Mein Name ist Constanze Hill. Würden wir, Sie und ich, einander auf offener Straße begegnen, dann hätten Sie vielleicht das Bedürfnis, mir Ihre Hilfe anzubieten. Sie würden eine blinde Frau wahrnehmen mit einem Königspudel, der sie führt. Dass sich Pudel zum Blindenführhund eignen, wundert die meisten. Doch Filou macht einen hervorragenden Job. Er bleibt vor Treppen stehen, zeigt mir Türen, umgeht Hindernisse und kann eine ganze Menge mehr. Sie würden mich also sehen, ich sie vielleicht gehen hören. Niemals würden Sie vermuten, dass diese blinde Frau die sanfte Stimme aus dem Radio ist, die gestern jemandem ziemlich unkonventionelle Tipps zum Thema Sex gab. Würde ich Tags darauf in Ihrer Firma auftauchen, um ein Seminar zu leiten, Sie wären vielleicht verblüfft und würden sich fragen, was man von mir lernen kann. „Nun ich helfe denen, die auf andere Art als ich im Dunkeln tappen.“, wäre meine Antwort und dazu würde ich lächeln. Ein Lächeln, das von Herzen kommt. Geboren wurde ich am.... Moment mal! Die Geburt? Es begann doch Monate davor! So wie auch Sie, wurde ich gezeugt. Meine Mutter (Psychotherapeutin) verführte meinen Vater (Psychologe) - zum ersten Mal in ihrer Ehe. Sonst war die Balz immer sein Part. Ich war überaus erwünscht und nachdem vier Babies vor mir, gleich nach ihrer Geburt starben, hatte meine Mutter schier unendliche Angst, dass sich dies wiederholen könnte. Doch ihre Furcht war mit enormer Hoffnung gemixt. So entstand ein Cocktail, den die kleine Constanze als ziemlich stressig empfand. Babies erleben die Gefühle der Mamas so, als wären sie ihre eigenen. Erwartungsdruck konnte ich damals schon nur schwer ertragen. Also beschloss ich: „Hier muss ich raus!“ Ich kam drei Monate zu früh. 1,8 Kilo habe ich gewogen und so sehr ich auch schreien wollte, kein Ton verließ meinen Mund. Ich war zu schwach. Wahrscheinlich bin ich deshalb zum Radio gegangen, um endlich gehört zu werden. Sofort nach meiner Geburt kam ich dann in den Inkubator. Ein ruhiger warmer Ort mit ausreichend Sauerstoff, um mein Überleben zu sichern. Die Ärzte haben es damals jedoch zu gut gemeint, denn der Sauerstoff war zu viel für meine Augen. Die Netzhaut löste sich ab und ich blieb blind. Babies sehen in den ersten Lebenswochen noch nichts. Irgendwann fiel meiner Mama auf, dass meine Augen nie reagierten, wenn sie Blickkontakt suchte, oder mir Babyrasseln, Spieluhren, Stofftiere zum Ansehen zeigte. Eltern und Geschwister versuchten meiner Mama die Sorgen zu nehmen: „Das Kind hat nix, du dramatisierst! Die Kleine ist ganz normal“. Das gelang ihnen bis zu diesem Tag im Januar 1974, an dem sie auf eigene Faust ins Spital fuhr. Als sie die Ärztin fragte, warum ihr verschwiegen wurde, dass ihre Tochter blind ist, antwortete Frau Doktor: „Wir wollten ihnen ermöglichen, das Weihnachtsfest zu genießen.“ Nun mein Geburtstag ist der 02.09. Mama erzählt oft, wie ihr diese Antwort die Kehle zuschnürte, die Hoffnung nahm. Vielleicht können Sie sich in etwa vorstellen, wie schlimm diese Nachricht für meine Eltern und auch für meinen damals 12-jährigen Bruder war. Vielleicht können Sie nachfühlen, wie lächerlich in solchen Situationen ein Satz wirkt wie: „Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben.“ Manchmal ist so ein durchaus wahres Wort einfach nur fehl am Platz. Wenn man mich mit vier Jahren gefragt hat: „Was willst denn werden, Kleine?“ antwortete ich aus tiefster Überzeugung: „Psychologin.“ Alle dachten dann: „Ach ja, das sind die Eltern. Das sagt sie, weil Mama und Papa diesen Beruf ausüben, sie lernt am Modell!“ Sie irrten sich. Ich wollte Psychologin werden damit Menschen zu mir kommen. Menschen, die Angst oder Sorge haben, Menschen mit Ärger, Menschen, die traurig sind, oder Menschen, die Stress haben. Dann sollten diese Menschen mit mir sprechen und nach einiger Zeit wieder gehen und sich wenigstens etwas besser fühlen als vor unserem Treffen. Fallbeispiel: „Constanze, ich kenne dieses Mädchen jetzt schon recht lange und bin sehr verliebt - aber sie ist ständig mit Burschen zusammen, die sie richtig schlecht behandeln. Ich bin nur ihr bester Freund. Ihr seelischer Mistkübel. Der, den sie um drei Uhr nachts weinend anruft. Dann, wenn sie wieder einmal ein blaues Auge geschlagen bekommen hat. Ich fahr dann sofort hin, tröste sie, rede mit ihr. Aber bis auf einen, mit Tränen und Schminke verschmierten Hemdkragen, und den Satz: „Ich wünschte, er wäre ein bisschen wie du!“, bekomme ich nichts von ihr.“ „Wie hast du sie denn kennengelernt?“ „In der Disco. Sie war da mit zwei Freundinnen, einer grauen Maus und einer richtig schlampigen Bitch - sorry vielmals für den Ausdruck. Ich habe ihr immer ein Glas Wasser gegeben, wenn sie erschöpft vom Tanzen war, bis sie sagte, „Na, du bist aber lieb, danke.“ Da war‘s um mich geschehen. Wir sind auch sofort super ins Gespräch gekommen. Sie sagte: „Du plapperst nicht so viel Blödsinn wie die anderen. Cool, dass es doch noch intelligente Jungs mit Tiefgang gibt.“ Mein Blut geriet in Wallung und dann kommt so ein südländischer Latino - ich weiß, total Klischee, aber so war es. Der sagt zu ihr: „Du hast einen geilen Arsch, kommst noch eine Runde mit zu mir?“ Sie regt sich über ihn auf. „Was bildest du dir ein...“, und rate mal, was passiert ist.“ „Naja, sie ist mitgegangen und er wurde ihr Freund.“ „Exakt. Aber wir hatten wenigstens Nummern ausgetauscht. Sie musste mich später allerdings unter „Oma“ einspeichern, weil der Typ so eifersüchtig war. Heute hat sie mir erzählt. „Du hattest Recht, er ist einfach jemand, der mich nicht verdient. Er hat mich für eine andere verlassen, dieses Schwein. Ich hasse ihn dafür.“ Ich denk mir, endlich habe ich eine Chance und da fragt sie mich: „Du, dein Freund, dieser Matthias; ist der eigentlich noch solo?“ „Was war denn bis jetzt so mit Frauen in deinem Leben?“ „Ich hatte zwei Beziehungen. Beide dauerten nur ein paar Monate. Meine Ex-Freundinnen reden in den höchsten Tönen von mir und können sich nicht erklären, warum ihre Gefühle für mich plötzlich weg waren und sie mich verlassen haben.“ „Deiner Kumpeline, machst du der manchmal Komplimente?“ „Ich sage ihr, ihre Ohrringe sind schön, wenn sie neue trägt.“ „Warum so zaghaft?“ „Was heißt zaghaft? Meine Mama hat mir eben bei gebracht, ein Gentleman zu sein.“ „Wie hat sie das gemacht?“ „Naja, sie weiß eben, dass Frauen das Gefühl brauchen, dass es dir nicht nur um das Eine geht. Dass sie jemanden fürs Leben und nicht nur fürs Bett verdienen.“ „Du kennst doch das Mädchen sehr gut. Warum lässt sie sich so schlecht behandeln?“ „Sie sagt, ihr Vater war Alkoholiker und manchmal ist er mitten in der Nacht in ihr Zimmer gepoltert, hat sie geweckt und gesagt: „Du bist genau so deppat, wie deine Blunzen von Mutter.“ Dann kam er nach drei Stunden wieder, hat ihr die Haare aus den verheulten Augen gestrichen und ihr Schokolade gegeben: „So und jetzt schlaf gut, morgen hast du Schule. Bist ja eh mein Mädi.“ Kann‘s damit zu tun haben?“ „Absolut möglich. Warum möchtest du in so ein beziehungsgeschädigtes Wesen investieren? Warum suchst du dir kein reiferes Mädchen?“ „Frag mich nicht, sag mir nur, wie ich‘s kann, wie krieg ich sie?“ „Was ich dir jetzt sage stammt von einem Kollegen von mir. Andreas Winter, der Psychocoach hat in einem seiner Bücher genau deinen Fall beschrieben. Bedenke nur, das ist eine schauspielerische Leistung, die du durchziehen musst. Das wirst du nur können, wenn du dich damit wohlfühlst und du authentisch bleiben kannst. Alles andere wird sie durchschauen.“ „Okay, ich bin gespannt!“ „Das nächste Mal, wenn ihr einander trefft, sag ihr: „Das Kleid steht dir, da kommen dein schöner Busen und dein toller Hintern echt gut zur Geltung.“ „Aber das ist ja voll sexistisch!“ „Gefällt dir ihr Hintern?“ „Sehr.“ „Gefällt dir ihr Busen.“ „Ja.“ „Dann sag ihr das! Himmel, sie steht drauf zu hören, ihr Arsch ist geil, sonst wäre sie damals in der Disco bei dir sitzen geblieben, statt mit dem anderen ins Bett zu gehen.“ „Auch wahr.“ „Dann fragst du sie nach der Telefonnummer von der schlampigen Bitch, ihrer Freundin. Sag ihr, du findest die enorm sexy, seit du sie das letzte Mal gesehen hast, denkst du recht oft an sie. Sie wird die Bitch dann ziemlich sicher schlecht machen und mit dem Hintern wackeln. Dann weißt du, sie will geküsst werden. Tu das, mach‘s mit ihr im Bett, am Tisch auf jede erdenkliche Art, die dir einfällt und danach tu, was du am besten kannst: sei wieder lieb. Streichle sie, sag ihr, wie gut sie riecht, wie gut sie dir tut und zum Frühstück mach‘ ihr ein NutellaSemmerl. Schokolade, du erinnerst dich. Sie will endlich, dass jemand sieht, dass sie brav und toll und gut ist und es soll jemand sehen, der das immer wieder in Frage stellt, so wie Papa das getan hat. Du kannst sie da rausholen, indem du deinen Freunden verschweigst, wie toll sie beim Oral-Sex ist. Andere Burschen, die ihrem Muster entsprechen, haben damit vermutlich immer angegeben. Nach dem Nutella-Semmerl muss es dir natürlich gelingen, sie auf Trab zu halten, sonst wird ihr wieder fad, wie deinen vorherigen Freundinnen. Und ganz klar nochmal eines: Mir wäre das viel zu mühsam. Es gibt Frauen da draußen, die mögen liebe Männer.“ ~ „Ich glaub nicht, dass Frauen wirklich softe Männer wollen.“ „Also ich zum Beispiel schon. Tough bin ich eh selber. Mein Mann ist ein ganz lieber und wenn mir fad ist sag ich eben: „Mach‘ mir den Schuft.“ Gleich nach der Sendung strich ich mir ein Nutella Brot. Lecker war das.
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