Westküste trifft Mittelmeer | 1 Haufen liegen im Garten des Museums

Westküste trifft Mittelmeer | 1
Haufen liegen im Garten des Museums Kunst der Westküste. Perfekte Pferdeäpfel. Sie heißen Alex,
Peter und Fritz. Der junge Hamburger Thomas Judisch war 2014 als „Artist in Residence“ in
Alkersum, und seine Werke nehmen Bezug auf die Insel.
So hat er seine Bronzehaufen nach original Föhrer Pferdeäpfeln geformt, die er quasi ums Eck
gefunden hat. Und den großen Herrschern in der Geschichte gewidmet! Daher die Namen. Das
etwas andere Reiterstandbild sozusagen, mal nicht der stolze Mann auf dem sich aufbäumenden
Pferd. Kunst mit einem Augenzwinkern.
Genau wie die Jacken, die scheinbar an der Wandgarderobe hängen. Im Eingangsbereich des
Museums sind sie mir aufgefallen, fast wollte ich meine Jacke dazu hängen. Aber wieder nur ein
Witz, ein plastischer Kunststoffdruck namens „Familie Wanke“. Jedem sein Jäckchen und jedem sein
Eckchen.
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„Familie Wanke“ von Thomas Judisch
Die „Interventionen im musealen Raum“ bilden nämlich nur eine von vier aktuellen Ausstellungen im
Museum Kunst der Westküste. Es ist nicht mein erstes Mal hier: Bereits in 2014 habe ich Föhr per
Rad erkundet und bin auch in Alkersum gelandet. Dieses Mal ist alles anders, nur die
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Räumlichkeiten sind die selben. Zwar besitzt die Stiftung auch eine eigene Sammlung, die sich auf
Kunst der Westküste aus der Zeit von 1830 bis 1930 konzentriert, zeigt aber jedes Jahr nur einen
Teil davon, immer unter einem anderen Aspekt.
Dieses Jahr sind es „Max Liebermann und Zeitgenossen“. Rundherum ganz viel Sand, Dünen,
Nordsee. In den Bildern finde ich Motive meiner Reisen: Gerade noch war ich im niederländischen
Scheveningen unterwegs, wo auch einige Künstler Inspiration gefunden haben. Und die ehemalige
Künstlerkolonie von Skagen ist prominent vertreten.
Ja, man könnte sagen, das Museum der Westküste und ich, wir passen gut zusammen. Überall Meer
und Küste. Es fällt mir schwer, mich nach meinem Besuchsprinzip auf nur ein Bild zu konzentrieren.
Als meine Highlights möchte ich nominieren: „Das lesende Mädchen“ (1918) von Sigrid Hjertén.
Eine Frau im Badeanzug, mit gepunktetem Handtuch, lesend, am Strand. Ich mag den Schwung, die
Farben und die Ruhe des Bildes.
Max Liebermann
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Dann die „Vier Frauen und ein kleines Mädchen am Meeressaum“ (1894) von Peder Severin Krøyer.
Das Kind winkt, die Frauen in langen Kleidern und schwarzen Schals wirken nachdenklich bis
traurig. Man kann vermuten, dass ihre Männer gerade in See gestochen sind.
Auch das Bild „Wäschetrocknen – Bleiche“ (1890) von Max Liebermann zählt zu meinen Favoriten.
Eine Frau hängt bunte Wäschestücke auf, an denen augenblicklich der Wind zerrt. Mit bewegtem
Pinselstrich nimmt der Künstler hier die impressionistische Fährte auf. Der Spaziergang durch die
Ausstellung ist fast wie eine Wanderung über die Insel: Überall spüre ich die salzige Luft und den
Wind. Ich lausche dem Meer.
Ganz besonders angetan hat es mir aber Calogero Cammalleri. Ein junger Italiener aus Düsseldorf,
der seinen sizilianischen Wurzeln auf der Spur war. Die Suche hat ihn nach Lampedusa geführt,
näher an Afrika als an Italien und Anlaufstelle für viele geflüchtete Menschen, die sich übers
Mittelmeer auf den Weg nach Europa machen.
Calogero Cammalleri
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„Ich habe Lampedusa nicht vordergründig als Insel der Flüchtlinge erlebt“, sagt der Fotograf, was
im Gegensatz zu unserer von den Medien geprägten Realität steht. Gerade ist der Film
„Fuocoammare“ (Feuer auf dem Meer) von Gianfranco Rosi mit dem goldenen Bären der Berlinale
ausgezeichnet worden.
Und weil der Film ebenfalls auf Lampedusa spielt, will das Museum ihn später noch im
Zusammenhang mit der eigenen Ausstellung zeigen. Cammalleris Schwarzweißaufnahmen sind nicht
der Tragödie gewidmet, nicht dem Nebeneinander von Alltag und Ausnahmesituation. Er will das
„tiefste Wesen der Insel“ aufspüren und den Menschen nahe kommen.
Dazu lässt er erst einmal die Kamera beiseite, um das Vertrauen der Einwohner zu gewinnen. Er
fährt mit den Fischern hinaus, die er als Hüter der Insel bezeichnet. Cammalleri erlebt Lampedusa
in der dunklen und einsamen Jahreszeit. Mir gefällt die Melancholie in den Porträts und den
Momentaufnahmen des Alltäglichen ebenso wie das Poetische in Bildern wie der
Unterwasseraufnahme. Beine und Luftblasen im Meer.
Fast wirken sie wie Fotografien aus einer anderen Zeit. Ein gesunkenes Boot oder ein Zaun gehören
zu den wenigen Andeutungen auf die Situation der Geflohenen – neben dem Alltag auf der Insel.
Cammalleri hat auch mit den Menschen hinter dem Zaun gesprochen. Und mit einigen von ihnen,
die inzwischen in Schweden leben, steht er immer noch in Kontakt.
Vielleicht wird die Insel mit all ihren Facetten, wie Cammalleri sie in der Ausstellung „Lipadusa“
zeigt, demnächst auf meinen Reiseplänen stehen. Er hat mich jedenfalls neugierig gemacht, er hat
mich erwischt – auf eine ebenso eindrücklichhe wie intime Art und Weise.
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Im Garten
Text und Fotos: Elke Weiler
Mit Dank an Föhr Tourismus, die meine Reise auf die Insel unterstützt haben.
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