Bekenntnis zum Mittelstand müssen Taten folgen

TITEL | FACHKRÄFTE | BILDUNG
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Bekenntnis zum Mittelstand müssen Taten folgen
„In sächsischen Unternehmen haben extremistische Bestrebungen
und jede Form von Fremdenfeindlichkeit keinen Platz.“
Dr. Jörg Brückner, Präsident der Vereinigung der Sächsischen Wirtschaft (VSW)
Dr. Jörg Brückner, seit Januar neuer Präsident der Vereinigung der Sächsischen Wirtschaft (VSW),
antwortet auf WJ-Fragen
WJ: Was sind Ihre Ziele als neuer VSW-Präsident
und Ihre Visionen für die sächsische Wirtschaft etwa
in den nächsten fünf Jahren?
Dr. Jörg Brückner: Die VSW wird ihren konsequenten
ordnungspolitischen Kurs und ihr Engagement für wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen fortsetzen. Dabei
müssen wir noch mehr über den sprichwörtlichen „Tellerrand“ blicken und zur Kenntnis nehmen, dass wir keinen
selbstverständlichen Anspruch auf unseren Wohlstand
haben, sondern dass wir diesen im internationalen Wettbewerb behaupten müssen. Hier ist es der stete Wandel
der Weltwirtschaft, der das Tagesgeschäft der Firmen
bestimmt und dessen Auswirkungen wir immer deutlicher
zu spüren bekommen, wie z. B. die Turbulenzen in China
oder Brasilien zeigen.
Erfolgreich bleiben wir nur, wenn wir unsere Innovationsfähigkeit erhöhen, um besser und schneller als die Konkurrenz zu sein. Der niedrige Euro-Kurs und das preiswerte Öl haben das zuletzt unterstützt, aber das sind keine
Faktoren auf die sich dauerhaft bauen lässt. Entscheidend
sind deshalb die Rahmenbedingungen an unserem Standort. Diese Erkenntnis muss noch viel mehr in die Köpfe,
dann würden manche Regulierungsvorhaben auch schnell
wieder in der Schublade verschwinden. Ich erwarte deshalb, dass sich das gern in Sonntagsreden gepflegte Bekenntnis zum Mittelstand auch in der politischen Realität der
Gesetzgebung widerspiegelt. Dafür werde ich mich verstärkt einsetzen.
Wie beurteilt die sächsische Wirtschaft die Aussichten für das Jahr 2016 insbesondere unter den
aktuellen Einflüssen von Flüchtlingskrise und Problemen in wichtigen Exportmärkten?
Mittlerweile erwirtschaften wir fast die Hälfte unseres Wohlstands im Ausland. Deshalb sehen die Unternehmen die
anhaltenden weltweiten Unsicherheiten, Krisen und Konflikte auch mit großer Sorge und sind äußerst zurückhaltend bei ihren Geschäftserwartungen. Es bleibt abzuwarten, wie sich beispielsweise China als wichtigster Exportmarkt entwickeln wird. Zuletzt hat der deutliche Rückgang
des dortigen Wirtschaftswachstums, der die Auftragsplanung schwierig macht und auch die Zahlungsmoral verschlechtert hat, die Unternehmen deutlich verunsichert.
8 | WirtschaftsJournal | März 2016
Beim Thema Flüchtlingskrise herrscht nach wie vor ein großes Durcheinander. Wir müssen hier klar trennen zwischen
Asylsuchenden, die wir aufgrund ihrer Notlage aufnehmen
müssen, und Zuwanderern, die wir als qualifizierte Fachkräfte brauchen. Das wird immer wieder vermischt und
führt zu falschen Erwartungen.
Mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die
Flüchtlinge unser Fachkräfteproblem nicht lösen und auch
nicht alle sofort in den Arbeitsmarkt integriert werden können, weil nicht nur Sprachkenntnisse, sondern auch andere Fähigkeiten fehlen, um Maschinen zu bedienen oder den
Arbeitsschutz zu verstehen. Sie müssen jetzt entsprechend
ihren Fähigkeiten und Kompetenzen ausgebildet werden,
wobei es keine Absenkung unserer Regeln und Normen
geben darf. Aber auch bei intensivster Förderung wird nicht
aus jedem Flüchtling ein Facharbeiter werden. Bis dahin
können sie nur einfache Tätigkeiten übernehmen, aber auch
diese werden mit fortschreitender Digitalisierung und Automatisierung weniger werden. Und da sind wir – das muss
man auch klar sagen – ganz schnell bei den hohen Kosten
an unserem Standort. Deshalb muss sich der Staat Gedanken machen, mit welchen Maßnahmen er die Menschen
zügig auf Ausbildung oder Arbeit vorbereiten will.
Entscheidend dafür ist auch, dass die Politik die richtigen
Rahmenbedingungen schafft, damit unser Wirtschaftsstandort erfolgreich ist. Zuletzt gab es aber nur zusätzliche Belastungen für die Unternehmen und mit den geplanten Gesetzen zu Werkverträgen und Zeitarbeit verlieren sie
erneut Flexibilität im härter werdenden globalen Wettbewerb. Damit steigt die Gefahr, dass Aufträge an die Konkurrenz gehen und es bei uns keine neuen Arbeitsplätze
gibt.
Staatsregierung und Wirtschaftskammern malen
ein zunehmend düsteres Szenario der Fachkräftesituation in Sachsen. Wie schätzt die VSW mit dem
Überblick über unterschiedliche Branchen die Lage
ein und welche Lösungsansätze verfolgt sie?
Das sehe ich nicht so. Es gibt immer wieder Fachkräfteengpässe in bestimmten Berufen und Regionen. Um das
zu verhindern, muss rechtzeitig gegengesteuert werden –
mit der entsprechenden Ausbildung, aber auch mit der
Möglichkeit der Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte.
Wie steht die VSW zur Forderung weiter Kreise der
ostdeutschen Wirtschaft, die Sanktionen gegen
Russland aufzuheben?
Wir haben die Sanktionspolitik von Anfang an kritisch gesehen, weil sich politische Konflikte nicht über Wirtschaftssanktionen lösen lassen. Auch hier haben sie nicht den
erhofften Erfolg gebracht, sondern vielmehr die politischen
Beziehungen verschlechtert. Das Denken in Schwarz-WeißKategorien wird den Konflikt sicher nicht lösen. Russland
ist und bleibt ein wichtiger wirtschaftlicher und strategischer Partner, wenn es darum geht, die globalen Herausforderungen zu lösen. Deshalb muss Russland auch wieder Mitglied der G 8 werden. Das ist das geeignete Format, um im diplomatischen Dialog Lösungen zu finden. Die
Politik sollte sich insgesamt um ein ausgewogeneres Vorgehen bemühen und ihre Anstrengungen intensivieren.
Dr. Jörg Brückner, Geschäftsführender
Gesellschafter der KWD Kupplungswerk
Dresden GmbH und Präsident der Vereinigung der Sächsischen Wirtschaft
(VSW).
Gibt es nach Ihrem Kenntnisstand spürbare Zeichen
dafür, dass die fremdenfeindlichen Aktionen im
Freistaat der Wirtschaft schaden?
Schaden nehmen Gesellschaft und Wirtschaft dort, wo
Rechtssicherheit fehlt. Wir sind irritiert, dass der Staat sein
Gewaltmonopol – gegen jede Form von Extremismus –
nicht in erforderlichem Maß durchsetzt und unmissverständlich für Recht und Ordnung sorgt. Das verunsichert
Investoren. Wir brauchen einen Staat, der Bürger und Unternehmen schützt und keinen rechtsfreien Raum zulässt.
Welche Erwartungen haben Sie diesbezüglich an
die Politik?
Die Politik muss die Realität zur Kenntnis nehmen und konsequent gegen die Ursachen vorgehen.
Der jüngste Mittelstandsbericht des Freistaates hat
erneut die Kleinteiligkeit sächsischer Unternehmen
als Wettbewerbsnachteil konstatiert. Wachstum
bzw. Kapitalbeschaffung gehen nicht selten mit
dem Einstieg oder der Übernahme durch fremde
Investoren einher. Ist dies aus Ihrer Sicht die Entwicklung in die richtige Richtung oder eher ein
Niedergang des einheimischen Mittelstands?
Ja, das ist die zentrale Frage: Wie schaffen wir es, dass
unsere Firmen größer werden? Die Kleinteiligkeit ist die
Ursache für eine niedrigere Wertschöpfung, Produktivität
und Löhne. Nicht Kampagnen, Allianzen, Tagungen, Kongresse und Umverteilungen aller Art helfen da, sondern
ausgehend von dieser übereinstimmenden Analyse das
Bemühen, Universitäten und Forschungseinrichtungen mit
den KMU zusammenzubringen. Damit wir uns nicht falsch
verstehen: Es geht nicht um eine Kontaktbörse, sondern
gemeinsam finanzierte Entwicklungsprojekte für neue Produkte und Verfahren, mit denen wir zu Top-Preisen auf den
Weltmärkten verkaufen können und nicht hinter einem
Preiskampf des Billigsten hinterher laufen – den wir letztlich doch verlieren würden.
Vielen Dank für das Gespräch.
n
Dr. Jörg Brückner
Geboren wurde er 1958 in Zwickau.
An der TU Dresden hat Jörg Brückner
Kraftfahrzeugtechnik studiert und
anschließend auf diesem Gebiet
promoviert. Sein beruflicher Werdegang begann im VEB Kupplungswerk Dresden. 1993 übernahm er
mit Partnern den Betrieb von der
Treuhand und ist heute Geschäftsführender Gesellschafter der KWD
Kupplungswerk Dresden GmbH. Seit
Januar dieses Jahres ist er zudem
Präsident der Vereinigung der
Sächsischen Wirtschaft e.V. (VSW),
nachdem er bereits seit 2014 dem
Arbeitgeberverband Sachsenmetall
vorsteht.
Jörg Brückner ist verheiratet und
hat zwei Kinder.
Was können und sollten Unternehmer tun, um den
bereits beschädigten Ruf Sachsens wieder aufzupolieren?
In sächsischen Unternehmen haben extremistische Bestrebungen und jede Form von Fremdenfeindlichkeit keinen
Platz. Solchen Tendenzen treten wir entschieden entgegen.
Offensichtlich ist noch nicht jedem klar, dass wir unseren
Wohlstand ganz entscheidend unseren Exporterfolgen verdanken. Damit das so bleibt, sind ein gesellschaftliches
Klima, das von Weltoffenheit und Toleranz geprägt ist, und
ein starker Rechtsstaat unabdingbar. Das ist dann auch die
Grundlage, damit wir wirtschaftlich weiter vorankommen
und den Menschen Perspektiven bieten können, die für
solche Aktionen gar keinen Raum lassen.
WirtschaftsJournal | März 2016 | 9