DOCH DER TOTE VOGEL LEBT!

CHAOSPROJEKT JAM-COMIC
„DOCH DER TOTE VOGEL LEBT!“
Wenn Peter John, ehemaliger NEU ROT-Sänger*, zu einem Comic Jam
lädt, kann das eigentlich nur interessant werden. Daniel Winterscheidt,
Riccardo und Marcel Happich sind seinem Ruf gefolgt und
improvisieren sich nun schon seit drei Jahren durch eine schräge AntiUtopie voller keifender Bosse und gleichgeschalteter Schleimbolzen.
Jeder für sich in seinem eigenen Stil. Irgendwie aber auch ein bisschen
zusammen. Die Veröffentlichung? Folgt bald, sagt Riccardo. Schön und
gut, aber „Jam-Comic“, „Comic Jam“, was ist das denn überhaupt?
„Doch der tote Vogel lebt!“ ist also ein Comic ohne Rücksicht auf
Erzählkonventionen.
Das ergibt sich ja zwangsläufig aus der Tradition des Jam-Comics. Das läuft
ja so: einer fängt die Geschichte an, schickt die an den nächsten Zeichner und
der knüpft dann daran an. Da ist eigentlich ein gewisses Chaos schon fast
vorprogrammiert, weil jeder wieder neue Figuren einbringt, der Geschichte
eine andere Wendung gibt und so weiter. Das ist für dich als Zeichner auch
immer wieder überraschend, da kommen plötzlich neue Sachen dazu und du
denkst nur „Das hatte ich mir aber irgendwie ein bisschen anders
vorgestellt...“, ist aber eigentlich ganz lustig dadurch. So furchtbar viele JamComics gibt es glaube ich auch noch gar nicht.
Wie seid auf die Idee gekommen, ein Jam-Comic zu starten?
Ralf Palandt, ein Kumpel aus München hatte schon mal eins gemacht, „Ich
jagte Jack the Ripper“ hieß das. Die Grundidee hat uns gefallen: Die
Hauptfiguren bleiben ja gleich und dann zu sehen, wie der andere das dann in
seinem Stil umsetzt fanden wir ganz interessant.
Die Publikation ist dann sicher nicht ganz einfach.
Im Moment haben wir nur eine Ausstellung, da sind auch nur die Originale zu
sehen. Wir haben aber schon einen Riesendummy, weil wir auch Überformate
dabei haben. Daniel zum Beispiel arbeitet in einem ganz riesigen Format, der
musste das in der Repro-Anstalt dann extrem verkleinern lassen.
Sind aktuell noch alle Personen beteiligt, die bei Projektstart dabei
waren?
Julian [Rossmeisl] ist ja erst später dazugestoßen, der ist zwar inzwischen
nicht mehr als Zeichner dabei, macht aber literarisch was für das Comic, ist
also nicht ganz raus. Zu der nächsten Ausstellung wird er zum Beispiel auch
ein paar Bilder beisteuern. Ansonsten sind außer mir nach wie vor mein
Bruder Marcel (aka Em Eins) und Daniel Winterscheidt beteiligt.
Und das Ende des ersten Bandes ist schon in Sicht...
Ich habe jetzt mal den aktuellen Dummy gesehen und der war schon ganz
schön dick, muss ich sagen. Deshalb wollen wir das jetzt dieses Jahr mal zum
Abschluss bringen. Also ich mache jetzt noch acht Seiten, die sind eigentlich
schon gezeichnet, ich muss sie nur noch einfärben und Sprechblasen dazu
setzen. Daniel ist gerade dran und mein Bruder macht dann das Ende. Im
Moment arbeiten wir ein bisschen parallel, da haben wir dem anderen die
Storyboards gegeben, damit der schon mal weiterarbeiten kann. Wir haben
ein bisschen Angst, dass wir die Lust verlieren, wenn sich das zu lange
hinzieht mit dem ersten Band. Wenn man das erst fertig weitergibt, muss man
halt immer warten. Deswegen sitzen wir jetzt auch schon mindestens drei
Jahre an diesem Band. Wenn das aber erst mal so umfangreich geworden ist,
hat man doch auch wieder Lust, das zu Ende zu bringen, weil man dann schon
sieht, was alles so da ist.
Gibst du einen kleinen inhaltlichen Einblick?
Es gibt drei Hauptfiguren, Higgy Skelett, Freddy der freche Frosch und
Flikflak, allesamt Individualisten, die sich der Macht von Betonstadt, einem
fiktiven Ort den man sich etwa so wie in George Orwells „1984“ vorstellen
muss, entziehen wollen. Das geht in Richtung Überwachungsstaat mit Big
Brother und so, eine schreckliche Welt also. Wobei ich das Gefühl habe, dass
die Realität tatsächlich auch immer mehr in diese Richtung geht,
Abhörskandale und so, da wird einem ja richtig schlecht. Naja, jede der
Einzelfiguren hat jedenfalls ihre Probleme mit den Behörden bzw. dem
System von Betonstadt. Erst auf der Flucht treffen sie dann im Laufe der
Geschichte aufeinander. Wir haben da unsere Erfahrung mit dem Arbeitsamt
allgemein verarbeitet, das ist ein Hauptstrang des Comics (lacht). Am Ende
scheint es dann aber doch einen Ausweg aus der Misere zu geben...
Mit den Peter John-Texten scheint ihr ja schon an eine Punktradition
anzuknüpfen.
Mein Bruder und ich sind ja in der DDR aufgewachsen. Peter John,
ehemaliger NEU ROT-Sänger und Mit-Initiator dieses Comics, auch. Seine
Texte bauen wir immer wieder in das Comic ein, manchmal direkt in den
Sprechblasen, manchmal ist auch die Geschichte im Groben um die Texte
herum aufgebaut. Nachdem mein Bruder und ich in den Westen gegangen
waren, das war noch mit Ausreiseantrag, haben wir angefangen, viel Punk zu
hören. Meine erste im Westen gekaufte Platte war PIL, dann kam ich in so
eine Szene, während des Studiums habe ich zum Beispiel Willy von der
Münchner Band MOTORPSYCHOS kennengelernt, und mir wurde auch
einiges empfohlen. Viel Garagenpunk, später auch Hardcore, FUGAZI,
DEAD KENNEDYS, das haben wir ja vorher gar nicht so gekannt. Fanden
wir gut. Bei uns gab es ja zu der Zeit fast nur so was wie FIRST ARSCH oder
DIE FIRMA, zwei Vorgängerbands von RAMMSTEIN. Punk verbinde ich
damit, dass man machen kann, was man will. Obwohl man das eigentlich
natürlich nicht kann, aber die Vorstellung, dass man es könnte ist einfach
ganz angenehm.
Was und wo hast du studiert?
Ich habe mit meinem Bruder angefangen, in München Grafikdesign zu
studieren. Mein Bruder hat irgendwann aufgehört, ist zurück nach Leipzig
und hat dann an der HGB Malerei studiert und auch abgeschlossen. Ich habe
das Studium in München zu Ende durchgezogen.
Ihr seid also auch schon länger im Comicbereich unterwegs.
Ja, schon als Kinder haben mein Bruder und ich versucht, zusammen Comics
zu zeichnen. Die waren immer sehr brachial, mit Katzen, die
Maschinengewehre hatten und Mäuse umgebracht haben und so. Es war halt
nur noch nicht so professionell gezeichnet. Die meisten Ausstellungen hatte
ich bis jetzt in Leipzig. Mein Bruder hat auch schon öfter mit Daniel
ausgestellt, aber das waren dann weniger Comicsachen.
Habt ihr mittlerweile einen Kooperationspartner gefunden, der das
Ganze herausbringen will?
Wir sind noch immer auf der Suche. Ein paar hatten zwar schon Interesse,
aber dann wurde doch wieder nichts daraus. Wir werden das schon irgendwie
machen, das muss einfach gedruckt werden, in Farbe. Egal wie, und wenn wir
es am Ende selbst finanzieren müssen. Es wird auf jeden Fall auch noch eine
nächste Jam-Comic-Ausstellung geben, da sind wir auch noch auf der Suche
nach festen Räumen. Wahrscheinlich wird die in der Eckstein-Galerie in
Leipzig stattfinden.
Anke Kalau
* 1986/87