Für Flüchtlinge ist Alkohol besonders riskant

30.3.2016
Suchtgefahr: Für Flüchtlinge ist Alkohol besonders riskant ­ DIE WELT
30. Mär. 2016
Diesen Artikel finden Sie online unter
http://www.welt.de/153757731
29.03.16
Suchtgefahr
Für Flüchtlinge ist Alkohol besonders riskant
"Vater würde mich umbringen, wenn er das wüsste." Ali, 19, lebt in einer
Flüchtlingsunterkunft – und trinkt seitdem. Er ist nicht der Einzige. Die
Sicherheitskräfte konfiszieren alles, was sie finden.
Foto: dpa
Ein Sicherheitsmitarbeiter kontrolliert in der Landeserstaufnahmeeinrichtung (Lea) für Flüchtlinge in
Ellwangen die Tasche eines Bewohners. Innerhalb der Lea herrscht Alkoholverbot, dennoch kommt es
immer wieder zu Problemen mit alkoholisierten Bewohnern
Ali Shan trinkt gerne. Am Wochenende geht der 19­Jährige meist mit Freunden los, sie kaufen
sich zwei oder drei Flaschen Wodka, manchmal Rum, dazu meist Hühnchen und Chips. Dann
setzen sie sich an die Bahnstation in Ellwangen und trinken. "Aber nur am Wochenende", sagt
Ali in gebrochenem Englisch. Seit eineinhalb Monaten lebt der Asylbewerber in der
Flüchtlingsunterkunft (Link: http://www.welt.de/themen/fluechtlingsunterkuenfte/) im schwäbischen Ellwangen.
In seiner pakistanischen Heimat hat er nie getrunken. "Nein!", ruft Ali Shan entsetzt. "Mein Vater
würde mich umbringen, wenn er das wüsste."
Alkoholkonsum ist zwar alles andere als die Regel unter Flüchtlingen
(Link: http://www.welt.de/themen/fluechtlinge/) ; allein schon der muslimische Glaube verbietet den meisten
Asylbewerbern eigentlich den Alkoholgenuss. "Ein bisschen dürfen Muslime auch trinken",
findet Ali Shan. Aber unter jungen Männern ist das Trinken in mancher Unterkunft trotzdem
weitverbreitet – und stellt nicht nur eine Quelle für Konflikte, sondern auch eine Gefahr für die
Flüchtlinge selbst dar.
Experte: Alkohol ist für viele Flüchtlinge Neuland
"Asylbewerber sind besonderen Risiken ausgesetzt, in einen riskanten, missbräuchlichen oder
abhängigen Konsum zu geraten", warnt Ingo Schäfer, Geschäftsführer des Zentrums für
Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg. "Sie hatten in der Jugend nicht die
Chance, einen ausgewogenen Umgang mit Alkohol zu lernen – und treffen hier auf massenhafte
Verfügbarkeit."
In Ellwangen trinke rund ein Drittel der derzeit 900 Flüchtlinge täglich Alkohol, schätzt
Sicherheitsmann Norman Schmidt, der dort mit seinem Team für Ruhe und Ordnung sorgen
soll. Gröberen Ärger gebe es deshalb zwar selten, erzählt Schmidt. Aber das Trinken bereite
Sorgen. "Denen ist langweilig, und sie haben Probleme."
http://www.welt.de/politik/deutschland/article153757731/Fuer­Fluechtlinge­ist­Alkohol­besonders­riskant.html?config=print
1/2
30.3.2016
Suchtgefahr: Für Flüchtlinge ist Alkohol besonders riskant ­ DIE WELT
Mit Alkohol könne man sein Trauma eben kurzfristig ausknipsen, erzählt Lea­Leiter Berthold
Weiß: "Vielleicht trinken sie aus dem gleichen Grund wie die Leute hier auch trinken – weil man
vergessen will." Erst vor Kurzem habe ein Streetworker eine Gruppe junger Flüchtlinge beraten
und die Suchtberatung ins Boot geholt, weil sie immer wieder sehr viel getrunken hatten.
Die Flüchtlinge kaufen sich Schnaps bei der Tankstelle oder im Supermarkt, nur wenige
Hundert Meter die Straße runter. "Schlimm ist es, wenn es Taschengeld gab, dann gehen sie
los und kaufen ein, von der Dose Bier bis zum Wodka", sagt Schmidt. Rund 140 Euro bekommt
ein alleinreisender Flüchtling im Monat.
Viele trinken am Kreisverkehr, auf der Wiese, in der Stadt. Denn auf dem Gelände des
Flüchtlingsheims ist Alkohol absolut tabu. Immer wieder versuchen Asylbewerber aber,
Getränke reinzuschmuggeln. Schmidt kennt die Tricks. Wodkaflaschen werden über den Zaun
geworfen, Rum unter dicken Jacken versteckt, Schnaps in leere Sprudelflaschen umgefüllt.
Flüchtlinge werden durchsucht
Es ist 17.10 Uhr, der Bus aus der Stadt ist eben an der Lea Ellwangen eingetroffen. Mehrere
Dutzend Flüchtlinge steigen aus und trotten durchs Eingangstor, in ein Spalier aus
Sicherheitsleuten. Schmidts Kollegen durchsuchen jeden Rucksack, jede Tüte, jede
Handtasche. Finden sie Alkohol, wird er konfisziert. Die Sicherheitsleute sammeln den Fusel in
der ehemalige Arrestzelle der Kaserne und schütten ihn ins Klo. "Eine Flasche Wodka oder
Whiskey ist ja viel Geld." Trotzdem fischen sie immer wieder flüssigen Nachschub aus den
Taschen.
Es gibt bisher keinen Überblick, keine Statistik, keine spezifischen Beratungsangebote für
Flüchtlinge zum Thema. Die Betroffenen seien noch nicht im deutschen Suchthilfesystem
angekommen, die Kostenübernahme etwa für Dolmetscher sei häufig ungeklärt, bemängelt
Suchtforscher Schäfer. "Zunächst sind die Betreiber aufgefordert, das zu beobachten, mit den
Leuten zu reden und für einen verantwortungsvolleren Umgang mit Alkohol zu sorgen", sagt die
Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums, Doris Berve­Schucht.
"Alkohol spielt bei Auseinandersetzungen in Heimen, wo es um Streitereien, Bedrohungen und
Schlägen geht, häufig eine Rolle", sagt der Sprecher des Innenministeriums, Rüdiger Felber.
Aber: Alkohol sei ja auch bei Straftaten der Deutschen häufig im Spiel. "Das sind Einzelfälle, ein
Großteil der Flüchtlinge ist unauffällig", sagt ein Sprecher des Integrationsministeriums. "Die
Deutschen gehen in die Kneipe und saufen sich voll, nur hier fällt es auf, weil es verboten ist",
formuliert es Sicherheitsmann Schmidt.
dpa/vwe
© WeltN24 GmbH 2016. Alle Rechte vorbehalten
http://www.welt.de/politik/deutschland/article153757731/Fuer­Fluechtlinge­ist­Alkohol­besonders­riskant.html?config=print
2/2