Magazin Nr. 59

In diesem Tabor-Magazin
ist zu lesen:
Wer oder was ist TABOR e.V.
Im Juristendeutsch sind wir ein Verein zur ganzheitlichen Unterstützung strafentlassener und anderweitig sozial belasteter Menschen.
Im normalen Sprachgebrauch sind wir eine Gemeinschaft von Christen, die sich ein wenig um Menschen in Not, insbesondere um strafgefangene und
strafentlassene Menschen annehmen will.
‚Hilfe zur Selbsthilfe‘ ist unser Prinzip. Einige von
uns (z.Zt. sind wir 17 Leute) wohnen in einer Wohngemeinschaft außerhalb von München (Moosach bei
Glonn) zusammen. Dort versuchen wir uns gegenseitig Stütze auf dem manchmal beschwerlichen
Weg ins und durchs Leben zu sein. Wer nach der
Haft oder aus einer anderen sozialen Notlage heraus neu anfangen will, sein Leben ohne Alkohol,
Drogen und Kriminalität zu gestalten, der kann sich,
wenn er/sie bei uns leben will, bewerben. Wir sind
eine christlich-katholische Gemeinschaft. Wir versuchen darauf zu vertrauen, dass ER, Jesus Christus,
der Weg zum Leben ist. Zum täglichen Abendgebet,
zur Frühmesse und zum monatlichen ,Hausgottesdienst‘ laden wir ein; der Besuch ist aber freiwillig!
Einige Male im Jahr besuchen wir die umliegenden
Gefängnisse, um den Menschen dort im Gottesdienst mit Liedern und persönlichen Lebenszeugnissen Mut zu machen. In manchen Gefängnissen
bieten wir wöchentliche Gesprächsgruppen an. Auch
in Pfarrgemeinden gestalten wir schon mal den
Gottesdienst mit, um so die Christen dort auf manche Not in unserem Land hinzuweisen und Vorurteile
und Berührungsängste abzubauen.
Manchmal besuchen uns in unserer Wohngemeinschaft Jugend- oder Firmgruppen, um zu sehen, wie
wir miteinander leben. Wir besuchen auch im Religionsunterricht Schüler/innen ab dem 9. Jahrgang,
um von Knast, Drogen, Kriminalität, Neuanfang und
beginnender Heilung zu erzählen. Das sind oft tiefe
Begegnungen.
Alle Leute in unserer Tabor-Gemeinschaft und im
Verein arbeiten ehrenamtlich und ohne Bezahlung.
Unser Verein erhält keinerlei staatliche oder kirchliche finanzielle Unterstützung und trägt sich weitgehend aus Eigenleistungen und Spenden.
Wenn Du Interesse hast, melde dich, mach’ mit, leb’
mit oder besuch uns! Vorstand: Ingrid Trischler, Josef Six, Konrad Brand
Hausleitung: Norbert Trischler
Altenburg 33, 85665 Moosach
Tel.: 08091/558615
[email protected]
- Menschen aus und nach
der Haft erzählen von
ihrer Lebensgeschichte:
- Ich bin der glücklichste
Mensch auf dieser Welt
S.04
- Liebe Freunde, LeidensS.06
genossen und Kämpfer!
- Im Knast lernte ich, mich als
S.09
Mensch anzunehmen
- Das Gefängnis S.08
meine letzte Chance
- Leben in meinem Gefängnis S.10
S.11
- Knast und Freiheit
- Licht und Dunkel
S.12
in meinem Leben
- Mein Leben im Gefängnis
S.15
- Leben im Namen und in
S.16
der Gnade Gottes
- Mein altes Leben, durch
S.18
die Haft zwangsbeendet
- Plädoyer für einen humaneren
S.20
Strafvollzug
- Zum Nachdenken
S.26
- Macht. Gefängnis. Sinn?
- Mögliche schädliche Folgen
S.30
des Strafvollzugs
- Aus manchen Gefängnissen
S.32
muss man ausbrechen
S.36
- Christ sein heute
- Gedichte aus dem Knast
S.43
- Texte S. 16/25/29/34/35/41/42
- Bilder vom Sommerfest der
Tabor WG am 21.06.15
- Briefkontakte gesucht!
3
S.44
S.46
Liebe Freunde, Mitglieder
und Förderer des Tabor
e.V.,
besonders liebe Freunde in
den Gefängnissen!
Eine Rutschbahn ist für Kinder ein beliebtes
Spielgerät. Herrlich das Gefühl, wenn es
durch die berauschende Geschwindigkeit,
mit der es nach unten geht, im Bauch kitzelt. Solange man die Sicherheit hat, dass
man unten aufgefangen wird oder zumindest sicher ankommt, ist das mit Freude
verbunden!
Anders im Gefängnis: Wer durch eine Inhaftierung eine rasante Rutschpartie nach
unten, in die untersten Schichten der Gesellschaft erlebt, findet dies wohl eher nicht
berauschend. Viele erwartet: sozialer Abstieg, Ausschluss aus der menschlichen
Gemeinschaft, Ächtung, Verlust der Wohnung, der Arbeit und oft auch der sozialen
Beziehungen: Mancher hat verloren, ist
draußen und muss selbst zusehen, wie er
sein Leben wieder auf die Reihe bekommt.
Und oft sind es die Menschen, die eh schon
am Rande der Gesellschaft stehen und nun
noch weiter hinaus gedrängt werden. Wer
will denn einen Knacki in seiner Familie, in
seiner Firma, in seiner Nachbarschaft, in
der Pfarrgemeinde ... ?
leben, spürt Gefühle, die jahrelang unterdrückt waren. - Auch davon geben einige
Geschichten in diesem Heft Zeugnis.
Aber muss es ein Gefängnis sein, damit
Menschen zur Besinnung kommen? Gäbe
es nicht viele andere vorbeugende Maßnahmen, um den Menschen auf dem Weg
ins Leben zu helfen?
Und es darf wohl auch die grundsätzliche
Frage gestellt werden: Hat Gefängnis einen
Sinn? Gibt es Alternativen zur Freiheitsstrafe? Und sollte man nicht auch über Alternativen im und zum Strafvollzug vermehrt
nachdenken? Es gibt ja durchaus Modelle,
die auf dem Weg der Resozialisierung
sinnvoller und erfolgreicher sind und so den
Menschen, den Tätern wie den Opfern und
möglichen zukünftigen Opfern, eher gerecht werden. Es lohnt sich darüber nachzudenken.
Für manche ist die Haft aber auch eine
Chance für einen Neuanfang: Mancher
kommt zur Besinnung, der Kopf ist frei von
Sucht- und Betäubungsmitteln und fängt
wieder an zu funktionieren: Mancher analysiert und reflektiert seine Lebensgeschichte, sucht nach einem Sinn für seine Zukunft, findet eventuell auch Antworten vielleicht sogar in der Bibel, macht sich mit
Gleichgesinnten auf den Weg, fängt an zu
Ich wünsche Euch/Ihnen einen gute SomEure Ingrid
merzeit!
(Vorsitzende Tabor e.V.)
4
Ich bin der glücklichste
Mensch auf dieser Welt
meist gleichgültig, ohne Interesse am Menschen, gelegentlich freundlich, ab und an
mit Respekt und nur selten bösartig.
Ich war mir ganz sicher: Diesen Beitrag für
das Tabor-Magazin schreibe ich in ein paar
Minuten. Es ist ja alles klar und ganz einfach! Gute Ratschläge geben; Verbesserungsvorschläge; Tipps für andere Gefangene; Ideen, wie man mit straffällig gewordenen Menschen umgehen sollte. Gar kein
Problem, wohl für keinen von uns. Schwieriger wird es schon bei Fragen wie: Welchen Sinn hat Gefängnis? Ist es ein bloßes
Wegsperren, Verwahren oder auch Hilfe?
Wie erlebe ich selbst meine Haft und was
mache ich daraus? Unmöglich ist die Frage
nach positiven Erfahrungen. Positive Erfahrungen? Hier in Haft? Niemals! Oder ...
vielleicht doch?
Sechs Wochen nach meiner Inhaftierung
begann ich zu arbeiten. Ich wollte nicht
mehr 23 Stunden täglich in der Zelle eingesperrt sein. Ich nutzte die Angebote der
kirchlichen Seelsorge intensiv. Ich habe
mich meiner Sucht gestellt und setze mich
mit ihr auseinander. Aber all das ist nicht
das, was ich als Ratschlag geben will. Diese
Tipps, Angebote und
Hinweise werden auch
oft gegeben. Hier in Haft
lernte ich durch die bewusste und unbewusste
Hilfe von Mitmenschen,
dass die Sichtweise, aus
der ich mein bisheriges
Leben wahrgenommen
habe, nicht gut war. Aber
den ersten Schritt musste
ich selbst gehen.
Ich bin nicht gerne eingesperrt. Ich wäre
viel lieber bei meiner Frau und meinen Kindern. Meine Drogensucht und die damit
verbundene falsche Selbsteinschätzung
und Wahrnehmung meiner Umgebung
haben mich hierher gebracht. Gott sei
Dank! Ja, ich danke Gott dafür. Die Alternativen wären schlimmer gewesen. Schlaganfall, Behinderung, Tod?
Ich bin 47 Jahre alt , konsumierte seit 14
Jahren regelmäßig Amphetamin, Extasy,
Kokain und LSD. Selbst ein ,freiwilliger‘
Aufenthalt in einem Bezirkskrankenhaus
auf Grund eines Horrortrips brachte mich
nicht zur Vernunft. Seit fünf Jahren habe ich
einen Herzschrittmacher und trotzdem konsumierte ich weiter. Die Mengen nahmen
sogar noch zu.
Ich bin jetzt seit einem
Jahr in Haft und ich bin
gerne hier. Darf man das
fühlen? Und auch äußern? Anfangs glaubte
ich, keine Chance zu
bekommen. Alles um
mich herum schien böse
und schlecht. Aber wie
bin ich? Bin ich freundlich, ehrlich, hilfsbereit oder gut? Wem gebe ich eine Chance?
Doch nicht einmal mir selbst! Erst als ich
anfing, mir selbst unangenehme Fragen zu
stellen und versuchte, einen ehrlichen Blick
auf mich selbst zu werfen, begann ich mich
zu öffnen. Ich ließ Gefühle zu, ,echte‘ Gefühle! Nicht das, was mir meine Drogen
vorgaukelten oder meine Umwelt von mir
Dann Festnahme, U-Haft und Verurteilung.
Schock! Angst, Verzweiflung, Wut, Hass,
Hoffnungslosigkeit - all diese negativen
Gefühle. - Wie man uns behandelt? Zu5
erwartete. Ich durfte hier Dinge erleben und
erfühlen, an die ich nicht mehr geglaubt
hatte. Ich kann meine Umgebung hier nicht
ändern, aber ich kann sie als angenehmer
erleben, auch und gerade zum Guten.
Gefühlsduselei? Frommes Geschwätz?
Probiert es doch einmal! Eure bisherige
Einstellung zum Leben ist doch auch nicht
immer das Gelbe vom Ei. Zumindest hat sie
Euch hierher in den Knast gebracht!
Wir nehmen unsere Umgebung immer in
Bezug auf unsere Gefühle wahr. Solange
ich Angst empfinde, wird sich meine Umgebung als Bedrohung darstellen. Solange
Wut und Hass in mir sind, werden die Menschen um mich
nur schwer offen
und freundlich
reagieren. Doch
strahle ich selbst
Ruhe und Frieden aus, wird
mir Zuversicht
und Hoffnung
geschenkt.
Durch meine
Freude verändere ich meine
Umgebung und
meine Mitmenschen. Aus
Gram und Dunkel wird bunt
und hell.
Aus Kälte und
Angst werden
Wärme und
Freundschaft,
und selbst das
Eingesperrt-Sein kann zur Befreiung werden.
Ich muss es nur wagen und zulassen. Den
ersten Schritt gehen, auf einem beschwerlichen Weg, voll von Steinen und Hindernissen. Ich darf auch hinfallen, denn ich weiß,
dass selbst dann, wenn meine Füße mich
nicht mehr tragen, ein anderer - nämlich
Gott - mich weiter trägt.
Wann wird uns so viel Zeit geschenkt?
Nutzt sie sinnvoll! Keine Ausreden! Hier
herrscht keine Hektik des Alltags, kein
Computer, kein Telefon, kein Chef, nichts,
was sofort erledigt werden muss und keinen Aufschub duldet. Ich kann hier alles
überlegt beginnen und versuchen aufzuarbeiten, auch oder gerade mein bisheriges
Leben. Ich darf hier in der Abgeschiedenheit meiner Zelle ganz offen, ehrlich, ohne
Scham und Angst zurückblicken. Niemand
beobachtet mich. Ich kann lange verdrängte Gefühle zulassen. Ich kann weinen und
trauern, lachen und mich freuen. Niemand
nimmt mich wahr, schüttelt den Kopf, belächelt mich oder lacht mich gar aus. Niemand! - Wirklich niemand? Ich selbst nehme mich plötzlich in einer ganz unbekannten Art und Weise wahr. Und ganz oft, auch
wenn meine Zellentüre geschlossen ist,
merke ich, dass ich nicht allein bin. Ich habe akzeptiert, dass es Gottes Wille war, der
mich hierher brachte, und seitdem ich diese
Last nicht mehr trage, geht es mir besser.
Ich habe eine sehr liebevolle Frau, wunderbare Kinder und eine Familie, die alle zu
mir stehen und mir Liebe und Kraft schenken. Dessen bin ich mir bewusst und auch
dafür danke ich Gott jeden Tag. Ganz besonders, seitdem mir ein Mitarbeiter der
JVA einmal sagte: „Sind sie doch froh, eingesperrt zu sein. Ich muss jetzt nach Hause
zu meiner nervigen Frau!“ Seit diesem Tag
weiß ich ganz sicher, dass ich der glücklichste Mensch auf dieser Welt bin. Denn
ich freue mich auf den Tag, wenn ...
Christian, JVA München-Stadelheim
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Mit völliger Schuldeinsicht, aufrichtiger
Reue, entsprechender Buße und letztendlich dem Willen zur Wiedergutmachung
begann ein langer langer Weg der Selbstresozialisierung. Auf diesem Weg haben
mir immer wieder Geistliche, Beamte, Anstaltsleiter, Psychologen, Therapeuten und
Selbsthilfegruppen sehr geholfen. DANKE!
Liebe Freunde, Leidensgenossen und Kämpfer,
am 12.01.2015 hatte ich einen Herzinfarkt
mit Herzstillstand. Dank der Güte des Herrn
und der Ärzte wurde entschieden, dass ich
doch noch einen Beitrag im Tabor-Magazin
schreibe.
Auf Grund meiner langjährigen Erfahrung
als Ganove, Ehrenamtlicher und Bürger
kann ich nur sagen, dass der Neuanfang
immer gelingen kann, wenn der Einzelne
dazu konsequent bereit ist. Es ist mit Sicherheit kein leichter Weg,
jedoch ein Weg des Friedens
und der Liebe!!!
Für all Diejenigen, die mich nicht kennen:
Ich bin 66 Jahre "jung", war insgesamt 15
Jahre in den verschiedensten Gefängnissen, wie: JVA Nürnberg, Amberg, Bayreuth,
Bernau, Stadelheim,
Mannheim, Oldenburg,
Stuttgart-Stammheim,
Laufen-Lebenau, Niederschönenfeld, Ulm,
Paris, Marseille, Aix-enProvence, Toulon.
Der Strafvollzug in Bayern ist
in verschiedenster Hinsicht
reformbedürftig und es müsste viel mehr Fachpersonal
eingestellt werden, um den
Menschen in Haft therapeutisch gerecht zu werden.
Meist mangelt es am Geld,
hin und wieder blockieren die
Sicherheitsvorschriften oder
die zwischenmenschlichen
Gegensätze.
Seit 26 Jahren lebe ich
straf- und suchtfrei, bin
in Rente und immer
noch ehrenamtlich in
bayerischen Gefängnissen tätig. Ich leitete
Gruppen in Aichach,
Ebrach und Nürnberg.
Aktuell leite ich eine
Partnertreffgruppe in
der JVA Nürnberg.
Meine Idee lautet:
Ich wollte die Welt verändern, es änderte sich nichts - ich änderte mich und es veränderte sich die Welt.
Also, liebe Freunde, seid ehrlich zu Euch
selbst! Und wenn es Euch gelingt, seid
auch ehrlich zu Euren Mitmenschen und
offen für ein Leben mit Gott. Glaubt an
Euch und seid bereit für den Aufstieg!!!
Herzliche Grüße und Gottes Segen
Nun, wenn man im Gefängnis gelandet ist,
dann kann man wohl sagen, dass dies eine
soziale Rutschbahn nach weit unten bedeutet! Jedoch: In jeder Widrigkeit des Lebens
ist ein Vorteil verborgen!
Bei mir lag der Vorteil darin, dass ich bei
meiner letzten Haftzeit von 4 Jahren in der
JVA Nürnberg endlich begriffen habe, dass
ich mit dem Geschenk meines Lebens sehr
verantwortungslos umgegangen bin.
Euer Herbert
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Im Knast lernte ich, mich
als Mensch anzunehmen
Fast jeder von uns kennt das Gefühl, wenn
einem die Freiheit genommen wird, wenn
Tag für Tag die dicke Eisentür hinter dir ins
Schloss fällt und du für einige Stunden mit
dir allein bist. Was tust Du in dieser Zeit?
Du schaust fern, hörst Musik, liest ein Buch
oder schreibst Briefe an deine Angehörigen
und Freunde. Manche haben das Glück,
arbeiten zu dürfen und müssen nicht den
ganzen Tag in der Zelle sitzen und die
Wand oder den Fernseher anstarren.
Warum tun wir uns das eigentlich überhaupt an? Warum sind wir vom rechten
Weg abgekommen? War es die Sucht? Der
Kick und das Verlangen nach Anerkennung
und danach, gemocht zu werden? Viele
haben Grausames in ihrer Vergangenheit
erlebt und nie darüber gesprochen, sind in
ihrem inneren Gefängnis eingesperrt und
haben die Hoffnung aufgegeben, jemals
aus dem Sumpf wieder heraus zu kommen.
führte lange und intensive Gespräche mit
dem Seelsorger und der Psychologin.
Langsam erkannte ich, dass ich gar kein so
schlechter Mensch bin, dass es gut ist, wie
ich bin. Ich wurde als Mensch angenommen und lernte, mich selbst ein Stück weit
zu mögen.
Genau so erging es mir. Die ersten sechs
Monate im Gefängnis dachte ich mir Tag für
Tag, dass eh alles sinnlos ist, ließ mich
immer mehr gehen und wollte einfach nicht
mehr kämpfen, um aus dem schwarzen
Loch heraus zu kommen. Dann kam ich
allerdings an den Punkt, an dem ich mich
jeden Tag fragte: ,War das alles, was ich in
meinem Leben erreichen konnte? Bin ich
wirklich ein so schlechter Mensch?‘
Ich bin jetzt seit Anfang Mai wieder frei und
weiß heute, dass das Gefängnis mir einen
Neustart ins Leben gegeben hat, ein Leben
ohne Straftaten, ohne das Gefühl zu haben,
nicht gemocht zu werden. Denn jede/r von
uns wird gemocht und geliebt. Sei es von
unseren Familien, Freunden und Bekannten, in erster Linie aber von Gott! Allein
wegen der Menschen, die wir lieben, lohnt
es sich zu kämpfen und besonders wegen
uns selbst. Ihr habt euer Leben selbst in
der Hand und könnt vieles schaffen und
erreichen, ihr müsst es nur wollen und an
Mel
euch glauben.
Ab diesem Zeitpunkt wusste ich, es gibt
sehr wohl noch Hoffnung, dem Sumpf zu
entfliehen, und dass es noch nicht zu spät
ist. Ich fing an, mich mit meiner Vergangenheit auseinander zu setzen, um Hilfe zu
bitten und diese auch anzunehmen. Ich
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deres. Und der Konsum wurde von Woche zu Woche immer höher.
Das Gefängnis meine letzte Chance!
Es begannen die Schlägereien und
damit noch mehr Probleme. Ich war mir
sicher, dass mir nichts passiert, da ich
jeden Abend zu Gott betete. Nach meinen ersten Strafanzeigen wusste ich:
O.k., Gott hilft mir, da es nur kleine Bestrafungen vor Gericht gab. Für die
ersten zwei Anzeigen wegen schwerer
Körperverletzung bekam ich eine Geldstrafe, für die dritte Anzeige wegen
Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz das gleiche, eigentlich harmlos, da meinte ich, dass Gott hinter mir
steht. Deshalb machte ich Jahre lang so
weiter und hatte sehr viel Glück, dass
mich die Polizei nicht erwischte. Das
Problem war, dass ich immer mehr ins
schwarze Loch abrutschte, ins Milieu.
Die Frage: Ist das Gefängnis positiv
oder negativ? Wahrscheinlich gehen die
Meinungen da weit auseinander. So
erzähl ich mal meine Meinung.
Mein Leben fing sehr gut an, mit sieben
Jahren begann ich beim FC Hertha mit
dem Fußballspielen, was mir sehr viel
Spaß und Freude gemacht hat. Nach
vielen Jahren, so mit fünfzehn, hatte ich
viele Freunde, eine Lehrstelle und ein
geregeltes Leben. Das Problem war,
dass ich sehr viele Freunde hatte und
zwar gute und schlechte (kriminelle)
Freunde. Am Anfang ging ich zwischen
beiden hin und her: Ein paar Tage zu
den guten Freunden und dann
manchmal zu den ,schlechten‘ Leuten.
Das Schlimme an der Situation war,
dass ich mich für die schlechte und kriminelle Seite entschieden habe, da diese Leute cooler und angesehener waren. Natürlich wollte ich auch cool sein,
wobei ich immer am Abend zu Hause
gebetet habe, ob dies denn wirklich
mein Weg sei. Nachdem ich von Tag zu
Tag mit diesen Freunden abhing, hatte
ich Schutz und immer mehr Macht, was
mir sehr gefiel. Es ging dann die PartyDisco-Zeit los und da bin ich immer verrückter und ,mutiger‘ geworden. Ich
probierte alles, was man auf dem
Schwarzmarkt so an Drogen bekommen kann: Kokain, Hasch und viel an-
Nach einiger Zeit wusste ich, dass ich
ganz schön krass unterwegs war. Meine
Probleme wurden dadurch nicht besser,
ich hatte Ärger mit meiner Familie und
viel anderen Stress. Ich verdrängte
meine Probleme mit Drogen, lenkte
mich ab. Aber so rutschte ich immer
tiefer in den Abgrund und brauchte immer mehr Drogen und dadurch natürlich
immer mehr Geld.
Dann probierte ich mal was Krasses
aus, so dachte ich mir, und begann einzubrechen, um an Geld zu kommen.
Von Woche zu Woche brach ich in viele
Wohnungen ein und hatte dadurch viel
Geld. Jetzt war ich drogenabhängig und
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ein Einbrecher. Ich dachte mir oft am
Abend, wenn ich zu Gott betete: Wie
komme ich da raus aus dem ganzen
Scheiß? Das Ganze wurde immer
schlimmer mit mir. Eines Abends machte ich mir so Gedanken, dass ich zu
wieder klarer denken. Und ich weiß,
dass es von Gott kam. Gott will mir
nichts Böses, sondern Er will meine
Zukunft retten. Ich bin so dankbar dafür,
weil sich dadurch meine Einstellung
sehr verbessert hat. Der Knast hat mich
clean und im positiven Sinn sehr
nachdenklich gemacht. Ich bin wieder ein anderer Mensch geworden.
Ich bereue meine Taten zutiefst und
möchte den Schaden, den ich anderen Menschen mit meinen Einbrüchen zugefügt habe, wieder gut
machen. Ich habe auch schon mit
einigen Opfern Kontakt aufgenommen und mich ehrlich entschuldigt.
Eine echte Wiedergutmachung
werde ich nach der Haft anstreben.
Ich kann meine Zukunft wieder neu
aufbauen, ohne Drogen und ohne
kriminellen Scheiß. Ich denke mal,
ohne den Knast wäre ich nicht
mehr da oder hätte keine Familie
mehr.
Am Abend in der Zelle bete ich immer zu Gott und bedanke mich dafür, dass ich hier sitze. Ich bin echt
froh, dass es so weit kam. Denn
nur dadurch habe ich die Kurve
gekriegt und kann meine Zukunft
wieder aufbauen. Deshalb ist das
Gefängnis für mich nur positiv, weil ich
weiß, dass es meine letzte Chance ist.
Macht auch Ihr das Beste daraus. Gott
ist immer hinter Euch! Gott sei Dank!
Helmut Zinner JVA Straubing
Gott gesagt und gebetet habe, dass
wohl nur durch den Knast meine Zukunft zu retten wäre. Tatsächlich wurde
ich kurze Zeit später wegen der Einbrüche verhaftet.
Mittlerweile sitze ich seit sieben Monaten im Gefängnis und kann dadurch
Daniel, JVA München-Stadelheim
10
Leben in meinem Gefängnis
Bei den wenigsten Gefängnissen siehst du die Gitter!
Einige Jahre meines Lebens habe ich in
psychiatrischen Kliniken verbracht, davon
auch einige Zeit auf der ,Geschlossenen‘.
Ich war nicht im Knast. Doch ich weiß, was
es heißt, in einem Gefängnis zu leben, in
einem inneren. Manchmal spüre ich es
ganz deutlich. Dann engt es mich ein,
schnürt mich ein, lähmt mich, blockiert
mich, nimmt mir den Atem. Ich liege im Bett
und kann mich nicht bewegen: Angst,
Schrecken, Schmerz, Grauen. Es ist zum
Verzweifeln, es ist Wahnsinn.
Ich weiß heute, dass dieses Erleben nichts
oder nur wenig mit meinem Verhalten, mit
meinen Handlungen zu tun hat. Es sind
traumatische Erlebnisse aus meiner frühen
Kindheit, die mich nicht loslassen, nicht
loslassen wollen.
bin, dass diese Liebe mich trägt und hält,
auch und gerade, wenn ich ganz unten bin
und selbst für mich nichts mehr tun kann. In
dieser Liebe hat alles Platz: Was ich als
negativ empfinde, was als positiv gilt, wo
ich mir selber Vorwürfe mache und ein
schlechtes Gewissen.
Mein Leben ist anders verlaufen, als ich es
mir vorgestellt habe. Mit 27 Jahren bin ich
krank geworden, mit 30 Jahren war ich zum
ersten mal für längere Zeit in der Psychiatrie. Heute bin ich 63 und lebe in der TaborWG mit Norbert und Ingrid.
Nichts kann mich von dieser Liebe trennen.
Und so versuche ich Tag für Tag, diesen
Gott, der für mich die Liebe ist, zu finden: In
meinen Gedanken, in meinem Herzen, mit
allen meinen Kräften.
Schmerzen in der Brust, Ängste, Atemnot,
innere Kämpfe begleiten mich Tag für Tag,
manchmal weniger spürbar, manchmal sehr
heftig. Ich habe gelernt, mit ihnen zu leben
und umzugehen. Es ist ein langsamer, ein
langer, ein mühsamer Weg heraus aus
diesem Gefängnis. Seit 16 Jahren lebe ich
ohne Medikamente, seit 17 Jahren war ich
nicht mehr in der Klinik. Was mir in erster
Linie hilft, ist meine Beziehung zu und mein
Glaube an Gott. Diese Beziehung ist nicht
starr, nicht statisch. Sie verändert und vertieft sich, mein Gottesbild wandelt sich. In
erster Linie vertraue ich, dass ich geliebt
Dabei hilft mir auch die Erfahrung, dass
mein Atem mich mit dem Leben verbindet
und mich am Leben hält. Tief durchatmen,
tief Luft holen, täglich zu üben, tief in den
Bauch zu atmen, hilft mir. Neue, gute Gedanken tauchen auf und ich spüre meine
Lebenskraft. In diesem Atem ist der Geist
Gottes, ist die Freiheit, die mich unabhängig macht von äußeren und inneren Zwängen, die mich hoffen lässt, dieses Gefängnis eines Tages ganz zu verlassen.
Manfred, Tabor WG, Pfingsten 2015
11
Ein bisschen bilde ich mir ein, ich kann bei
dem Thema mitreden. Ich verbrachte in
Bayern eine lebenslange Freiheitsstrafe mit
besonderer Schwere der Schuld. Es dauerte lange, bis ich die Freiheit wieder sah.
Knast und Freiheit
Die Freiheit ist unser höchstes Gut, vertreten einige Philosophen ihre Ansicht. „Schön
ist es, auf der Welt zu sein ...“ sangen Roy
Black und die kleine Anita und verherrlichten in ihrem Song auch die Freiheit. Was
die Freiheit bedeutet, vermag man erst
richtig zu beurteilen, wenn man sie auf
einmal nicht mehr hat, wenn man Gefangener ist. Soziologen und Psychologen reden
von Fehlverhalten,
wenn man wegen Straftaten im Gefängnis gelandet ist. Der betreffende Gefangene meint
nach seiner Festnahme
„alles Schei ...“ und er
bedauert, dass er erwischt worden ist.
„Passiert mir kein zweites Mal!“, vertritt der
Knacki seine Auffassung. Ein richtiges
Verständnis für Schuld
und Sühne hat er leider
nicht. Das müsste ihm
erst bei seinem Strafantritt im Gefängnis beigebracht werden und
zwar von den Regierungsräten der Anstaltsleitung. Es müsste
gesagt werden: Der Staat derzeit hat keine
andere Möglichkeit, euch Straftätern euren
Hang und eure Absicht, Verbrechen zu begehen, auszutreiben, als adäquate Gefängnisstrafen gegen euch zu verhängen.
Wenn ihr das nicht begreifen wollt, dann
gibt es die nächste Strafe bis hin zur Sicherungsverwahrung, oder vielleicht auch irgendwann eine lebenslange Freiheitsstrafe.
Zum Thema Fehlverhalten: Es gibt genug
Wege und Möglichkeiten, im Leben mit
allen auftretenden Schwierigkeiten zurecht
zu kommen, und zwar in korrekter Weise,
ohne dass man mit dem Strafgesetzbuch
kollidiert. Triebe und Leidenschaften, Unzulänglichkeiten in unserer Persönlichkeit und
vor allem Unverständnis
für die betreffende problematische Lebenssituation, und obendrein nicht
zu verzeihende Dummheit und Unvermögen,
korrekt vorzugehen, lassen uns eine Straftat
begehen. Würde doch
dabei jeder vernünftige
Mensch sagen, wenn
einer in den Knast muss:
Na, das hätte nicht sein
müssen; das Problem
hätte man auch anders
lösen können - im Rahmen der Gesetzmäßigkeit.
Geschehen ist geschehen. Man kann eine Straftat nicht mehr
rückgängig machen. Den Knast auch nicht.
Aber man braucht kein weiteres Mal hinein.
Einer braucht nur genau zu überlegen, was
er tut und was bei seiner Handlungsweise
rauskommt.
Der lateinische Spruch dazu:
Was immer du auch tust, fange es klug an
und berücksichtige das Ende!
(Quidquid agis, prudenter agas et respice finem!)
Klaus Günter, München
12
Mein Bruder kam dreieinhalb Jahre nach
mir auf die Welt. Er ist für mich etwas Besonderes; ich nenne ihn mein Heiligtum
und bin sehr stolz auf ihn. Unsere Eltern
waren beide berufstätig und so passte meine Oma auf uns auf. Wir
waren den ganzen Tag im
Kindergarten, von 8.00 Uhr
bis 16.00 Uhr. Mein Daddy
kam immer so um 17.00 Uhr
von der Arbeit, badete und
hat dann was gegessen.
Ansonsten saß er im Wohnzimmer und schaute fern. Er
war sehr zurückgezogen
und in sich verschlossen.
Seine Liebe konnte er mir
nur zeigen, indem er mir
Sachen kaufte oder mir Geld
gab – ich habe mit zehn
Jahren bereits 25.-DM Taschengeld wöchentlich bekommen, mein Bruder auch,
immer freitags war ‚Zahltag’.
Ich denke, man kann’s so
nennen: Er hat uns seine
Liebe mit materiellen Dingen
und Geld ausbezahlt. Vielleicht konnte er nicht anders.
Licht und Dunkel
in meinem Leben
Sabrina erzählt über ihr Leben.
Aber meine Mommy hat uns
mit dem Herzen geliebt. Ich
bin vom Charakter her wie
mein Dad und mein Bruder
ist wie meine Mom vom Gefühl und Charakter. Mein
Dad konnte nicht wirklich
was mit Gefühlen anfangen, aber ich lernte
es von meiner Mom, was Liebe ist und wie
man damit umgehen soll. Wie ich es gezeigt bekam, so kann ich es weitergeben.
Aber ich kann – ehrlich gesagt – nicht viel
von meinen Gefühlen zeigen, ich kann nicht
Ich heiße Sabrina wurde in 1986 in Landshut geboren. Wenn ich so zurückdenke,
hatte ich als Kind eigentlich alles, was ich
wollte: Ich bin ein Wunschbaby meiner Eltern gewesen, und doch war da auch viel
Dunkles.
13
wirklich damit umgehen. Gerade jetzt, wo
ich seit drei Monaten im Gefängnis bin und
keine Drogen nehme und somit clean bin,
sind da oft so viele Gefühle auf einmal, und
ich bin überfordert.
und nahm ihn in die Hand. Zwei Minuten
später bin ich zusammengebrochen.
Ich habe mir die Schuld dafür gegeben: Ich
bin ja davongelaufen und hatte meinen Dad
verlassen. Ich konnte und wollte es nicht
begreifen, dass mein Dad für immer weg
ist. Ich fühlte mich, als ob man mir mein
Herz herausgerissen hätte. Ich denke, dass
damals auch ein Teil von mir gestorben ist.
Keine Ahnung, aber es fühlt sich nun mal
so an.
Ich will kein Mitleid erregen, aber ich fang
mal an zu erzählen, was bei mir so abging.
Mein Daddy war Wochenendtrinker und hat
meine Mom oft geschlagen. Auch ich bekam mit drei Jahren von ihm mein erstes
blaues Auge verpasst. Jedes Wochenende
dasselbe Drama.
Aber mein Dad hatte auch gute Seiten. Wir
sind hin und wieder mal zum Schwimmen
gefahren oder haben mit dem Rad Ausflüge
gemacht. Mein Dad hat dann auch von
alleine das Trinken aufgehört, aber dadurch
war er irgendwie noch mehr gereizt und er
ist oft mal ‚ausgerastet’.
Mit fast 14 Jahren bin ich dann an einer so
genannten Borderline-Störung erkrankt. Ich
hatte einen Freund, der es nicht wirklich gut
mit mir meinte. Er war 29 Jahre alt, ich war
15 Jahre jünger. Durch ihn habe ich mein
Selbstwertgefühl und zum Teil auch meinen
Lebenswillen verloren. Ich habe kurz nach
dem Tod von meinem Dad angefangen,
Drogen zu nehmen. Ich konnte mir dadurch
eine Schutzwelt aufbauen. So empfand ich
keinen Schmerz, keine Trauer und keine
Schuld mehr.
Als ich 13 Jahre alt war, hab’ ich das nicht
mehr ausgehalten und bin von zu Hause
weggelaufen. Meine Mom und mein Bruder
sind mir hinterher. Meine Mom wollte mich
wieder nach Hause holen, aber ich sagte:
‚Ich halte den Streit und die Schläge nicht
mehr aus.’
Mein Freund hat mich geschlagen und im
Schlaf vergewaltigt, sodass ich oft wegen
der heftigen Schmerzen aufgewacht bin,
weil mein Unterleib blutete. Er hielt mir
meinen Mund zu und sagte zu mir: ‚Solltest
du je darüber reden, bring’ ich dich um!’
Aus Angst war ich fast vier Jahre mit ihm
zusammen. Erst mit 17 schaffte ich es, mit
ihm Schluss zu machen.
Wir sind dann zu dritt zu einem ehemaligen
Freund gezogen und wohnten dort acht
Tage lang, ehe das Schreckliche passierte:
An einem Samstag kam mein Bruder vom
Fußballspielen und sagte zu mir:
‚Papa hat sich aufgehängt!’ Er sagte es
dreimal zu mir und ich glaubte es nicht. Ich
ging zu unserem Haus, um mich selbst zu
überzeugen und da fuhren der Leichenwagen und die Polizei an mir vorbei. Ich ging
zur Wohnung. Da saßen meine Oma und
die Tante von meinem Dad in der Essdiele.
Sie weinten. Ich ging ins Wohnzimmer und
sah auf der Kommode den blutigen Strick
Drei Monate später lernte ich einen neuen
Mann kennen. Mit dem hat zu Anfang alles
gepasst. Er hat mir damals meinen ersten
Schuss gesetzt. Zweieinhalb Jahre waren
wir zusammen, aber es war nur eine Drogenbeziehung. Später erst habe ich gemerkt, dass wir zwei völlig verschiedene
Charaktere waren. Wir waren zusammen
auf zwei Therapien, die nichts gebracht
14
haben. Ich machte Schluss mit ihm während der Therapie. Dafür hängte er mich
hin, und ich flog aus der Therapie raus.
mich zum Wendepunkt in meinem Leben
geworden. Ich werde einen neuen Weg
gehen. Ich bin jetzt 22 Jahre alt. Ich bin so
oft gefallen und noch öfter aufgestanden.
Und egal, was noch kommen mag: Ich
werde immer wieder aufstehen. Denn es
gibt Menschen, denen ich etwas bedeute.
Und nicht zuletzt um meiner selbst willen!
Nun bin ich seit 14 Monaten mit einem sehr
netten Jungen zusammen. Er ist der erste
Mensch im Leben, dem ich mich voll und
ganz anvertraut habe. Und ich merke, wie
gut mir das tut, mich öffnen zu können.
Mein Selbstvertrauen ist
gewachsen und ich habe
angefangen, wieder Gefühle
zu zeigen. Obwohl ich jetzt
wegen Drogen im Gefängnis
bin, hält er zu mir und macht
mir Mut.
Sabrina
Hier in der JVA habe ich viel
Zeit, über mein Leben mit
seinem Licht und Dunkel
nachzudenken. Vieles ist in
mir wieder hochgekommen.
Es gibt hier einige nette
Menschen, mit denen ich
reden kann, denen ich meine Lebensgeschichte erzählen kann: Der ewige Streit
und die Prügel zu Hause,
der Selbstmord von meinem
Dad, meine Schuldgefühle,
die schlimmen Dinge mit
meinem ersten Freund, die
Drogen … Ich hab’ das Gefühl, ich bin aufgewacht und
fang’ an zu leben. In dieser
schrecklichen Situation der Haft und getrennt von meinem Freund habe ich doch
auch angefangen, Gutes zu entdecken,
Chancen für mein Leben zu sehen.
Alle Dunkelheit der Welt
kann das Licht einer
einzigen Kerze nicht
Ich mache jetzt bald eine Therapie für
Frauen bei ‚Primadonna’. Und ich glaube,
dass mir das viel helfen wird. Denn ich will
endlich leben. So ist das Gefängnis für
auslöschen.
15
(aus China)
Leben führen. Hier realisierst du es nicht
wirklich, aber ich kann sagen: Ich bin froh,
diese Erfahrung machen zu dürfen. Denn
so lerne ich (zwar durch eine harte Schule),
was es heißt, sich durchzusetzen, Probleme auszuhalten und nicht davor wegzulaufen. Klar fehlen mir die Umarmungen und
Liebkosungen meiner Familie und ich bin
nicht frei. Trotzdem lerne ich, in den Menschen zu lesen - und die meisten sind
falsch! Ich habe das Glück, hier Leute wieder zu treffen, die ich seit Jahren nicht
mehr gesehen habe. Eine habe ich seit 15
Jahren nicht gesehen und treffe sie hier im
Knast wieder. Zufall oder von Gott gewollt?
Wer weiß! Auf jeden Fall fühle ich mich
besser, wenn ich ein vertrautes Gesicht
erblicke.
Ja, ich habe hier drinnen einiges gelernt,
was für mein alltägliches Leben wichtig ist:
Stark bleiben, Ruhe bewahren und lächeln.
Es ist nicht schön, im Gefängnis zu sein,
aber man kann auch hier Schönes entdecken: den Chor, die Emmausgruppe, Yoga,
Bastelgruppe, Poesiegruppe und Gottesdienst. Und ich habe endlich viel Zeit zum
Lesen.
Also: Gebt nicht auf, bleibt stark! Es kann
nur besser werden.
Mein Leben im Gefängnis
Manchmal frage ich mich, warum? Ja, ich
habe einen Fehler gemacht, danach mein
Leben wieder geordnet, einen Job, eine
Familie aufgebaut, eine Therapie begonnen. Und dann findest du dich plötzlich
hinter Gittern wieder. Alles ist so unwirklich
und doch klare Gewissheit. Für die meisten
Menschen bist du gebrandmarkt. Viele beschimpfen dich als Verbrecher oder noch
schlimmer. Dabei vergessen die meisten,
dass auch wir Menschen sind. Mit Gefühlen
wie Trauer, Schmerz, Wut, Verzweiflung,
Einsamkeit und Angst. Warum versuchen
die Menschen nicht, hinter die Maske des
,Verbrechers‘ zu schauen. Da würden sie
Menschen sehen, die nach Hilfe rufen, egal
was sie verbrochen haben. Ob Diebstahl,
Mord oder Drogendelikte. Das sind Hilfeschreie nach Beachtung oder aus Verzweiflung.
Und wenn ich mir das so anschaue, denke
ich an Jesus. Er wurde geschlagen, beschimpft, bespuckt und dann lebendig ans
Kreuz genagelt. Und trotzdem stand er mit
erhobenem Haupt da. Denn er wusste, er
müsse durch diese Hölle gehen, um seinen
Auftrag zu erfüllen und so zum Leben zu
gelangen.
Wir erdulden einiges im Gefängnis. Manche
Beamtinnen, die einen behandeln wie Vieh,
das Essen und die Lästereien der Mitgefangenen. Aber ich weiß, dass mein Leben,
wenn ich hier draußen bin, wieder gut wird.
Ich habe eine tolle Familie, die hinter mir
steht und einen kleinen süßen Sohn. Allein
dafür lohnt es sich zu kämpfen. Ich gebe
nicht auf und kämpfe weiter. Ich will bei
meiner Entlassung erhobenen Hauptes aus
der Tür gehen und stolz sagen: ,Ich habe
es geschafft und bin stark geblieben.‘ Danach werde ich ein drogenfreies, friedliches
A. , NFA München, Schwarzenberg
Anfügen möchte ich ein Gebet
von einer Mitgefangenen und Freundin:
16
Leben im Namen und in
der Gnade Gottes mit
einem erfüllten Herzen!
Gott!
Mögen
d i ej e n i g e n,
d ie
über uns richten, niemals
vergessen,
dass
auch
sie
Wenn ich meine Umgebung erblicke, könnte ich kotzen. Doch nicht weil ich mich hier
im Gefängnis befinde und andere Menschen mein Schicksal zu bestimmen versuchen oder über mich richten wollen, sondern eher über die mangelnde Einsicht
vieler, die ihr eigenes Antlitz nicht ertragen
und es sich und anderen dadurch nur noch
schwerer machen. Alle, die wir hier in Haft
unser Dasein fristen, befinden sich im gleichen Boot. Doch anstatt sich an den Händen zu fassen, ihr eigenes Leben zu überdenken, sich selbstkritisch zu betrachten
und aus ihren eigenen Fehlern zu lernen,
verhalten sie sich genauso schlimm oder
sogar manchmal schlimmer als zuvor draußen auf der Straße, von der wir alle kommen.
Dir gegenüber zu Gehorsam verpflichtet sind.
Mögen
d i ej e n i g e n,
d ie
über uns richten, niemals
vergessen, dass sie bei ihren
Entscheidungen
Dei-
nen Gesetzen unterworfen
sind.
Mögen
d i ej e n i g e n,
d ie
über uns richten, sich immer bewusst sein, dass es
nur Dir obliegt, Recht vom
Unrecht zu unterscheiden.
Mögen
d i ej e n i g e n,
Ich bin froh, hier zu sein, das Schicksal und
Leid vieler Menschen zu sehen, zu bemerken, wie gut es mir selber doch geht und
wie viel Leid diese Erde über Menschen
gebracht hat. Doch nicht der Planet kämpft
gegen uns, sondern wir gegen ihn, von
Anbeginn. Ich kann diesen Lug und diese
Falschheit nicht mit ansehen, denn viele
drehen sich nur im Kreis, anstatt den Aufenthalt hier als eine Chance auf ein besseres Leben zu betrachten. Nein, sie lügen
weiter, betrügen und beklauen sich auch
hier gegenseitig und lassen sich auch noch
vom Bösen mitreißen. Viele sind auch nur
neidisch und eifersüchtig, Habgier bestimmt
ihr Dasein auf dieser Welt. Für all diese tut
es mir sehr leid, dass sie nicht gelernt
haben, in Gottes Namen zu leben, nicht in
Demut vermögen, sich selbst zu tadeln,
d ie
über uns richten, den Mut
haben, in Deinem Sinne zu
entscheiden.
Mögen
über
d i ej e n i g e n,
uns
Grenzen
r i c ht e n ,
ihrer
Gerichtsbarkeit
d ie
die
irdischen
nicht
ü-
berschreiten. Sie sind nicht Du, sie werden es niemals sein.
Danica, JVA München Schwarzenberg
17
sondern sich mit ihren Lügen nur weiterhin
selbst betrügen. Ich maße es mir nicht an,
über diese zu urteilen, ich sage nur, was
meine Augen sehen, meine Ohren hören
und mein Herz mich fühlen lässt.
die sich hier in diesem trostlosen Ort befinden, appellieren, sich und seinen Weg gut
anzusehen, zu überdenken, sich an Gott zu
wenden und vor Gott und sich selbst seine
Sünden zu bereuen. Denn nur wer erkennt
und versteht und seine Hand mit Liebe
ausstreckt, wird das Leben sehen, in dem
er sich hätte schon längst befinden können.
Durch meinen Glauben an Gott und seine
Gnade bin ich zuversichtlich und blicke mit
einem erfüllten Herzen in meine eigene
Zukunft. Ich weiß, dass ich mich auf Gott
verlassen kann und Er mich nicht alleine
lässt, solange ich lebe, bete und Ihm vertraue. Egal wie schwer oder wie furchtbar,
ausweglos oder zerstörerisch eine Situation
auch erscheinen mag, es geht immer voran, solange man den Glauben an das Positive nicht vergisst, sich selbst auch mal
zurück nimmt und andere beachtet und
achtet, wie sie sind - auch mit ihren Fehlern. Wenn man nur ein Stück versucht,
sich an die Gebote Gottes zu halten und
selbst mit gnädiger Hand waltet, wird Gott
einen auch nie verstoßen. Das Herz wird
erfüllt von Liebe sein, egal an welchem Ort
man sich auch befindet. Man muss sein
Wesen dafür nicht ändern, man muss nur
dazulernen, lernen zu kämpfen, nicht zu
resignieren und nicht zu versuchen, seine
eigene Schuld auf andere abzuwälzen,
denn das bringt keinen von uns auch nur
einen Schritt voran.
Die Umkehr und der Versuch, es zu tun,
sind das, was zählt. Keiner ist ohne Schuld.
Doch es ist einen Versuch wert zu probieren, nach der Hl. Schrift Gottes zu leben.
Und wer das tut, weiß auch, dass Gottes
Gnade und Gerechtigkeit allmächtig und
großartig sind.
Egal, was ich getan habe, ich habe immer
versucht, die Gebote des Herrn nicht zu
übergehen. Ich habe aus meiner Sicht immer mit Seiner Unterstützung und Seiner
Macht an meiner Seite überlebt und gelebt.
Dafür danke ich dem Herrn jeden Tag und
es lässt mich das alles hier im Knast leicht
ertragen und meine Buße tun, weil ich einen Halt habe. Mir hilft es sehr, aber man
muss dafür auch ehrlich zu sich selbst sein.
Ich habe gelernt, meinem Feind oder
Schuldiger die Hand im Guten zu reichen.
Dies befriedigt mich 100mal mehr, als mit
Hass und Gewalt zu reagieren. Ich habe
dadurch Frieden für mich erfahren. So sehe
ich meiner Zukunft mit einem sicheren Gefühl und mit Stärke entgegen. Ich danke
Gott für alles, was Er mir beschert. Es gibt
nie etwas Schlechtes, aus dem nicht auch
etwas Gutes resultiert. Davon bin ich überzeugt und lasse meinen Glauben aus meiner Seele sprechen, damit vielleicht auch
andere davon profitieren und einen besseren Weg für sich selber finden Versucht
Eure Zeit sinnvoll zu nutzen. Wir sind alle
Kinder Gottes und keiner ist allein.
Jeden Tag sterben auf dieser Erde unschuldige Kinder, Frauen und Männer! Es
gibt soviel Trauriges und viel zu viel Armut
auf dieser Erde. Um das sollten wir uns
Gedanken machen und uns selbst objektiv
und selbstkritisch betrachten. Gibt es denn
nicht immer einen anderen neben uns, dem
es viel schlechter geht als uns selbst? Es
ist für mich ein furchtbares Thema, und ich
kann auch hier nicht alles in Worte fassen,
was ich vielen gerne mit auf ihren Weg
geben möchte. Doch ich kann nur an alle,
Michaela, JVA München Schwarzenberg
18
Mein altes Leben
wurde durch die Haft
zwangsbeendet
Mit Anfang dreißig dann das unfreiwillige
Coming-Out – durch die gezielte, absichtliche Indiskretion von ‚Christen’. Ausgrenzung durch die ‚fromme Szene’, Verlust des
sozialen Umfeldes und seelischer Absturz
waren die Folge. Erst recht keine Chance,
Beziehungs- und Liebesfähigkeit zu entwickeln.
Mein inzwischen beinahe fünfzig Jahre
währendes Leben verlief in gewisser Hinsicht nicht besonders gut. Kindheit und
Jugendzeit waren geprägt durch die Unberechenbarkeit, den Jähzorn und den Alkoholismus meines Vaters und meiner sehr
manipulativen Mutter. Zunächst ‚gerettet’
haben mich die etwas ausgleichenden positiven Erfahrungen in der evangelischen
Jugend.
Mit vierzig traute ich mich dann endlich –
aber nur zu einem ‚Verhältnis’ mit einem
Vierzehnjährigen, dessen sexuelle Neugier
ich ausnutzte. Ich weiß heute, dass dies
absolut nicht in Ordnung war und unter
Strafe steht. Zwar kriegte ich nach einiger
Zeit die Kurve aus diesem für beide Seiten
unguten Verhältnis, aber nun wich ich auf
das Internet aus…
Vertrauensunfähigkeit, Urmisstrauen und,
mit beidem verbunden, das Verschließen
von Gefühlen und Nöten in mir selbst waren dennoch als ungute Saat gelegt. In
meiner Persönlichkeitsentwicklung blieb ich
dadurch in einigen Bereichen hängen (wie
mir jetzt aus der Rückschau klar wird).
Natürlich flog beides auf … und ich landete
für zweieinhalb Jahre im Knast. Völliger
Zusammenbruch meines bisherigen Lebens. Wohnung futsch, Freunde futsch,
alles futsch. Ich war am Ende und am
Boden, fühlte mich wie vor einer schwarzen
Wand. Tiefste Scham darüber, als gläubiger
(wenngleich zutiefst verwundeter) Christ im
Gefängnis gelandet zu sein.
Überdies bemerkte ich schon als Teenager,
dass mich Jungs mehr interessieren als
Mädchen. In dem christlich-fundamentalistischen Umfeld, in dem ich dann für viele
Jahre meine soziale Heimat hatte, wurde
mir jedoch immer gesagt, Homosexualität sei Sünde und Abfall von der Nachfolge Jesu. Und ich glaubte dies … und
verkümmerte im Laufe meiner Twenjahre innerlich immer mehr. Natürlich bekam das niemand mit, hatte ich ja im
Elternhaus perfekt gelernt, aus Selbstschutz mein Inneres nicht preiszugeben.
Meine emotionalen, erotischen und sexuellen Bedürfnisse ließen sich jedoch
auf Dauer nicht verdrängen. Weil ich
mich an gleichaltrige, erwachsene Männer nicht herantraute, begann ich, nach
pubertierenden Jungs zu schielen.
19
Doch was passierte? Ich bekam die Chance, das Programm einer Sozialtherapeutischen Abteilung für Sexualstraftäter zu
durchlaufen - viele wertvolle, oft tränentreibende Impulse.
Ich wurde einer wunderbar geduldigen Einzeltherapeutin zugeteilt
… viele wertvolle, auch tränenreiche Gespräche. Einzelzelle auf
Jugendherbergsniveau (Luxus für
bayerische Knastverhältnisse),
Gelegenheit, zur Ruhe zu kommen, mir ein vorübergehendes
Zuhause zu gestalten.
rührte mich an. Eine wunderbare Ergänzung zu meiner psychotherapeutischen
Arbeit.
Nun bin ich etliche Zeit schon wieder in
Endlich konnte/musste ich nicht
mehr vor mir selbst davonlaufen!
Vielmehr war dies die Möglichkeit,
meine Vergangenheit nochmals
anzuschauen und damit zu beginnen, sie aufzuarbeiten: Meine tief
sitzenden Verletzungen begannen
zu heilen; nachträgliches Trauern über verpasste Chancen und frühe Verluste sehr
geliebter Menschen durch Unfalltod fand
statt. Nach und nach begriff ich, warum ich
‚falsch’ abgebogen war und wo die Defizite
meiner Persönlichkeitsentwicklung lagen.
Kurz und gut: Eigentlich war ich froh, dass
mich die Richterin aus dem Verkehr gezogen und mir eine Zwangspause verordnet
hatte.
Freiheit. Bis jetzt klappt das Leben: Ich
erlebe – zum ersten Mal in meinem Leben
– eine tiefe Liebe in einer schönen Beziehung zu einem Mann. Natürlich besuche
ich regelmäßig die örtliche Emmausgruppe.
Ich bin auf einem guten, hoffnungsvollen
Weg, mir eine freiberufliche, künstlerische
Existenz aufzubauen. Mein altes Leben
wurde durch die Haftzeit ‚zwangsbeendet’.
Doch nun habe ich die Chance zu einem
kompletten Neuanfang geschenkt bekommen – und wer hat das schon mit knapp
fünfzig? Ich bin erfüllt von tiefer Dankbarkeit.
Und dann der göttliche doppelte Bonus:
Einerseits ergab es sich, dass ich mit anderen Gefangenen den Gottesdienst in der
evangelischen Anstaltskirche mit gestalten
durfte. Andererseits lernte ich die Emmausbewegung kennen, denn dort in der JVA
gab es eine entsprechende Gruppe.
Beim Auspacken meines eingelagerten
Hausrates fand ich eine Schmucktasse
wieder mit diesem Aufdruck:
‚Jesus Christus spricht:
Ich habe für dich gebetet, dass dein
Glaube nicht aufhöre.‘ Lk 22,32
Gott ließ mich nicht los, obwohl ich mich
vor ihm verkrochen hatte. Im Knast holte Er
mich wieder heraus aus dem Loch und
Peter
20
Plädoyer für einen humaneren und pro-sozialen
Strafvollzug
entstehen kann und auch dafür, wo dessen
Entwicklung hingehen sollte. Die Aussagen
gelten zwar für viele Bundesländer, jedenfalls aber für Bayern, dessen Strafvollzug
die Verfasser erlebt haben. Weitere Artikel,
auch mit entsprechenden Reformvorschlägen, werden folgen.
Teil 1:
Der blinde Fleck
mitten in der Gesellschaft
Wie hätten wir denn
die Haftentlassenen gerne?
Von den ca. 60.000 Menschen, die derzeit
in deutschen Gefängnissen einsitzen, werden de facto alle eines Tages wieder in die
freie Gesellschaft zurückkehren, unabhängig von Delikt oder Haftlänge. Die Zahl derer, die nicht mehr auf freien Fuß kommen,
ist vernachlässigbar gering.
Über das Thema Straffälligkeit haben leider
die Sensationsberichterstattung der Medien
und die Verlautbarungen von Gericht und
Staatsanwaltschaft die Deutungshoheit.
Meist binnen Stunden werden vermeintlich
Schuldige und ihre mutmaßlichen Motive
angeprangert und damit sind sie vorverurteilt, egal was davon später in der Rechtsprechung
Bestand haben wird.
Selbst falls sich bei Verdächtigten (zumal wenn
sie sofort in U-Haft genommen werden) im späteren Strafprozess herausstellt, dass sie teilweise oder vollends zu
Unrecht angeklagt waren,
haben weder sie noch
ihre Angehörigen eine
Chance, ihr altes Leben
und ihre Unbescholtenheit wieder zurückzugewinnen, denn "irgendwas
wird schon dran gewesen
sein …!" Nicht selten ist
das Ergebnis von Freisprüchen trotzdem die totale Existenzvernichtung des Betroffenen.
Gesetzt den Fall,
wir würden erfahren, dass in unsere
Nachbarwohnung
ein früherer Straftäter nach seiner
Haftentlassung
einziehen wird was für Erwartungen hätten wir
dann an ihn? Zu
welchem Typus von
Gesellschaftsmitglied sollte ihn
denn der Staat (im
Strafvollzug) verändert haben?
Sachinformationen
dazu sind allerdings medial nicht
sexy, solange sie nicht reißerisch daher
kommen. Deshalb ist es leider auch nicht
Teil der medialen oder staatlichen Berichterstattung, zu fragen, wo die Straffälligkeit
des Einzelnen her kommt, welchen indivi-
Diese Artikelserie will dazu beitragen, dass
in der Gesellschaft ein realistischeres Bewusstsein über den aktuellen Strafvollzug
21
duellen Inhalt und Zweck eine Freiheitsstrafe im speziellen Fall für ihn haben sollte
und vor allem darüber, was das Gemeinwesen denn zu erwarten hat, wenn "so
einer" wieder raus kommt.
Wäre der Strafvollzug ein Unternehmen
und müssten sich die politisch und vollzuglich Verantwortlichen am Ergebnis ihrer
Arbeit, ihrem "Output" (Quote der resozialisierten Haftentlassenen) messen lassen, so
müsste man diese Verantwortlichen sofort
entlassen und das Unternehmen abwickeln!
Für die Gesellschaft ist es aber wichtig und
sie hat ein Recht darauf, zu erfahren, was
zu Straftaten führt, wie sie geahndet werden und was im Freiheitsentzug geschieht.
Diese Information wäre vor allem auch den
Opfern von Straftaten geschuldet. Zumeist
bleibt es aber bei reißerisch aufgemachten
Rückblicken auf die vormalige Tat, kurz
bevor ein Inhaftierter wieder in Freiheit
kommt. Das hat die erneute Stigmatisierung des Haftentlassenen und diffuse
Ängste in seiner neuen Umgebung als
schädliche Folge.
Man stelle sich vor, BMW würde Autos produzieren, von denen auch nur 10% kurz
nach dem Verkauf defekt sind - man würde
Vorstand und Aufsichtsrat auf den Mond
schießen und die Firma kaum vor dem
Bankrott retten können.
Dagegen nimmt es die Öffentlichkeit klaglos hin (weil sie es nicht erfährt), dass ein
Heer von Staatsbediensteten in über 50%
der Fälle bei seinem Auftrag zur Resozialisierung versagt und damit auch bei der
Prävention und dem Schutz der Gesellschaft nach der Haftentlassung. Gleichgültig was die Gründe dafür sein mögen, muss
man sagen: Dieser Strafvollzug schadet der
Gesellschaft, er ist schuldig der unterlassenen Hilfeleistung für künftige Opfer!
Der "Konzern Strafvollzug"
versagt katastrophal
Auftrag und einzige Daseinsberechtigung
für den Strafvollzug ist die Sicherstellung
des Freiheitsentzugs ohne Schaden für die
Gesellschaft und die sog. Resozialisierung
der Inhaftierten. Vereinfacht gesagt wäre
der teure und personalintensive Strafvollzug nur dann gerechtfertigt, wenn er Straffällige sicher verwahrt und im Freiheitsentzug alles tut, damit ehemalige Straftäter bei
ihrer Haftentlassung künftig ohne Straffälligkeit bleiben und pro-sozialer Teil unseres
Gemeinwesens werden.
Die Steuerzahler und auch die potenziellen
Opfer von Rückfalltätern in der Gesellschaft
werden darüber vom Staat (wohlweislich?)
im Unklaren gelassen. Dass der aktuelle
Strafvollzug ca. 4,5 Mrd. EUR/Jahr kostet,
wird ebenfalls nirgends thematisiert und
das Thema "Output" von Strafvollzug wird
komplett ausgeblendet. Stattdessen schüren populistische Politiker unwidersprochen
mit einem "Wegsperren für immer" beim
Bürger die Illusion, dass mit dem Einsperren alles erledigt sei. Ob der praktizierte
Strafvollzug überhaupt tauglich ist, der Gesellschaft zu nutzen, bleibt unhinterfragt und er ist es keineswegs! Denn zumindest
so viel ist sicher: Eine Kosten-NutzenRechnung fiele katastrophal aus. Diese
Rechnung wird aber nicht aufgemacht (zu-
Die Gewährleistung der Sicherheit erfüllt
der Strafvollzug weitgehend und Entweichungen oder Gefährdungen für Dritte sind
die große Ausnahme. Aber bei dem damit
verbundenen Resozialisierungsauftrag versagt der Apparat total - die Rückfallquote
liegt - egal wie man sie misst oder definiert
- im Schnitt bei 50%, teilweise sogar deutlich höher!
22
mindest nicht publik gemacht), denn es
sind ja "nur Steuergelder". Das Vertrauen
der Gesellschaft in die vorbeugende und
korrigierende Schutzfunktion des Staates
wird missbraucht und nicht eingelöst. Der
Bürger wird "dumm" gehalten (unwissend)
und ihm wird vermittelt, die Verantwortlichen wüssten schon, was sie tun und das
war schon immer so - Transparenz ist nicht
willkommen. Wissenschaftliche kriminologische Erkenntnisse aus Jahrzehnten
werden grundsätzlich negiert, stattdessen ist das "Länger-und-härter-Bestrafen" die einzig erkennbare Veränderung. Hauptsache "mia san mia" ...
top, in dem fast nach Belieben mit dem
Objekt Mensch umgegangen werden kann dem kritischen Blick der Öffentlichkeit entzogen.
Gefängnisse sind die wohl unnatürlichsten
und schlechtesten Orte für soziale Wesen
und überwiegend kommen Menschen dort
"schlechter" heraus, als sie hinein mussten.
Käfig- und Massentierhaltung finden hier
„Blinder Fleck"
mitten in unserem Gemeinwesen
Von jeher ist das Einsperren von Menschen nur die ultima ratio des Staates,
wenn er sich nicht mehr anders zu
helfen weiß, mit dem Bürger umzugehen, der gegen wichtige Regeln des
Zusammenlebens verstoßen hat. Es ist
nachvollziehbar und richtig, dass Gerichte staatlicherseits das sanktionieren, was ansonsten in private Rache
ausarten könnte (Gewaltmonopol),
auch durch Freiheitsentzug als eine
Möglichkeit der Bestrafung.
Die Strafvollzugsgesetze des Bundes
und der Länder sind größtenteils selbst aus der Sicht von Betroffenen gut durchdacht und richtig.
ihre inhumane Entsprechung für die "Aussätzigen" der Gesellschaft, die Randgruppe
der Gefangenen.
Umso weniger ist es nachvollziehbar, wieso
die praktische Umsetzung des Strafvollzugs
ein absolutes Stiefkind der Gesellschaftspolitik ist, die Schmuddelecke, der
blinde Fleck mitten in unserem Gemeinwesen. Gefängnisse und wie sie arbeiten, wo
sie nutzen oder gar schaden, sind eine
unbekannte Parallelwelt, eine Art Sozialbio-
Um es klar zu sagen - die überwältigende
Mehrzahl der inhaftierten Strafgefangenen
muss sich als Folge ihrer Straffälligkeit den
Freiheitsentzug zurechnen lassen und diesen auch aushalten. Dies rechtfertigt aber
nicht, dass sie dabei zusätzlich auch noch
23
in ihrer Menschenwürde verletzt oder ihnen
die Garantien eines modernen, demokratischen und sozialen Rechtsstaats vorenthalten werden. Dass dies sogar der Alltag in
Gefängnissen ist und die Möglichkeiten zu
willkürlichem Staatshandeln so vielfältig
sind, ist unserer Gesellschaft nicht nur unwürdig, sondern auch klar gesetzeswidrig nur erfährt davon fast niemand! Und wenn
es vor Wahlen in der Bierseeligkeit von
Stammtischen doch thematisiert wird, dann
geschieht es "denen" doch ganz recht,
dann werden "Law-and-Order"-Sprüche
geschwungen.
vor sie dagegen vorgehen können. Das
rechtliche Instrumentarium dazu ist nur
sehr schwach ausgeprägt und man ist praktisch gezwungen, gegen die JVA vor Gericht zu gehen und viele Monate auf eine
Entscheidung zu warten. Was dann Gefangene erwartet, die es dennoch wagen, ihr
Anliegen vor Gericht überprüfen zu lassen,
reicht vom Vorwurf des Querulantentums
über unangekündigte Zellenkontrollen bis
zu Verschleppen von Lockerungsabläufen
und spontanen Verlegungen in andere Anstalten. Jedenfalls sollte sich derjenige
warm anziehen und mit vielem rechnen,
was man durchaus als Schikane empfinden
kann.
Machtgefälle und Willkür
Der praktische Alltag im Strafvollzug wird
durch Verwaltungsvorschriften, Hausordnungen sowie Einzelweisungen der Anstaltsleiter/innen, die einen sehr großen
Ermessensspielraum haben, bestimmt. In
diesen Ausführungsbestimmungen zu den
(guten) Gesetze wird aber sehr viel von
dem, was der Gesetzgeber eigentlich beabsichtigte hatte, zu Ungunsten der Gefangenen aufgeweicht oder gar konterkariert.
Das Machtgefälle im Vollzug ist riesig und
eine eiserne Regel ist es, nicht mit Gefangenen zu sprechen, sondern über sie hinweg zu entscheiden. Konfrontation und
Opposition gegen den Strafvollzug und
dessen Ziele ist dadurch zur Regel geworden.
So hat sich der Gesetzgeber die Resozialisierung zu einem mündigen Staatsbürger
sicher nicht vorgestellt. Stattdessen kommen dann Menschen zurück in Freiheit, die
zumeist die Nase so voll von Staat und
Obrigkeitswillkür haben, dass der Gesellschaft damit nicht gedient, sondern geschadet ist!
Dadurch ist es möglich, dass alle Strafvollzugsbediensteten zahllose Maßnahmen
treffen können, die sich für Gefangene als
ständige weitere "Nebenstrafen" auswirken,
obwohl ihre eigentliche Strafe im Namen
des Volkes "nur" den Entzug der Freiheit
vorsieht. Selbst wenn es oft nicht so gemeint sein mag, aber für den entmündigten
Gefangenen, der zusammen mit seinen
Bezugspersonen dem totalen System
Strafvollzug vollkommen ausgeliefert ist,
kommt vieles davon nur noch als reine
Willkür an.
Bevor wir Möglichkeiten zur Veränderung
des Strafvollzugs aufzeigen wollen, soll als
Teil 2 in der nächsten Ausgabe eine Bestandsaufnahme stehen, was in der praktischen Umsetzung des Strafvollzugs hauptsächlich im Argen liegt unter dem Thema:
Strafvollzug schadet der Gesellschaft,
wenn …
Die Rechtslage sieht aber vor, dass Gefangene zunächst allen "Anweisungen von
Bediensteten Folge zu leisten" haben, be-
Im Juli 2015 von Betroffenen aus Bayern
24
Menschen,
Wir brauchen
sind als wir,
die schlechter selbst
s
un
r
vo
r
wi
it
dam
en.
bestehen könn ndenböcke,
Sü
Wir brauchen
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damit wir selb
n können.
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unsere Sünden
Wir brauchen abzuladen:
re
nicht auf ande sie
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t
ha
llig
wi
ei
Fr
n,
für uns getrage ck bo
unser Sünden s.
te
das Lamm Got
Petrus Ceelen
25
ART. 2
AUFGABEN
DES VOLLZUGS
1 Der Vollzug der Freiheitsstrafe
dient dem Schutz der Allgemeinheit
vor weiteren Straftaten.
2 Er soll die Gefangenen befähigen,
künftig in sozialer Verantwortung ein
Leben ohne Straftaten zu führen
(Behandlungsauftrag).
ART. 3
BEHANDLUNG
IM VOLLZUG
1 Die Behandlung umfasst alle
Maßnahmen, die geeignet sind, auf
eine künftige deliktfreie Lebensführung hinzuwirken.
2 Sie dient der Verhütung weiterer
Straftaten und dem Opferschutz.
3 Die Behandlung beinhaltet insbesondere schulische und berufliche
Bildung, Arbeit, psychologische und
sozialpädagogische Maßnahmen,
seelsorgerische Betreuung und
Freizeitgestaltung.
4 Art und Umfang der Behandlung
orientieren sich an den für die Tat
ursächlichen Defiziten der Gefangenen.
Bayerisches
26 Strafvollzugsgesetz
(v. 01.01.2008)
Macht. Gefängnis. Sinn?
tung voraussetzt, dass man Teil der Gesellschaft ist, aus der aber die Gefangenen
gerade ausgeschlossen sind?
So verwundern die Rückfallquoten nicht,
die laut einer Studie aus 2014 nach sechsjährigem Beobachtungszeitraum 45% und
bei Jugendlichen sogar bei 70 % liegen. Je
nach Sanktion, Delikt oder Region liegen
die Zahlen sogar noch höher. Studien zufolge führen sozialtherapeutische Behandlungsmaßnahmen oft zu einer Senkungen
der Rückfallquoten, aber leider sind sie in
puncto Resozialisierung nur von beschränkter Aussagekraft.
Zudem wirken dem Gelingen der Resozialisierung auch die in der Haft hinzukommenden Gefahren entgegen: Dass manche dort
erst richtig kriminell werden, dass das
Selbstwertgefühl und die sozialen Beziehungen zerstört werden, dass bleibende
Stigmatisierung sowie durch die Haft verursachte psychische Störungen entstehen bis
hin zum Suizid.
war das Thema einer Tagung, die im Februar 2015 in
der evang. Akademie in Tutzing stattfand. Den Eröffnungsvortrag hielt der Kriminologe und Leiter der
sächsischen JVA Zeithain, RegDir Dr. Thomas
Galli, der über langjährige Erfahrungen in verschiedenen Positionen des Strafvollzugs, so auch in Amberg und Straubing, verfügt.
Langfassung: www.machtgefaengnissinn.de
Hier werden einige der von ihm geäußerten Gedanken wiedergegeben:
Fünf Ziele verbindet der Staat mit Inhaftierung. Deren Sinnhaftigkeit bzw. Erreichbarkeit werden kritisch hinterfragt:
1. soll Vergeltung praktiziert werden, indem dem Straftäter, der Übles (Unrechtmäßiges) getan hat, ebenfalls ein Übel
(Freiheitsentzug) zugefügt wird.
2. soll eine Resozialisierung zum Nutzen
des Inhaftierten wie auch der Gesellschaft
erfolgen.
3. dient die Haft der Sicherung vor weiteren Straftaten.
4. soll durch die Strafe eine Abschreckung
potenzieller Täter erreicht werden und
5. soll der öffentliche Vollzug der Strafe
eine Stärkung des Vertrauens der Allgemeinheit in Recht und Gesetz bewirken.
Der Stellenwert, der diesen Zielen eingeräumt wird, wird kritisch unter die Lupe genommen. Dabei erscheint das Ziel der Resozialisierung besonders beachtenswert,
weil faktisch alle Inhaftierten irgendwann
wieder in Freiheit entlassen werden und die
Allgemeinheit deshalb am besten durch
eine große Gewichtung auf die Resozialisierung vor weiteren Straftaten geschützt
wird. Inwieweit kann es aber im Gefängnis
überhaupt gelingen, zu resozialisieren? Ist
nicht sogar ein Widerspruch darin zu sehen, dass ein Leben in sozialer Verantwor-
(Siehe auch der Artikel: Mögliche schädliche Folgen
des Strafvollzugs, S. 31 f in diesem Heft.)
Galli plädiert dafür, dass verstärkt ein dem
christlichen Menschenbild entsprechender Vollzug auf Augenhöhe angestrebt
werden sollte, bei dem sich die Bediensteten nicht für mehr wert erachten sollten
als die Gefangenen und sich nicht über die
Gefangenen erheben und diese dadurch
klein halten dürfen. Um diesem Ideal näher
zu kommen, muss ein höchstmögliches
Maß an Selbst- und Mitbestimmung der
Inhaftierten angestrebt und damit der
Macht-Ohnmacht-Dualität zumindest teilweise entgegen gewirkt werden. Hierzu
müssen Räume geschaffen werden (z. B.
durch die Gründung von Kommissionen für
gemeinsame Arbeit und Aktivitäten), in denen Gefangene Verantwortung über27
nehmen und Team-Strukturen gebildet
werden können.
Vorteilhaft wäre es auch, die Gewährung
von erforderlichen Behandlungsmaßnahmen weniger restriktiv zu handhaben.
Der Vollzug sollte weniger prüfen, mit welcher Begründung er die Anliegen von Gefangenen ablehnen kann. Stattdessen sollten unterstützende Anregungen, auch von
Seelsorgern und Ehrenamtlichen, mehr
Beachtung finden und deren Einbindung
unbürokratischer ermöglicht werden. So
sollte ein Gefängnis nicht nur Probleme
verwalten, sondern aktiv Positives gestalten. In einem Klima
von Angst und Druck
können Gefangene
nicht positiv beeinflusst werden und es
entstehen meist negative Identifikationsmöglichkeiten. Damit
werden eher Aggressionen aufgebaut, die
dann wieder Straftaten
nach sich ziehen können. Es sollte eingehender geprüft werden, inwieweit repressive Maßnahmen zur Aufrechterhaltung von Sicherheit
und Ordnung zwingend erforderlich
sind. Auch ist zu prüfen, inwieweit z. B. der
Arrest als Disziplinarmaßnahme durch eine
einvernehmliche Streitbeilegung ersetzt
werden kann. Hiermit habe man im sächsischen Strafvollzug gute Erfahrungen gemacht.
Zur Vermeidung von schweren seelischen
Schäden, die insbesondere bei langjährig
Inhaftierten entstehen können, sollten
Kontakte zu externen Bezugspersonen
vermehrt und einfacher ermöglicht werden,
anstatt einzig Sicherheit und Ordnung in
den Fokus zu stellen. Daher wird im sächsischen Strafvollzug ein Schwerpunkt auf
die Familienorientierung gesetzt, beispielsweise durch nicht überwachten Langzeitbesuch. Derartige Maßnahmen (mit denen
Gefangene auch Belohnung neben der
allgegenwärtigen Bestrafung für unerwünschtes Verhalten erfahren) lassen eine
niedrigere Rückfallquote erwarten.
Galli mahnt selbstkritisch: Vertreter der
Justiz sollten nicht
länger dazu beitragen, "dass sich
der (Irr-)Glaube
hält, die Integration in die Gesellschaft könnte
durch die Haft am
besten gelingen."
Hier sei auch die
Wissenschaft
gefordert, die
Wirkung einzelner
Maßnahmen weitergehend zu
erforschen. Die
wissenschaftliche
Erkenntnisbasis
sollte vergrößert
und im Strafvollzug entsprechend
angewandt werden. Hierbei müsse man verstärkt nach
vorbeugenden Maßnahmen suchen bzw.
sozialen Strukturen entgegenwirken, die zu
schädigendem Verhalten führen.
Für unser soziales Zusammenleben brauchen wir eine Moral, die gut und böse unterscheidet und sich am Bild eines selbst28
bestimmten Menschen mit freiem Willen
orientiert, wie wir es auch aus dem christlichen Glauben kennen. Der Mensch hat den
freien Willen, um sich Gott zuzuwenden
oder sich Gott zu verweigern. So dürfen wir
den Menschen auch nicht mit seiner "bösen" Tat gleichsetzen und Straftäter als
minderwertig ansehen. Jeder Mensch trägt
das Potenzial für gut und böse in sich.
Der Vortrag schließt mit den Worten: "Um
dem Sinn von Gefängnis mehr Raum zu
geben und den Unsinn zurückzudrängen,
brauchen wir einen breiten Diskurs unter
Einbeziehung wissenschaftlicher Erkenntnisse und möglichst aller gesellschaftlicher
Kreise und Institutionen; und da spielen die
Vertreter von Kirche, Politik, Medien und
sozialen Einrichtungen sowie Mitarbeiter in
den Gefängnissen eine ganz wesentliche
Rolle."
In jedem jungen Menschen,
auch in den schlimmsten,
gibt es einen Punkt, wo er
dem Guten zugänglich ist;
und so ist es die erste
Pflicht des Erziehers, diesen
Punkt, diese empfängliche
Stelle des Herzens zu suchen und zu nutzen.
Zusammenfassung: Barbara Jörg
weil ich es dann am
Konfuzius, chines. Weiser des 6. Jahrh. v. Chr.
* * * * *
Liebe mich, wenn ich es
am wenigsten verdiene,
meisten brauche!
* * * * *
Eine Art Feindesliebe
Mitleid haben
auch mit denen
in denen das Leid
so schlecht wie keinen
Platz mehr gelassen hat
für ihr Mitleid.
Erich Fried
29
glaubliche Hoffnung bereit: Keine Gefängnismauer kann sein Licht abhalten. Keinen
noch so dunklen Ort gibt es, wo Gott nicht
seine befreienden Boten hinschicken kann.
Und das fürbittende Gebet kann Wunder
wirken, auch heute, auch in einem Gefäng-
Darf man im Gefängnis
auf Wunder hoffen?
Die meisten werden sagen: In dieser harten
Welt gibt’s keine Wunder. Und doch
hat der Evangelist Lukas in seiner
Apostelgeschichte (Kap. 12) genau in dieser Welt ein Wunder
beschrieben: Die Rettung des
Petrus aus dem Gefängnis des
Herodes in Jerusalem. König Herodes war auf die politische Unterstützung der Pharisäer aus.
Und da diese der neu entstehenden Christengemeinde feindlich
gegenüber standen, ließ er deren
Anführer Petrus einsperren, um
sich damit bei den Pharisäern
einzuschmeicheln. Petrus sollte
den Juden dann öffentlich vorgeführt werden. Das Ergebnis war
klar vorhersehbar: Er sollte mit
Volkes Stimme verurteilt und getötet werden.
Petrus wird schwer bewacht und
an Ketten gefesselt; vor Erschöpfung schläft er. Draußen beten die
Freunde aus der Christengemeinde inständig für ihn. Lukas
erzählt nun: Ein Engel, ein Bote
Gottes also, weckt ihn auf mit
seinem Licht, stößt ihn in die Seite und fordert ihn auf mitzukomRaffael, Die Befreiung des Petrus,Vatikanische Museen
men. Petrus weiß nicht, wie ihm
da geschieht. Die beiden passieren
nis: Einer bekommt wieder Lebensmut.
sämtliche Wachen, das eiserne GefängnisEine gewinnt wieder Selbstachtung. Einer
tor öffnet sich ihnen; Petrus ist frei und der
kann Reue und Einsicht in seine Schuld
Engel verschwindet.
gewinnen. Eine kann ihre Rachegefühle
Eine schöne Geschichte – gewiss. Doch
überwinden. - Viele Briefe, die in dieser
die Botschaft dieser Geschichte ist für alle,
Zeitschrift veröffentlicht werden, sprechen
die Gott vertrauen wollen und können, unJosef Six
davon.
geheuer: Dieser Gott hält für uns eine un30
Mögliche schädliche
Folgen des Strafvollzugs
"Verbrechern" unterscheidet, wohl aber
vom Gros der Bevölkerung außerhalb der
Anstalt. Neben seiner Freiheit verliert der
Gefangene eine ganze Reihe weiterer Güter, die für Menschen außerhalb der Gefängnismauern zur Selbstverständlichkeit
gehören und zu einem menschenwürdigen
Leben nötig sind.
Verlust der Privatsphäre
Von Privatsphäre kann nicht die Rede sein,
wo man auf engem Raum mit unzähligen
Menschen zusammenleben muss, deren
Gemeinschaft man nicht gesucht hat. Es
gibt kaum eine Möglichkeit, sich vor den
anderen zurückzuziehen und selbst, wenn
man allein auf Zelle sitzt, kann man nie
sicher sein, ob nicht im nächsten Augenblick ein Beamter die Tür öffnet.
Abbruch heterosexueller
Das Gefängnis als
totale Institution
Unter totalen Institutionen versteht man
solche, die das gesamte Leben der darin
lebenden Menschen beherrschen. Außer
Gefängnissen zählen dazu in mehr oder
weniger starkem Ausmaß auch psychiatrische Krankenhäuser, Erziehungsheime,
Kasernen, Internate und Klöster. Ihnen
allen sind einige Merkmale gemeinsam
•
Autoritäres System
•
Streng geregelter Tagesablauf
•
Viele Schicksalsgenossen
•
Institution darf nicht verlassen
werden
Menschen, die in solchen Institutionen
leben (müssen), sind zum Teil einem hohen psychischen Leidensdruck ausgesetzt.
Das Gefängnis als Inbegriff einer solchen
totalen Institution kann zahlreiche schädlichen Auswirkungen auf die Inhaftierten
haben. Das sieht auch der Gesetzgeber
so, der mit dem § 3 StVollzG den Schaden
für die Gefangenen möglichst gering zu
halten sucht.
Im Gefängnis
Beziehungen
Wo nur Männer zusammenleben, werden
auch solche Männer zur Homosexualität
gedrängt, die von ihrer Veranlagung her
heterosexuell sind. Gelegentlich kommt es
auch zu sexueller Gewalt.
Trennung von den Angehörigen
Strafgefangenen steht pro Monat mindestens eine Stunde Besuch durch Verwandte
zu. Die Personalknappheit in vielen Gefängnissen lässt dieses Minimum oft zur
Stigmatisierung und
Regel werden.
Identitätsverlust
Mit dem Tag der Inhaftierung verliert der
Gefangene auf einen Schlag all seine gewohnten Lebensbezüge. Mit einem Mal ist
er völlig hilflos einer übermächtigen Institution ausgeliefert. Schon durch die Einkleidung in die uniforme Anstaltskleidung wird
dem Gefangenen verdeutlicht, dass für ihn
nun ein völlig anderes Leben beginnt und
dass er sich in nichts von all den anderen
Mangel an einer
natürlichen Umgebung
Bei nur einer Stunde Hofgang pro Tag sind
die Gefangenen die meiste Zeit einer eintönigen, künstlichen und krank machenden
Umgebung ausgesetzt.
Verlust der Habe
Außer den wenigen Gegenständen, die der
Gefangene auf seiner Zelle besitzen darf,
31
wird ihm aller Besitz für die Zeit der Haft
weggenommen.
Verlust von Selbständigkeit
knackt; ein Autodieb erfährt, wie sich mit
Heroin schnelles Geld machen lässt usw.
Nach der Entlassung
und Kreativität
Im Strafvollzug ist jeder Augenblick des
Alltags streng geregelt. Für freie, eigenverantwortliche Entscheidungen bleibt
wenig Raum.
Verlust der
Verlust der Arbeit
Nach der Inhaftierung ist es für Gefangene sehr schwierig eine neue Arbeit zu
finden. Als Vorbestrafter kommt man nur
selten irgendwo unter.
Verlust der Wohnung
Fast kein Gefangener kann während seiner Inhaftierung seine Wohnung draußen
halten. Kommt er dann aus dem Gefängnis, steht er zunächst einmal auf der Straße.
Verlust an Beziehungen
So mancher will mit einem "Ex-Knacki"
nichts mehr zu tun haben. Überhaupt ist
es schwierig, Beziehungen nach draußen
aufrechtzuerhalten, wenn man sich monate- oder jahrelang niemals sieht. Auch
viele Ehen zerbrechen während der Inhaftierung.
Für Dritte: Familie
Gerne wird vergessen, dass oft die Familie des Inhaftierten (obwohl unschuldig)
die Hauptlast an der Inhaftierung trägt.
Opfer
Bei Vermögensdelikten haben nicht einmal die Opfer etwas von der Inhaftierung
des Gefangenen. Im Gegenteil: Durch die
geringe Entlohnung im Gefängnis, kann
sich eine Rückzahlung des Schadens
lange hinauszögern, sofern sie nicht überhaupt unmöglich wird. Mit Verbüßung
der Haftstrafe ist für die meisten Gefangenen die Schuld abgegolten. Zu einem
Ausgleich mit dem Opfer sieht sich kaum
ein Gefangener verpflichtet.
persönlichen Sicherheit
Gefangene sind Übergriffen durch Mitgefangene und Vollzugspersonal fast ungeschützt ausgesetzt.
Verlust des Realitätssinns
Viele Gefangenen verlieren in der Haft
den Sinn für jede Realität. Oft träumen sie
von einer wunderschönen Zukunft nach
der Inhaftierung, ohne an ihre negativen
Erfahrungen in der Vergangenheit und
praktischen Probleme zu denken.
Haftkoller
Die psychischen Belastungen während
der Haft können bei langen Haftstrafen zu
seelischen Spannungen führen, die sich
irgendwann gewaltsam gegenüber Mitgefangenen oder dem Anstaltspersonal entladen.
Selbstmord
Gerade in den ersten Tagen der Haft kann
der durch die Inhaftierung ausgelöste
Schock zum Selbstmord führen. Gefangene, die zum ersten Mal ins Gefängnis
kommen, sind davon besonders häufig
betroffen.
Erlernen von Kriminalität
Im Gefängnis kann der Gefangene viel
dazulernen: Ein Drogentäter kann beispielsweise lernen, wie man ein Auto
Dieser Beitrag ist unter der Rubrik ,Kontroverse Themen‘
von der Internet-Plattform knast.net veröffentlicht.
32
Aus manchen Gefängnissen
ist‘s brav!“ Und wenn der Besuch fort war,
richteten die Eltern die Tante nach Strich
und Faden aus, zogen über sie her: „Wie
die wieder rumläuft, die olle Zofe!“
Es gibt verschiedene Arten des Vollzugs:
Geschlossener und offener Vollzug, Maßregelvollzug und Verwahrvollzug. Mein
Vollzug war der innere Vollzug oder der
Spießbürgerkorsett-Vollzug. Meine Gitter
und Mauern waren gesellschaftliche Normen: „Das tut man nicht!“ „Was werden die
Leute sagen!?“ Das Strafmittel waren gesellschaftliche Ächtung, vorwurfsvolle oder
verständnislose Blicke der anderen bis hin
zum Ausschluss aus der Gemeinschaft.
Und nicht zuletzt die Sexualität: Mit ,Pfui‘
und Ekel wurden da Versuche belegt, meinen eigenen Körper zu entdecken, anzuschauen, zu berühren und dabei Lust zu
empfinden! Ich weiß noch, wie meine
Mutter mir den Hintern versohlte, als ich mit
knapp drei Jahren nackt im Kinderbett mit
meinem Penis spielte!
muss man einfach ausbrechen
Diese wenigen Beispiele
mögen zeigen, wie sehr
ich dieses Korsett als
Gefängnis erlebte. Bei
manchen Verhaltensmustern kämpfe ich bis heute,
daraus auszubrechen.
(Auch ein trotziges Übertreten mancher Normen
zeugt ja davon, dass ich
die Verhaltensnorm noch
in mir trage, gerade weil
ich sie bekämpfe. So bin
ich noch nicht wirklich
frei.
Oberster Richter war die öffentliche Meinung, verkörpert durch den erhobenen Zeigefinger meiner Eltern (oder waren es nur
die Zwanghaftigkeit und die Ängste meiner
Mutter?), deren moralin-saures Korsett ich
mir als Kind zunächst zu eigen machte.
Und was da alles reglementiert und bestraft
wurde:
Religiöse Vorschriften: „Der ,Himmivater‘
sieht alles und schimpft. Du musst brav und
gehorsam sein, damit er dich liebt. Sonntags musst du zur Kirche gehen, sonst
kommst du in die Hölle.“ Gott und sein Gehilfe, der Nikolaus, als Vollstrecker mancher
Erziehungsvorschriften.
Mit dreizehn Jahren fing
ich an zu rebellieren.
Nachdem ich bis dahin
eine - wie ich sie nannte Hitlerfrisur hatte, ließ ich
mir nun die Haare wachsen. Und wie das meine
Mutter auf die Palme
brachte - richtig schön! Sie hatte kein
Machtmittel dagegen. Ich ging einfach nicht
zum Friseur. Und der Vater unterstützte sie
trotz mehrmaliger Aufforderung ihrerseits
(„Jetzt sag doch du auch mal was!“) nicht.
1:0 für mich! Der erste Stein der Gefäng-
Bekleidungsvorschriften: Es war genau
geregelt, was zu welcher Gelegenheit getragen werden musste. Wie hasste ich den
Kulturstrick, die Krawatte, die ich bis heute
verweigere (nicht nur, weil sie nur eine
Hinweisfunktion auf das männliche Geschlechtsteil ist!).
In der Kommunikation: Nach außen immer
eine freundliche Fassade: „Sei ein liebes
Kind! Gib der Tante schön die Hand! So
33
nismauer war gefallen. Ich rebellierte! Und
das erstreckte sich bald auf alle Bereiche.
Mit mir rebellierten auch meine Altersgenossen, ja eine ganze junge Generation.
Verhaltensvorschriften hatte ja zum Teil
auch eine wichtige Funktion: Gute Werte zu
schützen. Aber Befreiung geschieht oftmals
zuerst von einem Extrem ins andere, bis
man dann den gesunden Mittelweg erkennt
und lebt.
Die Jeanszeit war gekommen! ,Blue Jeans‘
zu jeder Gelegenheit, ob ins Theater oder
in die Kirche ... Am besten ausgewaschen,
ausgefranst, zerrissen! Einfach dagegen
sein, anders sein, raus aus den überholten
Vorschriften.
Dann die sexuelle Revolution, freie Liebe.
Die Anti-Baby-Pille machte vieles einfacher.
Gott liebt den Sex!
Für mich war die Jugendzeit ein Rebellieren gegen alle Vorschriften und Obrigkeiten
nach der Devise: „Mach‘ kaputt, was dich
kaputt macht!“ Und diese Zeit war für mich
wichtig, um frei zu werden, das Zwangskorsett von mir zu schleudern, spießbürgerlichen Kleingeist abzulegen.
Freilich merkte ich bald, dass ich zunehmend in ein neues Gefängnis geraten war:
Es war die Abhängigkeit von der Willkür
meiner inneren Triebe, von meiner täglichen Lust und Laune. Dazu kam die Gefahr, immer mehr von Alkohol und anderen
Suchtmitteln abhängig zu werden. Doch ich
bekam - Gott sei‘s gedankt - die Kurve.
Als Erwachsener konnte ich dann schauen,
welche Werte das Korsett schützen wollte:
Achtung vor den anderen (z.B. wenn ich
mich zu einem Fest schick anziehe!); Sexualität als intimster Vollzug partnerschaftlicher Liebe; Religion als Beziehungspflege
zu unserem Schöpfer ... Ich hatte mich aus
meinem Gefängnis - so gut es ging - befreit. Aber dieser Prozess dauert wohl ein
Leben lang:
Befreien von äußeren (sinnlosen) Zwängen; Erkennen, was für mich, meine Mitmenschen und für ein Zusammenleben in
Gesellschaft, Kirche und Familie an Regeln
und Normen wichtig und notwendig ist.
Politisch links und sozial engagiert sein,
Haschisch rauchen, Alkoholexzesse, Hippie-Dasein: Make peace - not war!
Es gäbe noch vieles zu erzählen!
In der Bibel schreibt der Apostel Paulus:
„Prüft alles, das Gute behaltet!“(1Thess 5,21)
Vom Rest befreit euch!
Zugegeben: Wir haben das Kind oft mit
dem Bade ausgeschüttet. Das Korsett der
Franz
34
Die Legende vom Hamsterrad
Wir wünschen Dir:
- die Freiheit zu sehen und zu
Vor langer Zeit traf sich der Teufel
mit dem lieben Gott.
Gott sprach zum Teufel von der Freiheit, für die er den Menschen geschaffen habe und von seinen Träumen für
ihn. Der Teufel hörte sich das eine
Zeit lang an, dann sagte er: Deine Gedanken und Träume sind ja schön und
gut! Aber die Menschen werden das nie
begreifen! Erlaube mir, dass ich in der
Welt viele unsichtbare Hamsterräder
aufstelle.
Dann wirst du sehen: Die Menschen
werden sich diesen Rädern nähern,
ohne sie wahrzunehmen. Sie werden
sie „Alltag“ nennen, oder „Normalität“,
und sie werden blind in ihnen herumlaufen ohne Unterlass, und dich werden
sie bei all ihrer Arbeit ganz vergessen.
Dann wirst du sehen, dass deine Träume für sie viel zu hoch sind!
Gott ließ sich auf das Experiment ein.
Er sagte: Ich traue meinen Menschen
zu, dass sie erkennen, wozu sie eigentlich erschaffen sind! Lieber Teufel, sie
werden in deine unsichtbaren Hamsterräder hinein laufen, das ist gewiss, aber
glaube mir: Es wird nicht lange dauern,
bis sie merken, dass es sehr viel mehr
gibt in ihrem Leben als Arbeit und Feierabend und dann wieder Arbeit und
Alltag und drei Wochen Urlaub und
dann wieder Arbeit, und so weiter.
hören, was im Moment wirklich da ist, anstatt das, was
sein sollte, gewesen ist oder
erst sein wird.
- die Freiheit, das auszuspre-
chen, was Du wirklich fühlst
und denkst, und nicht das, was
von Dir erwartet wird.
- Die Freiheit, zu Deinen Ge-
fühlen zu stehen, und nicht
etwas anderes vorzutäuschen.
- Die Freiheit, um das zu bitten, was Du brauchst, anstatt
immer erst auf Erlaubnis zu
warten.
- Die Freiheit, in eigener Verantwortung Risiken einzugehen, anstatt immer nur auf
„Nummer sicher zu gehen“
und nichts Neues zu wagen.
Wir wünschen Dir das Gefühl,
ohne Einschränkungen in der
eigenen Kraft zu sein, das Leben – mit der Nähe Gottes –
kraftvoll meistern zu können.
Wie das Experiment ausging?
Ich weiß es nicht.
Wir sind ja noch mitten drin!
Verfasser unbekannt
35
Schuld, des Vernarrt-Seins in einen krankmachenden Lebensstil ... - und manchmal
tun sie es sogar in Gefängnissen.
Gefesselt - befreit
Etwa 1986 hat der amerikanische
Künstler Keith Haring dieses Bild
gemalt. Am rechten Rand steht nein, sondern leidet ein Mensch,
starr und eingespannt mit hochgeworfenen Armen. Eine weiße
Fessel hat ihn eng im Griff. Endlos und aussichtslos wäre dieser
Zugriff, gäbe es im anderen Bildteil nicht die Schere, gebildet
von zwei weiteren Menschen.
Obwohl auch diese im Gefahrenbereich sind, ist es ihnen
gelungen, die Fessel zu durchtrennen, so fest, so bedrohlich
sie auch ist. So gibt es wieder
Hoffnung für den Gefangenen.
Für Keith Haring, der 1990 nach
einem fast besessenen künstlerischen Schaffen mit 32 Jahren
an AIDS verstorben ist, war das
Bild wohl eine beschwörende
Botschaft an die Betrachter: Tut
was dagegen, dass Menschen
die Luft zum Leben genommen
wird, dass Menschen abseits
gestellt werden, dass sie den
sozialen Erstickungstod erleiden! Setzt euch gegen die Ausgrenzung der AIDS-Infizierten
ein; entzieht ihnen nicht eure Nähe!
Für mich als getauften Christen hat das Bild
noch etwas anderes zu sagen: Ich sehe
darin etwas von jener Rettung und Befreiung, die wir an Ostern feiern dürfen: Es gibt
seit Ostern einen, der meine, ja alle unsere
Fesseln zerreißt: Gott. Und seit Ostern gibt
es solche, die in der Kraft Gottes Fesseln
lockern, zerreißen und zerschneiden helfen: Fesseln der Einsamkeit, der Befangenheit, der Sucht, der Krankheit, der
Wenn man solche Menschen fragt, sagen
sie: "Ich tu doch nichts Besonderes!" - Und
doch: Wo immer sie selbstlos Gutes tun beistehen, einen Besuch machen, pflegen,
einen guten Rat geben, Zeit opfern, Geld
spenden und vieles andere mehr - da
kommt Hoffnung auf für Gefangene, da ist
letztlich der Geist Gottes am Werk, der die
Macht hat, alle Fesseln dieser Welt zu
sprengen.
Josef Six
36
rungsposition innerhalb des damals größten europäischen Autoschieberrings streitig
zu machen und wollte Geschäfte hinter
dessen Rücken abwickeln. Ein todeswürdiges Vergehen!
„Vor Ihnen sitzt ein verurteilter Mörder“
20 Jahre später. Torsten Hartung – ein
hochgewachsener Mann mit markanten
Gesichtszügen – sitzt im Wohnzimmer seiner kleinen Wohnung im thüringischen Altenburg. An der Wand hinter ihm hängt ein
riesiges Kruzifix. Die Luft ist mit Weihrauch
geschwängert. Mit ruhiger Stimme erzählt
der 52-Jährige seine Lebensgeschichte. An
vielen Stellen klingt sie wie der Stoff, aus
dem Hollywood-Streifen gemacht sind. Hat
dieser Mensch das wirklich alles getan? Die
Ausstrahlung des Mannes, der mir gegenüber sitzt, und die Geschichte, die er erzählt, wollen so gar nicht zusammenpassen. Als könnte er Gedanken lesen, sagt er:
„Vor Ihnen sitzt ein verurteilter Mörder. Und
glauben Sie mir: Ich habe in meinem ganzen Leben keinen bösartigeren Menschen
kennengelernt als mich selbst!“ In diesem
Moment bekomme ich eine Ahnung von der
kriminellen Energie, die Torsten Hartung
einst getrieben haben mag. Die Gründe
dafür reichen zurück bis in Hartungs Kindheit. In seinem Elternhaus im mecklenburgischen Schwerin war Gewalt an der Tagesordnung. Es verging fast kein Tag, an
dem er und seine drei Geschwister nicht
zwischen die Fronten der streitenden Eltern
gerieten oder dass sie wegen Lappalien
bestraft wurden. So etwa, als Torsten mit
sieben Jahren eines Tages von der Schule
nach Hause kam und der Mutter traurig den
abgerissenen Riemen seiner Brottasche
zeigte. Anstatt den Sohn zu trösten und den
Riemen wieder anzunähen, schlug sie ihn,
bis er blutete.
Die zwei Leben
des Torsten H.
Die Wandlung vom Saulus zum Paulus
„Vor Ihnen sitzt ein verurteilter Mörder.
Und glauben Sie mir: Ich habe in meinem
ganzen Leben keinen bösartigeren
Menschen kennengelernt als mich selbst!“
Bewirkt der christliche Glaube tatsächlich
auch heute noch eine totale Lebenswende?
Das Beispiel von Torsten Hartung zeigt es.
Als Kopf einer der größten Autoschieberbanden Europas gab es für ihn einst nur
zwei Dinge: Geld und Gewalt. Dann wurde
er Christ. Heute kümmert er sich ehrenamtlich um straffällige Jugendliche – und ist
glücklich. (von Matthias Pankau)
20. Juni 1992. Zwei Limousinen nähern
sich einem Waldstück nahe der lettischen
Hauptstadt Riga. Auf einer Lichtung halten
sie. Drei Männer steigen aus. Einer bleibt
bei den Autos, die beiden anderen gehen
ein Stück. Dann zieht einer von ihnen eine
Pistole, zielt auf den Kopf seines Gegenübers und drückt ab. Ein dumpfer Knall hallt
durch den Wald. Torsten Hartung steckt die
Waffe wieder ein. Den Exekutierten lässt er
liegen, nimmt ihm nur die Papiere ab. Der
Tote hieß Dieter und war ein Komplize und
krimineller Weggefährte Hartungs. Doch
dann versuchte er, Hartung seine Füh37
jeweiligen Gegenüber gab er das stets zu
verstehen: „Wenn du gewinnen willst,
musst du mich totschlagen“, schleuderte er
ihnen entgegen. „Diese Entschlossenheit
machte den Leuten Angst.“ Mit 18 Jahren
wurde Torsten Hartung das erste Mal zu
einer Haftstrafe verurteilt; damals noch zu
zehn Monaten wegen Diebstahls. Beim
zweiten Mal waren es schon ein Jahr und
zehn Monate
wegen Körperverletzung, beim
dritten Mal fast
drei Jahre.
Die Mutter täuschte einen Selbstmord vor
Aber noch schlimmer als die körperlichen
Schmerzen waren die seelischen, wenn sie
ihm Sätze an den Kopf warf wie „Wir haben
dich nie gewollt“ oder „Du bist an allem
schuld“. An diesem Tag drohte die Mutter
damit, sich das Leben zu nehmen. Als sie
sich auf dem Dachboden bereits die Wäscheleine um
den Hals gelegt hatte und
ihr kleiner
Sohn mit einem Küchenmesser nach
oben gestürmt
kam, um die
Leine zu
durchtrennen
und so seiner
Mutter das
Leben zu retten, fuhr sie ihn
nur an: „Hör
auf! Die Wäscheleine gehört dem Nachbarn Müller.“ In
diesem Moment wurde dem Jungen klar,
dass sie sich gar nicht umbringen, sondern
ihm lediglich Angst und ein schlechtes Gewissen machen wollte. „An diesem Tag
starb mein Urvertrauen und der Hass begann zu wachsen“, erinnert sich Hartung.
Er täuschte einen Fluchtversuch vor
1983 schien es
für kurze Zeit
so, als würde
sein Leben eine
Wendung zum
Guten nehmen.
Er lernte eine
junge Frau kennen, die viel Geduld und
Verständnis für ihn aufbrachte. Mit ihr zog
er ins damalige Karl-Marx-Stadt (heute
wieder Chemnitz), machte dort eine Lehre
zum Dachdecker. Er verdiente nicht
schlecht. „Doch was sollte ich mit dem Geld
machen? Wir durften ja nicht raus“, erzählt
er. Als dann auch noch eine beantragte
Urlaubsreise ins sozialistische Bruderland
Bulgarien abgelehnt wird, will Torsten nicht
länger in der DDR leben. An der sächsischbayerischen Grenze täuscht er einen
Fluchtversuch vor und lässt sich bewusst
dabei erwischen. Sein Plan: Nach einigen
Jahren Haft wegen versuchter Republikflucht würde ihn der Westen freikaufen.
Und so kommt es. Hartung wird zu zwei
Jahren Gefängnis verurteilt, die er in Cott-
„Wenn du gewinnen willst, musst du mich
totschlagen“
War er in der Grundschule lange Zeit der
Klassenclown gewesen, um zumindest auf
diese Weise etwas Aufmerksamkeit zu bekommen, so entwickelte er sich nun zunehmend zum Schläger, je mehr Gewalt er
zu Hause erlebte. „Die besten Kämpfer sind
die, die das Leben hassen“, sagt er. Und es
klingt immer noch überzeugend. Seinem
38
bus verbringt. Anschließend schiebt ihn die
DDR nach West-Berlin ab.
bringt die Fahrzeuge an ihren Bestimmungsort. So verdient er schon bald bis zu
90.000 US-Dollar pro Woche, umgerechnet
damals 150.000 D-Mark. Es scheint, als
sollte sich sein in die Dunkelheit gesprochener Wunsch erfüllen. Schon bald liefert
er gestohlene deutsche Luxuskarossen
nach Russland, in den gesamten Ostblock
sowie in die arabische Welt.
Die Seele verkauft
„Zwar lebte ich nun in Freiheit. Aber meine
Geschichte hatte ich ja mitgenommen“,
erzählt er. Immer häufiger streitet er sich
mit seiner Freundin, der er – nachdem er
von der Bundesregierung in Bonn freigekauft worden war – zur Flucht in den Westen verholfen hatte. Als sie sich schließlich
von ihm trennt, bricht für Hartung eine Welt
zusammen. So sitzt er eines Abends Ende
1990 allein in seiner Berliner Wohnung. „Ich
sah überhaupt keinen Sinn in meinem Leben.“ Da kommen ihm plötzlich Goethes
Faust und sein Pakt mit Mephisto in den
Sinn. Und obwohl er zu dieser Zeit weder
an Gott noch an den Teufel glaubt, spricht
er in diese unsichtbare Wirklichkeit hinein:
„Du kannst meine Seele haben, ich brauche sie nicht mehr. Aber im Gegenzug
möchte ich eineinhalb Jahre leben wie ein
König in dieser Welt.“
Ein Meister der Täuschung
Dabei gehen er und seine Komplizen, von
denen er einige noch aus Zeiten der politischen Haft in der DDR kennt, so strukturiert
und geschickt vor, dass ihnen lange niemand auf die Schliche kommt. Meistens
sind es dunkle Autos, die von den Auftraggebern bestellt werden. Da Hartung Kontakte zu Polizei und Zulassungsstellen hat,
die er besticht, tarnt er die Autos einfach als
zivile Polizei- oder als Regierungsfahrzeuge. „Sie bekamen entsprechende Nummernschilder und wir setzten uns Blaulicht
aufs Dach“, erzählt er. „Damit wurden wir
meist nicht einmal an den Grenzen
gestoppt. Wer wollte schon eine vermeintlich deutsche Regierungsdelegation anhalten“, fragt er und lächelt schelmisch. Torsten Hartung genießt es, einen falschen
Schein zu erwecken, und er perfektioniert
sein Auftreten immer mehr. „Mit visueller
Täuschung kann man fast alles erreichen“,
sagt er. „Die Menschen beurteilen dich zunächst danach, wie du auftrittst.“ Als er und
einige seiner Mitstreiter beispielsweise
1991 vor dem Hotel „Stadt Sofia“ – dem
damals vornehmsten Hotel in der bulgarischen Hauptstadt – mit mehreren schwarzen Limousinen halten und für eine Nacht
absteigen, gibt Hartung vor, von Interpol zu
sein. Im Hotel und bei der Polizei fühlt man
sich geschmeichelt, dass solch wichtige
Leute hier haltmachen. Hotel-Pagen parken
Der Pate von Riga
Wenige Wochen darauf ist Hartung gerade
mit einem Freund bei einem russischen
Künstler, als zwei zwielichtige Gestalten
den Raum betreten – Igor, auch genannt
„der Pate von Riga“, und sein Leibwächter
Iwan, wie sich herausstellt. Fast nebenbei
fragen sie, wer ihnen deutsche Luxusautos
besorgen könne. Hartung sagt zu. Zwei
Bekannte von ihm studieren an einer Fernuniversität Feinmechanik. Und zwar nur
aus einem Grund: Um die Schließmechanismen von Oberklassewagen der Marken
Mercedes und BMW zu überwinden. „20
Sekunden brauchten sie durchschnittlich,
um einen Wagen zu knacken“, erzählt Hartung. Er selbst kümmert sich um die gesamte Logistik, besorgt gefälschte Zulassungs- und Versicherungspapiere und
39
die gestohlenen Fahrzeuge, und führende
Polizeivertreter laden die Hochstapler abends sogar ins Konzert ein. Im Hotel wird
man selbst dann nicht stutzig, als die Gruppe die Rechnung am nächsten Morgen bar
und mit Dollar-Noten bezahlt.
Ich war vor allem Täter
Als er im Oktober 1992 gerade eine neue
Transportroute auskundschaften möchte,
wird Hartung in Stockholm von Interpol
verhaftet. Als Kopf der inzwischen europaweit gesuchten Bande kommt er sofort in
Einzelhaft – zunächst in Schweden, dann in
Deutschland. Insgesamt vier
Jahre, neun Monate und
zwei Tage sieht er keinen
anderen Menschen als den
Gefängniswärter, der jeweils die Tür auf- und zuschließt. Er beginnt ein
Fernstudium in Psychologie. „Ich wollte mich selbst
verstehen.“ Hartung erkennt, dass die Ursachen
für sein Gewalt- und Aggressionspotenzial in seiner Kindheit liegen. Ihm
wird aber auch deutlich,
wie vielen Menschen er
selbst Unrecht getan hat.
„Ich war ja nicht nur Opfer,
sondern vor allem Täter.
Doch wohin ich mit meiner
Schuld sollte, wusste ich zu
diesem Zeitpunkt nicht.“
Die einzige Möglichkeit, seine Gedanken
loszuwerden, ist ein Tagebuch.
15,8 Millionen DM Schaden in
achtzehn Monaten
Insgesamt 120
Luxusautos
stehlen und
verkaufen Hartung und seine
54 „Räuber“ in
knapp eineinhalb Jahren. Die
Höhe des Versicherungsschadens beläuft
sich auf 15,8
Millionen DM,
wird später in
den Akten zu
lesen sein. Torsten Hartung hat
so viel Geld
verdient, dass
er kaum weiß,
wohin damit.
Und nachdem er Dieter in dem Waldstück
bei Riga „ausgeschaltet“ hat, ist er auch im
Unternehmen und bei den Kunden wieder
die unangefochtene Autorität. Trotzdem
spürt er eine große innere Leere. Kurz bevor Hartungs Autoschieberring ziemlich
genau 18 Monate nach jener Nacht, in der
er seine Seele verkaufte, auffliegt, besucht
er während eines Urlaubs auf Mallorca eine
kleine Kirche. Darin steht eine Wand, an
die Besucher Gebetsanliegen heften können. Hartung schreibt auf einen Zettel: „Ich
wünsche mir ein Leben in Glück!“
Wenn es Gott gibt …
Ostern 1998 wird im Gefängnis in BerlinMoabit ein Jesus-Film gezeigt. Hartung –
der inzwischen nicht mehr in Einzelhaft ist –
schaut ihn sich an. Anschließend notiert er
in sein Tagebuch: „Jesus, Du hattest Deine
Auferstehung. Gib auch mir eine zweite
Chance! Schenk mir ein neues Leben!“
Einige Wochen später liegt er auf seinem
Gefängnisbett und sieht, wie sich das weiße Laken, das er wegen der Hitze vors
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Fenster gespannt hat, aufgrund eines Luftzugs ans Fensterkreuz legt. Beim Anblick
dieses Kreuzes kommt ihm wieder Jesus in
den Sinn und er beginnt in den Raum zu
sprechen: „Wenn es dich gibt, schenk mir
ein neues Leben! Schau nur, was ich getan
habe. Ich habe mich über dich gestellt, indem ich über Leben und Tod entschieden
habe. So will ich nicht länger leben.“ Ohne
es zu wollen, fängt er an zu weinen. „In
diesem Moment hörte ich eine Stimme, die
ganz liebevoll und barmherzig sagte: Ich
weiß“, erinnert sich Hartung. Für ihn ist
dieser Moment eine Art Damaskuserlebnis:
„Da wusste ich, dass es Gott wirklich gibt.“
Als Hartung am nächsten Morgen mit einem Lächeln auf den Lippen aus seiner
Zelle tritt, halten ihn viele seiner Mithäftlinge für durchgedreht. Beim Freigang auf
dem Hof pflückt er ein Gänseblümchen und
bewundert dessen Farbe und Struktur.
„Erstmals überhaupt nahm ich die gesamte
Schönheit der Schöpfung wahr, weil Gott
mir den Schleier der Sünde von den Augen
genommen hatte.“ Hartung beginnt die Bibel zu lesen und besorgt sich andere christliche Literatur. Im Gefängnis gibt es zwei
Bibelgruppen – eine evangelische und eine
katholische. Hartung besucht beide. ...
Fortan geht er nur noch zu ... Bibelstunden
und Gottesdiensten.
stammenden Frau Claudia in der Stadt Altenburg (südlich von Leipzig) in Thüringen.
Arbeit hat er nicht: „Mit insgesamt 20
Jahren Gefängnis im Lebenslauf stellt einen niemand an.“ Sehnsucht nach seinem
alten Leben hat er trotzdem nicht: „Geld
macht nicht glücklich, eine persönliche Beziehung zu unserem Schöpfer und Erlöser
schon.“ Und genau das möchte Hartung
auch straffälligen Jugendlichen vermitteln,
die er ehrenamtlich betreut. Mittelfristig
möchten Torsten und Claudia Hartung ein
Haus aufbauen, in dem sie solche junge
Menschen auf dem Weg in den Alltag nach
der Haft begleiten. Schließlich ist Torsten
Hartung ein lebendiges Beispiel dafür, dafür, dass es die sprichwörtliche Wandlung
vom Saulus zum Paulus wirklich gibt.
Taufe in der Gefängniskapelle
Am 20. Juni 2000 lässt er sich in der Kapelle der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel
taufen. Erst später wird ihm bewusst, dass
das auf den Tag acht Jahre nach dem Mord
an Dieter war: „Für mein Leben ist der 20.
Juni ein symbolisches Datum. Es zeigt, wie
böse der Mensch von sich aus ist, wie Gott
aber selbst aus dem Schlechtesten Gutes
erwachsen lassen kann.“ 2006 wird Hartung nach knapp 15 Jahren Haft entlassen.
Heute lebt er mit seiner aus Südkorea
Matthias Pankau / idea Wetzlar Veröffentlicht im
österreichischen privaten Internet-Forum kath.net
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Ich habe in meiner Heimat Tunesien als Animateur und Dekorateur gearbeitet. Ich war verliebt in eine deutsche Frau. Ich habe sie geliebt und wir haben geheiratet. Als ich dann
nach Deutschland gekommen bin, hat sie mich
belogen und verletzt, bis es zur schlimmen Tat
gekommen ist und ich sie umgebracht habe.
Nun bin ich seit acht Jahren im Gefängnis.
42
Zum Bild:
Die Tränen bedeuten, dass ich
mich sehr einsam
und verletzt fühle ohne Familie.
Das gebrochene
Herz kommt von
der Enttäuschung
durch meine
Frau. Die andere
Hälfte des gebrochenen Herzens ist meine
(Ex-)Frau. Die
Mitte des Herzens ist der
Stengel von der
Blume. Dieser
saugt meine Tränen auf. Es
kommt neue
Hoffnung. Das
ist eine neue
Frau, die wie eine
neue Blume in
meinem Herz gewachsen ist. Diese Frau heißt
Vlasta , ich habe
sie über das Tabor-Magazin
kennen gelernt
und sie bedeutet
mir sehr viel und
gibt mir Hoffnung.
Abed, JVA Straubing
TERMINE
So 02.08.2015 9.00 Gottesdienst JVA Landsberg
Le
ie f
r
b
r
se
e
Grüß Gott beisammen!
Meine Anerkennung für das neue Tabor Magazin 58. Die Beiträge sind interessant und menschlich sehr anregend. Man sieht
die Welt nach der Lektüre wieder ein Stück anders.
Herzlichen Dank!
Gilbert Niggl, (Pfarrer)
* * *
Das neue Tabor Magazin ist echt beeindruckend. So viele ergreifende Zeugnisse von Betroffenen! Könntet ihr uns da noch 3
bis 4 Exemplare zukommen lassen? Wir würden das Magazin
gerne noch an einige Leute weitergeben.
Wir wünschen euch ein gesegnetes Osterfest und noch ganz
viele Auferstehungserlebnisse bei euren Leuten!
Viele Grüße
Christoph und Christine
Liebe Ingrid, lieber Norbert,
mir ein grösserer Betrag frei geworden
ist. Aus diesem Grunde erhaltet Ihr eine
monatliche Spende. Der Dauerauftrag ist
bereits eingerichtet. Bitte keinen Kopf
machen, von meinem Budget her passt
alles.
Frau B. hat einen Antrag gestellt, dass
ich aus der Führungsaufsicht vorzeitig
entlassen werde. Die Entscheidung steht
noch aus.
Vielen herzlichen Dank für Euren unermüdlichen Einsatz und Durchhaltevermögen.
Herzliche Grüsse und Gottes Segen! xx
wenn Ihr von mir auch nur einmal im Jahr
etwas zu sehen oder zu hören bekommt ich komme zum Sommerfest - vergessen
habe ich Euch beide und die Wohngruppe
nie. Ich bin Euch unendlich dankbar, dass
ich aus der Wohngruppe heraus mein neues Leben einrichten konnte.
Neben meiner Arbeit habe ich mir die
Wohnung eingerichtet. Ich habe mir alles
neu gekauft. Und dann habe ich noch
ratenweise Schulden beglichen. Ganz
fertig mit der Abzahlung werde ich Ende
2016 sein. Jetzt konnte ich wieder einen
Gläubiger vollständig bezahlen, sodass
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G e dic
Ist der Schatten schmutzig grau
dunkelgelb, indigoblau?
Ist er in dunkles Schwarz getaucht
oder bläulich-schwarz geraucht?
Ist er mal matt, mal nebelfahl,
oder kräftig allemal?
Er kann in allen Farben strahlen
muss man ihn nur sehen, malen.
Doch setzt er sich auf dein Gemüt,
er nur noch Grau in Grau versprüht.
So wirkt er auch durch Eisengitter,
macht den Tag oft trüb und bitter!
h te a
us de m
K n as
t
Doch wo es diese Schatten gibt,
sich auch ein Licht durch Gitter schiebt,
ein Licht, von Gottes Hand gelenkt,
dir dann den inn‘ren Frieden schenkt.
Und der Schatten schmutzig grau
leuchtet dann indigoblau!
Nowi, JVA Landsberg
Starker Geist - schwaches Fleisch
Ich möchte gern, so manches mal, kann mich nicht überwinden.
Befinde mich im tiefen Tal, von dort gibt‘s kein Entschwinden.
Es bleibt mir zwar der freie Wille, so denke ich mir oft:
Der Weg - geleitet in der Rille, ändert sich unverhofft.
Zu schwach ist meist mein Leibe, auch wenn noch stark der Geist.
Ich steh auf wackelnder Scheibe, bis es mich runter reißt.
Ich denk, ich hab noch Kraft, alles allein zu schaffen.
Der Körper dann erschlafft: Kann mich nicht mehr aufraffen!
Das zieht mich ziemlich runter. Die Tage werden trübe.
Dann wird es wieder bunter. Erlebe starke Schübe.
Will es noch mal versuchen. Ich weiß, ich kann es doch.
Nur manchmal könnt ich fluchen und fall erneut ins Loch.
Ich frag mich, wer ich bin! Was hilft mir wirklich weiter?
Worin find ich den Sinn? Werd ich nach mal gescheiter?
So war ich fast ersoffen. Wo bleibt die süße Traube?
Und wie vom Blitz getroffen, weiß ich: Es ist der Glaube!
Ich starte den Versuch, wende mich an Gottes Sohn.
Lese in Seinem Buch und find die Antwort schon.
Jetzt wand‘le ich durch‘s Leben und bau auf Jesus Christ.
Erbitt mir Seinen Segen, weil Er Erlöser ist.
Dirk Landwehr, JVA Straubing
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Lebensfroh
Verschenk‘
jeden Tag
dein Lächeln,
öffne die
Augen
für das Wunder
des Lebens,
atme, tanze,
liebe,
schmecke Gefühle
und sage am Abend:
Ich habe
gelebt!
Nadja H.,
ehem JVA Aichach
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TABOR - SOMMERFEST
Rigol & tOrf
zwei Clowns brachten
uns zum Lachen
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Briefkontakte gesucht
Ich suche eine ehrliche und treue Freundin für
einen Briefkontakt und evtl. späteres Kennenlernen. Alter egal! Bin Ü 50 und Freigänger in der
JVA Landshut. Wolfgang Kahlmann
Berggrub 55
84036 Landshut
Hallo,
ich bin Mohammad, bin
35 Jahre alt
und suche eine nette
Brieffreundin.
Mohammad Walizadeh
Äußere Passauer Str. 90
94315 Straubing
Briefe schreiben ist, sich alles von der Seele zu reden
Briefe schreiben ist, zu sich selber zu finden
Briefe schreiben ist, den Weg aus der Einsamkeit zu gehen
Briefe zu erhalten ist, Freude geschenkt zu bekommen
Briefe zu erhalten ist, Freunde zu finden
Briefe zu erhalten ist, Gott im Herzen zu erkennen.
Ehepaar, beide Anfang 60, sucht sich einsam fühlende Menschen, die Lust auf eine Brieffreundschaft haben. Nicht der
Täter steht im Mittelpunkt des Seins, sondern der Mensch.
Monika & Henry Toedt, Eichendorffstr. 3, 97762 Hammelburg
* * * * * * * * * * *
Pecenkovic´ Nusmir, 49,
suche Briefkontakt. Bin ein
netter, sportlicher Typ und
sehr verträumt. Ich spreche serbisch, kroatisch,
bulgarisch & deutsch.
Berggrub 55,
84036 Landshut
Ich bin Chris, 27 Jahre
alt, ich suche eine Brieffreundin,
da ich draußen
niemanden habe.
Chris Gumpinger
Baumannstr. 81
83233 Bernau
Das nächste Tabor-Magazin erscheint Ende Oktober zum Thema:
Wenn ich ans Sterben denke ...
Begegnungen und Erfahrungen mit dem Sterben Gedanken über den Tod
Wenn Du ein eigenes Erlebnis, Gedanken, ein Gedicht oder
ähnliches beitragen willst, schicke es uns zu.
Einsendeschluss: 3.Oktober 2015,
Tabor-Magazin Redaktion, Altenburg 33, 85665 Moosach
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IMPRESSUM
Herausgeber:
Redaktion:
Anschrift:
Telefon:
E-Mail:
Homepage:
Druck:
Auflage:
Fotos:
Erscheinungsdatum:
TABOR e.V.
Josef Six, Norbert Trischler
Altenburg 33, 85665 Moosach
08091-5586-15/-0
[email protected]
www.tabor-ev.de
Jugendwerk Birkeneck
1600 Stück
N. Trischler, M. May
Sommer, Juli 2015
An diesem Heft haben mitgearbeitet:
Abed Aimen, Manfred Bauer, Daniel, Danica, Klaus Günter, Nadja H., Barbara Jörg, Dirk Landwehr,
Herbert M., Melanie M., Sabrina, Josef Six, Franz T., Ingrid und Norbert Trischler, A., Michaela,
Peter, Christian,
Die Artikel geben grundsätzlich die Meinung der Verfasser wieder, was nicht unbedingt
der Meinung des Tabor e.V. entspricht. Wir konnten nicht alle uns zugesandten Beiträge
ins Heft aufnehmen und bitten um Verständnis.
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einer monatlichen Spende von € ..................
o
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als Vereinsmitglied (Jahresbeitrag 30.-€)
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BIC:
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Adresse:.........................................................................
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Das Leben durch die Mauer bricht!
Die Eisenstäbe halten‘s nicht.
Dein Engel in die Zukunft schaut.
Gefiedert schwingt er sich ins Licht,
das Auferstehung dir verspricht
und49
deine Seele auferbaut. (Vlasta Levorova, JVA Aichach)