Servicerobotik: Deutschland verpasst Zukunftsmarkt

Presseinformation
Servicerobotik: Deutschland verpasst Zukunftsmarkt
EFI: Serviceroboter das Wachstumsfeld der Zukunft – Robotik auf dem Sprung aus den
Fabriken – Förderung neu gestalten – Aus- und Weiterbildungsanstrengungen notwendig
Berlin, 17. Februar 2016 – In ihrem jüngsten Jahresgutachten, das am 17. Februar der
Bundeskanzlerin in Berlin übergeben wurde, geht die Expertenkommission Forschung und
Innovation (EFI) auch auf gravierende Veränderungen in dem Innovationsfeld „Robotik“ ein.
„Nach rund 50 Jahren Einsatz von Robotern in der industriellen Fertigung und dort vorrangig
in der Automobilproduktion stehen wir vor ihrem Sprung in weitere Bereiche der
Gesellschaft“, so Prof. Ingrid Ott vom Karlsruher Institut für Technologie und Mitglied der
Kommission. „In der jüngsten Vergangenheit hat es bedeutende technische Fortschritte in der
Robotik gegeben. Dadurch werden Industrieroboter nicht nur immer kleiner, leichter, billiger
und flexibler im Einsatz, sondern sie verlassen auch zunehmend die Sicherheitsräume in der
Massenproduktion und arbeiten direkt mit Menschen zusammen.“
In Deutschland werde das Potenzial moderner Roboter jedoch bislang nicht hinreichend
ausgeschöpft: Deutschland sei zwar im internationalen Vergleich beim Robotereinsatz in der
industriellen Fertigung – insbesondere im Fahrzeugbau – derzeit gut aufgestellt. „Außerhalb
des verarbeitenden Gewerbes ist die Zahl der genutzten Roboter heute jedoch noch
ausgesprochen gering“, so Ingrid Ott. „Diese Fokussierung auf die Industrie verstellt jedoch
die Sicht auf aktuelle Robotik-Entwicklungen und damit die Potenziale verbundener
Technologien für deren Einsatz im Servicebereich.“ Der verengte Blick auf das produzierende
Gewerbe sei auch deshalb gefährlich, weil mittlerweile die Dienstleistungsbranche in
Deutschland fast 74 Prozent aller Erwerbstätigen beschäftige: „Und hier steht die
Automatisierung erst an ihrem Anfang.“
Sogenannte Serviceroboter, die beispielsweise in der klinischen Pflege assistieren, als
logistische Systeme Transportaufträge abwickeln oder in Geschäftsräumen und Privathaus-
halten Reinigungsarbeiten verrichten, „werden mit ihren neuen Einsatzgebieten in Deutschland von der Politik bisher wenig wahrgenommen. Und das, obwohl sie schon in wenigen
Jahren ein höheres weltweites Marktvolumen erreichen werden als die klassische
Industrierobotik. Gleich mehrere global agierende Unternehmen schicken sich mit massiven
Forschungsanstrengungen an, robotische Assistenzsysteme in allen Lebensbereichen zu
verankern.“ Prof. Ott verwies darauf, dass beispielsweise Google zwischen Dezember 2013
und April 2014 innerhalb kürzester Zeit acht Robotik-Firmen aufgekauft habe, „obwohl
keines der Unternehmen zuvor in nennenswerter Zahl Systeme verkauft hatte.“ Google sehe
in modernen Roboter-Assistenten „nicht nur die Hilfe für die Menschen, sondern zugleich
auch die ‚Datensammler der Zukunft’!“
Nach neuesten Zahlen wurden 2014 noch zehnmal mehr Industrieroboter verkauft als
gewerbliche Serviceroboter (etwa 230.000 zu 24.000 Einheiten), man dürfe jedoch die
Dynamik dieses neuen Marktes auf keinen Fall unterschätzen: „Marktprognosen besagen,
dass die Servicerobotik die Industrierobotik hinsichtlich des weltweiten Marktvolumens
bereits um das Jahr 2020-2025 einholen wird.“
Bedenklich ist für die Expertenkommission, dass die Förderung der Robotik in Deutschland
noch ausgesprochen fragmentiert, mit geringen Mitteln und mit Fokus auf industrielle
Anwendungen erfolgt. Deutschland drohe damit nicht nur den Anschluss an die führenden
Robotik-Nationen, insbesondere die USA, zu verlieren. Im Bereich der Grundlagenforschung
haben sowohl Südkorea als auch China Deutschland bereits überholt. In der
Anwendungsforschung holen beide Länder rapide auf – und zwar nicht nur in der
Industrierobotik, sondern insbesondere auch in der Servicerobotik. Prof. Ott untermauert den
Aufholprozess am Beispiel des Einsatzes von Industrierobotern in China: „2011 hatte China
einen Bestand von nicht mehr als etwa 45.000 Einheiten, während Deutschland einen Bestand
von knapp 143.000 hatte. In nur drei Jahren hat China mit einem dramatischen Wachstum
(plus 218 Prozent) nahezu an den Bestand Deutschlands aufgeschlossen.“ Die
Expertenkommission unter dem Vorsitz von Prof. Dietmar Harhoff vom Max-Planck-Institut
für Innovation und Wettbewerb mahnte daher nachdrücklich an, „die Förderung der Robotik
grundlegend zu überdenken und Kräfte zu bündeln“.
Gleichzeitig seien Bedenken der Bevölkerung auszuräumen, dass durch zunehmenden
Robotik-Einsatz Beschäftigungschancen oder Löhne gesenkt werden. Prof. Uschi BackesGellner von der Universität Zürich und Mitglied der Expertenkommission führte dazu aus:
„Wie die Vergangenheit zeigt, hat technologischer Fortschritt insgesamt immer mehr
Arbeitsplätze und Wohlstand geschaffen.“ Technischer Fortschritt bedeute, dass sich Berufe
ändern, aber nicht notwendigerweise ganz verschwinden. In vielen Berufen steige sogar die
Produktivität der Arbeitnehmer durch technologischen Fortschritt. „Deutschlands
Arbeitsmärkte waren insbesondere dank des dualen Berufsbildungssystems mit seiner
regelmäßigen Aktualisierung der Lehrpläne besser als jene im angelsächsischen Sprachraum
in der Lage, erforderliche Anpassungsprozesse zu meistern“, erklärt Prof. Backes-Gellner
abschließend. „Damit dies weiter gelingt, sind allerdings auch weiterhin kontinuierliche
Aktualisierungen in der Berufsbildung erforderlich. Gleichzeitig sind in Zukunft systematisch
mehr Weiterbildungsanstrengungen notwendig, um flexibel auf sich wandelnde
Tätigkeitsprofile reagieren zu können.“
Die Abbildungen und die dazugehörenden Daten finden Sie hier:
http://tinyurl.com/EFI-2016
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Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) mit Sitz in Berlin leistet
wissenschaftliche Politikberatung für die Bundesregierung und legt regelmäßig Gutachten zu
Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands vor. Wesentliche
Aufgabe der EFI ist es dabei, die Stärken und Schwächen des deutschen Innovationssystems
im internationalen und zeitlichen Vergleich zu analysieren und die Perspektiven des
Forschungs- und Innovationsstandorts Deutschland zu bewerten. Auf dieser Basis entwickelt
die EFI Vorschläge für die nationale Forschungs- und Innovationspolitik.
Für Presseanfragen:
Dr. Helge Dauchert
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