Röper: Medienstatistik 11.9.15 1 Zombie-Zeitung, Publizistische Einheit – Begriffs-Wirrwarr in der Medienstatistik? Für einen solchen Kongress sind Titel wie dieser vom Veranstalter gewählte sicherlich ungewöhnlich. Ich möchte auch gleich eine kleine Korrektur anbringen und das Fragezeichen streichen. Ja, wir haben einen Begriffs-Wirrwarr und zwar schon seit vielen Jahren. Also nicht erst seitdem Zeitungsverlage in den letzten Jahren aus dem Medium Zeitung eine Wundertüte gemacht haben, die heute alles möglich enthält, manchmal aber nicht mal eine Spur Originäres. Es ist schon seit Jahrzehnten ein gewichtiges Problem auch für die Kommunikationswissenschaft, dass zentrale Begriffe nicht umfassend und einheitlich definiert sind. Mit einer Definition für den Terminus Zeitschrift z. B. hat sich schon vor Jahrzehnten Otto Groth herumgeschlagen, erhellend aber für die Praxis, den Markt nicht immer tauglich. Die Praktiker des Statistischen Bundesamtes haben die Frage später, bei der Einführung der Bundespressestatistik, sehr pragmatisch mit einer negativen Abgrenzung gelöst. Sie haben sich im Wesentlichen an der Erscheinungsweise orientiert. Zeitschrift war für sie ein Printprodukt, das nicht Zeitung war und dauerhaft mindestens zweimal jährlich erschien. Was nur einmal jährlich erschien, war dann wohl ein Jahrbuch. Die Pressestatistik, die über Jahre für Interessierte ein Füllhorn an zuverlässigen Daten zu den Printmedien zur Verfügung gestellt hat, gibt es schon lange nicht mehr. Die Regierung Kohl hat sie 1996 unter dem Motto „schlanker Staat“ eingestellt, oder im bürokratischen Sprachgebrauch exakter: sie wurde ausgesetzt. Die Verlage sollten von der für sie zeitraubenden Belastung bei der Zulieferung der Daten entlastet werden. Die letzte Pressestatistik ist für das Jahr 1994 erschienen. Spätestens seitdem kann niemand mehr exakt bestimmen, wie viele Zeitungen oder auch Zeitschriften in Deutschland verlegt werden. Das ist ein Dilemma von gehörigem Ausmaß. Ich werde dies im Folgenden am Beispiel der Zeitung und des Zeitungsmarktes erläutern. Zombie-‐Zeitung.doc Röper: Medienstatistik 11.9.15 2 Veröffentlichungen zum Zeitungsmarkt gibt es immer wieder, auch Daten. Worauf beruhen diese Daten? Zunächst veröffentlicht der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, der BDZV, in seinem Jahrbuch „Zeitungen“ auch statistische Daten. Diese beruhen zum Teil auf Zulieferungen der Mitgliedsverlage, zum anderen auf zentral geführten Statistiken. Wie steht es um deren Verlässlichkeit? Ein Beispiel: Der BDZV veröffentlicht seit Jahren auch eine Zahl über die Zeitungsredakteure in Deutschland. Nun hat der Verband angekündigt, künftig auf diese Daten zu verzichten. Man habe festgestellt, dass nicht alle Verlage zuverlässig melden würden. Gilt dieser Einwand auch für die Vergangenheit? Sind wir also bislang von womöglich falschen Daten ausgegangen? Die Gesamtzahl der Redakteure sinkt seit Jahren beträchtlich. Darüber besteht, wenn man die Vielzahl von Meldungen aus einzelnen Verlagen zugrunde legt, wohl kein Zweifel. Für einen Lobbyverband wie den BDZV sind solche Daten aber nicht willkommen. Wird die entsprechende Statistik vielleicht auch aus diesem Grund eingestellt? Wir werden jedenfalls künftig noch weniger über das Berufsfeld von Zeitungsredakteuren wissen als bislang. Der BDZV veröffentlicht auch Daten zur Anzahl von Zeitungen und folgt dabei der klassischen Differenzierung unter anderem nach der Erscheinungsweise, also Tages-, Wochen- oder Sonntagszeitungen, bzw. der Verkaufsart, also Abonnementzeitungen oder Kaufzeitungen, die mit einem anderen Begriff dann gleich auch inhaltlich taxiert werden: Boulevardzeitungen. Diese Daten decken sich im Wesentlichen mit einer zweiten zentralen Statistik über den Zeitungsmarkt: mit den Veröffentlichungen von Walter J. Schütz. Schütz1, der vor einigen Monaten gestorben ist, hat über Jahrzehnte den Zeitungsmarkt immer wieder vermessen und seine Ergebnisse basierend auf Stichtagssammlungen bzw. deren Fortschreibung insbesondere in der Fachzeitschrift „Media Perspektiven“ veröffentlicht. Das Untersuchungsdesign und die Kriterien für diese Stichtagssammlungen sind bereits in den 50er Jahren im Rahmen eines Seminars am Institut für Publizistik der Universität Münster entwickelt worden. Schütz hat diese Kriterien und Definitionen über die Jahrzehnte im Wesentlichen unverändert beibehalten und war dadurch in der Lage, Langzeitvergleiche anzustellen über die Entwicklung des Angebots an Zeitungen in Deutschland. Für mich hatten und haben diese Daten zur Langzeitentwicklung immer einen sehr hohen Wert gehabt. Über einzelne jeweils 1 Zuletzt: Schütz, Walter J.: Deutsche Tagespresse 2012. Ergebnisse der aktuellen Stichtagssammlung. In Media Perspektiven 11/2012, S. 594ff. Zombie-‐Zeitung.doc Röper: Medienstatistik 11.9.15 3 aktuelle Daten haben wir zum Teil auch fachöffentlich diskutiert. Schon 1984 haben Ulrich Pätzold und ich in einem Aufsatz gleichfalls in den „Media Perspektiven“ auf einzelne problematische Definitionen hingewiesen2. Ich komme darauf zurück. Gegenwärtig scheint mir aber bedeutsamer, dass Schütz ein sehr stattliches Erbe hinterlassen hat, aber – so weit man weiß – keinen Erben. Das ist verständlich, wenn man die Kärrnerarbeit berücksichtigt, die Schütz sich bei jeder Stichtagssammlung auferlegt hat. Wenn sich in den Kommunikationswissenschaften aber niemand findet, der diese Arbeit weiterführt, werden wir schon in wenigen Jahren, vor einem großen Nichts stehen. Der Kenntnisstand über den Zeitungsmarkt wird immense Löcher aufweisen. Und uns werden insbesondere die Daten zur Langzeitbetrachtung fehlen. Unsere damalige Kritik an den Schützschen Daten bezog sich im Wesentlichen auf die Anzahl von Zeitungen, also ganz schlicht auf seine Zählweise, und – für mich immer gewichtiger – auf den für den Leser relevanten Aspekt der publizistischen Vielfalt, also letztlich zum Angebot unterschiedlicher Zeitungen bzw. zur fehlender Auswahl in den so genannten Einzeitungskreisen. Schütz hat die Angebotssituation vor Ort auf der Ebene der Kreise bzw. kreisfreien Städte gemessen. Die Ebene Kreis bzw. Landkreis war für Pätzold und mich ungeeignet, da wir in vielen Kreisen eben keine einheitlichen Angebotsstrukturen haben. Wenn aber beispielsweise in kleineren Teilen eines Kreises Wettbewerb besteht und in größeren Teilen nicht, spiegelt sich dies in den Schützschen Daten nicht wider. Dieses Problem ist in den letzten Jahren durch diverse kommunale Gebietsreformen mit der Zusammenlegung von Kreisen zu größeren Einheiten gewichtiger geworden. Wir haben Zeitungsvielfalt immer auf der kleineren Ebene der Gemeinden gemessen und kamen bei unseren Regionalstudien entsprechend zu Daten, die von den Schützschen abwichen. Wir haben den Zeitungsmarkt aber stets nur für einzelne Bundesländer vermessen eben nicht bundesweit. Solche Regionalstudien können entsprechend die Statistiken von Schütz nicht ersetzen. Der zweite Vorhalt betrifft die Definition Zeitung. Oder anders: Was wird gezählt, welche Titel? Mit dieser Frage stoßen wir in einen Markt vor, der in seiner Vielgestaltigkeit wahrscheinlich kaum zu übertreffen ist. Für Schütz galt, das sich 2 Pätzold, Ulrich/Röper, Horst: Neue Ansätze einer Pressekonzentrationsforschung. In: Media Perspektiven 2/1984 S. 98-106. Zombie-‐Zeitung.doc Röper: Medienstatistik 11.9.15 4 zwei Zeitungen unterscheiden müssen, wenn sie beide eigenständig registriert werden sollen. Das klingt zunächst banal, selbstverständlich, ist aber in der Praxis wegen der Marktgegebenheiten nicht ganz einfach. Wir hatten in der Bundesrepublik immer schon Zeitungsausgaben die sich beispielsweise nur im Titel unterschieden. Die Inhalte, das vollständige Zeitungsangebot war identisch. Stellt sich die Frage, warum Verlage solche identischen Ausgaben produzieren. Zum einen tun sie dies, um regionale Nähe zu präsentieren. Ein Titel wie etwa „A-Dorf Nachrichten“ lässt sich in A-Dorf eben besser vermarkten als „B-Dorf Nachrichten“, selbst wenn er mit dem zweiten inhaltlich identisch ist. Historische Gründe spielen vielfach eine Rolle. Kleine Zeitungen bzw. ihre Auflage wurden gepachtet. Der verpachtende Verleger wollte aber weiterhin, in der oft kleinen Teilauflage genannt werden, obwohl das Produkt für ein größeres Verbreitungsgebiet inhaltlich identisch war. Die Abweichung bestand also nur im Impressum. Für Schütz waren das dann in solchen Fällen zwei Zeitungen. Für unsere Statistiken waren Unterschiede dieser Art nicht wirksam. Die Fallzahl solcher Marktkonstellationen war aber gering. Ein Beispiel: In Bremen erscheinen traditionell zwei Zeitungen: der „Weser Kurier“ und die „Bremer Nachrichten“ – beide aus demselben Verlag. Der Verlag hat die einst eigenständigen Redaktionen der „Bremer Nachrichten“ sukzessive aufgelöst und die jeweiligen Teile durch entsprechende Inhalte des „Weser Kuriers“ ersetzt. Dieser Prozess ist abgeschlossen. Die einzelnen Lokalausgaben beider Zeitungen erscheinen heute jeweils mit deckungsgleichem Inhalt. Der Titel „Bremer Nachrichten“ wird nur noch weitergeführt, weil ein Teil der Leser eben die „Nachrichten“ verlangt und nicht den „Weser Kurier“. Das Zeitungsangebot in Bremen und seinem Umland ist für uns also nicht gleich zwei sondern gleich eins. Heute ist dieses Definitionsproblem ungleich gewichtiger als in früheren Jahren. Die redaktionelle Kooperation über Verlagsgrenzen hinweg hat inzwischen einen großen und stetig wachsenden Umfang. Schon seit der Neuordnung des deutschen Zeitungsmarktes nach dem 2. Weltkrieg gibt es Zeitungen, die in Teilen der Berichterstattung mit anderen Zeitungen identisch sind, weil sie die überregionale Berichterstattung nicht selber leisten sondern übernehmen. Der so genannte Zeitungsmantel wird von anderen meist größeren Verlagen in der Region zugekauft. Zombie-‐Zeitung.doc Röper: Medienstatistik 11.9.15 5 Die lokale Berichterstattung wird eigenständig geleistet. Dieses Modell der Übernahme von Teilen des redaktionellen Angebots ist in den letzten Jahren immer häufiger auf die lokale Berichterstattung ausgeweitet worden. Inzwischen übernehmen viele Verlage für einen Teil ihrer Lokalausgaben den Lokalteil von einst konkurrierenden Verlagen. Die Zeitungen am Ort unterscheiden sich nur noch in der überregionalen Berichterstattung. Im Zuge der weitgehenden Einsparungen auch in der Redaktion grassiert dieses Model gegenwärtig und zwar in unterschiedlichen Ausführungen. Manche übernehmenden Verlage unterhalten vor Ort noch MiniRedaktionen, die das Material der Nachbarredaktionen etwas anders aufbereiten als diese selbst. Die Lokalteile wirken optisch unterschiedlich, bestehen aber aus dem gleichen Material. Die Kooperationsformen sind sehr vielschichtig und entsprechend schwierig abzubilden. Bei extremen Formen dieser Kooperation sind selbst solche Unterschiede nicht mehr gegeben. Nicht nur Statistiker haben immer für zwingend gehalten, dass ein Zeitungsverlag mindestens eine – wenn auch kleine – Redaktion unterhält. Wir haben inzwischen Zeitungen im Markt ohne einen einzigen Redakteur. Sowohl der Mantel als auch die unterschiedlichen Lokalteile werden von anderen Zeitungen übernommen. Eine solche Konstruktion – wie eben auch in Bremen – hat der WAZKonzern bei der „Westfälische Rundschau“, kurz WR, in Dortmund realisiert. Dieses sehr spezielle Modell ist von den Journalisten-Gewerkschaften als „Zombi-Zeitung“ geschmäht worden. Heute wird der Mantel der WR von der Schwesterzeitung „WAZ“ übernommen, die Lokalteile von diversen Verlagen, in Dortmund z.B. von den „RuhrNachrichten“. In Dortmund haben wir heute folgende Situation: Die „RuhrNachrichten“ erscheinen durchweg mit eigenen Texten, die WR mit dem Mantel der WAZ und dem Lokalteil der „Ruhr Nachrichten“. Auch die WAZ selbst übernimmt diesen Lokalteil. Die Dortmunder Ausgaben von WAZ und WR sind also inhaltlich identisch, werden aber dennoch getrennt angeboten. Im benachbarten Kreis Unna hat der Verlag des „Hellweger Anzeigers“ sogar zwei Ausgaben der WR gekauft, die nun mit dem Mantel der WAZ und dem Lokalteil des „Hellwegers“ erscheinen. Was bedeuten solche Kooperationsformen für die Pressestatistik? Haben wir in Dortmund mit den „Ruhr Nachrichten“ und deren selbst erstelltem Lokalteil nun eine Zeitung, oder zudem mit der WAZ ob deren eigenständigem Mantelteil zwei, oder Zombie-‐Zeitung.doc Röper: Medienstatistik 11.9.15 6 sind es mit der WR doch drei, obwohl die WR keinen eigenständigen Beitrag zur Vielfalt liefert? Schon heute kooperieren zahlreiche Verlage in ähnlicher Form kooperieren. Ich fürchte es werden noch mehr werden, weil die betriebswirtschaftlichen Einsparungen offensichtlich eine – im Wortsinn – ungeheure Anziehungskraft ausüben. Und das nicht nur bei eher kleinen Titeln sondern auch bei hoch auflagigen. So etwa bei der „Rheinischen Post“, die am Niederrhein diverse Lokalteile mit der „Neuen Ruhr/Rhein Zeitung“ tauscht oder der „Westdeutschen Zeitung“ gleich mehrere Lokalteile liefert. Wir haben in unseren Darstellungen zum Zeitungsmarkt immer die Lokalberichterstattung zum Anker gemacht. Der deutsche Zeitungsmarkt weist überwiegend Lokal- und Regionalzeitung aus. Allerorten können sich die Leser auch für die so genannten überregionalen Zeitungen entscheiden, tun dies aber nur in geringem Umfang. Maßgeblich für die Kaufentscheidung ist offensichtlich das Lokale. Wenn die Lokalberichterstattung maßgeblich ist für die Messung von Vielfalt auf der lokalen Ebene, muss bei den heutigen Marktausprägungen zugleich näher bestimmt werden, ob sich diese Lokalberichterstattung unterschiedlicher Zeitungen auch unterscheidet. Nähme man nur die Existenz eines Lokalteils zum Maßstab, hätte z.B. Dortmund eine Zeitungsdichte von drei. Ist eine mindestens in Teilen (in wie großen Teilen?) unterschiedliche Lokalberichterstattung bestimmend, sinkt die Zeitungsdichte auf eins. Das Angebot, der Markt wäre damit aber in beiden Fällen nur unzureichend beschrieben - ein Dilemma, für das es einstweilen keinen Lösungsvorschlag gibt. Ein zweites inzwischen gewichtiges Problem betrifft die Quellenlage. Und damit kommen wir zu dem ganz kleinen Karo der Zeitungsstatistik. Woher wissen wir, wo welche Zeitungen vertrieben werden? Naheliegende Quelle sind die Verlage. Aber diese schummeln manchmal, stellen ihr Verbreitungsgebiet größer dar, als es ist. Alternativ kann man sich an der Berichterstattung orientieren. Wird über den Ort x regelmäßig berichtet, gehört er wohl zum Verbreitungsgebiet. Näherungsweise stimmt das, ist aber eben nicht genau. Wir orientieren uns bei unseren Darstellungen Zombie-‐Zeitung.doc Röper: Medienstatistik 11.9.15 7 an den Daten der so genannten Verbreitungsanalyse der ivw3. Die unabhängige ivw veröffentlicht zweijährlich die Verkaufszahlen zu sämtlichen Zeitungen und zwar bis auf die Ebene der Gemeinde. Die Daten stammen von den Verlagen und werden von der ivw geprüft. Genutzt werden die Daten vor allem von der werbenden Wirtschaft und den Werbeagenturen. Für diese werden die Daten aufbereitet. Und genau darin besteht ein wachsendes Problem. Im Zuge der allgemeinen Konzentration und aktuell im Zuge wachsender Kooperationen gibt es für immer mehr Titel einen so genannten Belegungszwang. Der Inserent kann nicht mehr nur in einer Zeitung inserieren, sondern muss beispielsweise beide Zeitungen vor Ort belegen. Die Verlage nennen der ivw entsprechend nur noch Auflagenzahlen für diese Anzeigenkombination, also nicht mehr für die einzelnen Titel. So wird beispielsweise für Köln, Bremen oder Stuttgart nur die kumulierte Auflage von zwei Titeln veröffentlicht. Über den jeweils einzelnen Titel erfahren wir nichts. Das Grundproblem ist alt, da es diesen Belegungszwang – ein für die Verlage lukratives Instrument – schon seit den 70er Jahren gibt. Er betraf aber früher nur einzelne, in Summe kleine Gebiete. Das ist inzwischen zunehmend anders. Entsprechend sinkt unser Kenntnisstand über die örtlichen Ausprägungen des Zeitungsmarktes rapide. Ein Lösungsinteresse müsste auch die Medienpolitik haben. Die Politik hat den klaren Verfassungsauftrag, für ein vielfältiges Medienangebot zu sorgen. Das hat sie für den Rundfunkbereich immer wieder betont und diese Aufgabe auch wahrgenommen. Für die Printmedien dagegen setzt sie traditionell auf den Markt. Man mag für frühere Jahrzehnte auch im Zeitungsmarkt eine gewisse Vielfalt konstatieren, so lange wenigstens zwei Zeitungen mit unterschiedlicher lokaler Berichterstattung für eine Wahlmöglichkeit des Publikums standen. Dies ist aber nicht mehr gegeben. Entsprechend hätte die Politik reagieren müssen, nur sie hat nicht reagiert. Selbst relativ harmlose Initiativen wurden nicht aufgegriffen, so beispielsweise die schon seit Jahren vorgetragene Forderung der JournalistenGewerkschaft zur Wiedereinführung der Pressestatistik. Das Kartellrecht, für die Medienwirtschaft ursprünglich deutlich verschärft, um insbesondere die Pressekonzentration zu bremsen, ist sogar mehrfach entschärft worden. Die ökonomische Konzentration wurde erleichtert, wissend, dass der ökonomischen Konzentration fast immer auch eine publizistische Konzentration folgt. 3 vgl. Informationsgesellschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V.: Verbreitungsanalyse Tageszeitungen. (Zweijährlich; zuletzt erschienen für 2014). Zombie-‐Zeitung.doc Röper: Medienstatistik 11.9.15 8 Ich fürchte, große Teile der Politik - ob im Bund oder in den seit der Föderalismusreform zuständigen Ländern - haben kein Interesse, Genaues oder auch nur Genaueres über den Zeitungsmarkt zu erfahren. Wer Missstände kennt, ist aufgerufen sie zu beseitigen. Wenn der Missstand aber aus fehlender Medienvielfalt besteht, wird es schwierig, denn die Politik hat keine Konzepte, um Vielfalt wieder herzustellen. In Nordrhein-Westfalen gibt es gerade einen ersten kleinen Ansatz: Eine Stiftung mit einem Jahresetat von 1,6 Mio. €. Das ist bescheiden und sicherlich nicht ausreichend, um Medienvielfalt wieder herzustellen. Immerhin hat damit aber erstmals ein Bundesland seine Zuständigkeit wahrgenommen. Man darf hoffen, dass andere Bundesländer folgen werden. An manchen Punkten wird die Forschung ohne Unterstützung der Politik nicht nur schwierig. Manche Bedarfe könnte die Politik aber leicht regeln. In den ImpressumGesetzen könnten beispielsweise regelmäßige Veröffentlichungen von Auflagenzahlen – und zwar titel- und gebietsbezogen – gefordert werden. Für die Verlage wäre das mit nur minimalem Aufwand und keinen Kosten verbunden. Insgesamt aber werden wohl die Kommunikationswissenschaften auch künftig erhebliche Teile der Medienstatistik selbst stemmen müssen. In den prinzipiellen Fragen, was wie vermessen und dargestellt werden soll, kann sie in Bezug auf die Printmedien auf Max Weber und seinen Arbeitskatalog zurückgreifen. Weber hat schon 1910 die relevanten Fragen gerade auch zum Zeitungsmarkt in seiner PresseEnquete zusammengefasst. Diese ist zwar nicht vergessen worden - siehe beispielsweise Weischenbergs noch junge Bücher über Weber4 - der Aufgabenkatalog ist von der Kommunikationswissenschaft aber auch nie umfassend abgearbeitet worden. Diese Aufgabe besteht fort. Sie zu erfüllen, ist nicht leichter geworden. Ich danke Ihnen. 4 Zuletzt: Weischenberg, Siegfried: Max Weber und die Vermessung der Medienwelt. Wiesbaden 2014. Zombie-‐Zeitung.doc
© Copyright 2024 ExpyDoc