Polizisten gehen auf Barrikaden - lu

Freitag, 13. November 2015 / Nr. 263
Luzern
Zentralschweiz
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BOTE DER URSCHWEIZ
Polizisten gehen auf Barrikaden
Ausschaffung
verhindert
ASYL cgl. Rund 130 Personen wurden
vom Kanton Luzern in diesem Jahr
ausgeschafft. Dies entweder, weil sie
ihr Asylgesuch bereits in einem anderen europäischen «Dublin-Staat»
wie etwa Italien gestellt haben oder
weil ihr Gesuch abgelehnt wurde.
Eine weitere Zwangsausschaffung
konnte gestern nicht durchgeführt
werden. Demonstranten des Bündnisses «Bleiberecht für alle!» verhinderten die Ausschaffung eines Eritreers, der laut einer Mitteilung «gegen
seinen Willen (...) nach Mailand»
hätte gebracht werden sollen. Die
rund 40 Aktivisten versammelten sich
gemäss Augenzeugen am frühen Morgen gegen 5 Uhr vor dem PolizeiHauptgebäude an der Kasimir-PfyfferStrasse in der Stadt Luzern und blockierten den Ausgang.
Das Bündnis fordert einen «sofortigen Stopp aller Ausschaffungen». Es
kritisiert, Menschen würden «wie
Waren verschoben». Erst um 6.15 Uhr,
als klar war, dass der Eritreer den
Ausschaffungsflug ab Zürich mit einer
Swiss-Maschine verpasst, beendeten
die Aktivisten die Blockade. Mehrere
Polizisten waren vor Ort, schritten
jedoch nicht ein. Man habe damit
verhindern wollen, dass die Situation
eskaliere, erklärte Alexander Lieb vom
kantonalen Amt für Migration.
Nur aufgeschoben
«Die Ausschaffung ist nur aufgeschoben und nicht aufgehoben. Wir
haben einen gesetzlichen Auftrag zu
vollziehen», sagt Lieb gegenüber
unserer Zeitung. Der Eritreer, der
gestern nicht ausgeschafft werden
konnte, hatte zuvor in Italien Asyl
beantragt. Gemäss Dublin-Abkommen liegt die Zuständigkeit somit in
Italien. Versucht ein Asylbewerber
trotzdem, in der Schweiz einen Antrag
zu stellen, wird er in das Land, in
dem er sein erstes Asylgesuch gestellt
hat, zurückgeführt. Dafür wird er
vorübergehend in Administrativhaft
gesetzt, um sicherzustellen, dass er
nicht untertaucht. Wann der Kanton
Luzern einen nächsten Versuch
unternimmt, um den Eritreer auszuschaffen, wollte Lieb nicht sagen.
Wie Recherchen zeigen, standen
Aktivisten gestern Morgen auch am
Flughafen Zürich bereit. Zu besonderen Vorkommnissen kam es gemäss
Auskunft der Kantonspolizei Zürich
indes nicht. In Zusammenhang mit
der geplanten Ausschaffung sei lediglich eine Person kontrolliert worden.
Das Zitat
Eine Zweierpatrouille der Luzerner Polizei unterwegs in der Stadt. Das Anbringen der Anti-Spar-Buttons
(siehe Bild unten) an den Uniformen ist den Polizisten untersagt worden.
Archivbild Dominik Wunderli/PD
SPARPLÄNE «Gute Nachrichten für Schläger
und Drogenhändler»: Der Verband der Luzerner
Polizei wehrt sich mit markigen Worten gegen den
geplanten Stellenabbau. Die Regierung windet sich.
LUKAS NUSSBAUMER
[email protected]
Wer den Aufgaben- und Finanzplan
der Luzerner Regierung liest, reibt sich
die Augen. Die Polizei müsse «die
Bürgernähe pflegen und eine grosse
präventive Präsenz zeigen», heisst es
im Ende Oktober veröffentlichten,
312 Seiten starken Planungswerk.
Zwei Seiten weiter hinten schreibt
die gleiche Regierung, Bezug nehmend auf die knappen finanziellen
Mittel des Kantons: «Der Leistungsabbau erfolgt bei der präventiven Präsenz. Die Interventionszeiten werden
sich erhöhen.» Das heisst konkret:
Durch den Verzicht auf eine Polizeipatrouille pro Tag dauert es künftig
länger, bis die Polizei an einem Tat- oder
Unfallort eintrifft. Die Streichung einer
Patrouille hat den Abbau von 12 der
aktuell 786 Vollzeitstellen zur Folge.
Kommando verbietet Button
«
In meinen Anfangszeiten hätte man ein
kaputtes technisches Gerät
noch repariert.
»
Kurt Kneubühler (60) unterrichtet
seit 1984 an der Kantonsschule
Willisau.
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Diesen Stellenabbau und die weiteren
Sparmassnahmen will sich der Verband
der Luzerner Polizei nicht gefallen lassen,
wie unserer Zeitung vorliegendes Kampagnenmaterial zeigt. Darin heisst es
unter anderem: «Good news für Kriminelle, Schläger, Chaoten, Vergewaltiger,
Drogenhändler, Auto-Rowdys und andere Gesetzlose: Die Luzerner Polizei baut
Stellen ab!» Wie Othmar Roth, Vizepräsident des Verbands, auf Anfrage sagt,
werden nächste Woche entsprechende
Inserate in Zeitungen veröffentlicht.
Ausserdem hätten die Polizistinnen und
Polizisten als Protestaktion gelbe Buttons
mit der Aufschrift: «Sparen bei Ihrer
Sicherheit? Nicht mit uns!» tragen wollen.
Die Aktion wurde vom Kommando jedoch unter Berufung auf die Dienstvorschrift zur Uniform flugs unterbunden.
Dem Verband gehören rund drei Viertel der 843 Angehörigen des Luzerner
Polizeikorps an. Neben dem Abbau von
12 Stellen beim Patrouillendienst – das
«Ich habe grosse
Mühe zu glauben,
dass die Regierung
ab 2017 mit mehr
Polizisten rechnet.»
OT H M A R R OT H , V E R B A N D
LU Z E R N E R P O L I Z E I
«Der Abbau kann im
Notfall dazu führen,
dass sich die
Interventionszeiten
erhöhen.»
MARCEL SCHWERZMANN,
F I N A N Z D I R E KTO R
bringt laut Regierung eine jährliche Ersparnis von 1,4 Millionen – sind bei der
Polizei weitere Sparmassnahmen im
Gesamtumfang von 3,2 Millionen geplant. So eine generelle Reduktion des
Personalaufwands von einem Prozent
(bringt knapp 1 Million), der Verzicht
auf die Bewachung von Kantonsrat und
Gerichten (120 000 Franken) oder die
Streichung des Fundbüros (ebenfalls
120 000 Franken, siehe auch Seite 27).
«Die Bevölkerung aufrütteln»
Mit ihrer aussergewöhnlichen Aktion
wollen die Luzerner Polizisten «die Bevölkerung aufrütteln», sagt Othmar
Roth. Und aufmerksam machen auf die
Widersprüche, die sich in Dokumenten
der Regierung zeigen. So zwischen dem
von der Regierung beantragten und
vom Kantonsrat vor einem Jahr mit
grossem Mehr zur Kenntnis genommenen Planungsbericht über die
Luzerner Polizei und dem von der
Regierung vorgelegten, jüngsten Aufgaben- und Finanzplan.
Laut dem Planungsbericht braucht
die Polizei bei der präventiven Präsenz
10 Stellen mehr, laut dem neusten Finanzplan lassen sich in diesem Bereich
12 Jobs streichen. Diese Kehrtwende führt
dann auch zu Differenzen bei der Personalplanung in den jüngsten beiden
Finanzplänen. Vor einem Jahr ging die
Regierung für 2017 von 809 Vollzeitstellen
aus, jetzt rechnet sie nur noch mit 795.
Luzern hat «Schönwetterpolizei»
«Diese Widersprüche», sagt Othmar
Roth, «geben uns zu denken.» Die Luzerner Polizei sei «bereits heute eine
Schönwetterpolizei». Ein aussergewöhnliches Ereignis könne noch bewältigt
werden, käme aber gleichzeitig ein weiteres dazu, sei man «sofort am Anschlag». Wenn die Regierung im aktuellen Aufgaben- und Finanzplan ab 2017
wieder mit mehr Polizisten rechne, habe
er «grosse Mühe, dies zu glauben». Mehr
Personal wäre laut Roth aber «dringend
nötig». Dies beweise die Polizeidichte.
Im landesweiten Durchschnitt kommt
auf 464 Einwohner 1 Polizist, im Kanton
Luzern lautet das Verhältnis 578:1. Die
UNO empfiehlt für demokratische Länder eine Dichte von 333:1.
Wie Polizeikommandant Adi Achermann den Abbau von Stellen in seinem
Korps und die damit verbundenen längeren Interventionszeiten beurteilt,
bleibt offen. Er darf zu den Fragen
unserer Zeitung, die laut Staatskanzlei
einen politischen Hintergrund haben,
keine Stellung nehmen. Die Arbeit des
843
POLIZISTEN
So hoch war der Korpsbestand
Ende 2014 bei der Luzerner
Polizei (786 Vollzeitstellen).
130
MILLIONEN
So hoch waren die Ausgaben für
die Luzerner Polizei 2014. 96
Millionen waren Personalaufwand.
3,2
MILLIONEN
Diese Summe soll die Luzerner
Polizei 2016 sparen. Das letzte
Wort hat der Kantonsrat.
Verbands, in dem Achermann Mitglied
ist, werde von ihm «respektiert». Keine
Aussage macht Achermann zur Stimmung im Korps.
Schwerzmann schwächt ab
Der Regierungsrat will die Sparmassnahmen bei der Polizei nicht konkret
kommentieren. So sagt Finanzdirektor
Marcel Schwerzmann, der Abbau einer
Patrouille könne «im Notfall dazu führen,
dass sich die Interventionszeiten erhöhen». Wie sich dies in der Praxis auswirkt, werde sich zeigen. Die Sicherheit
der Bevölkerung werde sich aber «nicht
grundlegend ändern». Im Aufgabenund Finanzplan heisst es zu den Interventionszeiten ganz konkret: «Sie werden
sich erhöhen.»
Justiz- und Sicherheitsdirektor Paul
Winiker beantwortet vor der Budgetdebatte Ende dieses Monats keine Fragen, auch auf wiederholte Anfrage nicht.
Winiker, der im November 2014 noch
Kantonsrat war, stimmte dem Planungsbericht der Regierung zur Polizei vor
einem Jahr als einziges SVP-Mitglied
(neben Armin Hartmann) zu.