Film ist Lüge - 24 Mal pro Sekunde oder Manipulierte Wirklichkeit Vorspann Eigentlich sollte jeder Mensch - erst recht, wenn er sich den Idealen der Freimaurerei verpflichtet fühlt - ein natürliches Interesse daran haben, den Wahrheitsgehalt unserer Welt zu erkunden. Da wir aber in einer Zeit leben, in der man einen Großteil seiner Informationen indirekt – und das im doppelten Sinn – aufnimmt, sollte man sich über die Mechanismen, nach denen das geschieht, im Klaren sein. Mit indirekt meinte ich zum einen, dass wir unsere Welt hauptsächlich durch Medien wahrnehmen. Also nicht durch eigene Erfahrungen. Und zum anderen indirekt, weil viele „Wahrheiten“ sich in unserer Bewusstsein nicht als explizite Aussage, sondern als Subtext einer medialen Nachricht einschleichen – also indirekt. Um diese Wahrnehmungen einigermaßen sicher bestimmen zu können, sollte man sich über die „Sprache der Medien“ im Klaren sein. Damit dieser Gästeabend/Vortrag aber noch in diesem Jahrhundert endet, möchte ich das Thema ein wenig enger fassen und auf einen exemplarischen Bereich fokussieren, in dem ich mich auskenne - den Film. Er, der Film, ist nämlich sowohl inhaltlich, als auch stilistisch ein Spiegel der Gesellschaft in der er entsteht. Denn auch die Filmsprache besteht wie jede andere Sprache aus Vokabular und Grammatik und ist auch einem Wandel unterzogen. Und wie jede Sprache lässt sich auch die Filmsprache zur Informationsübermittlung und zur Verschleierung einsetzen. Also finden wir in ihr, bzw. ihm, dem Film, alle Gesetzmäßigkeiten einer gepflegten Manipulation, denn er illustriert (veranschaulicht) eine Aussage. Und eine Illustration oder Illusion – und ein Film ist ausschließlich Illusion kann nur durch Manipulation entstehen. Wahrscheinlich sehen viele Filmschaffende genau darin, nämlich in diesem kreativen Potential, den Reiz des Filmemachens. Vielleicht ist es aber auch Größenwahn. Einer, der französische Regisseur Jean-Luc Godard, brachte es mit ironischer Schlitzohrigkeit auf den Punkt, in dem er sagte: „Film ist Lüge - 24 mal in der Sekunde.“ Damit spielte er auf die 24 Einzelbilder an, aus denen ein Film pro Sekunde besteht. Dass er dabei das Wort „Lüge“ benutzte, soll wohl besonders deutlich machen, dass der Prozess des Filmemachens ein durch und durch subjektiver, ein manipulativer Prozess ist. Und ich möchte jetzt mit ihnen ein wenig genauer auf diese Manipulationen schauen. Denn nur wer sie erkennt, kann hinter sie auf die Wahrheit blicken. Vorab möchte ich noch den Begriff „Manipulation“ definieren. In der Regel verbinden wir damit etwas Negatives, dabei beschreibt er doch nur die „Einflussnahme“ auf den Inhalt einer Nachricht, um Meinung und Aussage erst entstehen zu lassen. Oder wie es der Duden sagt, „Manipulation ist: „... geschickte Handhabung, Handgriff, Kunstgriff. Ende des 18. Jh. als Terminus des magnetischen Heilverfahrens aus dem Französischen entlehnt.“ Auch das Verb wurde aus dem Französischen, und zwar von „manipuler“ abgeleitet, was soviel wie handhaben, geschickt zu Werke gehen, arrangieren und steuern bedeutet. Im englischen bedeutet „Manipulation“ einfach nur Verarbeitung. In sofern möchte ich den Begriff Manipulation erst mal wertneutral verstanden wissen. Denn Manipulation ist nicht gleich Manipulation! Jetzt möchte ich noch eine weitere Differenzierung treffen. Nämlich die zwischen bewusster und unbewusster Manipulation. Also unterteilen in absichtliche, sprich vorsätzliche Einflussnahme, auf die wir gleich ausführlich zu sprechen kommen werden. Und jene, die eher als fahrlässig zu beschreiben ist. Sie entsteht allein schon dann, wenn man sich als Teil eines Kommunikationsvorgangs nicht darüber bewusst ist, dass alles was wir wahrnehmen und wieder von uns geben durch unsere Subjektivität gefiltert und gleichsam angereichert wird. Welche Form der Manipulation die „gefährlichere“ ist, bliebe dann noch zu klären. Bzw., wir können im Anschluss darüber diskutieren. Aber jetzt stürzen wir uns auf den Film als Endprodukt eines ganzen Haufens ganz unterschiedlicher Schaffensprozesse, die alle im neutralen Sinne manipulativer Natur sind, also Einflüssen unterliegen. Wir brauchen uns nur den Abspann eines Films anzusehen und werden feststellen, wie viele Menschen und damit subjektive Einflüsse in einen Film zwangsläufig münden. Und damit komme ich an den Punkt, an dem ich mit ihnen analysieren möchte, woraus ein Film besteht! Gehen wir ganz systematisch vor. Wir haben eine Bild- und eine Ton-Ebene! Beginnen wir mit dem Ton. Hör zu! Der Filmton besteht aus drei Ebenen: Da haben wir z.B. den Dialog. Außer beim Stummfilm könnte man meinen, was aber nicht stimmt, denn das wurde der Dialog auf Tafeln mitgeliefert oder lautmalerisch, wenn auch stumm artikuliert. Zwar sagt Vicco von Bülow (besser bekannt als Loriot), dass die Sprache, das geschriebene Wort - die menschlichste aller Kommunikationsformen – entweder zur Verständigung oder zur Verschleierung benutzt werden kann. Aber er selbst beweist in seinen Sketchen immer wieder, dass Kommunikation ohne Übertragungsfehler nahezu unmöglich ist – und auch furchtbar langweilig wäre. FILMBEISPIEL: LORIOT Viel häufiger, als so offensichtlich, ist der das alltägliche und unentdeckte Missverstehen. Allein darüber könnten wir den Rest des Abends (versuchen) uns (zu) unterhalten. Sound of Silence Eine weite Akustikebene des Films sind die Geräusche, die ganz maßgeblich den Ausdruck einer Szene gestalten. Zum einen dienen sie als Effekte, um das Geschehen akustisch zu verstärken. Manchmal sind sie auch die Vorboten des Geschehens, dass sich noch im Off – sprich außerhalb des Bildes – abspielt. Musik liegt in der Luft Und last but noch least, haben wir noch die Filmmusik. Selbst zu Stummfilmzeiten wollte man nicht auf sie verzichten, weshalb sie live von einer Band oder einem einzelnen Instrumentalisten gespielt wurde. Und da Musik eine global universelle Sprache ist, die Stimmungen und Atmosphären ausdrückt - und das, ohne dass wir sie bewusst wahrnehmen müssen – ist mir kein Film bekannt, bei dem die Filmmusik in den verschiedenen Synchronfassungen unterschiedlich ist. Wir können uns gerne mal eine Szene mit abgedrehtem Ton ansehen und werden feststellen, dass sie in ihrer Wirkung nicht so intensiv ist - vielleicht sogar nicht mal eindeutig in ihrer Aussage. Filmmusik-Themen, die je nach Stimmungslage variiert werden. FILMBEISPIEL: MUSIKUNTERMALUNG (JAWS2) Eine weitere Musikvariante ist das sogenannte „Mickymousing“. Das sind instrumentale Soundeffekte, die eingesetzt werden, um stilistisch überhöhte Akzente, oft ins Komödiantische zielend, zu setzten. Da die Klangwelten im Film nur sehr unterbewusst wahrgenommen werden, sind sie auch oft „bigger than life“. Wir halten also fest. Der Ton ist ein entscheidender Faktor, wenn es darum geht, die Aufmerksamkeit und Gefühle des Zuschauers zu lenken. Wir könnten auch sagen: zu manipulieren! Wir sehen Kommen wir aber nun zur Bild-Ebene. Woraus besteht sie? Einfach gesagt, aus allem was wir sehen. Und was sehen wir? Die Bildgestaltung besteht in der Regel aus einer Kulisse, in der die Darsteller agieren. Ja, wo spielen sie denn? Die Kulisse wird nach Vorgaben des Regisseurs gestaltet. Und dieser richtet sich in der Regel nach den Vorgaben seiner Geschichte. Als da wären: Wo spielt sie? Was findet dort statt? Was soll der Spielort symbolisieren? Und welche zusätzlichen Informationen soll der Zuschauer durch ihn bekommen? Sprich, wie binde ich sie ins Gesamtgeschehen ein, von wegen Übergänge, Zeit- und Ortsbezüge etc. Zeige ich jemanden in seinem Zuhause oder an seinem Arbeitsplatz, verrät uns der Ort viel über die Figur. All das (und wahrscheinlich noch mehr) wird durch die Kulisse „gesagt“. Licht ist Magie Ein Spielort, sprich eine Kulisse, muss auch ausgeleuchtet werden, selbst wenn er ganz natürlich erscheinen soll. Denn die Kamera sieht anders als das menschliche Auge. Darüber hinaus lässt sich mit Licht auch Raum gestalten. Es drückt Stimmungen aus, kann Tages- und Jahreszeiten definieren und den Charakter von Darstellern formen und unterstützen. PRAKTISCHE DEMONSTRATION MIT LICHT So wurde in den ersten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts, vor allem im deutschen Kino expressionistisch mit Licht gearbeitet. Teilweise ging man sogar soweit und malte Schatten in die Kulissen („Das Kabinett des Dr. Kaligari“). In den Zeiten des „Hollywood-Starsystem“ (40er, 50er Jahre), als es noch darum ging, im Kino perfekte Welten vorzuführen, wurden die Gesichter der Stars so ausgeleuchtet, dass sie in jeder Lebenslage schatten-, sprich faltenfrei waren. Dass verlieh diesen Filmen aber eine unvermeidliche Künstlichkeit, die die Identifikation des Zuschauers mit seinen Idolen erschwerte, weshalb man Anfang der 70er Jahre im sogenannten „New Hollywood“, angeregt von der französischen „Novelle Vague“ (Neue Welle), das Filmlicht wieder mehr den natürlichen Vorgaben anpasste oder auch schon mal ganz auf Kunstlicht verzichtete. FILMEISPIEL: AUSSER ATEM (Jean Seberg & Jean-Paul Belmondo) Das Auge des Betrachters Dass wir mehr als eine weiße Leinwand im Kino zu sehen bekommen, verdanken wir der Kunst der Kameramänner. Sie besteht darin, das Auge des Zuschauers zu ersetzen und seinen Blick zu lenken. Denn in einigen Szenen, vor allem jenen, die besonders in die Wahrnehmung des Zuschauers eindringen sollen, wird die Kamera zum Auge des Betrachters mittels der „subjektive Kamera“. In diesen Momenten werden wir vor der Leinwand oder dem Bildschirm in die Handlung hineingezogen, weil wir das Geschehen sozusagen selbst beobachten. Wir werden in den Film integriert! Das genaue Gegenteil davon ist die „Deus Ex Machina“. Ursprünglich stammt der Begriff aus dem griechischen Theater. Wobei die Bezeichnung „Deus Ex Machina“ erst im frühen 18. Jahrhundert geprägt wurde. Damals schwebten an einem Kran Götter, die bei Bedarf hereingeschwenkt wurden und in die Handlung eingriffen. Sie kamen meist dann zum Einsatz, wenn es galt verworrene Situationen aufzuklären oder so zu lösen, dass die Handlung fortgeführt werden konnte. Im Film wird diese Technik immer dann eingesetzt, wenn es darum geht, den Zuschauer einen unbeteiligt-beobachtenden Blick zu vermitteln. Also wenn wir uns in einer Position befinden sollen, in der wir mit größt möglicher Distanz, also ohne Rührung, dafür analytisch und emotionsfrei der Handlung folgen sollen. FILMBESPIEL: DIE VÖGEL (Deus Ex Machina) Kameraarbeit hat aber auch eine technische Seite. Und jede Entscheidung in diesem Feld manipuliert das Ergebnisses: Wie nahe sind wir dem Objekt? Welches Objektiv wird benutzt? Welche Bewegung wird eingefangen? Ein Zoom, dass uns ans Geschehen optisch herangleiten lässt? Oder wird das Bild aus der Hand geschossen? Von einem Stativ, einem Kran oder einem Dolly? All dass liefert uns Eindrücke und verändert unsere Wahrnehmung. FILMBESPIEL: DER WEISSE HAI (Dollyzoom) (Jaws1) Aber allein schon die Position der Kamera manipuliert unsere Wahrnehmung. Nehmen wir nur mal zwei der Standarteinstellungen: den Topshot und die Froschperspektive. PRAKTISCHE DEMONSTRATION MIT PERSPEKTIVE Man schaue sich nur mal die Propagandafilme (z.B. aus dem „3. Reich“) an. Die Führungspersonen werden immer, wie Actionhelden, von unten gefilmt, damit sie größer wirken. Und wenn man so klein wie Humphrey Bogart ist und den Held spielt, gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder Kamera runter oder Bogart auf eine Kiste stellen. Schnittmuster Eine ganz und gar nicht zu vernachlässigende Technik/Kunstform ist der Filmschnitt - Zumal sie die einzige ist, die dem Film ausschließlich vorbehalten ist. (Bildgestaltung, Farbdramaturgie, Ton, Sprache.... gibt es auch in anderen Kunstformen.) Sie kann die Aussage einzelner Bilder und Sequenzen prägen und sogar verändern. Hitchcock-Anekdote: Francois Truffaut – „Mr. Hitchcock, wie haben sie das gemacht?” (S. 211) Happy Ending Das alles und noch viel mehr sind die Ventile an denen der Ballon Film aufgeblasen wird. Und an jedem dieser Punkte gibt es menschlichen Einfluss, sprich Subjektivität – also Manipulation! Zwar hat jeder Film in der Regel ein Mastermind – meistens ist das der Regisseur – aber auch der ist alles andere als neutral. Außerdem macht dieser kleine Exkurs noch was ganz anderes deutlich. Dass nämlich der Zuschauer in die Rolle eines Voyeurs schlüpft: Jemand, der gegen Bezahlung ins Dunkle schleicht, um am Schicksal fremder Menschen teilzuhaben. Und zuhause vor dem Fernseher sieht es nur vordergründig anders aus. Auch dort haben wir den passiven Part und lassen uns durch dieses „Fenster zur Welt“ berieseln, ohne jemals wirklich beteiligt zu sein. Und um auf den Beginn des Abends noch mal zurückzukommen, dass „Film immer Lüge ist“, sollten wir uns noch mal vor Augen führen, dass die Psychologie unserer Wahrnehmung immer nur Vorhandenes mit Neuem vergleicht. Dies gilt sowohl für die Filmsprache (Schnitt, Tempo, Töne, Bilder), als auch für die Inhalte, wenn wir sie auf ihre Glaubwürdigkeit hin prüfen. Wir haben sozusagen eine innere Matrix, auf der wir ständig unsere neunen Eindrücke spiegeln, um Abweichungen festzustellen. Eigentlich sollte es (wenigstens) zwei davon geben. Eine für die fiktionalen Welten, z.B. im Film – denn was dort glaubwürdig wirkt, muss es im wirklichen Leben noch lange nicht - und eine für die Realität. Da wir aber einen Großteil unseres Wissens über die Welt nur noch medial aufnehmen – also verarbeitet – rücken diese beiden Welten dichter zusammen. Teilweise verwischen sogar ihre Grenzen. Ein Beispiel: Als am 22. Nov. 1963 der amerikanische Präsident John F. Kennedy in Dallas ermordet wurde, waren vielleicht ein paar hundert Menschen Augenzeuge des Attentats. Nachdem aber der damals zufällig entstandene Super 8-Film (der sogenannte „Zapruder-Film“) unendlich oft im Fernsehen gezeigt wurde, gab wenige Jahre später ein Großteil der amerikanischen Bevölkerung bei einer Umfrage an, live dabei gewesen zu sein. Obwohl es keinerlei Live-Übertragung gegeben hatte. Zum selben Thema gab es aber auch noch eine andere Wechselwirkung, wenn auch in die andere Richtung. Nachdem der Spielfilm „J.F.K. – Tatort Dallas“ von Oliver Stone 1991 die Frage nach den wahren Hintergründen des Attentats neu aufgeworfen hatte, entbrannte eine öffentliche Diskussion, die dazu führte, dass die seit damals unter Verschluss stehenden Akten wenig später veröffentlicht wurden. An diesen und vielen anderen Beispielen könnte man feststellen, dass sich die Grenzen zwischen realer und fiktionaler Welt auflösen und „Die normative Kraft des Faktischen“ auch in unseren Köpfen wirkt. Abspann Manipulation ist also (meine Meinung): - Unvermeidbar. Da es unmöglich ist, den subjektiven Einfluss der Medienmacher außen vor zu lassen. - Intensionsabhängig. Die Frage, die man sich stellen sollte, muss lauten: dienen alle Einflüsse dem gewählten Thema oder haben sie andere Aussagen. Letztendlich funktionieren aber nicht nur Spielfilme nach diesem Prinzip, sondern auch Dokumentarfilme, Nachrichtenbeiträge, Gerichtsshows und selbst die Sesamstraße: Jemand hat ein Thema gewählt – Jemand hat Art und Umfang festgelegt – Jemand hat das Thema umgesetzt – Und jemand hat es konsumiert. Und DAS sind wir! Und das ist auch das einzige Glied in der Kommunikationskette, auf das wir Einfluss haben. Und damit sind wir wieder ganz nah bei der Freimaurerei. Nämlich bei der Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen für sein Tun und Handeln, bei seiner Suche nach der Wahr- und Wirklichkeit, die Licht von Schatten trennt. Und an dieser Stelle bedanke ich mich für ihre Aufmerksamkeit und würde mir wünschen, dass wir noch eine angeregte Diskussion zu dem Thema führen. Vielen Dank! .......................................................... Bleibt mir noch, ein persönliches Resümé zu ziehen. Nämlich, dass es nicht so einfach ist, jeden Einfluss zu erkennen, um Schwarz und Weiß zu trennen, denn anscheinend sind es wohl die Graustufen, aus denen unsere Welt besteht.
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