LESEPROBE Susan Mallery: Touchdown für die Liebe Band 25935 Copyright © 2016 by MIRA Taschenbuch in der HarperCollins Germany GmbH Originaltitel: Before we kiss Übersetzer: Ivonne Senn 1. KAPITEL „Na, bereit, an den Schauplatz des Verbrechens zurückzukehren?“, fragte Dellina Hopkins und schaute den dunkelhaarigen Mann an, der auf ihrer Veranda stand. Sie nahm an, die höfliche Reaktion auf seine Anwesenheit wäre, ihn hineinzubitten. Und das würde sie auch … in einer Minute. Aber erst würde sie ihn etwas zappeln lassen. Sam Ridge, einen Meter achtzig groß, dunkeläugig, attraktiv, kniff die Augen zusammen. „Du hast nicht vor, es mir leicht zu machen, oder?“ Dellina lächelte. „Nein. Würdest du das an meiner Stelle tun?“ Er überraschte sie, indem er ein Grinsen aufblitzen ließ. „Nein, würde ich nicht.“ „Ein ehrlicher Mann.“ Mit der Hüfte stieß sie die Tür ein Stück weiter auf und trat dann zurück, um ihn hereinzulassen. „Das ist ein Wunder.“ Er trat ein. Dellina ließ die Fliegengittertür zuknallen, aber die dicke Holztür offen stehen. Es war Sommer in Fool's Gold und ziemlich warm. Eine leichte Brise wäre nett. Außerdem – und das war der Teil, den sie Sam gegenüber niemals zugeben würde – bedeutete eine offene Tür, dass sie nicht ganz allein waren. Okay, sie waren allein, aber es fühlte sich nicht so intim an. Und angesichts dessen, was beim letzten Mal geschehen war, als sie allein in diesem Haus gewesen waren, war das nur gut. Sam blieb mitten im Wohnzimmer stehen, als wüsste er nicht, wo er hingehen sollte. Er drehte ein wenig den Kopf, und sie hatte den Eindruck, er schaue den Flur hinunter – in Richtung ihres Schlafzimmers. Ohne Zweifel erinnerte er sich daran, was dort fünf Monate zuvor passiert war. Dellina wollte ihm sagen, dass es nicht ihre Schuld gewesen war – dass am Valentinstag jedem erlaubt war, sich dumm zu benehmen. Oder in ihrem Fall in der Valentinsnacht. Nur hatte sie genau gewusst, was sie tat, und es war so wunderschön und katastrophal gewesen, wie man es sich nur vorstellen konnte. Jetzt würden sie und Sam die Konsequenzen dafür tragen müssen. Er drehte sich zu ihr um und zeigte dann aufs Sofa. „Wir sollten uns vermutlich setzen.“ „Macht es das für dich leichter?“, fragte sie. „Wenn ich Ja sage, setzt du dich dann?“ „Vermutlich.“ „Dann ja. Es macht die Dinge leichter.“ Dellina setzte sich in einen der Sessel, während Sam auf dem Sofa Platz nahm. Seine Bewegungen waren kräftig, aber kontrolliert. Das liegt vermutlich an seiner Karriere als Sportler, dachte sie, als sie ihn beobachtete. Auch auf die Gefahr hin, wie ein Groupie zu klingen: Ihr war klar, dass dieser Mann wusste, wie er seinen Köper einzusetzen hatte. Natürlich war sie beim letzten Mal nicht daran interessiert gewesen, sich zu setzen. Oder mit ihm zu reden. Aber er auch nicht. Sie waren förmlich übereinander hergefallen, als sie zum Schlafzimmer gestolpert waren. Er hatte … Dellina schob die lebhaften Erinnerungen beiseite. Ja, Sam war im Bett umwerfend gewesen. Aber danach war alles den Bach runtergegangen. Sie musste sich an das halten, was wichtig war. Er war wegen eines Jobs hier. Nicht wegen seiner unerwiderten Lust auf sie. Wenn man bedachte, wie er ihr in den letzten Monaten aus dem Weg gegangen war, beruhte das inzwischen auf Gegenseitigkeit. Aber er steckte auch ein klein wenig in der Bredouille. Über die altmodische Formulierung hätte sie beinah gelächelt. Ja, Sam brauchte sie. Nicht auf die köstliche, nimm mich rufende Weise, aber geschäftlich. Sie war Party-Planerin, und er wollte eine wirklich große Firmenfeier ausrichten. Er steckte fest, und sie war sein Ausweg. Selten, aber doch manchmal spielten ihr die Umstände in die Hände. Nachdem er nun fünf Monate sie und jene eine Nacht ignoriert hatte, sah er sich jetzt gezwungen, sich ihr zu stellen. War es so verkehrt von ihr, diesen Augenblick zu genießen? Vermutlich nicht. Sie legte die Hände flach auf ihre Oberschenkel und schaute ihn an. „Wie kann ich dir helfen?“ Ernst sah er sie an. „Wirklich? Du willst wirklich nicht zugeben, dass du weißt, worum es geht?“ Sie blinzelte ein paar Mal, dann riss sie die Augen auf. „Als du mich angerufen hast, um einen Termin zu vereinbaren, hast du nicht erwähnt, worum es geht.“ Natürlich wusste sie, warum er hier war, aber auch jetzt schien ihr eine kleine emotionale Folter die richtige Form der Rache zu sein. Sein Kiefermuskel zuckte. „Okay. Spielen wir das auf deine Art. Ich bin Sam Ridge. Partner bei Score.“ Sie grinste. „Ich weiß, wer du bist, Sam. So viel müssen wir nun auch nicht vorspielen. Sag mir einfach nur, was du willst, und dann machen wir von da aus weiter.“ Er fluchte leise. „Du bist mit Taryn befreundet. Du hast für sie gearbeitet. Wie lange willst du mich noch bestrafen?“ Er hatte recht, was Taryn anging. Sie und Dellina waren Freundinnen und arbeiteten ab und zu zusammen. Score, die fragliche PR-Agentur, war kurz nach dem Jahreswechsel nach Fool's Gold gezogen. Drei der Partner waren ehemalige NFL-Spieler, und Taryn war diejenige, die die Firma zusammenhielt. „Ich habe mich noch nicht entschieden, wie lange du bestraft werden musst“, gab sie zu und überlegte, ob mit den Wimpern zu klimpern ein wenig zu dick aufgetragen wäre. Er seufzte schwer. „Gut. Machen wir es auf deine Weise. Jetzt, wo wir unsere Firma hierher verlegt haben, wollen meine Partner und ich ein großes Fest für unsere Kunden ausrichten. Wir haben ein Hotel gebucht, aber weiter sind wir in unseren Planungen noch nicht gekommen.“ „Eine Party“, hauchte sie und presste sich die Hand aufs Herz. „Das klingt wirklich nett.“ Vermutlich standen Neurochirurgen oder der Mensch, der das Space Shuttle landen musste, ganz oben auf der Top-Ten-Liste von Berufen, die einem Magengeschwüre bereiteten. Sam schätzte, dass auch derjenige, der am Silvesterabend den Ball auf dem Times Square in New York fallen ließ, ein paar schlaflose Nächte hatte. Und er würde anfügen, dass Kicker in der NFL zu sein auch seine stressigen Momente hatte. In seiner Zeit bei den L. A. Stallions war er für sechsundzwanzig Siege verantwortlich gewesen, drei davon während der Play-offs und einer beim Super Bowl. Er wusste, wie es war, alle Augen – sowohl live als auch im Fernsehen – auf sich gerichtet und seine Leistung endlos kritisiert zu sehen. Er hatte immer bereits in dem Moment, wenn sein Fuß mit dem Ball in Berührung kam, gewusst, wie das Ergebnis aussähe, und er war berühmt dafür, sich direkt nach dem Schuss umzudrehen und sich von dem Jubel der Zuschauer sagen zu lassen, ob er richtig gelegen hatte. Er war Druck gewohnt. Er hatte ihn gelebt und geatmet. Aber nie hatte er jemandem wie Dellina Hopkins gegenübertreten müssen, und das Schlimmste daran war, dass sie recht damit hatte, es ihm schwer zu machen. Sam schüttelte den Kopf. „Okay“, sagte er. „Ich gebe es zu. Ich habe mich geirrt.“ Ihre braunen Augen funkelten. „Womit geirrt?“ „In jener Nacht. Ich hätte nicht einfach so abhauen dürfen. Es war nur …“ Er zeigte in Richtung Flur. „Diese Kleider und die Liste. Ich suche nicht nach einer Frau zum Heiraten.“ „Und ich auch nicht nach einem Mann.“ „Du bist diejenige mit dem Zimmer voller Hochzeitskleider.“ Sie presste ihre vollen Lippen aufeinander. Sam versuchte, nicht darauf zu achten, aber ihr Mund war mit das Erste, was damals an diesem Valentinstag seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Er hatte wochenlang in der Ronan’s Lodge gewohnt, bis der Kauf seines Hauses abgeschlossen war. An jenem Abend war er in die Bar hinuntergegangen und hatte erst dort gemerkt, dass Valentinstag war und die Bar brechend voll mit Pärchen. Da er erst kurz zuvor – wieder einmal – den Frauen abgeschworen hatte, hatte er sich umgedreht, um wieder in sein Zimmer zurückzukehren. Aber bevor er hatte flüchten können, hatte er Dellina gesehen. Sie war mit Freunden da gewesen. Sie hatten gelacht und sich unterhalten. Niemand hatte Notiz von ihm genommen. Sie war ganz hübsch, aber dann hatte sie gelächelt, und es war wie ein Schlag in den Magen gewesen – und er war ein Mann, der die Kraft eines guten Trittes zu würdigen wusste. Er hatte eine Runde Drinks an ihren Tisch geschickt, die Frauen hatten ihn eingeladen, sich zu ihnen zu gesellen, und eine Stunde später hatten er und Dellina zusammen beim Dinner gesessen. Später, als er sie geküsst hatte, war ihm klar geworden, dass ihr Mund so aufregend und faszinierend war, wie er gehofft hatte. Sie hatte ihn zu sich nach Hause eingeladen, er hatte Ja gesagt, und der Rest war unglaublich gewesen. Bis er mitten in der Nacht aufgestanden war und sich in einem Albtraum wiedergefunden hatte. Er war ihr die letzten fünf Monate aus dem Weg gegangen. Was in einer Stadt von der Größe Fool's Golds nicht leicht war. Die Situation wurde noch dadurch komplizierter, dass er ihre Gesellschaft genossen hatte und sie wirklich gern wiedergesehen hätte. Jetzt, da seine Firma ihre Dienste benötigte, war er gezwungen, sich damit abzufinden. Also war er hier. Wurde aus purem Vergnügen gequält. Kenny und Jack würden sagen, dass es gar keinen anderen Grund gab, aus dem man jemanden sonst quälen sollte. Dellina erhob sich. Sie war ungefähr eins fünfundsechzig groß und hatte fabelhafte Kurven an genau den richtigen Stellen. Wenn er sie in der Stadt sah – denn ihr aus dem Weg gehen zu wollen und in der Lage zu sein, es wirklich zu tun, waren zwei ganz verschiedene Dinge –, trug sie normalerweise Kleider oder Kostüme. Heute hatte sie eine Jeans und ein mit Rüschen besetztes, ärmelloses Ding an, das nicht sexy sein sollte, es aber trotzdem war. Ihre nackten Arme zu sehen erinnerte ihn an ihren nackten Körper … was überhaupt erst der Grund für die Probleme zwischen ihnen war. Verdammt, er hätte an diesem Morgen nicht aufstehen sollen. Oder nach Fool's Gold ziehen. Oder bei Score einsteigen. Oder überhaupt geboren werden. „Steh auf“, sagte sie. Er gehorchte. Sie ging zu ihm und streckte ihm ihre Hand hin. „Wir fangen noch mal ganz von vorne an. Ich bin Dellina Hopkins. Mir gehört eine Party-Planungsagentur.“ Er wusste nicht, was sie jetzt schon wieder vorhatte, nahm aber an, dass er in der Sache kein großes Mitspracherecht hatte. Die Zeit lief ihm davon, und er war verzweifelt. „Sam Ridge. Mir gehört eine PR-Firma.“ Sie schüttelten einander die Hand. In der Sekunde, in der sich ihre Finger umeinander schlossen, spürte er die Hitze. Sofort ließ er den Blick zu ihren vollen Lippen wandern und erinnerte sich daran, ihnen nicht annähernd genügend Zeit gewidmet zu haben. Oder irgendeinem anderen Teil von ihr. Es war nur so gewesen, dass er, sobald sie nackt gewesen war, nicht gewusst hatte, welchen Teil von ihr er als Erstes genießen sollte. Und dann hatte der Albtraum begonnen. Sie entzog ihm die Hand und ließ sie sinken. „Also, Sam, wie viele kleine Firmen ist auch meine in meinem Haus untergebracht. Dieses Haus, das ich gemietet habe, hat drei Zimmer. In einem schlafe ich. In einem arbeite ich. Womit ein freies Zimmer übrig bleibt. Bitte folge mir.“ Sie ging den Flur hinunter. Er zögerte, hatte eine Ahnung, wohin sie gehen würden, und das war kein Ort, den ein Mann freiwillig besuchen wollte. Die Frage war: Wie sehr brauchte er sie? Und die Antwort lautete: sehr. Sie blieb vor einer geschlossenen Tür stehen. Der geschlossenen Tür. „Meine Freundin Isabel hat einen Laden in der Stadt, der Paper Moon heißt“, erklärte Dellina. „Sie verkauft Brautkleider. Letzten Herbst hat sie beschlossen, zu expandieren und auch andere Kleidung in ihr Sortiment aufzunehmen. Sie hat den Laden nebenan gemietet und angefangen umzubauen. Wie du dir vorstellen kannst, war das ein ziemlich großes Unterfangen. Wegen der Bauarbeiten hat sie vorübergehend einen Teil ihrer Lagerfläche verloren. Das durchschnittliche Brautkleid ist ein ziemlich besonderes Stück. Man kann es nicht einfach überall aufbewahren. Es muss geschützt und bei bestimmten Temperaturen gelagert werden.“ Langsam fielen die Puzzleteile an ihren Platz. Sam erinnerte sich, dass er aufgestanden war, nachdem er und Dellina sich geliebt hatten. Er war immer noch geschockt gewesen von der Hitze, die zwischen ihnen aufgelodert war, und hatte sich schon auf einen zweiten Durchgang gefreut. Auf dem Weg vom Badezimmer zurück war er falsch abgebogen. Anstatt in ihr Schlafzimmer zurückzugehen, hatte er sich in einem Raum wiedergefunden, in dem endlose Reihen von Hochzeitskleidern hingen. Schlimmer noch, an der Wand prangte eine Tafel mit der Überschrift: „Zehn Wege, ihn dazu zu bringen, dir einen Antrag zu machen“. Da war er verständlicherweise ausgeflippt. Er hatte den Weg zurück in ihr Zimmer gefunden, sich schnell angezogen und war geflohen. Von da an hatte er kein Wort mit Dellina gesprochen. Er war ihr aus dem Weg gegangen, hatte es vermieden, irgendetwas mit ihr zu tun zu haben, und hatte sich selbst nie gestattet, über diese Nacht nachzudenken. Denn wenn er es täte, würde er feststellen, dass er Dellina noch einmal wollte. Und bei seinem Pech mit Frauen war es wichtig, sich an die zu halten, die geistig vollkommen gesund waren. Was, wie es aussah, vielleicht doch auf Dellina zutraf. Sie öffnete die Tür. Instinktiv verspannte er sich, als er sah, dass die Kleider noch da waren. Kleiderstangen voller weißer Kleider in Schutzhüllen. Wie PlastikAliens hingen sie dort und warteten darauf, auf ihr Mutterschiff zurücktransportiert zu werden. „Isabel bezahlt mich dafür, dass sie ihre Kleider hier lagern kann“, erklärte Dellina. „Ich würde es auch umsonst machen, aber sie besteht auf einer kleinen monatlichen Miete. Das sind nicht meine Kleider.“ „Okay.“ Er wollte seinen Kragenknopf lösen, stellte aber fest, dass sein Hemd gar nicht bis oben hin zugeknöpft war und der Druck, den er spürte, alleine daher stammte, dass er sich wie ein Idiot aufgeführt hatte. Er räusperte sich. „Das, äh, erklärt das Problem mit den Brautkleidern. Aber was ist damit?“ Er zeigte auf die Tafel. Auf ihr stand immer noch „Zehn Wege, ihn dazu zu bringen, dir einen Antrag zu machen“, aber es fehlten die entsprechenden Vorschläge. Dellina seufzte und ließ sich gegen die Wand sinken. „Die gehört Fayrene.“ Er hob eine Augenbraue. „Meine jüngere Schwester“, erklärte sie. „Fayrene hat Ray im letzten Herbst kennengelernt. Sie haben sich verliebt, aber sie wollte nicht heiraten und sich stattdessen auf ihre Karriere konzentrieren. Ryan war damit einverstanden, und sie kamen überein, vier Jahre zu warten.“ „Wo ist das Problem?“ „Sie hat ihre Meinung geändert und möchte, dass er ihr jetzt einen Antrag macht.“ Er wartete, weil er wusste, dass da noch mehr kommen musste. „Ryan versteht die Nachricht nicht.“ Dellina massierte sich die Schläfen. „Vermutlich weil sie es ihm nie klar gesagt hat. Fayrene will Ray nicht sagen, dass sie ihre Meinung geändert hat. Das wäre nicht romantisch. Sie will, dass er von allein drauf kommt.“ „Das wird nicht passieren“, sagte Sam. „Wenn Ryan deine Schwester liebt, wird er ihre Wünsche akzeptieren, egal, wie sehr er auch vielleicht eher heiraten will. Das ist keine gute Strategie.“ „Danke für deine Erklärung. Aber das müsstest du schon mit Fayrene diskutieren, denn ich stimme dir da vollkommen zu. Der Punkt ist, diese Liste hat nichts mit mir zu tun.“ Dellina sah ihn an. „Hör mal, Sam. Ich weiß, du hast keinen Grund, mir zu glauben, aber ich nehme nicht ständig Männer mit nach Hause, die ich gerade erst kennengelernt habe. Am Valentinstag war es das erste Mal, dass ich so etwas getan habe.“ Sie sprach weiter, aber er hörte lange genug auf, ihr zuzuhören, um sich in der Tatsache zu sonnen, dass sie sich ausgerechnet ihn für ihren One-Night-Stand ausgesucht hatte. Okay, das war nicht ganz so gut, wie ein Heilmittel für eine tödliche Krankheit zu entwickeln, aber trotzdem schön zu wissen. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf sie. „… und als du weggelaufen bist, wusste ich nicht, was passiert ist. Dann habe ich mich an dieses Zimmer erinnert und gewusst, dass du ausgeflippt bist.“ „Verständlicherweise“, ergänzte er. „Ja. Das ist schon ein wenig verstörend. Aber du hättest mich doch einfach fragen können, was es damit auf sich hat.“ Er dachte an die anderen Frauen, die er in seinem Leben kennengelernt hatte. Seine Familie. Wenn Dellina davon wüsste, würde sie keine rationale Reaktion erwarten. Aber sie hatte keine Ahnung davon, und das war ihm auch lieber so. „Du hast recht“, pflichtete er ihr bei. „Ich hätte dich fragen sollen. Ich habe einfach nur reagiert. Es war spät, und wir hatten Sex, und dieses Zimmer hat mir eine Heidenangst eingejagt.“ Sie lächelte. „Du kannst ganz schön schnell laufen.“ „Ich hatte viel Übung.“ Ihr Lächeln wurde breiter und lenkte seine Aufmerksamkeit auf ihren Mund. „Du warst echt gut darin, mir aus dem Weg zu gehen. Fool's Gold ist nicht sonderlich groß.“ „Das ist mir auch schon aufgefallen. Du warst überall und hast es mir nicht leicht gemacht.“ „Das wollte ich auch nicht“, gab sie zu. „Dann musst du dich ja gefreut haben, das von der Firmenfeier zu hören.“ Sie sah ihn schelmisch an. „Ein bisschen.“ Weil die Organisation dieser Party nämlich ihm zugeteilt worden war. Normalerweise hätte er einfach jemanden dafür engagiert, aber die einzige PartyPlanerin der Stadt war Dellina. Also hatte er es so lange wie nur irgend möglich hinausgezögert. „Jetzt, wo du dich auf meine Kosten amüsiert hast“, sagte er, „gibt es immer noch ein Problem, das wir lösen müssen.“ „Stimmt. Score schmeißt eine Party für seine besten Kunden. Drei Tage Spaß und Ausgelassenheit.“ „Ausgelassenheit? Hast du das gerade wirklich gesagt?“ Sie drückte sich von der Wand ab und ging über den Flur. „Das weißt du doch. Komm. Reden wir darüber, wie viel mehr du mir dafür bezahlen musst, das alles innerhalb von vier Wochen auf die Beine zu stellen.“ Dellina war in Sams Gegenwart entspannter, als sie erwartet hatte. Jetzt, da sie über die Vergangenheit und die Peinlichkeit der Nacht gesprochen hatten, konnten sie sich dem Geschäftlichen widmen. Er folgte ihr in ihr Büro. Unglücklicherweise war sie nicht auf Besucher vorbereitet, deshalb lagen überall Papierstapel herum. Sie wollte sagen, dass sie normalerweise zu ihren Kunden ging, wusste aber, dass eine der Grundregeln im Business lautete, sich niemals unnötig zu entschuldigen. Dafür gäbe es noch ausreichend Zeit, sollte sie es wirklich vermasseln. Sie griff zur gleichen Zeit nach einem Stapel Papiere wie Sam. Seine Hand legte sich auf ihre. Instinktiv schaute sie ihn an, und ihre Blicke hielten einander fest. Vermutlich wegen der Hitze, die sofort aufstieg, ganz zu schweigen von den Funken, zwischen ihnen flogen. Außer sie war die Einzige, die diese Anziehung verspürte. In dem Fall fragte er sich vermutlich, was, zum Teufel, mit ihr nicht stimmte. Sie zog die Hand zurück, er auch, und die Papiere segelten zu Boden. Dellina starrte das Chaos an. „Okay“, sagte sie und ging um ihren Schreibtisch herum. „Lass sie einfach da liegen. Tiefer können sie nicht fallen.“ Ihr Büro befand sich in dem kleinsten der drei Zimmer. Es war vielleicht zehn Quadratmeter groß, und in der Mitte stand ihr großer Schreibtisch. Es gab ein paar Stühle, zwei Aktenschränke, eine Pinnwand an der Wand, ein Fenster und einen langen Tisch, den sie meistens dazu nutzte, weitere Papiere zu stapeln. Irgendwann dieser Tage würde sie sich endlich mal ein Ablagesystem überlegen müssen. Sie setzte sich und griff nach einer Mappe. Sie wies ihren Projekten verschiedene Farben zu, und die Score-Party war blutrot. Eine der Farben der L. A. Stallions. Etwas, das sie lächeln ließ, auch wenn es Sam nicht auffiel. „Wegen der Party“, fing sie an und zog sich einen Notizblock heran. „Was schwebt euch da vor?“ „Taryn muss dir doch irgendwas erzählt haben.“ „Das hat sie, aber ich möchte sichergehen, dass ich verstehe, was du erwartest. Also, schieß los.“ Sie lächelte. „Keine Sorge, ich werde mich nicht langweilen, wenn ich es schon gehört habe.“ „Wie beruhigend.“ Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Wir laden zwanzig Paare ein, das macht also vierzig Erwachsene. Sie bringen insgesamt zwölf Kinder im Alter zwischen sechs und dreizehn Jahren mit.“ Sie machte sich Notizen. „Zu unseren Kunden gehören Sportgrößen, eine Firma, die Rum herstellt, und eine Timesharing-Firma für Jets.“ Sie schaute auf. „Eine was?“ „Eine Timesharing-Firma für Jets. Privatflugzeuge?“ „Ich weiß, was das ist.“ „Bei einem Timesharing erwirbt man Stunden, anstatt sich ein ganzes Flugzeug kaufen zu müssen. Außerdem gibt es einen jährlichen Mitgliedsbeitrag. Man kann hundert Stunden kaufen. Zweihundert. Wie viele auch immer man braucht.“ Sie nahm an, nur einen Teil eines Jets zu besitzen war besser, als das gesamte Ding zu kaufen. Zumindest wenn man in der Position war, sich um solche Sachen Gedanken machen zu müssen. Sie flog nicht oft, aber wenn, suchte sie immer online nach Schnäppchen. „Ein weiterer Kunde ist ein internationaler Headhunter.“ Er hielt inne, als warte er auf eine Frage. „Ich weiß auch, was das ist“, sagte sie. „Sie suchen Mitarbeiter für gehobene Stellen in großen Firmen.“ „Sehr gut.“ Bei der Feier wäre viel Geld versammelt, dachte sie, als sie sich weitere Notizen machte. Was wenig überraschend war. Die Besitzer von Score waren reiche, erfolgreiche Männer. Oder in Taryns Fall eine reiche, erfolgreiche Frau. Da war es nur logisch, dass sie ebensolche Kunden anzogen. Sie fragte sich, warum sie sich entschieden hatten, nach Fool's Gold zu ziehen. Ein ruhiges, familienorientiertes Städtchen mit einer Besessenheit für Festivals. Laut Taryn waren es die Jungs gewesen, die den Umzug vorangetrieben hatten. Dellina fragte sich, ob sie damit auf etwas zu- oder vor etwas weggelaufen waren. Sie ließ den Blick zu Sam zurückwandern. Er war über eins achtzig groß, hatte breite Schultern und einem schlanken, muskulösen Körper. Als Kicker musste er nicht riesig sein. Jack und Kenny waren wesentlich größer. Auch wenn sie Sams Gestalt bevorzugte, würde sie seine stattliche Männlichkeit und die erneuten Funken ignorieren und sich stets daran erinnern, dass dieser Auftrag für sie eine große Sache war. Sie würde die Partner umhauen und mit einem dicken Sparbuch und einer hervorragenden Empfehlung daraus hervorgehen. „Die Party beginnt am Freitagnachmittag und geht bist Sonntagnachmittag“, erklärte er. „Wir haben ein Zimmerkontingent oben in der Ski-Lodge gebucht.“ „Wie viele Zimmer?“, fragte sie. „Und was ist mit Räumen, in denen man sich treffen kann, und anderen Angeboten?“ „Die Informationen habe ich im Büro. Ich kann sie dir mailen.“ „Super. Ich muss auch Kopien der Verträge haben, damit ich gucken kann, was sie erwarten und was ihr erwartet.“ Er presste kurz die Lippen zusammen. „Ich habe einfach ein paar Zimmer reserviert“, meinte er. „Es gibt keinen Vertrag.“ Sie machte sich weitere Notizen und sagte sich, dass sie nicht über ihn urteilen sollte. Sie war die professionelle Party-Planerin, nicht er. „Darum kümmere ich mich.“ Sie hatte gelernt, alles schriftlich festzuhalten. „Ihr solltet verschiedene Aktivitäten, Mahlzeiten und Geschenktüten anbieten. Wollt ihr ein gesondertes Programm für die Kinder? Ich schätze, die Eltern würden es genießen, wenigstens einen Teil der Zeit für sich zu haben.“ „Klar, warum nicht.“ „Vorträge? Musikalische Unterhaltung? Wollt ihr Babysitter für die Kinder zur Verfügung stellen?“ „Ich habe keine Ahnung.“ Was bedeutete, er und seine Partner waren über ein „Hey, lasst uns eine Party schmeißen“ noch nicht hinausgekommen. Das Gute war, dass es so nicht viel gab, was sie wieder rückgängig machen musste. Das Schlechte war der enge zeitliche Rahmen. „Wir haben nur knapp vier Wochen, um das alles auf die Beine zu stellen“, sagte sie und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihn, was nicht schwer war. Sams Züge waren wie gemeißelt, seine dunklen Augen eindringlich. Er sah aus wie ein Model für ein sinnliches Männerparfüm. Und er saß so nah bei ihr. Nicht, dass sie darauf reagieren würde. Sie arbeiteten jetzt zusammen. Hatten eine rein geschäftliche Beziehung. Was bedeutete, was auch immer vorher zwischen ihnen geschehen war, war interessant, aber nicht relevant. „Ich muss diese Woche noch ein anderes Projekt zu Ende bringen, danach bekommt ihr bis zum Wochenende der Feier meine volle Aufmerksamkeit“, erklärte sie ihm. Er hob eine Augenbraue und nickte. „Wir brauchen auch auf der Feier deine volle Aufmerksamkeit.“ „Wie sehr willst du in die Entscheidungen bezüglich der Party einbezogen werden?“ „Sprich alles mit mir ab. Wir können entweder regelmäßige Treffen vereinbaren, oder du kommst einfach bei Score vorbei. Ich mache mich dann für dich frei.“ „Wir machen beides“, sagte sie und fügte weitere Punkte zu ihrer wachsenden To-do-Liste hinzu. „Okay – einen Vertrag für die Zimmer zu kriegen und einen Zeitplan zu erstellen werden meine Top-Prioritäten sein. Ich rechne nach Stunden ab. Für einige Sachen werde ich eine Kaution benötigen, aber aufgrund des engen Zeitplans werden andere Sachen sofort zahlbar sein. Ich habe es lieber, wenn alle Rechnungen über mich laufen, damit ich weiß, was für Kosten auf euch zukommen.“ „Kein Problem. Wenn du im Büro vorbeikommst, gebe ich dir einen Vorschuss. Diese Party wird viel Geld kosten. Ich will nicht, dass du deswegen dein Konto strapazieren musst.“ „Danke“, sagte sie und dachte, dass er während ihrer einzigen intimen Begegnung genauso rücksichtsvoll gewesen war. Er hatte … Nein, sagte sie sich entschlossen. Das würde nicht noch einmal passieren. Und sie würde sich auch nicht in Erinnerungen daran verlieren, wie er sie berührt oder geküsst hatte oder … „Ich denke, ich habe genug, um anzufangen“, sagte sie und legte den Stift weg. „Treffen wir uns in einigen Tagen wieder, dann habe ich schon ein paar Einzelheiten ausgearbeitet.“ „Klingt nach einem Plan.“ Sie erhoben sich beide, und sie begleitete ihn zur Haustür. Eine Sekunde lang fragte sie sich, was zwischen ihnen passiert wäre, wenn er nicht ins falsche Zimmer abgebogen wäre. Wenn er es auf direktem Weg zurück zu ihr geschafft hätte. Vermutlich nichts, sagte sie sich und verabschiedete sich von ihm. Er war ein berühmter Exsportler und sie ein Kleinstadtmädchen. Sie bezweifelte, dass ein Mann wie er nach etwas Ernstem suchte, und sie tat es auch nicht. Was passiert war, war eine lustige Anekdote und mehr nicht. Aber es macht schon Spaß, darüber nachzudenken, gab sie insgeheim zu, nachdem er gegangen war.
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