Kontemplation – Einüben ins Wahr-nehmen Im Urlaub in Frankreich fiel mir dieses Jahr eine Postkarte in die Hände mit dem Titel "L'accueil" (frz. "Empfang"). Darauf abgebildet die schlichte Figur einer jungen Frau, geschlossene Augen, friedlich lächelnd, die Hände leer und empfangsbereit nach oben geöffnet. Dieses Bild drückte meine Erwartungen an die Kontemplativen Exerzitien, die ich diesen Jahres in Ahmsen machen würde, gut aus: nach und nach still und aufmerksam werden, nach Innen schauen und sich dem öffnen, was sich zeigen wird, empfangsbereit und am Ende erfüllt von einer Einsicht, die man sich nicht selbst überlegt oder erarbeitet hat, sondern die einem unverhofft geschenkt wird. Und so war ich voller gespannter Vorfreude, als sich Ende August eine bunte Schar im Exerzitienhaus Ahmsen im Emsland einfand. Von "weit hergereist", bis "aus dem Nachbarort", vom Ehepaar, über die Ordensschwester, zum Priesteramtskandidaten von schon jahrzehntelang Erfahrenen bis gerade mit der Kontemplation Anfangenden war alles vertreten. Und P. Alois Berger SJ und Johanna Merkt verstanden es, diese bunte Schar durch eine Woche des Schweigens und der Kontemplation so zu führen und zu begleiten, dass jede(r) in seinem/ihren Tempo mitgehen konnte. Zunächst hieß es erst einmal "Ankommen", seinen Platz finden und einrichten. Und dann wahrnehmen: Erst einmal ganz wörtlich: das Haus und die schöne Umgebung erkunden, den Tagesablauf kennen lernen: 11x am Tag Sitzmeditation, ein einführender Vortrag am Morgen über einen Aspekt des Meditierens durch P. Berger, Begleitgespräch, Eucharistiefeier am Abend, Musikalischer Ausklang des Tages. Und dann auch im übertragenen Sinn ankommen und wahrnehmen: Wie bin ich eigentlich gerade da? Und ganz konkret: Wie sitze ich da, wo halte ich etwas fest, wo bin ich ohne Halt? Im Weiteren kamen dann das Wahrnehmen des Atems und das Wahrnehmen von dem, was einem innerlich kommt, seien es Begebenheiten oder auch ein einzelnes Wort, hinzu. Das Ganze aber, ohne es aktiv zu beeinflussen. Und immer wieder neu sich aufrichten und auf Gott ausrichten und ganz da sein – bei Ihm sein. Für mich waren diese Exerzitien im doppelten Sinne "Übungen zum Wahrnehmen": Zum einen im Wahrnehmen konkret: immer wieder Üben, seine Wahrnehmung auf das Hier und Jetzt zu richten und nicht in Gedanken abzuschweifen, immer wieder auch ganz konkret nachzuspüren, wie ich dasitze. Und beim Wahrnehmen auch auf scheinbar unbedeutende Kleinigkeiten zu achten. Zum anderen war es aber auch eine Übung zum Wahr-nehmen: eine ganz konkrete Situation in meinem Leben anzuschauen, ohne sie zu beschönigen, ohne zu verdrängen, sondern sich der Wahrheit/Wirklichkeit zu stellen. Das klingt hart und anstrengend – und war es auch. Und es hat Tränen und Verzweiflung gekostet bis etwas von "Die Wahrheit/Wirklichkeit wird euch frei machen" aufschien. Aber auf der anderen Seite durfte ich merken, dass Gott mich in dieser meiner konkreten Wirklichkeit begleitet und trägt, sei es durch die Gruppe, die Begleitung, das Feiern Seiner Gegenwart in der Eucharistie. Und so bin ich nicht verzweifelt, sondern gestärkt aus diesen Exerzitien herausgegangen. So still und friedlich wie erwartet und auf dem Bild "L'accueil" dargestellt, waren die Exerzitien also nicht. Und doch war das Bild von der jungen Frau, von Maria, auch im Nachhinein treffend. Denn, wenn man sich das Bild näher anschaut, erkennt man, dass das Gesicht eher ernst, als friedlich, der Hintergrund nicht nur hell, sondern zum Teil auch ziemlich düster ist. So hat mich dieses Bild von Maria die Woche über begleitet. Weniger als eine, die Gottes Gegenwart auf ganz besondere Weise wahrgenommen und Wirklichkeit hat werden lassen und, sondern mehr als die, die sich auch schmerzlichen Wirklichkeiten gestellt hat, und dennoch nicht an Gott irregeworden ist. Und so ist mir Maria zum Vorbild geworden beim Lernen, was kontemplative Exerzitien sind – nicht nur, "sitzen und schnaufen", wie P. Berger es einmal formulierte, sondern Einüben ins Wahr-nehmen. Nicole Zink
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