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Wie viel Islam steckt im sexuellen Übergriff? Gespräch mit der Islamexpertin Susanne Schröter
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Wie viel Islam steckt im sexuellen Übergriff? Gespräch mit der Islamexpertin Susanne Schröter
REISE BERUF & CHANCE RHEIN-MAIN
Kölner Silvesternacht
Wie viel Islam steckt im sexuellen Übergriff?
Haben die Ereignisse der Kölner Silvesternacht kulturelle oder religiöse
Hintergründe? Und wenn ja, welche sind das? Ein Gespräch mit der Ethnologin
und Islamexpertin Susanne Schröter.
18.01.2016
© DPA
Frauengruppe in der Hamburger Imam Ali Moschee
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V
on „Tuharrash gamea“, der arabischen Bezeichnung
für kollektive sexuelle Übergriffe, meinten viele nach
der Kölner Silvesternacht zum ersten Mal gehört zu haben.
Die Weltöffentlichkeit wurde auf das Phänomen aber
bereits vor zwei Jahren durch Exzesse auf dem Kairoer
Tahrir-Platz aufmerksam. Wo liegen seine Wurzeln?
Nach einer verbreiteten These ist es in den achtziger Jahren
aufgetaucht. Damals fingen junge Frauen an, auf die Universitäten zu
gehen, berufstätig und außer Haus zu sein, vor allem in den großen
Städten wie Kairo. Während des Arabischen Frühlings waren diese
emanzipierten Frauen in der Öffentlichkeit sehr präsent, was einigen
Männern offenbar furchtbar auf die Nerven ging. Es reichte schon der
Umstand, dass diese Frauen den öffentlichen Raum für sich in
Anspruch nahmen. Hinzu kommt, dass die gutausgebildeten Frauen
auf dem Arbeitsmarkt inzwischen gute Chancen haben, während viele
junge Männer in arabischen Ländern bekanntermaßen unter
Arbeitslosigkeit leiden und ihre Versorgerrolle nicht mehr ausfüllen
können. Gleichzeitig verbietet ihnen die repressive Sexualmoral
sexuelle Kontakte außerhalb der Ehe.
Ist das Phänomen auf den Maghreb beschränkt?
Nein, das gibt es in Tunesien, Marokko und Jordanien, aber auch in
Syrien oder Pakistan – in allen Ländern, in den patriarchalische
Strukturen virulent sind. Übrigens auch in Indien. Es ist also kein
spezifisch muslimisches Phänomen. Aber wir haben es eben ganz klar
auch in muslimischen Ländern.
Was sind die allgemeinen Bedingungen seines Entstehens?
Die Grundvoraussetzung ist eine patriarchale Ideologie der
Gesellschaft, die Idee, dass es reine und unreine Frauen gibt. Die
reinen Frauen sind die, die ihrem Mann gehorchen, keinen Sex vor
der Ehe haben, ihren Körper bedecken. Die unreinen Frauen sind die,
die ihren eigenen Willen haben, nicht den Mann heiraten, den sie
heiraten sollen, und so weiter. Es gibt also eine gewisse Legitimation
dieser sexuellen Übergriffe, zwar nicht durch die ganze Gesellschaft,
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aber durch ein konservatives Segment. Das war während des
Arabischen Frühlings deutlich zu beobachten.
Ist das „Tuharrash gamea“ auch religiös bedingt, eine Folge
des islamischen Frauenbilds?
Der Koran gibt natürlich keine Legitimation, Frauen zu belästigen.
Allerdings trägt er dazu bei, dass Sexualität außerhalb der Ehe ganz
stark tabuisiert ist. In der Praxis kommt eine Doppelmoral dazu: Der
Junge darf ruhig Sex mit anderen Frauen haben, seine Schwester
dagegen nicht. Es ist auch vorwiegend Aufgabe der Frauen, dafür zu
sorgen, dass sie nicht belästigt werden, indem sie darauf achten, dass
das Begehren der Männer nicht geweckt wird. Die fehlende
Unbeschwertheit im Umgang der Geschlechter fördert eine
Verhaltensunsicherheit, die Übersprungshandlungen begünstigen
mag. Aber koranisch legitimiert sind sexuelle Übergriffe nicht.
Die Rechtsordnung in den muslimischen Ländern ist
gerade im Ehe- und Familienrecht stark von der Scharia
geprägt. Die untergeordnete Rolle der Frau ist rechtlich
sanktioniert.
Allerdings. Die Frau hat nach einem Vers im Koran eine
Gehorsamspflicht. Der Mann ist sogar legitimiert, sie zu schlagen,
wenn sie nicht gehorsam ist. Erbrecht, Vormundschaft für Kinder,
Scheidungsrecht, Polygamie: In all diesen Punkten sind Frauen
deutlich benachteiligt. Die rechtliche Überordnung gilt jedoch nur für
die eigene Frau. Kein Mann kann daraus den Anspruch ableiten,
gegenüber anderen Frauen übergriffig zu werden. Die richterliche
Auslegung bei sexuellen Übergriffen geht aber in der Tat oft zu
Ungunsten der Frau aus. Es gibt hier einfach eine hohe kulturelle
Akzeptanz für sexuelle Übergriffe, was mit den patriarchalischen
Strukturen zu tun hat. Es gibt also einen indirekten Einfluss des
Korans. Hier sehe ich eine große Notwendigkeit der Reform. Man
kann nicht jeden Vers bis in die Ewigkeit konservieren.
Eine historisch-kritische Lesart des Korans hat sich bisher
nicht durchgesetzt.
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Ja, sie kommt nur sehr langsam voran. Es gibt sie mittlerweile auch
in Deutschland. Aber die islamischen Theologen, die den Koran in
Deutschland neu deuten, sind in den islamischen Gemeinden nicht
anerkannt.
Der islamische Religionsunterricht wäre ein Instrument
zur Verbreitung einer liberaleren Korandeutung.
Ja, ich hoffe, dass diese Chance genutzt wird. Die Gestaltung der
Curricula liegt hier allerdings in den Händen der muslimischen
Religionsverbände, im Fall Hessens beispielsweise bei der Ditib, die
der türkischen Religionsbehörde Diyanet unterstellt ist, und der
Ahmadiyya. In beiden Fällen klemmt und hakt es ja schon so ein
bisschen beim Frauenbild. Auch bei den Lehrstühlen für islamische
Theologie ist der Einfluss der Verbände groß. Man müsste die
Lehrstühle viel stärker ermächtigen. Aber davor steht das
Staatskirchenrecht.
Zurück zum Einfluss der Scharia auf Ehe- und
Familienrecht. Wie ist hier die internationale Entwicklung?
Unterschiedlich. Feministische Aktivistinnen versuchen überall, das
Personenstandrecht zu reformieren, was ihnen zum Teil auch glückt.
In Marokko gab es beispielsweise eine große Reform des
Familienrechts. Da wurden viele alte Zöpfe abgeschnitten. In
Tunesien wurde schon nach der Unabhängigkeit ganz vieles
eliminiert, etwa das Recht auf Vielehe. Auch die Gleichstellung beim
Erbrecht wurde erreicht. In anderen Ländern gibt es
Rückentwicklungen, besonders in der Türkei. Die oberste
Religionsbehörde Diyanet hat vor kurzem einen Erlass
herausgegeben, der das Händchenhalten und Flirten von Verlobten
verbietet. Die Kehrseite der Re-Islamisierung ist eine enorme
Zunahme an häuslicher Gewalt.
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Viertel
Geschlechterforschung haben ein gespaltenes Verhältnis
zum Islam. Einerseits gibt es die rassismuskritische
Solidarisierung, andererseits die Kritik am repressiven
islamischen Frauenbild. Dieses zwiegespaltene Echo gab es
auch nach Köln. Manche sahen bei den Übergriffen ein
kulturelles Muster. Andere, wie der Netzaufruf
#ausnahmslos, ordneten die Kölner Übergriffe unter die
allgemeine sexuelle Repression, wie sie auch im Westen
vorkommt.
Ich halte das für eine Verharmlosung. Anzüglichkeiten und Anmache
werden hier teilweise mit massiver sexueller Gewalt gleichgesetzt.
Diesen Unterschied muss man benennen, und hier ist auch ein klares
kulturelles Muster zu erkennen. Wer das nicht benennt, hat kein
Mittel in der Hand, es zu bekämpfen. Das heißt noch lange nicht, dass
die deutsche Gesellschaft nicht sexistisch ist.
Wie stimmt man den Gender-Diskurs auf den praktischen
Umgang mit Muslimen ab?
Der Gender-Diskurs wird eigentlich gar nicht in die Praxis übersetzt.
Man addiert da nur den Anti-Rassismus-Diskurs dazu. Da ist der
Geschlechterforschung der Bezug zur gesellschaftlichen Wirklichkeit
verlorengegangen. Sie muss sehen, dass sie auch wieder Resultate
liefert, die zur Konfliktlösung beitragen.
Was ist zu tun?
Man muss den Männern, die hierherkommen, die hiesigen Regeln im
Umgang der Geschlechter genau erklären und sie in diesem Punkt
lückenlos betreuen. Es kann nur funktionieren, wenn diesen
Männern die Chance gegeben wird, die Spielregeln unserer Kultur im
Geschlechterkontakt zu erlernen und sich adäquat zu verhalten. Wer
das nicht tut, sollte hier auch nicht bleiben dürfen. Da bin ich relativ
hart, wenngleich ich weiß, dass wir in diesem Punkt keine rechtliche
Handhabe haben. Es muss Konzepte zur Aufklärung geben, und zwar
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schnell.
Wie soll man sie vermitteln angesichts der großen Zahl der
Personen, mit denen man es hier zu tun hat?
Wenn man Einwanderungs- und Integrationskurse verpflichtend
macht, dann müsste es hier auch feste Module zum Sexualverhalten
und zum Umgang der Geschlechter in Deutschland geben. Der
Verweis auf den Gleichberechtigungsgrundsatz in der Verfassung
bleibt hier zu abstrakt. Das muss konkret eingeübt werden, etwa in
Rollenspielen.
Das Gespräch führte Thomas Thiel.

© F.A.Z.
Köln: Wie ein Flüchtling die Silvesternacht erlebt hat
Quelle: F.A.Z.
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