Kletecka-Pulker, Maria

Rechtliche Möglichkeiten zum
Schutz gegen aggressive
PatientInnen
Institut für Ethik und Recht in der Medizin
Dr. Maria Kletečka-Pulker
19.6.2015
Ausgangslage
Fehldiagnose: Linzer droht Ärzten mit Erschießen
Symbolbild / Bild: Fabry Das Einsatzkommando Cobra nahm einen 53-Jährigen fest, der gegenüber seiner Schwester angekündigt
hatte,
seine Ärzte und deren Familien zu erschießen.
10.09.2014 | 09:44 | (DiePresse.com)
.
Gewalt im Krankenhaus
§ 
§ 
§ 
§ 
§ 
§ 
Alkohol begünstigt gewalttätiges Verhalten
Gewalt geht mehrheitlich von Männern aus
Nachts ist das Risiko am höchsten
Frauen sind häufiger Opfer von Gewalt
Patienten fühlen sich nicht verstanden
Patienten haben das Gefühl der
Ungleichbehandlung
§  Verantwortlichkeiten sich für Patienten unklar
Stewig-Nitschke, A., 2012
Ausgangslage
Typisches Beispiel
Sachverhalt:
Der Patient wird nach einem Unfall, bei dem er sich am Kopf
verletzt hat, in das Krankenhaus gebracht. Er ist schwer
alkoholisiert und verweigert aufgrund der Alkoholisierung
oder aufgrund der Bewusstseins-trübung nach Schädel-HirnTrauma die notwendige Diagnostik und Behandlung
à Notwendig wäre insbesondere die Abklärung einer
potentiellen intracraniellen Blutung
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Probleme
§  Der Patient kann nicht wirksam in eine
Behandlung einwilligen
§  Der Patient kann nicht wirksam einen Revers
unterschreiben
§  Der Patient ist vielleicht auch aggresiv
§  Unter Umständen kann er nur unter Anwendung
von Zwang zum Bleiben bzw zum Dulden von
Untersuchung und Behandlung bewogen werden
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Relevante Tatbestände des Strafrechts
„ZU WENIG“
„ZU VIEL“
§  Freiheitsentziehung
§ 99 StGB
§  Nötigung
§ 105 StGB
§  Eigenmächtige Heilbehandlung
§ 110 StGB
n 
n 
Fahrlässige Körperverletzung/Tötung
durch Unterlassen
§§ 2 iVm 80 und 88
StGB
Unterlassung der
Hilfeleistung
§ 95 StGB
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Grundsätzliches
•  Selbstbestimmung – Fürsorge iFv Zwang
•  Wieviel Freiheit ist möglich, wieviel Fürsorge ist
erforderlich?
Wieviel Zwang um Ziele durchzusetzen?
•  Frage der Selbstgefährdung - Schutz vor sich selbst?
(Extremraucher, Extremsportler)
•  Freiheit = Risiko
§  Rechtsordnung schützt grundsätzlich die Privatautonomie und
die Selbstbestimmung
•  § 99 StGB: Freiheitsentziehung
•  § 110 StGB: eigenmächtige Heilbehandlung
•  § 105 StGB: Nötigung
Rechtfertigung von Zwang
§  Jede Zwangsausübung ist daher rechtfertigungsbedürftig
§  Die Rechtsordnung enthält einige Rechtfertigungsmöglichkeiten
§  Gesetzliche Zwangsbefugnisse
• 
• 
• 
• 
insb HeimAufG, UbG
Strafvollzugsrecht
Suchtmittelgesetz
Seuchenrecht
§  Vertragliche Schutzpflichten
§ 
Allgemeine Rechtfertigungsgründe
§  Familienrechtliche Entscheidungs- und Zwangsbefugnisse
•  Kindschafts-, Vormundschafts- und Sachwalterrecht
Vertragsabschluss – Freiwilligkeit
§  Grundsätzlich keine Pflicht Behandlungsvertrag
abzuschließen
§  AUSNAHMEN:
§  Behandlungspflicht:
•  Nur in folgenden Fällen
-  unbedingt notwendige erste ärztliche Hilfe (§ 23 Abs 1
KAKuG)
-  Erste Hilfe im Falle drohender Lebensgefahr (§ 48 ÄrzteG)
-  beachte auch § 6 Abs 2 HebG, § 4 Abs 3 GuKG
-  beachte privatrechtliche Vereinbarung mit
Sozialversicherungsträger
§  Behandlungszwang – siehe später
Behandlungsablehnung
§  Grenzen der Behandlungspflicht
•  Widerruf des Patienten oder Nichteinwilligung
•  Fehlende Indikation
•  Tod des Patienten
§  Behandlungsabbruch und – unterlassung
•  Rechtlich gleichwertig
§  Patient kann seine Einwilligung jederzeit formlos
widerrufen oder überhaupt verweigern
Behandlungszwang
§  Aufnahme bzw Behandlung gegen den Willen eines
Patienten nur:
•  Unterbringung (nur Zwangsanhaltung)
•  im Strafvollzug
•  Tuberkulose oder EpidemieG
§  HeimAufG
Behandlung ohne Behandlungsvertrag
•  uU bei Notfällen, Unterbringung etc
•  Rechte und Pflichten aus gesetzlichem Schuldverhältnis
(GOA)
Sturz aus dem Fenster
§  Herr A zog sich bei einem Schiunfall ein Schädelhirntrauma mit einem offenen
Schädeltrümmerbruch und einer Nasenbeinfraktur zu. Er wurde auf der
neurochirurgischen Intensivstation behandelt. Laut Pflegebericht ergaben sich
zunächst keine psychischen Auffälligkeiten.
§  Am 8. 1. 2000 erhielt Herr A eine Ampulle Psyquil, ein Neuroleptikum, das
verabreicht wird, wenn ein Patient motorisch unruhig ist.
§  Am 9. 1. 2000 war Herr A, von dem das Pflegepersonal den Eindruck hatte, dass er
zeitlich und örtlich sowie zur Person orientiert sei, in der ersten Tageshälfte "sehr
schläfrig". Bis dahin hatte sich sein Gesundheitszustand so weit gebessert, dass
seine Verlegung von der Intensivstation auf die Normalstation ins Auge gefasst
wurde, jedoch wegen Platzmangels unterblieb.
§  Gegen 1.00 Uhr des 10. 1. 2000 begleitete ein Diplomkrankenpfleger Herrn A auf
die Toilette in dem von dessen Bett etwa 20 m entfernten Badezimmer. Während
Herr A seine Notdurft verrichtete, wartete der Pfleger vor der halb geöffneten Tür
des Bades. Plötzlich hörte er Schreie und musste feststellen, dass Herr A aus dem gegen Öffnen nicht gesicherten - Toilettenfenster gesprungen war.
Schutzpflicht aus dem Behandlungsvertrag
§  Der Rechtsträger einer Krankenanstalt ist aufgrund des
Behandlungsvertrags verpflichtet:
=> die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, damit der Patient durch andere
Patienten, durch Besucher, durch die technischen Einrichtungen zur
Heilbehandlung und Pflege und durch die sonstigen betrieblichen Anlagen
in seiner körperlichen Unversehrtheit nicht zu Schaden kommt.
§  Aus allgemeinen Verkehrssicherungspflichten ist der Rechtsträger ua
verpflichtet, insb auch die Krankenzimmer samt Bädern und Toiletten in
einem verkehrssicheren und gefahrlosen Zustand zu erhalten.
Schutzpflicht aus dem
Behandlungsvertrag
Zusammenfassung:
Behandlungsvertrag umfasst auch Sicherungspflicht zum
Schutz des Patienten vor Schädigungen durch ihn selbst
Grenzen der Sicherungspflicht:
Erforderlichkeit
Zumutbarkeit für Personal und Patienten
Vorhersehbarkeit der Gefahr
Abwägung mit Therapiezwecken und menschenwürdiger
Alltagsgestaltung
Weitere Schutzpflichten
§  Gegenüber Besuchern und Begleitern des
Patienten
•  Wenn durch Reinigung Gefahrenquelle – notwendige
Vorkehrungen erforderlich (Absperrungen,
Hinweisschilder)
§  Neben vertraglicher Schutzpflicht
§  In bestimmten Fällen allgemeine
Verkehrssicherungspflicht
§  zB §§ 1293 ff ABGB
Allgemeine Rechtfertigungsgründe
§  Einwilligung des Betroffenen
§  Notwehr und Nothilfe
§  Rechtfertigender Notstand
•  Bei unmittelbar drohender Gefahr für höherwertige
Rechtsgüter
§ 110 StGB:
Eigenmächtige Heilbehandlung
Wer einen anderen ohne dessen Einwilligung
behandelt, ist zu bestrafen
Rechtfertigungsgrund: Der Täter ist nicht zu
bestrafen, wenn die Einwilligung nicht eingeholt
wurde, weil ansonsten Leben oder Gesundheit des
Behandelten ernstlich gefährdet wären
Privatanklagedelikt: Der Täter ist nur auf Verlangen
des eigenmächtig Behandelten zu verfolgen
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§ 3 Notwehr/Nothilfe
§  Abwehrhandlung bei
§  gegenwärtigem oder unmittelbar drohendem
rechtswidrigen Angriff
§  auf Leben, Gesundheit, körperliche
Unversehrtheit, Freiheit, Vermögen
§  wenn nicht nur ein geringer Nachteil droht und
§  die Abwehr angemessen ist
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§ 3: Notwehr
ANGREIFER
Angriff
Notwehr
Gegenwärtig od.
unmittelbar
drohend
Nicht unangemessen
schonendstes Mittel
OPFER
Notwehrfähiges Rechtsgut
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§ 3: Nothilfe
ANGREIFER
Notwehr
HELFER
Angriff
OPFER
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Rechtfertigender Notstand
§  Abwehr eines unmittelbar drohenden und
bedeutsamen Nachteils für ein Rechtsgut
§  Handlung ist das einzige Mittel, um das Rechtsgut
zu retten
§  Höherwertigkeit des geretteten Rechtsguts
§  Abwehr ist nicht unangemessen
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Rechtfertigender Notstand
Leben bzw.
Gesundheit
PATIENT
Freiheit
HELFER
Die Wertungen des rf. Notstandes kommen auch bei
interner Güterkollision zur Anwendung, also bei
Identität des Rechtsgutsträgers von bedrohtem und
errettetem Rechtsgut.
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Mutmaßliche Einwilligung
Kann der Rechtsgutträger nicht einwilligen, so
entspricht es seinem vermuteten Interesse, das
höherwertige zulasten des geringerwertigen Guts zu
retten
= Mutmaßliche Einwilligung
Cave bei mutmaßlicher Einwilligung
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OLG Wien, ZVR 1992/29
Sachverhalt:
Mitfahrerin in PKW ist schwer alkoholisiert, bei
Anhalten auf der Autobahn verweigert sie die
Weiterfahrt und bringt sich aufgrund ihrer
Alkoholisierung in Lebensgefahr
à Sie durfte mit maßhaltender Gewalt wieder in
den PKW gebracht werden
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Beispiel rechtfertigender Notstand
§  Bedeutsamer Nachteil für Leben bzw Gesundheit
drohte unmittelbar
= Handlung „hier & jetzt“ ist das letzte Mittel, um
die Gefahr entschärfen zu können
§  Höherwertigkeit gegeben
§  Gelindestes Mittel
§  Nicht unangemessen
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Private Sicherheitsdienste
§  MitarbeiterInnen privater
Sicherheitsdienstleistungsunternehmen arbeiten eigentlich
im Rahmen des Hausrechtes (Artikel 9 Staatsgrundgesetz)
und des „Jedermannsrechtes“ (Zivil- und Strafrecht)
•  Das Strafrecht beschreibt Notwehr, Nothilfe und Notstand
•  Die Strafprozessordnung definiert das Anhalterecht
•  Das Zivilrecht beschreibt das Hausrecht und das Allgemeine
Selbsthilferecht
•  Nur bei begründetem Verdacht einer gerichtlichen strafbaren
Handlung kann die Person bis zum Eintreffen der Polizei
„verhältnismäßig“ angehalten werden (Anhalterecht gem. § 80 Abs
2 StPO).
Neue Entscheidung
OGH 17. 9. 2014, 7 Ob 119/14x.
§  Keine Auslagerung an Sicherheitsdienste
•  von diagnostischen und/oder therapeutischen
Tätigkeiten
•  Tätigkeiten im Rahmen der Pflege
•  => ist gesetzlich geregelten Gesundheitsberufen
vorbehalten
§  Das Anlegen einer Vier-Punkt-Fixierung dient - ebenso
wie das vorangehende Festhalten des Kranken - der
Ermöglichung medizinischer oder pflegerischer
Maßnahmen und gehört daher zur psychiatrischen
Gesundheits- und Krankenpflege. Damit ist bereits das
Festhalten als eine Pflegehandlung dem Pflegepersonal
nach dem GuKG vorbehalten.
Private Sicherheitsdienste
§  Es muss immer das gelindeste Mittel eingesetzt werden:
§  Verbale Wegweisung – Mehrmalige Aufforderung den Bereich zu
verlassen
§  Wegweisung durch Einsatz von körperlicher Kraft – Drängen,
Schieben, eventuell Tragen (Keine Körperverletzung, ohne Gewalt und
Druckausübung)
§  Bei der Durchsetzung der Hausordnung besteht kein Anhalterecht!
§  Nur bei begründetem Verdacht einer gerichtlichen strafbaren
Handlung kann die Person bis zum Eintreffen der Polizei
„verhältnismäßig“ angehalten werden (Anhalterecht gem. § 80 Abs 2
StPO).
Präventions-Checkliste für mehr Sicherheit
von MitarbeiterInnen und PatientInnen
im Gesundheitsbereich
§ Halten Sie Gewalt für möglich und entscheiden Sie sich für Selbstschutz.
§ Wenn Sie oder ein/e MitarbeiterIn bedroht werden, stoppen Sie sofort Ihr
therapeutisches Tun.
§ Sprechen Sie wachsende Aggression im Team und im Umgang mit PatientInnen
sowie Angehörigen an.
§ Analysieren Sie Flucht- und Deckungsmöglichkeiten.
§ Installieren Sie einen Notfallknopf in Reichweite.
§ Ihre wichtigste Abwehrmöglichkeit ist Ihre Kommandostimme.
§ Lernen Sie Deeskalationsstrategien.
§ Proben Sie Ernstfälle, um vorbereitet zu sein!
§ Überprüfen Sie, ob Sie ausreichend versichert sind (Unfall,
Betriebsunterbrechung, Rechtsschutz).
§ Wenn es um Ihr Leben geht, dann kämpfen Sie!
Quelle: Vortrag Bildungstag „Körperliche Sicherheit von MitarbeiterInnen und PatientInnen im Gesundheitsbereich“, 7. Mai 2014,
Wien, modifiziert nach folgender Vorlage: www.springermedizin.de/vom-helfer-zum-opfer-gewalt-gegen-aerzte/4435418.html#CR2 ,
Artikel: Bedroht, beschimpft, geschlagen, Vom Helfer zum Opfer: Gewalt gegen Ärzte
www.plattformpatientensicherheit.at
Schlussfolgerungen
§  Einsichts- und Urteilsfähigkeit immer konkret
prüfen
§  Jeder einsichts- und urteilsfähiger Patient kann
sich grundsätzlich selbst gefährden
§  immer das gelindeste Mittel anwenden (Planung
im Vorfeld: wen kann ich zuziehen…?)
§  Relation zur drohenden Gefahr herstellen
§  Dokumentieren!
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Danke für die Aufmerksamkeit!