Unia Zentralsekretariat Abteilung Vertrags- und Interessengruppenpolitik Weltpoststrasse 20 CH-3000 Bern 15 T +41 31 350 21 11 F +41 31 350 22 11 http://www.unia.ch Unia Zentralsekretariat, Abteilung Vertrags- und Interessengruppenpolitik, Weltpoststrasse 20, CH-3000 Bern 15 Staatssekretariat für Migration SEM Hanspeter Blum Stabsbereich Recht Quellenweg 6 3003 Bern-Wabern Stellungnahme Gewerkschaft Unia zum Entwurf Ausführungserlass zum revidierten Bürgerrechtsgesetz 18. November 2015 Sehr geehrte Damen und Herren Besten Dank für Ihre Einladung zur Stellungnahme. Wir nehmen gerne die Gelegenheit wahr, uns zur geplanten Verordnung des revidierten Bürgerrechtsgesetzes zu äussern. Wir möchten zuerst einige allgemeine Bemerkungen zum Verordnungsentwurf machen, bevor wir zu ausgewählten Artikeln noch etwas detaillierter Stellung nehmen. Chance auf ein zeitgemässes Bürgerrechtsgesetz verpasst Das heutige gültige Bürgerrechtsgesetz stammt aus dem Jahr 1952. Eine letzte Teilrevision gab es 1992. Die Totalrevision des Bürgerrechtsgesetzes war somit längst fällig. Sie wäre eine Chance gewesen, das Gesetz auf die heutigen Realitäten der Schweiz anzupassen, den wichtigen Beitrag der Migrantinnen und Migranten anzuerkennen und das Einbürgerungsverfahren einfacher und transparenter zu gestalten. Die heutige Schweiz bräuchte ein kohärentes Bürgerrechtsgesetz, welches eine diskriminierungsfreie Einbürgerung sichern würde. Die Gewerkschaft Unia hat in den letzten Jahren immer wieder ein faires und kohärentes Einbürgerungsgesetz gefordert. Leider wurde diese Chance mit dem neuen Bürgerrechtsgesetz und dem vorliegenden Verordnungsentwurf verpasst. Einbürgerung ist ein Meilenstein zur Integration, nicht ihr Abschluss Es liegt im Interesse eines direktdemokratischen Staates wie der Schweiz, auch Menschen ohne Schweizer Pass politische Mitbestimmung zu ermöglichen. Dass ein Viertel der Schweizer Bevölkerung, obwohl sie hier lebt und allen Pflichten, wie Steuern zahlen, nachkommt, nicht an der politischen Entscheidungsfindung teilnehmen kann, ist ein grosses demokratisches Defizit, das es zu lösen gilt. Eine rasche Einbürgerung würde dieses Defizit teilweise aufheben. Wer in die Gestaltung der Gesellschaft eingebunden wird, fühlt sich auch als Teil derselben. Das entgegengebrachte Vertrauen stärkt die Bindung. Einbürgerung sollte deshalb nicht als Abschluss der Integration angesehen werden, sondern als Bestandteil des Integrationsprozesses. Ein Umdenken in diese Richtung wäre aus Sicht der Gewerkschaft Unia wünschenswert gewesen. Leider ist eher das Gegenteil der Fall wie der erläuternde Bericht ganz klar zeigt: Menschen, die Stellungnahme Gewerkschaft Unia zum Entwurf Ausführungserlass zum revidierten Bürgerrechtsgesetz 2/4 sich einbürgern lassen wollen, sollen die „höchsten Anforderungen an die Integration“ gerecht werden können. Ein kohärenter, transparenter und diskriminierungsfreier Einbürgerungsprozess Für die Gewerkschaft Unia muss ein zeitgemässes Bürgerrechtsgesetz einheitlich und kohärent sein und somit die Chancengleichheit garantieren und Diskriminierung vorbeugen. Die Kriterien sollten in allen Gemeinden und Kantonen, die gleichen sein. Sie müssten sachlich und klar sein, d.h. von verschiedenen Personen und Ämtern gleich bewertet werden. Chancengleichheit kann ausserdem nur gesichert werden, wenn die Kriterien und das Verfahren transparent ist und von Beginn weg den Interessierten erklärt und offen gelegt wird. Leider wurde auch dies mit der geplanten Umsetzung des neuen Bürgerrechtsgesetzes verpasst. Das Verfahren wird nicht klarer, einheitlicher und objektiver, sondern wird für die Bewerberinnen und Bewerber ein immer schwerer zu überwindender Marathon mit teilweise unnötigen Umwegen. Angesicht dieser Tatsache ist die Reduktion der Wohnsitzfrist von 12 auf 10 Jahre ein sehr kleiner Schritt nach vorne. Integrationskriterien lassen zu viel Spielraum Die Konkretisierung der Integrationskriterien wäre grundsätzlich richtig, um mehr Klarheit und Transparenz zu schaffen. Die im Gesetz und dem Verordnungstext vorgeschlagenen Integrationskriterien sind aber nicht klar genug, um ein faires Verfahren zu ermöglichen. Deren Konkretisierung lässt weiterhin sehr viel Ermessenspielraum zu. Ausserdem ist die Aussagekraft gewisser Kriterien bezüglich dem „Integrationsgrad“ äusserst fraglich. Privilegierte Schichten werden bevorzugt Ganz allgemein lehnen wir ab, dass der gesamt Gesetzestext und Verordnungsentwurf eine kleine privilegierte Schicht bevorzugt. Wir haben bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die Niederlassungsbewilligung als Voraussetzung für die Einbürgerung nicht die am besten integrierten „belohnt“, sondern lediglich einer privilegierten Gruppe den Vorzug gibt. Viele Menschen ohne Schweizer Pass leben lange Zeit mit einer F- oder B-Bewilligung in der Schweiz und sind, wie jene mit C-Bewilligung, Teil der Schweizer Gesellschaft. Auch Arbeitslosigkeit oder Sprachkenntnisse unter dem Niveau B1 sind nicht gleichbedeutend mit schlechter Integration. Gut ausgebildete Menschen werden durch diese Ausschlusskriterien gegenüber Working Poor oder weniger gut Ausgebildeten bevorzugt. Im Folgenden möchten wir auf einzelne, ausgewählte Bestimmungen eingehen. Artikel 2 Vertrautsein mit den schweizerischen Lebensverhältnissen Diese materielle Voraussetzung ist äusserst vage definiert und unnötig. Wer integriert ist, kennt sich zwangsläufig mit den Schweizer Lebensverhältnissen aus. Bst. a) bis c) gilt es deshalb zu streichen. Artikel 4 Beachtung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung Hier hat der Verordnungstext unnötige Erweiterungen eingeführt. Unserer Meinung ist davon auszugehen, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung beachtet wird, wenn das Strafregister des Bundes keine ungelöschten Einträge enthält. Weitere Bestimmungen sind unnötig und können zu unverhältnismässigen Entscheiden führen. Sie sind deshalb zu löschen. Zu löschen ist insbesondere auch Absatz 2. Hier möchte der Gesetzgeber offensichtlich bereits präventiv wirken. Das ist weder verhältnismässig noch aussagekräftig, und der Ermessenspielraum hier ist zu gross. Stellungnahme Gewerkschaft Unia zum Entwurf Ausführungserlass zum revidierten Bürgerrechtsgesetz 3/4 Artikel 5 Respektierung der Werte der Bundesverfassung Die Werte der Bundesverfassung sind zu achten, indem man sich an die geltenden Gesetze hält. Darüber hinaus bekommt die Aufzählung einiger Werte, an die sich Einbürgerungswillige offenbar speziell zu halten haben, etwas Willkürliches. Ausserdem ist die Überprüfung von Werthaltungen schwierig und die Verordnung lässt den Behörden einen enormen Ermessenspielraum. Da wir den Sinn und Zweck der Loyalitätserklärung nicht zu erkennen vermögen, lehnen wir die Einführung einer solchen Erklärung ab. Artikel 6 Sprachnachweis Sprachkenntnisse sind fraglos wichtig, um sich in einer Gesellschaft besser zurecht zu finden und sich beruflich weiterzubilden. Menschen können aber gesellschaftlich auch dann sehr gut integriert sein, wenn sie kein hohes Sprachniveau haben. Das relativ hohe Sprachniveau B1 diskriminiert Menschen, die bildungsfern sind, die erst als Erwachsene in die Schweiz gekommen sind und keine gute Schulausbildung im Heimatland genossen haben. Es diskriminiert eine ganze Gruppe von Migrantinnen und Migranten, nämlich diejenigen, die für wenig Geld in der Schweiz hart arbeiten und deswegen weder die Zeit noch das Geld haben, jahrelang Sprachkurse zu belegen. Mit dem Fide-Sprachkonzept hat der Bund selber einen Sprachenpass ausarbeiten lassen, der für Bildungsungewohnte sinnvoller und besser erreichbar ist als die durch das europäische Referenzsystem festgelegten Kompetenzniveaus. Wir erwarten deshalb, dass vom FideSprachenpass ausgegangen wird und schriftlich maximal ein A2 für die Einbürgerung verlangt wird. Artikel 7 Teilnahme am Wirtschaftsleben oder am Erwerb von Bildung Die meisten Migrantinnen und Migranten, die sich einbürgern lassen wollen, haben jahrelang gearbeitet, im Betrieb oder in der Familie. Migrantinnen und Migranten sind aber oft die ersten, die ihren Job verlieren, wenn es Umstrukturierungen in der Wirtschaft gibt. Ausserdem erschweren Diskriminierung aufgrund ihrer Herkunft, des Aufenthaltsstatus, nicht anerkannter Kompetenzen oder Abschlüsse, fehlendes Netzwerk und Kontakte die Stellensuche. Es ist deshalb unverhältnismässig, Migrantinnen und Migranten, die arbeitslos sind, mit der Verweigerung der Einbürgerung zu bestrafen. Der Verordnungstext muss deshalb so umformuliert werden, dass ernsthafte Bemühungen eine Arbeitsstelle zu finden als Nachweis für die Teilnahme am Wirtschaftsleben ausreichen. Absatz 3 gilt es absolut zu streichen. Damit werden lediglich Working Poor und besonderes verletzliche Menschen bestraft. Artikel 8 Förderung der Integration der Familienmitglieder Dieser Artikel ist zu streichen, denn es ist unklar und vage formuliert. Bst. a) bis d) gilt es zu streichen. Artikel 9 Abweichung von den Integrationskriterien Dieser Artikel ist sicherlich wichtig, um verhältnismässig die Situation des Bewerbers oder der Bewerberin zu beurteilen. Jedoch geht der vorgesehen Verordnungstext zu wenig weit. Der Artikel mit einem neuen Absatz ergänzt werden, der explizit verlangt, dass bei der Beurteilung der Integrationskritierien, dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit und dem Grundprinzip der NichtDiskriminierung Rechnung getragen wird. Abschliessend möchten wir nochmals festhalten, dass wir uns ein harmonisiertes, klar formuliertes und faires Einbürgerungsverfahren gewünscht hätten. Leider genügt der geplante Verordnungstext diesen Anforderungen nicht. Wir erwarten, dass dem Prinzip der Verhältnismässigkeit sowie Nichtdiskriminierung genügend Rechnung getragen wird und dies im Verordnungstext explizit festgehalten wird. Stellungnahme Gewerkschaft Unia zum Entwurf Ausführungserlass zum revidierten Bürgerrechtsgesetz 4/4 Freundliche Grüsse Rita Schiavi Mitglied der Geschäftsleitung Unia Aurora García Abt. Vertrags- und Interessengruppenpolitik
© Copyright 2024 ExpyDoc