alte seinem Fischernetz. Die 100 Meter Nylongewebe strotzen vor Löchern. Geduldig ertasten seine knochigen Finger jede Lücke und
schlingen einen neuen Knoten. Dabei begrüßt er den Nachbarn Bernardo, der sich auf der schiefen Holzbank vor der
Fischerkate niederlässt und den neuesten Dorfklatsch verbreitet. Es geht um das Thema, das Pimental seit Monaten
umtreibt, um die neue Verheißung am Amazonas: Die geplanten Staudämme.
Sie sind Teil eines Megaprojekts der Regierung zur Erschließung des Regenwalds und zur Beschleunigung des
Wachstums (Programa de Aceleração do Crescimento).
Schon die Militärregierung der 60er Jahre, die einst die
Transamazônica baute, sah den Regenwald als strategische
Ressource und zu erschließendes Siedlungsgebiet. Ein halbes Jahrhundert später setzt die Regierung der linken Arbeiterpartei Partido de Trabalhadores (PT) die Vision im großen
Stil um. Das Schwellenland Brasilien braucht Energie, wenn
seine Wirtschaft weiter wachsen soll, die Export-Landwirtschaft braucht Anbauflächen, Straßen, Eisenbahnen und
Wasserwege zum Transport. Am Tapajós und seinen Zuflüssen sind Dutzende von Häfen geplant, fünf Staudämme und
FÖDERATIVE REPUBLIK BRASILIEN
Brasilien bedeckt mit mehr als 8,5 Millionen Quadratkilometer knapp die Hälfte des südamerikanischen Kontinents. Im
fünfgrößten Staat der Erde mit der Hauptstadt Brasília leben gut 204 Millionen Menschen. In der weltweit neuntgrößten Volkswirtschaft gibt es extreme regionale und soziale
Ungleichheiten: Im Süden und Südosten sind die Lebensbedingungen wesentlich besser als im Norden und Nordosten
des Landes, wo zum Teil extreme Armut verbreitet ist. Während Kleinbauern häufig zu kleine Parzellen besitzen, um
ihre Familien ernähren zu können, gehören etwa zwei Prozent der Landeigentümer fast die Hälfte der Nutzflächen.
Nahezu 80 Prozent des Stroms stammt aus Wasserkraft. Derzeit sind im Amazonasbecken rund 100 große Wasserkraftwerke geplant oder bereits im Bau. Brasilien sucht mit dieser Energiequelle vor allem den wachsenden Strombedarf
seiner Industrie zu stillen. Die riesigen Stauseen und Staudämme vertreiben Tausende Menschen aus ihrem Zuhause,
reißen sie aus ihrem sozialen Umfeld und rauben ihnen –
meist ohne Entschädigung – ihre Lebensgrundlage. Die Bauwerke verändern die Fließgeschwindigkeiten der Zuflüsse
und unterbrechen Fischwanderrouten. So gefährden sie auch
die Existenz von entfernter flussabwärts lebenden Fischern.
Die Wasserkraft bedroht einmal mehr den für das Weltklima
so wichtigen tropischen Regenwald und dessen Artenvielfalt. Riesige Flächen werden abgeholzt und überflutet.
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Die Rodung des Regenwaldes schreitet fort.
Ob für Viehweiden oder
für die neuen Staudämme: Naturschutzgebiete wurden bereits verkleinert. Pfarrer João Carlos Portes
(r. u.) organisiert den
Widerstand der Anwohner.
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eine dank Schleusen ganzjährig befahrbare Wasserstraße
vom Soja-Bundesstaat Mato Grosso bis nach Santarém und
weiter zur Atlantikmündung des Amazonas. Ein Konsortium, an dem auch europäische Firmen wie die französische
EDF und die spanische Endesa beteiligt sind, hat bereits Studien angefertigt und steht in den Startlöchern für die ersten beiden Staudämme, die in der Planung am weitesten
fortgeschritten sind. Es geht um Milliarden, um Brasiliens
Rolle als künftige Weltmacht. Ein paar Bäume, Fische und
„ribeirinhos“ sollen dem Kalkül zufolge dabei nicht stören.
2012 verkleinerte Präsidentin Dilma Rousseff (PT) per Dekret kurzerhand sieben Naturschutzgebiete, damit sie den
Kraftwerken nicht mehr ins Gehege kommen.
„UND WO SOLLEN WIR HIN?“
10.000 Megawatt Energie sollen die beiden Dämme am Tapajós produzieren, 1.400 Quadratkilometer Land müssten dafür überflutet werden, dreimal so viel wie der Bodensee. Pimental würde vom Erdboden verschwinden – und das weckt
nicht nur Sorgen, sondern auch Begehrlichkeiten. Früher interessierte sich kein Politiker für das Nest, jetzt
„In Amazonien findet
ist großer Streit ausgederzeit eine schleichende
brochen. In Erwartung
Gegen-Bodenreform
der Entschädigungen und
Lizenzgebühren fechten
riesigen Ausmaßes statt.“
die beiden Bezirksstädte
Pfarrer João Carlos Portes.
Trairão und Itaituba mit
harten Bandagen um die
Zuständigkeit für Pimental. Das hat Folgen: Bernardo weiß
nicht so recht, wo er jetzt hin soll, um seine staatliche
Rente zu kassieren, vertraut er Santos an. „Ach, und neulich
waren ein paar Ingenieure hier. Sie haben neue Häuser und
Geld versprochen“, fährt er fort. „Und wo sollen wir hin?“,
entgegnet Santos. „Das haben sie nicht gesagt“, erwidert
sein Freund.
„Das alles wird erst geklärt, wenn die Ausschreibung abgeschlossen und das Projekt vergeben ist“, sagt der Kommunikations-Beauftragte der „Dialoggruppe Tapajós“, Gil Rodrigues, im eisgekühlten Büro eines Hauses am Stadtrand von
Itaituba. Das Team wurde von den interessierten Firmen beauftragt, die Bevölkerung gütig zu stimmen. Die Firmen
würden sich schon um alles kümmern, Entschädigung, Umsiedlung, den Bau der nötigen Infrastruktur, zählt Rodrigues auf und händigt bunte Comics auf Recyclingpapier
aus, die „Fragen und Antworten“ zu den Staudämmen auflisten. Er ist jung, ehrgeizig und spricht – nachdem er seine
Assistentin angewiesen hat, das Interview zu filmen – eine
halbe Stunde lang von 15.000 Seiten umfassenden Umweltstudien, von öffentlichen Anhörungen, von Fristen, Lizenzgebühren – und bleibt dabei wortreich schwammig. Nur
dass 13.500 Arbeitsplätze entstehen, wiederholt er mehrfach.
Der Amazonas ist aus Sicht des Staates und der Investoren für große Infrastrukturprojekte ideal – wasserreich, kaum
erschlossen, dünn besiedelt. Widerstand und Entschädigungen halten sich deshalb in Grenzen und senken die Kosten.
Besonders im Fokus der Fortschrittslobby ist die Region zwischen den Flüssen Xingú und Tapajós. Sie liegt im Bundesstaat Pará, als Pufferzone zwischen den großen Soja- und
Rinderfarmen und dem noch intakten Regenwald. Die Besitzverhältnisse dort sind unklar, was Konflikte schürt. „Um
80 Prozent der Landflächen gibt es Streit, weil die Landbehörde INCRA zwar vor Jahren Siedler dorthin gelockt hat,
ihnen die versprochenen Landtitel aber bis heute nicht
gibt“, sagt Pfarrer João Carlos Portes. Manche Siedler kämpfen schon seit 30 Jahren um dieses Stück Papier. Ohne Titel
ist ihr Land wertlos, die Entschädigung dafür ist mickrig.
Ein Detail, von dem Fischer Santos erst durch Portes erfahren hat – denn die „Dialoggruppe Tapajós“ verschweigt so
etwas wohlweislich.
DEN MÄCHTIGEN EIN DORN IM AUGE
Portes ist der Mitbegründer der Landpastorale in Pará, die
von MISEREOR unterstützt wird und Kleinbauern, Fischer
und Indigene gegen Landspekulanten, Goldschürfer und die
Holzmafia verteidigt – und oft auch gegen einen Staat, dessen schwerfällige Bürokratie den Verbrechern in die Hände
spielt. Mit einem Team aus drei Mitarbeitern betreut der Pfarrer ein Gebiet von 177.000 Quadratkilometern. Mittendrin sollen die Staudämme entstehen. Sein Kampf ähnelt dem von
David gegen Goliath. Jemand, der die einfache Bevölkerung
informiert, aufrüttelt, organisiert, ist den Mächtigen ein Dorn
im Auge. Eine Zeitlang konnte der streitbare Pfarrer wegen
Morddrohungen nur noch mit Begleitschutz vor die Türe
treten. Aber das ficht den langhaarigen Gottesmann nicht an.
Denn er ist überzeugt, auf der richtigen Seite zu stehen.
Im Gegensatz zu den Fischern aus Pimental kennt Portes
die brutale Seite des janusköpfigen Fortschritts in Brasilien:
Großprojekte mehren den Reichtum finanzkräftiger Investoren aus dem In- und Ausland und spülen Geld in die Taschen korrupter Funktionäre. Die Betroffenen hingegen
spüren in der Regel wenige Verbesserungen. In Tucuruí entstand in den 90er Jahren einer der ersten Staudämme in
Pará. Bis heute haben viele Anrainerdörfer keinen Strom. Er
wird eingespeist ins nationale Netz und fließt in den Industriegürtel rund um São Paulo im Süden Brasiliens. Die An-
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DIE ARBEIT DER LANDPASTORALE CPT IN PARÁ
Pará ist der „wilde Norden“ Brasiliens. Der Bundesstaat ist
einer der unterentwickeltsten Brasiliens mit dem höchsten
Anteil an Landkonflikten. Besonders im Fokus der Landspekulanten ist seit etwa einem Jahrzehnt die 8,3 Millionen
Hektar große Region zwischen den Flüssen Xingú und Tapajós, die Terra do Meio, das Hauptarbeitsgebiet der CPT. Dort
leben viele indigene Völker und gibt es noch unberührte
Waldgebiete mit Edelhölzern – im Gegensatz zu den östlich
davon gelegenen Regionen, in denen die Zerstörung weit
voran geschritten ist. Die Urbarmachung des Regenwalds
folgt dabei immer ähnlichen Mustern: Kleinbauern werden
mit Versprechen auf Land angesiedelt und es werden
Straßen für sie gebaut. Ihnen folgt die Holzmafia, die selektiv die Edelhölzer schlägt. Daraufhin kommen die Viehzüchter, die den Regenwald abfackeln und ihn nach kurzer Nutzungszeit an Sojabauern oder Investoren von Großprojekten
verkaufen. Die Gewinnspanne von einer Etappe zur nächsten
kann bei mehreren hundert Prozent liegen. Legale Landtitel
besitzt normalerweise keiner der Beteiligten. Die Behörden
dulden das Verfahren der illegalen Landaneignung stillschweigend. Es ist derart verbreitet, dass es im Brasilianischen dafür sogar einen Fachbegriff gibt: „grilagem“.
In Abwesenheit funktionierender, staatlicher Institutionen
ist die Kirche ein wichtiger Gegenspieler skrupelloser Landlords, korrupter Staatsdiener und ausländischer Großkonzerne. Die Rechte der Bevölkerung zu verteidigen ist Kern der
Arbeit der Landpastorale CPT, die in Pará im Jahr 2007 gegründet wurde und von MISEREOR unterstützt wird. 80 Prozent der Siedler besitzen keine Landtitel und kaum Schulbildung, das macht sie zu einfachen Opfern der Landspekulanten. Mit einem Team von nur drei Mitarbeitern betreut Pfarrer João Carlos Portes ein Gebiet von 177.000 Quadratkilometern (doppelt so groß wie Portugal) mit rund 250.000
Einwohnern. Pimental gehört dazu, mit seinen 850 Einwohnern. Sie alle sollen für einen Staudamm umgesiedelt werden. CPT berät die Bevölkerung bei Landkonflikten, hilft
ihnen, Landtitel zu erstreiten, sich zu organisieren und gemeinsam ihre Rechte gegenüber dem Staat und Unternehmen zu verteidigen. Erster Schritt dabei ist Aufklärung und
Information über geplante Megaprojekte und ihre Auswirkungen auf die Bevölkerung. Es folgen Schulungen und Austauschbesuche, um die Bürgergruppen miteinander zu vernetzen. Je mehr sich zusammenschließen, desto größer das
Echo in den nationalen und internationalen Medien ist,
umso größer wird der Druck auf den Staat und die Chance,
dass die Menschen nicht völlig überfahren werden.
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„Für uns Munduruku ist
der Fluss unsere Mutter,
denn er gibt uns zu essen.
Aber in letzter Zeit sind
viele Goldgräber in unsere
Gegend gekommen und
die Fische sind weniger
geworden. Die paar, die
wir fangen, schmecken
nach Treibstoff.“
Kazike Juarez
vom Volk der Munduruku
aus Sawré Muybú
rainer werden mit vagen Versprechungen abgespeist und
landen in den Elendsgürteln der Städte, wo sie Opfer von
Gewalt, Ausbeutung und Missbrauch werden. „Man sieht es
derzeit beim Bau des Staudamms Belo Monte“, erzählt Portes. „Dafür wurde die große Schleife des Xingú-Flusses
trockengelegt. Dort buddeln jetzt kanadische Minen nach
Gold, während die 5.000 Indigene, denen die Lebensgrundlage entzogen wurde, nicht einmal als Geschädigte anerkannt sind.“ Wirtschaftlich verelendet und kulturell entfremdet sind sie zu Bettlern und Bittstellern geworden.
Unter den Baufirmen befinden sich mehrere, die derzeit
wegen Korruption vor Gericht stehen. Im Gegenzug für lukrative Staatsaufträge flossen Bestechungsgelder in die Kassen der PT und ihrer Koalitionspartner. Auch in der Stadt Altamira am Xingú, in der die Bewohner den Damm erst begrüßten, ist die Stimmung gekippt. Der Bau lockte 50.000
Wanderarbeiter an, die in prekären Verhältnissen hausen
und die Löhne drücken. Mit ihnen kamen Bordelle, Drogen
– und die Immobilienpreise explodierten. Diejenigen, die
für ihr Haus entschädigt wurden, finden für das Geld keine
entsprechende neue Bleibe mehr. Einer Umfrage zufolge
sehen 44 Prozent Belo Monte inzwischen negativ, gegenüber 43 Prozent, die den Damm positiv bewerten.
Während Pimental den Planungen zufolge ganz verschwinden soll, würde das weiter oberhalb am Fluss gelegene Indigenadorf Sawlé Muybú zur Insel werden. In seinen
47 Lebensjahren hat der dortige Kazike Juarez vom Volk der
Munduruku schon viel Kummer mit Eindringlingen gehabt – Kautschuk-Zapfer, Holzfäller, Goldsucher. 1991 beantragte er deshalb, sein Land offiziell zum Indianerschutzgebiet zu erklären, was die Behörden zumindest rechtlich zu
energischerem Eingreifen gezwungen hätte. Bis heute kam
Auch beim Volk der
Munduruku wächst
der Widerstand gegen
die Vernichtung von
Jagdgebieten. Kazike
Juarez steckt das Stammesgebiet mit Holzschildern ab und will
es zum Indianerschutzgebiet erklären lassen.
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keine Antwort aus der Hauptstadt Brasília. Das Energieministerium erklärte unlängst sogar, es gäbe gar keine Indigene
im Planungsgebiet. „Der Staat hat unserer Kultur den Krieg
erklärt“, glaubt Juarez. „Unsere heiligen Stätten würden verschwinden, unsere Fischgründe, unsere Jagdgebiete. Die Firmen versprechen uns dafür schöne Häuser in der Stadt,
Kühlschränke und Arbeitsplätze, aber so etwas brauchen
wir nicht“, sagt Juarez, der mit seinem Stamm schon einmal ein paar Jahre am Rande eines Dorfs weißer Siedler
lebte – bis er verstand, dass Alkohol, Müßiggang und Fernseher den Untergang seines Volks beschleunigten.
GEFAHR EINES VÖLKERMORDS
Dank einer von der Landpastorale finanzierten Reise zum
Damm von Belo Monte hat er mit eigenen Augen gesehen,
wie wenig dieser Versprechen Realität werden. Mit Hilfe der
Landpastorale haben die Munduruku vor Gericht gegen das
Projekt geklagt und eine Volksbefragung verlangt, wie sie
die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation
vorsieht. Brasilien hat das Abkommen zwar ratifiziert, aber
noch nie ein solches Plebiszit abgehalten. „Stattdessen beruft der Staat eine Versammlung ein, lässt die Anwesenden
unterzeichnen und informiert sie von dem Projekt, das
nennt sich dann öffentliche Audienz und gut ist‘s mit der
Bürgerbeteiligung“, schildert Portes. Juarez ist diese Welt
der Politik, der Schlipsträger und der Papiere ohnehin suspekt. Die Munduruku haben ihre eigenen Mittel. Neulich
nahmen sie eine Gruppe Biologen fest, die Studien für die
Umweltverträglichkeitsprüfung anstellten und sperrten sie
tagelang in einen Holzkäfig. Juarez malt Holzschilder, um
das Stammesgebiet damit abzustecken. Immer wieder konfrontieren Mundurukú in Kriegsbemalung und mit Pfeil
und Bogen die bewaffnete Staatsgewalt. Normalerweise ziehen sie dabei den Kürzeren. 2012 wurde ein Kazike ermordet.
Aber manchmal gibt es Lichtblicke: Kürzlich verbot ein
Bundesgericht die Ausschreibung der Staudämme am Tapajós, weil die Munduruku nicht befragt wurden. „Die systematische Missachtung der Lebensweisen der Indigenen
birgt die Gefahr eines Völkermords in sich“, steht in dem
Urteil. Es wird wohl nicht endgültig sein. Auch im längst im
Bau befindlichen Belo Monte folgt noch immer Prozess auf
Prozess. Aber nach dem Urteil wurde die Ende 2015 geplante Ausschreibung erneut auf unbestimmte Zeit verschoben. Juarez hat Zeit gewonnen, Santos auch.
Vielleicht sogar genug, um seinen größten
Die Lebensweise der
Traum zu verwirklichen: dem gerade geborenen
Indigenen wird systematisch missachtet,
Urenkel Heitor am Tapajós das Schwimmen beilautet ein Urteil des
zubringen.
Bundesgerichts. Vielleicht kann Heitor,
Urenkel von Raimundo
dos Santos, auch noch
am Fluss schwimmen
lernen.
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