Liebe Brigitte, Liebe Erna, Lieber Thomas, Lieber Chris, Liebe Politikerinnen und Politiker, Liebe Leute aus der Verwaltung, Liebe Netzwerkende, Liebe Freundinnen und Freunde, Liebe Gäste, vielen Dank an die Geschäftsführung der IG CSD Stuttgart, dass ich die Gelegenheit erhalte, hier den Fossilienteil einzubringen. Als Chris mich angesprochen hat, ging es darum, dass für den 15. Geburtstag der IG CSD noch jemand spricht, der Geburtshelfer war. Dem konnte ich mich schlecht entziehen, stammen doch wesentliche Teile der Vereinssatzung aus meiner Feder. Der Überlegung zur Geburt der IG CSD lagen finanzielle und organisatorische Ursachen zugrunde. Der CSD Südwest 2000, der seinerzeit von der ihs ausgerichtet wurde, hätte beinahe dazu geführt, dass die ihs Insolvenz anmelden musste. Nur durch eine großzügige Unterstützung von Stuttgart Marketing konnte seinerzeit verhindert werden, dass die älteste Stuttgarter Homosexuellenorganisation sich hätte auflösen müssen. Bei einer durchaus angedachten Wiederholung des CSD’s sollte deshalb unbedingt vermieden werden, dass eine etablierte und schon damals aus öffentlichen Geldern finanzierte Organisation bei der Durchführung eines CSD’s ihre Existenz gefährdet. Manfred Wolter und Andreas Markovic kamen dann auf mich zu und baten mich um einen Satzungsentwurf. Ich wollte dann wissen, wie sie sich die künftige Organisationsstruktur vorstellen und bin danach zur Tat geschritten. Rechtzeitig zum CSD 2001 war die ihs dann aus dem Schneider. Jetzt gab es eine Organisation, die ggf. pleite gehen konnte, ohne andere etablierte Strukturen zu gefährden. Die Geschichte der CSD’s in Deutschland beweist ja, dass diese Ausgangsüberlegung durchaus nicht verkehrt war. Fast in jeder größeren Stadt mit nennenswerter Community ist der CSD-Verein oder welche Organisationsform auch immer gewählt wurde, schon einmal pleite gegangen, mindestens aber knapp daran vorbei geschrammt. Wir stehen hier also in guter Tradition. Es freut mich, dass durch geschickte Organisation und die große Solidarität in der Stuttgarter Community und die Großzügigkeit der AIDSHilfe Stuttgart dieser große Crash vermieden werden konnte, obwohl durchaus die eine oder andere Gelegenheit bestanden hätte. Bis heute ist die IG CSD auch Mitglied beim Weissenburg-Verein und nutzt die Räume für die Sitzungen, die abseits der großen Massen notwendig sind, um zum Gelingen des Großereignisses beizutragen. Während in der Weissenburg mit nahezu täglichen Öffnungszeiten die Banalität des Alltags organisiert wird, besteht in der IG CSD die Möglichkeit, einmal im Jahr mit einem Großereignis mit bundesweiter Leuchtkraft in der Öffentlichkeit Flagge zu zeigen. Natürlich nutzt auch die Weissenburg kräftig die Möglichkeit, hier mitzuarbeiten und mitzufeiern. Mit der Beschlussfassung des Gemeinderats, der Weissenburg den Sprung in die professionelle Beratungsarbeit zu ermöglichen, ergeben sich auch für die Stuttgarter Community neue Entwicklungsmöglichkeiten. Weil wir in der Weissenburg keinen ständigen Arbeitsplatz einrichten können, müssen wir für die Beratungsarbeit neue Räume anmieten und haben die mit Hilfe der Stadt unter tätiger Mitwirkung von Maike Pfuderer auch gefunden. Die bieten nun die Möglichkeit, dass dort auch die Geschäftsstelle des SV Abseitz und der IG CSD einziehen können und ermöglichen auch dem Netzwerk LSBTTIQ die Unterbringung der Geschäftsstelle, mindestens so lange, bis klar ist, wie es mit dem Aktionsplan weitergeht. Das Projekt stand beinahe auf der Kippe, weil die Mitgliederversammlung der IG CSD beschlossen hat, zunächst die ganze Kraft dem Schuldenabbau und nicht dem Aufbau der Geschäftsstelle zu widmen. Wir von der Weissenburg haben dann noch mal nachgerechnet und festgestellt, dass wir derzeit so viel Geld auf der Seite haben, dass wir uns leisten können, die IG CSD für ein Jahr mietfrei zu stellen. Bis jetzt haben wir zwar noch keine Rückmeldung des Vorstandes, gehen aber davon aus, dass das klappen wird. Sobald der Mietvertrag unterschrieben ist, werden wir die neuen Räume auch der Community vorstellen. Umso mehr bedrückt uns, dass mit der Demo für Alle Potential in der Stadt vorhanden ist, das die Uhren gern zurückdrehen will. Eine bestimmte Gruppe von Menschen will einfach nicht wahrhaben, dass Gesellschaft nicht eindimensional gedacht werden kann. Mit Grausen denke ich an die Anhörung der CDU-Fraktion zum Bildungsplan zurück. Am eindrücklichsten war mir dabei die Einlassung des Realschullehrerverbands, der anklagte, dass im Fach Geschichte die Steinzeit keine Rolle mehr spiele. Dabei sei sie für die Entwicklung der Menschheitsgeschichte von so großer Bedeutung gewesen. Ich frage mich dabei immer, von welcher Menschheitsgeschichte sie sprechen. Die Geschichte der Steinzeit ist anhand fossiler Funde angeblich ausgeforscht. Dabei übersehen wir gern, dass diejenigen, die da geforscht haben, fast ausschließlich weiße heterosexuelle Männer waren, die die Geschichte so geschrieben haben, wie sie sich aus ihrem Blickwinkel erschloss. Selbst wenn ein schwuler Forscher, der sich ja nicht outen konnte, darunter gewesen wäre, hätte spätestens bei der Endredaktion des Forschungsergebnisses der Verlag alles rausgestrichen, was nicht in das heterosexuelle männlich geprägte Weltbild gepasst hätte. Wissen wir, ob Rulaman, dessen Geschichte zu meiner Jugendzeit (jetzt kommt wieder der fossile Teil) gern für den Geschichtsunterricht in der Unterstufe benutzt wurde, nicht vielleicht doch schwul war? Der Autor des Tatsachenromans war es jedenfalls nicht. Da es bis jetzt noch nicht gelungen ist, einen lebenden Neandertaler zu befragen, wissen wir nur das, was die Forschenden uns vorgeben. Das ist aus ihrem Blickwinkel sicher richtig, aber gäbe es nicht auch ganz andere Blickwinkel? Erlauben wir uns mal, über den Forschungsrand visionär hinauszublicken, so stellen wir fest, dass das auch ganz anders interpretiert werden könnte. Geschichte wird also gemacht durch diejenigen, die die Forschungsarbeiten publizieren und denen wissenschaftlich nicht widersprochen wird. Damit bildet sich eine heterosexuell orientierte vorwiegend männlich geprägte Geschichte aus. Hoffen wir, dass wir wenigstens ein bisschen bunter sein können. Das bringt mich dazu, dass Gratulanten eigentlich immer ein Geschenk mitbringen sollten. Ich habe mir erlaubt, ein wenig Buntheit mitzubringen. Dank einer großzügigen Spende kann die Weissenburg nämlich zu ihrem zwanzigsten Geburtstag am Sonntag in einer Woche eigene Briefmarken herausbringen. Einen Bogen habe ich dabei. Damit können zumindest die eine oder andere Genehmigung auch per Post eingereicht werden. Herzlichen Glückwunsch zu 15 Jahre CSD Stuttgart. Möge es Euch und uns noch lange geben, damit wir gemeinsam für die Community die Gleichstellung erreichen. Vielen Dank
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