Rauchen und Östrogene

Leitthema
Gynäkologische Endokrinologie
DOI 10.1007/s10304-015-0015-5
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
A.O. Mueck1,2 · H. Seeger1
1 Universitäts-Frauenklinik und Forschungsinstitut für Frauengesundheit, Tübingen, Deutschland
2 Capital Medical University, Beijing OB/GYN Hospital, Beijing, China
Redaktion
T. Strowitzki, Heidelberg
Rauchen und Östrogene
Rauchen kann die Wirkung von endogenem Östradiol, aber auch von exogen verabreichten Hormonen stark beeinflussen.
Diverse Beobachtungsstudien einschließlich der Womens’ Health Initiative Observation Study (n = 147.202) haben gezeigt,
dass Lifestyle-Faktoren wie Ernährung,
Alkoholkonsum und Rauchen sowohl
die Effizienz als auch die Nebenwirkungen einer Hormonersatztherapie [„hormone replacement therapy“ (HRT)], z. B.
die erhöhte Brustkrebsinzidenz, stark beeinflussen können [1]. Obwohl der Anteil weiblicher Raucher insgesamt zu sinken scheint, geben nur wenige Frauen im
fortgeschrittenen Alter das Rauchen auf.
In der Women’s Health Initiative (WHI)
waren nur 50 % Nichtraucherinnen, 40 %
waren ehemalige Raucherinnen und 10 %
haben während der Studie immer noch
geraucht [2].
Endogene Östradiolwirkungen
und Rauchen
»
Nur wenige Frauen
geben im fortgeschrittenen
Alter das Rauchen auf
Sogar Passivrauchen scheint als Risikofaktor von Bedeutung, wie kürzlich bei
chinesischen Frauen gezeigt wurde, wobei das damit assoziierte Brustkrebsrisiko im Bereich des Risikos unter der Hormontherapie in der WHI lag [Odds Ratio
(OR): 1,47; 95 %-Konfidenzintervall (KI):
1,18–1,84; [3]]. Die Nurses' Health Study
ergab, dass bei 60 % der Raucherinnen der
Versuch, diese vom Rauchen abzubringen, über einen Zeitraum von 15 Jahren
vergeblich war, trotz aller Aufklärung [4].
Es ist daher praktisch relevant, auf die Effekte des Rauchens unter einer Hormontherapie hinzuweisen.
Es gibt zahlreiche epidemiologische und
klinische Hinweise, dass die Wirkung von
endogenem Östradiol bei Raucherinnen
verringert ist. Allerdings ist es im Allgemeinen schwierig, die östrogene Aktivität bei Raucherinnen vorherzusagen, da
mehrere verschiedene Mechanismen von
Bedeutung sind. Die Östrogenspiegel sind
abhängig von Transportproteinen, insbesondere dem sexualhormonbindenden
Globulin (SHBG), und dadurch auch abhängig vom Gewicht und der hepatischen
Funktion. Die Absolutspiegel reflektieren
also nicht unbedingt die Wirkungen des
Rauchens.
»
Die absoluten
Östrogenspiegel reflektieren
nicht unbedingt die
Wirkungen des Rauchens
Des Weiteren könnte ein Anstieg des Östradiolmetabolismus relevanter sein als die
Reduzierung der ovariellen Östradiolproduktion, wie kürzlich durch Bestimmung
von 15 Östrogenen und Östrogenmetaboliten im Urin unter Verwendung neuester
Analysetechniken gezeigt werden konnte
[5]. Außerdem kann Rauchen die hepatische Clearance von Steroiden erhöhen,
was auch zu einer Reduktion der östrogenabhängigen Wirkungen führen kann
[6].
Der bei Raucherinnen frühere Zeitpunkt der natürlichen Menopause weist
auf Zusammenhänge mit dem endogenen Östradiolstoffwechsel hin, wobei aber
eine Beurteilung aufgrund der hohen individuellen Variabilität schwierig ist. Klinische Korrelate einer bei Raucherinnen
verringerten endogenen Östrogenwirkung finden sich für Symptome und Er-
krankungen, die bekannterweise stark östrogenabhängig sind: Am auffallendsten
ist die Risikoreduktion in Bezug auf Endometriumkarzinome, die bis zu 50 % betragen kann [7, 8]; die Verringerung der
Häufigkeit von Myomen liegt in derselben Größenordnung [9]. Seltener sind
auch Endometriose [10] und Brustspannen [11]. Somit gibt es scheinbar positive Auswirkungen eines bei Raucherinnen verringerten Östrogeneffekts. Dies
schließt jedoch nicht aus, dass sich im individuellen Fall signifikante Risikoveränderungen ergeben.
Natürlich sollten mögliche positive Wirkungen des Rauchens niemanden
ermutigen, mit dem Rauchen zu beginnen. Denn neben den bekannten äußerst
schädlichen Nebenwirkungen, wie der erhöhten Sterblichkeit durch Lungenkarzinome oder Herzinfarkte, werden auch
die meisten günstigen östrogenabhängigen Wirkungen negativ beeinflusst. Aber
nicht nur östrogene Effekte sind reduziert.
Nicht auszuschließen ist auch, dass potenziell toxische Östrogenmetaboliten ihre
Wirkungen persistierend ausüben (s. unten), insbesondere, wenn der Abbau dieser Metaboliten genetisch beeinträchtigt
ist [12–14].
»
Prä- und perimenopausale
Raucherinnen haben häufiger
klimakterische Symptome
Als negative Auswirkung finden sich „menopausale“ Symptome und Erkrankungen
bei Raucherinnen im Vergleich zu Nichtraucherinnen erwartungsgemäß häufiger. So zeigen prä- und perimenopausale Raucherinnen im Vergleich zu Nichtraucherinnen gleichen Alters häufiger klimakterische Symptome, v. a. Hitzewallungen [15], sowie auch öfter irreguläre Blutungen [16].
Gynäkologische Endokrinologie
1
Leitthema
Nichtraucherinnen
BMC (%)
Veränderung
Raucherinnen
2
1
0
-1
-2
p < 0,01
-3
-4
-5
-6
-7
Transdermal
Oral
Placebo
Abb.1 8 Erhaltung der Knochendichte bei Raucherinnen mit transdermaler Hormonersatztherapie,
nicht aber bei oraler Gabe (Details s. Text). BMC „Bone mineral content“ (Knochenmineralgehalt). (Adaptiert nach [17], mit freundl. Genehmigung von Elsevier)
Der negative Effekt des Rauchens gilt
auch für weitere östrogenabhängige Effekte, beispielsweise für die ansonsten
günstigen Östrogenwirkungen im Lipidprofil. So finden sich bei Rauchern
im Vergleich zu altersgleichen Nichtrauchern regelmäßig höhere Low-densitylipoprotein(LDL)- und oft auch niedrigere High-density-lipoprotein(HDL)-Cholesterin-Konzentrationen; insbesondere
sind häufig das Gesamtcholesterin und
die Triglyzeride erhöht [17, 18].
Besonders gut belegt ist der Zusammenhang zwischen dem Rauchen und
einer höheren Inzidenz der Postmenopausenosteoporose. Die Knochendichte ist verringert und das Risiko von Wirbelsäulen-, Femur- und Hüftfrakturen bis zu 5-fach erhöht [19]. Die Wirkungen des Rauchens auf den Knochenstoffwechsel können durch Veränderungen im kalziotropen endogenen Östrogenmetabolismus erklärt werden, zudem auch durch Veränderungen in der
intestinalen Kalziumabsorption und Effekte auf den adrenalen kortikalen Hormonmetabolismus. Des Weiteren beeinflusst Rauchen nach neuesten Untersuchungen das Receptor-activator-ofnuclear-factor-κB-ligand(RANKL)- und
Osteoprotegerin(OPG)-System, wobei
es unabhängig von der endogenen Öst-
2
Gynäkologische Endokrinologie
rogenaktivität zu einem Knochenverlust
kommen kann [20, 21].
Osteoporoserisiko unter
Hormonersatztherapie
bei Raucherinnen
Mithilfe densitometrischer Messungen,
durch Ermittlung der Frakturinzidenz sowie (indirekt) durch die Bestimmung von
Knochenauf- und Knochenabbaumarkern wurde zweifelsfrei nachgewiesen,
dass das Rauchen den günstigen Effekt
einer oralen Hormonsubstitution in Abhängigkeit von Dauer und Dosis des Zigarettenkonsums teilweise bis ganz aufheben kann; demgegenüber wird der Wirkverlust der Hormontherapie vermieden,
wenn diese in transdermaler Form erfolgt
[17, 22]. Einige Studien mit unterschiedlichem Design und verschiedenen Endpunkten seien exemplarisch genannt.
»
Oral verabreichte Östrogene
konnten Frakturen speziell bei
Raucherinnen nicht verhindern
So wurde der epidemiologische Nachweis
in der bekannten Framingham-Studie geführt – oral verabreichte Östrogene konnten Frakturen speziell bei den Raucherin-
nen nicht verhindern [23]. In einer prospektiven, doppelblinden, placebokontrollierten Studie konnte mithilfe der Dualröntgenabsorptiometrie (DEXA) und
Analyse einer Reihe von Knochenmarkern nachgewiesen werden, dass bereits
innerhalb einer 6-monatigen Behandlung
mit oralem Östradiol bei Raucherinnen
signifikante Wirkverluste zu beobachten sind [24]. Ähnliche Ergebnisse fanden sich in einer kroatischen Studie [25].
Unter einer Langzeitbehandlung mit einer
mittleren Dauer von 7 Jahren wurden eine signifikante Zunahme der mit DEXA
gemessenen Knochendichte und eine signifikante Reduktion von Knochenmarkern nur bei Nichtraucherinnen gemessen [26].
In einer prospektiven, doppelblinden,
placebokontrollierten Studie mit 110 postmenopausalen Frauen (davon 56 Raucherinnen) fand man [17], dass eine Osteoporoseprävention bei 2-jähriger Hormonsubstitution in der Gruppe der Raucherinnen nur bestand, wenn die Behandlung
transdermal erfolgte, die orale Behandlung zeigte keine Wirkung (. Abb. 1).
Gleichzeitig wurden unter oraler HRT bei
Raucherinnen im Vergleich zu Nichtraucherinnen etwa 30 % niedrigere Östradiol- und Östronkonzentrationen gemessen. Dieselbe Arbeitsgruppe berichtete
kürzlich, dass der Effekt auch bei Frauen
manifest war, die täglich „nur“ 10 oder weniger Zigaretten rauchten [27].
Kardiovaskuläres Risiko
unter Hormonersatztherapie
bei Raucherinnen
Die frühe Einleitung einer HRT im Zeitfensters eines „window of opportunity“
kann Frauen vor der Entwicklung koronarer Herzerkrankungen schützen, bedingt durch eine Reihe unterschiedlicher
Mechanismen, beispielsweise durch positive vaskuläre und metabolische Östrogeneffekte [28].
Rauchen reduziert diese günstigen
Östrogenwirkungen über verschiedene Mechanismen. So sind die Spiegel
von LDL-Cholesterin, Very-low-densitylipoprotein(VLDL)-Cholesterin und von
Triglyzeriden bei Raucherinnen erhöht,
während das HDL-Cholesterin erniedrigt ist [17, 18]. Die Verminderung der ge-
Zusammenfassung · Abstract
wünschten Östrogeneffekte kann durch
eine transdermale HRT vermieden werden [17].
Gynäkologische Endokrinologie DOI 10.1007/s10304-015-0015-5
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
Rauchen beeinflusst die
hämodynamischen Wirkungen
von oralem Östradiol negativ
Rauchen und Östrogene
»
Eine doppelblinde, placebokontrollierte
Studie ergab, dass Rauchen die Wirkung
von oralem Östradiol auf eine Reihe hämodynamischer Parameter ebenfalls negativ beeinflusst, so etwa die Effekte auf
den Gefäßwiderstand, mittleren arteriellen Blutdruck, Schlagvolumenindex und
Herzindex [29]. Erste Untersuchungen
weisen darauf hin, dass sich auch die negativen Effekte des Rauchens auf die kardiovaskulären Östrogenwirkungen durch
eine transdermale Applikation vermeiden
lassen [30, 31].
Im Rahmen der WHI wurden erstmals
Ergebnisse aus einer randomisierten, placebokontrollierten Studie mit klinischen
Endpunkten publiziert. Bisher gibt es allerdings keine Resultate für Subgruppen
wie Raucherinnen und Nichtraucherinnen in Bezug auf das kardiovaskuläre Risiko. Aufgrund der multifaktoriellen Pathophysiologie könnte es schwierig sein, die
negativen Effekte in solchen klinischen
Endpunktstudien nachzuweisen. Dennoch spricht vieles dafür, dass Rauchen
auch die günstigen und protektiven Östrogeneffekte auf kardiovaskuläre Erkrankungen negativ beeinflusst, wenn die Östrogene oral verabreicht werden.
Brustkrebsrisiko unter Hormonersatztherapie bei Raucherinnen
Im Gegensatz zum reduzierten Endometriumkarzinomrisiko bei Raucherinnen
gibt es keine Hinweise auf ein reduziertes
Brustkrebsrisiko. Eine Metaanalyse von
2004, die 31 Fall-Kontroll- und 9 Kohortenstudien einschloss, ergab einen leichten Risikoanstieg [relatives Risiko (RR):
1,10; 95 %-KI: 1,02–1,18], der allerdings
nur bei prämenopausalen Frauen signifikant war (RR: 1,21; 95 %-KI: 1,08–1,36),
nicht aber bei postmenopausalen Frauen
(RR: 1,07; 95 %-KI: 0,96–1,15; [32]). Ähnliche Ergebnisse fanden sich in einer neueren Übersicht mit über 100 Studien, d. h.
A.O. Mueck · H. Seeger
Zusammenfassung
Auswirkungen des Rauchens. Rauchen
kann die Wirkung exogener und endogener
Östrogene reduzieren oder gar ganz aufheben. Dabei werden nicht nur positive Effekte
auf klimakterische Beschwerden und auf den
Lipidmetabolismus reduziert, auch die Osteoporoseprävention und möglicherweise die
Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen
sind beeinträchtigt. Nachgewiesen werden
konnte dies bislang nur für orale Östrogene.
Zurückzuführen ist es hauptsächlich auf eine dosisabhängig verstärkte hepatische Clearance, speziell im Zusammenhang mit geringen Östrogenkonzentrationen.
Therapeutische Konsequenzen. Die ausbleibende therapeutische Wirkung sollte bei
Raucherinnen nicht durch Zufuhr erhöhter
Dosen kompensiert werden, da die Gefahr
besteht, dass potenziell mutagene Östrogenmetaboliten entstehen, die das Krebsrisiko
erhöhen könnten. Da der günstige Östrogeneffekt bei transdermaler Östrogengabe nicht
reduziert wird, sollte diese Anwendungsform
bei Raucherinnen bevorzugt werden.
Patientenaufklärung. Frauen, die trotz aller Warnungen das Rauchen nicht einstellen
möchten, sollten darüber informiert werden,
dass neben den bekannten negativen Wirkungen des Rauchens auch der Erfolg einer
Hormontherapie infrage gestellt ist.
Schlüsselwörter
Hormonersatztherapie ·
Östrogenmetabolismus · Mammakarzinome ·
Osteoporose · Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Smoking and estrogen
Abstract
Impact of smoking. The efficacy of endogenous and exogenous estrogen can be reduced or completely cancelled by smoking.
Not only does smoking diminish the beneficial effects of estrogen on climacteric symptoms and the positive effects on lipid metabolism but smoking can also reduce the ability of estrogen to prevent osteoporosis and
perhaps also cardiovascular diseases. This is
mainly caused by dose-dependent elevated hepatic clearance, partially in conjunction
with lower estrogen levels but has so far only been demonstrated with oral estrogen administration.
Therapeutic consequences. The failure of
therapeutic efficacy should not be compensated for by increasing the dose in smokers
as this might result in the production of po-
nur ein Risikoanstieg bei prämenopausalen Frauen, insbesondere bei starkem
Rauchen über eine längere Zeit und bei
Rauchbeginn in einem frühen Lebensalter [33].
In einer neueren Übersicht schlussfolgerten die Autoren, dass bis jetzt in 12 großen Kohorten ein konsistenter dosisabhängiger Zusammenhang zwischen Rauchen und einem erhöhten Brustkrebsrisiko gefunden wurde, wenn die Frauen
nach der ersten Geburt mit dem Rauchen
begonnen hatten [34]. In Ergänzung zu
tentially mutagenic estrogen metabolites associated with a higher risk of breast cancer.
As the favorable effects of estrogens have
not been seen to be lost in smokers when applied transdermally, this route should be preferred in smokers.
Patient elucidation. Women who continue
to smoke despite all warnings to the contrary
should be informed that smoking, in addition
to all its other negative effects, can also jeopardize the success of hormone replacement
therapy (HRT).
Keywords
Hormone replacement therapy · Estrogen
metabolism · Breast neoplasms ·
Osteoporosis · Cardiovascular diseases
den Beobachtungsstudien wurde in der
WHI unter Hormontherapie im Vergleich
zu Placebo ein signifikanter Risikoanstieg
für Raucherinnen gefunden (Hazard Ratio: 2,28; 95 %-KI: 1,04–4,98), demgegenüber war das Risiko bei Nichtraucherinnen nicht signifikant erhöht [35].
Nach wie vor ungeklärt ist, warum
Rauchen das Endometriumkarzinomrisiko senkt, sogar bei Frauen unter Hormontherapie [8], während dies für das
Brustkrebsrisiko nicht zu gelten scheint.
Die Mechanismen der karzinogenen WirGynäkologische Endokrinologie
3
Leitthema
H
17β-Östradiol
HO
2-Hydroxyöstron
O
O
HO
Östron
HO
O
HO
OH
O
HO
OH
OH
4-Hydroxyöstron
a
OH
HO
HO
Östriol
16α-Hydroxyöstron
A-Ring-Metabolismus
= Katecholöstrogene
D-Ring-Metabolismus
O
O
CH3O
Inaktive Metaboliten
HO
HO
OCH3
O
O
COMT
COMT
HO
HO
O2
HO
OH
O
O
Aktive, toxische
Metaboliten
b
kung in der Brust unter Hormonen sind
sehr komplex [36].
»
Rauchen scheint speziell
in der Brust eine duale
Wirkung zu haben
Die divergierenden Ergebnisse weisen
darauf hin, dass Rauchen speziell in der
Brust eine duale Wirkung hat. Östrogene können zweifelsohne die Proliferation
von präexistenten ER-positiven Brustkrebszellen stimulieren. Eigene Untersu-
4
O2
O
Gynäkologische Endokrinologie
O
O
chungen deuten an, dass bestimmte Zellstrukturen eine Stimulierung der östrogeninduzierten Proliferation durch Gestagene unterstützen können [37, 38]. Obwohl das Rauchen durch Senkung der
Östrogenspiegel diese Wirkung vermindern könnte, scheinen in der Brust andere Mechanismen von größerer Bedeutung
zu sein: toxische und proliferative Effekte
der Inhaltsstoffe im Zigarettenrauch. Im
Endometrium scheint dies weniger wichtig zu sein, eventuell aufgrund der geringeren endometrialen Vulnerabilität und
der konstanten Erneuerung dieses östro-
O
Abb.2 9 Östradiolmetabolismus. a Primäre Metaboliten, b sekundäre A-RingMetaboliten. COMT Katechol-O-Methyltransferase
genabhängigen Gewebes. Der Nettoeffekt
kann die nur relativ schwache Assoziation
zwischen Rauchen und Brustkrebsrisiko
erklären. Allerdings besagen Studien, dass
die Brust zwischen Menarche und erster
kompletter Schwangerschaft auf die karzinogenen Inhaltsstoffe und/oder potenziell
karzinogenen Östrogenmetaboliten empfindlicher reagiert, was zu einem 7-fachen
Risiko in dieser Altersgruppe führt [39].
Dies ist offensichtlich der Zeitpunkt, zu
dem die Differenzierung der Brust noch
unvollständig ist (Pubertät) oder nicht erreicht wurde (Nulliparen), was in Über-
Tab. 1 Komplexität des veränderten Östradiolmetabolismus bei Raucherinnen („antiöstro-
gene“ Raucheffekte)
Aromatase (Granulosa, peripheres
Gewebe)
A-Ring-Metabolismus (speziell
Leber)
SHBG-Kapazität (Östradiol)
Adrenostimulation (Androstendion, Kortisol)
Hepatische Clearance
Renale Clearance
Toxizität der Östrogenmetaboliten
(Chinone u. a.)
Rauchverhalten
Dauer
Menge
Alter der Frauen
⇓⇓⇓
⇓⇓
⇓⇓
⇑⇑
⇑⇑⇑
⇑
⇑
⇑
⇑⇑
⇑
⇓⇓
⇑⇑⇑
⇑
⇑⇓
⇑⇑
⇑⇑
⇑⇓
⇑⇑⇑
⇓
⇓⇓
⇑⇑⇑
Rauchen antagonisiert endogene und/oder exogene Östrogeneffekte. Gleichzeitig werden Östrogenmetaboliten gebildet, deren Detoxifikation gestört sein könnte (s. Text).
SHBG Sexualhormonbindendes Globulin.
einstimmung mit neueren Forschungsergebnissen zur Rolle von basalen Stammzellen und zur Suszeptibilität gegenüber
der Karzinogenese steht [40].
Das durch Rauchen erhöhte Risiko ist
vermutlich auf die direkt toxischen Wirkungen von Bestandteilen des Rauchs zurückzuführen, wobei neben Nikotin zahlreiche weitere Inhaltsstoffe von Bedeutung sind, z. B. polyzyklische Kohlenwasserstoffe, aromatische Amine und Nitrosamine, die durch humane Brustepithelzellen weiter verstoffwechselt werden,
und zwar zu aktiven Zwischenprodukten, die die Bildung von DNA-Addukten
und DNA-Mutationen fördern. Diese toxischen Substanzen induzieren oxidativen
Zellstress und könnten auch eine indirekte karzinogene Wirkung durch die Aktivierung spezifischer Cytochrom-P450-Enzyme ausüben, die Östrogene zu gentoxischen Metaboliten umsetzen können. Genetische Polymorphismen dieser Schlüsselenzyme können Einfluss auf
die Erhöhung des Brustkrebsrisikos haben, wie etwa in der Analyse der Nurses'
Health Study postuliert wurde [14].
Der duale Effekt des Rauchens auf die
östrogene Aktivität durch Beeinflussung
des Östrogenspiegels, aber auch des Östrogenmetabolismus war Gegenstand
einer Konferenz des U.S. National Cancer
Institute in Bethesda [41]. Zwei Hauptmechanismen der Karzinogenität von Östrogenen wurden postuliert, zum einen proliferative Wirkungen durch die Muttersubstanzen, zum anderen die potenzielle
Produktion von genotoxischen Metaboliten, die zu einer DNA-Zerstörung beitragen können, gefolgt von Mutationen und
der Entstehung von Krebszellen, falls diese nicht durch Abwehrmechanismen eliminiert werden.
Eigene Forschungsarbeiten konnten
zeigen, dass bestimmte Östrogenmetaboliten toxische, andere hingegen protektive biologische Eigenschaften aufweisen,
auch in geringen Konzentrationen. In zukünftigen Forschungsprojekten mit hochspezialisierten analytischen Methoden
könnten Risikopatientinnen unter Hormontherapie durch Bestimmung prädiktiver Biomarker identifiziert werden [5,
42, 43].
Komplexer Effekt des Rauchens
auf die östrogene Wirksamkeit
Die insgesamt wichtigste Folgerung aus
dem vorliegenden Datenmaterial ist, dass
viele Mechanismen eine Rolle spielen. Einige laufen parallel ab, andere sind abhängig von spezifischen, manchmal individuellen Faktoren. Die Art und der Umfang
der Inaktivierung von Östrogenen steigt
mit der Anzahl an konsumierten Zigaretten und der Dauer des Rauchens [6, 27,
44].
Noch nicht untersucht wurde allerdings das Ausmaß der Inaktivierung in
Abhängigkeit von der Art der Östrogenapplikation. Es dürfte extrem schwierig sein, valide Schlussfolgerungen für
die Behandlung mit konjugierten equi-
nen Östrogenen zu ziehen. Diese Präparationen sind Mixturen von mindestens
10 verschiedenen Östrogenkomponenten mit variierender Zusammensetzung;
die meisten Bestandteile lassen sich nicht
in standardisierten Labortests detektieren [45]. So wurden die mechanistischen
Studien nur mit physiologischem Östradiol durchgeführt, dessen Metabolismus
weitestgehend kalkulierbar ist (. Abb. 2a
und b)
»
In Bezug auf konjugierte
equine Östrogene sind
valide Schlussfolgerungen
kaum möglich
Im Einzelnen wurden folgende metabolischen Prozesse beschrieben [46, 47]:
eine durch Rauchen bewirkte Reduktion
der Östradiolproduktion durch verringerte Aktivität von Aromatasen in den Granulosazellen und peripher insbesondere im Fettgewebe [4, 48] und/oder eine
verringerte Aktivität von C20,22-Desmolasen mit konsekutiver Verringerung
der Steroidproduktion aus Cholesterin.
Des Weiteren wurde eine Veränderung
der Aktivität von NADPH-abhängigen
mischfunktionellen Oxidasen aus dem
Cytochrom-P450-Enzymsystem nachgewiesen, v. a. mit erhöhter Produktion und
Clearance von A-Ring-Metaboliten (Katecholöstrogene) infolge einer verstärkten
C2-Hydroxylierung und -Methylierung.
Eine Reihe anderer Mechanismen wurde gefunden, u. a. eine veränderte SHBGKapazität und Änderungen der adrenalen Funktion sowie der renalen Clearance.
Die Komplexität des bei Raucherinnen veränderten Östrogenmetabolismus
mit dem Resultat eines insgesamt „antiöstrogenen“ Raucheffekts ist in . Tab. 1 veranschaulicht.
Wie an anderer Stelle referiert [47], ist
der Östradiolmetabolismus auch von Faktoren wie Gewicht, Diät, Umweltfaktoren
und Medikamenten abhängig. Auch bei
Vorliegen von Erkrankungen kann er variieren, so etwa bei Hypothyreose, Hyperthyreose oder Lupus erythematodes. Wir
konnten zeigen, dass verschiedene Metaboliten eine biologische Wirkung ausüben, auch in geringen Konzentrationen, prinzipiell in Form östrogener AkGynäkologische Endokrinologie
5
Leitthema
tivitäten in der Brust und im vaskulären
System [42, 49]. Interessanterweise gibt
es aber auch protektive Metaboliten wie
2-Methoxyöstradiol, das bei Aktivität der
Katechol-O-Methyltransferase gebildet
wird. Dieser Metabolit ist ein Radikalfänger und weist darüber hinaus weitere protektive Mechanismen auf, die auch in der
Brust wirksam sein können, wie wir in vitro und in vivo zeigen konnten [50].
Betont werden muss, dass weder für
die Muttersubstanz Östradiol noch für
die Katecholöstrogene per se genotoxische Eigenschaften nachgewiesen werden konnten. Belegt sind diese nur für
die nachfolgenden Metabolisierungsprodukte, d. h. die Chinone und Semichinone. Die Bildung dieser Intermediärsubstanzen, die auch in geringen Konzentrationen hochreaktiv sind und u. a. die DNA
zerstören können, ist abhängig von weiteren Faktoren, die oxidativen Zellstress
hervorrufen (biochemisch Ein-ElektronOxidation genannt). Zigarettenrauch löst
diese Oxidation offensichtlich aus. Nur
dieser Schritt kann endogene oder exogene Östrogene in „Karzinogene“ konvertieren.
Von praktischer Bedeutung ist, dass
man durch die transdermale Applikation
von Östradiol eine verstärkte Bildung der
genannten primären Metaboliten, also der
Katecholöstrogene, vermeiden kann. Das
zeigt eine eigene Studie, in der wir die orale und transdermale HRT bei postmenopausalen Frauen verglichen haben [51].
Letztlich können dann aber auch die Art
des Gestagens und dessen Applikationsform eine Rolle spielen [52, 53]. Demnach
kann zumindest dieser mögliche Mechanismus der Brustkrebsentstehung durch
eine differenzierte Wahl der HRT vermieden werden. Von Bedeutung ist dies
vermutlich, wenn beispielsweise durch gehäufte genetische Polymorphismen protektive Enzymsysteme vermindert gebildet werden, die sonst die Produktion
potenziell genotoxischer Östrogenmetaboliten verhindert hätten [13, 14].
Fazit für die Praxis
55Rauchen kann bekanntlich tödlich
sein. Trotz aller Aufklärung bleiben
viele Frauen im Klimakterium und danach Raucherinnen.
6
Gynäkologische Endokrinologie
55Rauchen beeinflusst viele Wirkungen
von endogenem oder therapeutisch
verabreichtem Östradiol.
55Raucherinnen kommen früher in die
Menopause und haben früher sowie
häufiger uterine Blutungsprobleme
und menopausale Beschwerden.
55Auch das Risiko der Entwicklung von
Osteoporose und koronaren Herzerkrankungen ist erhöht.
55Rauchen beeinflusst die günstigen
Wirkungen einer oralen Östrogensubstitution negativ, nicht aber bei einer
Behandlung mit transdermalem Östradiol.
55Rauchen kann durch Verringerung
proliferierender Östrogeneffekte zwar
das Endometriumkarzinomrisiko reduzieren, erhöht aber das Brustkrebsrisiko, vermutlich weil hier der Effekt
einer durch Rauchen verstärkten Bildung toxischer Östrogenmetaboliten
überwiegt.
55Möglicherweise kann auch dieser
Raucheffekt durch Verwendung von
transdermalem Östradiol vermieden
werden.
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. Dr. A.O. Mueck
Universitäts-Frauenklinik und
Forschungsinstitut für Frauengesundheit
Calwerstr. 7, 72076 Tübingen
[email protected]
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt. A.O. Mueck und H. Seeger
geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen
oder Tieren.
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Redaktion
Gynäkologische Endokrinologie
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