VANISHING POINT – DONATA WENDERS UND ROBERT BOSISIO Schemenhaft menschliche Umrisse – Unser Blick streift einen Rücken. Er folgt der Schulterlinie bis zum seitlich geneigten Gesicht. Verfängt sich im ausgefransten Saum eines Kleides und im spiegelglatten Schuh. Er spürt den dunklen Silhouetten im Schneegestöber nach. Wir blicken durch Glas. Auf selbstversunkene Menschen. Wir fallen in die Bildräume. Dort trifft unser Blick auf den der Anderen. Sie treten uns entgegen und wir erkennen uns selbst. Dieser magische Moment der Berührung lässt uns an der Spurensuche einer Künstlerin teilhaben, die unsere Wirklichkeit in Poesie übersetzt. Donata Wenders photographiert dabei nicht einfach nur: Sie zeichnet mit Licht einen Zwischenraum, in dem ihre Portraits zu flüchtig zarten Abdrücken werden und sich voller Würde einer unmittelbaren Konkretion oder definierbaren Zeitlichkeit entzogen bleiben. Schemenhaft menschliche Umrisse – Vor unseren Augen fügt sich in glühendem Rosè, sanft mit Grün und Blau nuancierten Grau- und zarten Weißtönen ein Portrait von Robert Bosisio zusammen. Wir versuchen das Gesicht zu begreifen, aber es bleibt in seiner Unschärfe so vage, als würde es unter einer Wasseroberfläche treiben. Je mehr wir uns dem Bild nähern, desto mehr löst sich alles Gegenständliche auf. Vibrierende Flächen laden sich gegenseitig auf, ein komplexer Mikrokosmos von unzähligen Farben entsteht, Schicht um Schicht in feinen Lasuren aufgetragen. So sehr wir uns in diesem pulsierenden Raum verlieren - treten wir wieder zurück, verschwimmt der Mikrokosmos wieder in einer Unschärfe. Treten wir noch weiter zurück, fügt sich die Gestalt wieder schemenhaft zusammen. Wir nähern und entfernen uns, wir blinzeln, und wir versenken uns ins Nirgendwo und gleichzeitig überall hin - Noch ein Zwischenraum. Während unsere Alltagswahrnehmung von materiell nicht greifbaren, digitalen Technologien geprägt ist, die Eindeutigkeit des Wirklichen von visuellen Reizen bestimmt wird und wir uns mit dieser täglichen Bilderflut arrangieren müssen, sind Donata Wenders und Robert Bosisios Zwischenräume eine visuelle Kur ästhetischer Stille. Ihre Photographien und Malereien bieten uns die Möglichkeit, sich einer Verlangsamung und kontemplativen Versenkung zu stellen: Es geht nicht nur darum, Gesehenes zu erkennen, sondern um das Sehen selbst. Die Reflexion soll durch den Reflex, die Idee und Erinnerung durch Empfindung herbeigeführt werden. Die gestaltende Kraft bei beiden Künstlern ist das Licht. Auch die verwandte Farbe, ist keine Oberflächenfarbe, sondern Lichtfarbe. Sie hat die Kraft des reinen Pigments. Allem liegt ein inniger Dialog zugrunde: Vor und hinter der Kamera im Akt des Photographierens, in der Begegnung der Blicke, im Raum zwischen Bild und Betrachter, im Nebeneinander von Licht und Schatten, der Farbräume, die zu Kraftfeldern werden, zwischen nah und fern, schwebend und pulsierend, in Bewegung oder in Auflösung begriffen. Die sich über den Bildrand hinaus ausbreitende Energie ist etwas im Betrachterauge Provoziertes und hängt vom Akt des Sehens ab. Ein kleiner Rest Geheimnis bleibt dabei aber immer zurück und mit ihm der Zauber einer Hoffnung und Mahnung, dass in unserer Welt noch nicht alles verschwunden ist. Es ist alles noch da, wir müssen nur ganz genau hinschauen. Laut Gerhard Richter ist „Malen ist eine andere Form des Denkens“. Malen und Zeichnen heißt sehen. Sehen heißt auch betrachten. Betrachten heißt, Körper, Augen und Geist auf etwas in Bewegung zu setzen. Wenn es uns dann berührt, halten wir inne und lösen uns in dieser Begegnung auf. Wir brauchen keinen Fluchtpunkt, sondern Licht und Farbe, Poesie und Freiheit. Laura Schmidt
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