Gastbeitrag von Dr. Tuba Isik - Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches

Dr. Tuba Isik
Aktionsbündnis muslimischer Frauen
in Deutschland (AmF)
Newsletter für Engagement und Partizipation
in Europa
1/2016
„Von Gewalt betroffene Frauen müssen erfahren, dass ihnen geholfen wird!“
Gewalt ist ein komplexes Phänomen, das sowohl soziale, strukturelle, ökonomische, individuell
biographische wie auch kulturelle Ursachen hat. Was Migranten bzw. die aktuelle Diskussion um
gewaltaffine Flüchtlinge betrifft, so sollten nicht vorschnell ihre Herkunftskulturen als Ursache von
Fehlverhalten identifiziert werden, sondern auch die außergewöhnlichen Belastungen aufgrund von
Flucht oder Vertreibung, wie auch ihre soziale Situation und ihre persönlichen Perspektiven im
Aufnahmeland bedacht werden. Wird vor allem auf die kulturellen Faktoren abgehoben, müsste
fairerweise parallel die Frage geklärt werden, welche gew
Momente in der deutschen
Kultur auszumachen sind, schließlich war die Einrichtung von Gefängnissen nicht erst dann
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erkennen, dass Gewalt kein kulturspezifisches Problem ist, sondern ein gesamtgesellschaftliches, das
es auch gesamtgesellschaftlich anzugehen gilt. Um die Situation aller Frauen nachhaltig zu
verbessern appellieren wir als Aktionsbündnis muslimischer Frauen in Deutschland (AmF) - die
bundesweite unabhängige Vereinigung zur Verbesserung der gesellschaftlichen Partizipation
muslimischer Frauen - an alle gesellschaftlichen und religiösen Gruppen nicht gegeneinander,
sondern miteinander zu agieren und damit eine positive Entwicklung in Gang zu setzen.
Das AmF begrüßt die Bemühungen der Bundesregierung zur Stärkung der Rechte von Frauen, die von
Gewalt, Zwangsverheiratung, Psychoterror, sexuellem Missbrauch u.ä. betroffen sind. Das 2009
gegründete AmF, das sich insbesondere für die Chancengleichheit muslimischer Frauen engagiert,
spricht sich gegen alle Formen der Gewalt gegenüber Frauen aus, seien sie zwischenmenschlicher
oder struktureller Natur.
Kleine Schritte, wie das durch die Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig initiierte Hilfetelefon
„Gewalt gegen Frauen“,
können nur ein Anfang sein, um die Situation für die von Gewalt
betroffenen Frauen zu verbessern.
Als bundesweite Vereinigung muslimischer Frauen sehen wir eine unserer Aufgaben darin, die
Chancengleichheit muslimischer Frauen in allen Gesellschaftsfeldern zu erhöhen. In diesem Rahmen
begegnen wir häufig struktureller Gewalt, die in spezifischen Konstellationen Frauen dazu verurteilt,
in Situationen, in denen sie psychischer oder körperlicher Gewalt ausgesetzt sind, zu verharren.
Häuslicher Gewalt zu entfliehen oder sich aus einer unbefriedigenden Ehe zu lösen bedarf nicht nur
Entschlossenheit, sondern auch wirtschaftlicher Unabhängigkeit – wer wüsste das besser als
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Generationen von deutschen Frauen, die jahrzehntelang für ihre Rechte kämpften und gegen
vielerlei Widerstand z.B. erreichten, dass Frauen auch ohne Einwilligung des Ehepartners einem
Beruf nachgehen dürfen oder Vergewaltigung in der Ehe ein Straftatbestand wurde. Die Tatsache,
dass wirtschaftliche Eigenständigkeit den Entscheidungsspielraum von Frauen für ein Leben nach
eigenen Maßstäben erhöht, gilt gleichermaßen für muslimische Frauen, auch für diejenigen, die ein
Kopftuch tragen. Gerade diese Gruppe ist durch die jahrelange undifferenzierte Debatte in Medien
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Arbeitsmarkt ausgesetzt. Dies muss ein Ende finden, denn sie haben das Recht darauf, in ihrer
Religiosität und Lebensweise ernst genommen zu werden. Gesetzlich legitimierte oder
gesellschaftlich akzeptierte Berufsverbote sind das Gegenteil dessen und bedeuten vielfach den
Ausschluss vom gesellschaftlichen Leben und – über die finanzielle Seite hinaus – den damit
verbundenen Anerkennungen
Die körperliche und verbale Angriffsbereitschaft gegenüber kopftuchtragenden Frauen, hat in den
letzten Jahren zugenommen und auch eine andere Qualität angenommen. Deutlich mehr Frauen
berichten über Pöbeleien, Beleidigungen und verbale Angriffe in der Öffentlichkeit und Hassmails. Zu
dieser Entwicklung hat zweifellos politische und mediale Diskreditierung des Kopftuches als Zeichen
der Unterdrückung oder einer verfassungsfeindlichen Haltung der Trägerin (symptomatisch, dass die
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Bundesverfassungsgerichts noch immer an ihren Kopftuchverbotsgesetzen festhalten, zeigt, dass
diese Denkweise in politisch relevanten Gruppen noch immer vorhanden ist.
Als AmF appellieren wir für einen vorurteilsfreieren Umgang untereinander, denn erst durch
Begegnung lässt sich Verständnis füreinander schaffen. Dazu ist gleiche Augenhöhe unabdingbar.
Autorin
Dr. Tuba Isik ist seit 2009 zusammen mit Gabriele Boos-Niazy Vorstandsvorsitzende des
Aktionsbündnis Muslimischer Frauen in Deutschland e.V. Sie ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am
Seminar für Islamische Theologie an der Universität Paderborn. Sie war Einzelteilnehmerin der 2.
Phase der Deutschen Islamkonferenz, die vom Bundesinnenministerium initiiert wurde.
Kontakt: [email protected]
Weitere Informationen: www.muslimische-frauen.de
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Redaktion:
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