Was bringt die Wasserrahmenrichtlinie? Unsere Flüsse zwischen Naturschutz, Wirtschaftsinteressen und Hochwassergefahr Kai Baudis, BUND Baden-Württemberg Johannes Reiss, Büro am Fluss e.V. Gliederung • Vorstellung der Teilnehmer • Einführung – einiges zu den Fließgewässern des Landes Baden-Württemberg • WRRL, WHG und WG - Die rechtlichen Grundlagen • Der gute Zustand ein anspruchsvolles Ziel für unsere Gewässer • Umsetzung der WRRL in Baden-Württemberg • Schritte auf dem Weg zu einem guten ökologischen Zustand • Gemeinsames Arbeiten – Fragen und Beispiele der Teilnehmer • Flusspolitischer Forderungskatalog für Baden-Württemberg 2 Der Büro am Fluss e.V. 3 Worüber wir heute sprechen – die Fließgewässer von Ba.-Wü. Bäche und Flüsse in Baden-Württemberg • Aktuell sind mehr als 18.000 Gewässer bekannt (amtliches digitales wasserwirtschaftliches Gewässernetz AWGN 2015) • Gesamtlänge in BW: ca. 44.000 km • Knapp 12.000 stehende Gewässer (≥ 13 m²) 4 Worüber wir heute sprechen – die Fließgewässer von Ba.-Wü. 5 Worüber wir heute sprechen – die Fließgewässer von Ba.-Wü. 14 unterschiedliche Gewässertypen gibt es im Land © LUBW Weitere Informationen: LfU-Leitfaden Referenzstrecken 6 Rechtliche und administrative Grundlagen Rechtliche Grundlagen der Gewässerentwicklung Wasserrecht • • • • • Europäische Wasserrahmenrichtlinie (EG-WRRL) Europäische Hochwasserrisikomanagementrichtlinie (EU-HWRM-RL) Wasserhaushaltsgesetz des Bundes (WHG) Wassergesetz von Baden-Württemberg Nachgesetzliche Regelungen Naturschutzrecht • FFH-Richtlinie • Bundesnaturschutzgesetz BNatSchG • Naturschutzgesetz von Baden-Württemberg Düngerecht • Düngeverordnung Pflanzenschutzrecht … 7 Rechtliche und administrative Grundlagen Politisches Ziel der Wasserrahmenrichtlinie sind der Schutz und die nachhaltige Nutzung des Umweltgutes Wasser Die Wasserrahmenrichtlinie ist damit kein Rechtsakt des Natur- oder Artenschutzes Über die Definition des „guten ökologischen Zustands“ entfaltet die Wasserrahmenrichtlinie im Bereich der Gewässer(landschaften) potenziell aber erhebliche Schutzwirkungen für Lebensräume und Arten. 8 Rechtliche und administrative Grundlagen EG-WRRL Wasserhaushaltsgesetz des Bundes (WHG) Wassergesetz von Baden-Württemberg (WG) Nachgesetzliche Regelwerke u.a. OberflächengewässerVO, Wasserkrafterlass 9 Rechtliche und administrative Grundlagen Europäische Wasserrahmenrichtlinie (EG-WRRL) vom 22.12.2000 Wichtigste Inhalte • Gegenstand: Oberflächengewässer (Flüsse und Seen), Grundwasser, Küstengewässer • Bewirtschaftungsziele: guter ökologischer und chemischer Zustand der Oberflächengewässer guter chemischer und mengenmäßiger Zustand des Grundwassers • Planungsräume Umsetzung in hydrologischen Einheiten (Einzugsgebieten) statt Verwaltungsräumen • Intensive Beteiligung der Öffentlichkeit • Vorgegebener Zeitplan zur Umsetzung: 10 Der Zeitplan der WRRL Grafik: Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft BW 11 Rechtliche und administrative Grundlagen Wasserhaushaltsgesetz vom 31.07.2009 Wichtige Paragrafen: • § 6 allgemeine Grundsätze der Gewässerbewirtschaftung (… nicht naturnah ausgebaute Gewässer sollen so weit wie möglich wieder in einen naturnahen Zustand zurückgeführt werden. …) • § 27 Bewirtschaftungsziele für oberirdische Gewässer Verschlechterungsverbot guter ökologischer und chemischer Zustand • § 28 künstliche und erheblich veränderte Gewässer irreversible morphologische Veränderungen u.a. für Schifffahrt, Freizeit, Wasserkraft, Hochwasserschutz, Trinkwassergewinnung … • § 29 Fristen zur Erreichung der Bewirtschaftungsziele guter Zustand bis 22.12.2015 maximal 2 x 6 Jahre Verlängerung bis 22.12.2027 aufgrund natürlicher Gegebenheiten, schrittweiser Umsetzung und unverhältnismäßigen Kosten 12 Rechtliche und administrative Grundlagen Wasserhaushaltsgesetz vom 31.07.2009 Wichtige Paragrafen: • § 30 abweichende Bewirtschaftungsziele aufgrund irreversibler Gewässerveränderungen und unverhältnismäßiger Kosten • § 31 Ausnahmen von den Bewirtschaftungszielen vorübergehende Verschlechterung des Gewässerzustands (Unfälle, natürliche Ursachen) menschliche Tätigkeiten in übergeordnetem Interesse (z.B. Staustufenbau für Wasserkraft und Binnenschifffahrt) • § 33 Mindestwasserführung Ausleitungsstrecken von Wasserkraftanlagen • § 34 Durchgängigkeit Notwendigkeit der Durchgängigkeit, wenn für guten Zustand gebraucht • § 35 Wasserkraftnutzung Fischschutz auf Populationsebene Potenzialprüfung 13 Rechtliche und administrative Grundlagen Wasserhaushaltsgesetz vom 31.07.2009 Wichtige Paragrafen: • § 38 Gewässerrandstreifen Ziele: Verbesserung der ökologischen Funktionen, Wasserabfluss, Wasserrückhalt, Verminderung stofflicher Belastungen Der Gewässerrandstreifen ist im Außenbereich 5 m breit. • § 39 Gewässerunterhaltung … die Gewässerunterhaltung muss sich an den Bewirtschaftungszielen ausrichten. • § 76 Überschwemmungsgebiete und Schutzvorschriften für Überschwemmungsgebiet (§ 78 WHG) untersagt sind u.a.: - Ausweisung von Baugebieten - Errichtung baulicher Anlagen - Umwandlung von Grünland in Acker Ausnahmetatbestand: Hochwasserschutz 14 Rechtliche und administrative Grundlagen Wassergesetz von Baden-Württemberg vom 27.11.2013 Wichtige Paragrafen: • § 29 Gewässerrandstreifen 10 m außerorts; 5 m innerorts (über WHG hinausgehend) Verbot der Nutzung als Ackerland auf den ersten 5 m außerorts ab 2019 keine Geltung an Gewässern von wasserwirtschaftlich untergeordneter Bedeutung • § 32 Träger der Unterhaltslast Absatz 6: Durchführung von Gewässerschauen alle 5 Jahre • § 65 Überschwemmungsgebiete ÜSG sind alle statistisch alle 100 Jahre überfluteten und in Hochwassergefahrenkarten ausgewiesenen Flächen innerorts und außerorts Weitere Informationen: LUBW-Leitfaden Gewässerrandstreifen 15 Rechtliche und administrative Grundlagen Nachgesetzliche Regelwerke (Auswahl) Oberflächengewässerverordnung (OGewV) des Bundes: • Abgrenzung von Wasserkörpern, Definition der Gewässertypen • Definition des ökologischen und chemischen Zustands • Anforderungen an die Gewässerüberwachung (Monitoring) • Wirtschaftliche Analyse der Wassernutzungen Wasserkrafterlass des Landes Baden-Württemberg: • Zulassungsgrundlagen für die Nutzung der Wasserkraft • Anforderungen an die Herstellung der Durchgängigkeit stromaufwärts und stromabwärts -> LUBW Leitfäden • Anforderungen an den Mindestabfluss -> LUBW Leitfaden 16 Rechtliche und administrative Grundlagen Zuständigkeiten in der Wasserwirtschaft in BW • Oberste Wasserbehörde: Umweltministerium • Höhere Wasserbehörden: Regierungspräsidien zugleich „Flussgebietsbehörden“ • Untere Wasserbehörden: Stadt- und Landkreise i.d.R. bei wasserrechtlichen Verfahren zuständig 17 Rechtliche und administrative Grundlagen 3 gesetzlich definierte Gewässerordnungen: • Bundeswasserstraße zuständig BMVI • Gewässer I. Ordnung zuständig Land BW (Regierungspräsidien) • Gewässer II. Ordnung zuständig Städte und Gemeinden 18 Auf dem Weg zum guten ökologischen Zustand Instrumente und Maßnahmen auf dem Weg zum guten ökologischen Zustand: Maßnahmen müssen an den wichtigsten Ursachen für das Verfehlen des guten Zustands ansetzen: • Morphologische Veränderung und naturferner Ausbau naturnahe Gewässerentwicklung (Entwicklungskorridor, Renaturierung, Grunderwerb) • Zerschneidung des Fließgewässerlebensraums Wiederherstellung der Durchgängigkeit • Veränderte Hydrologie Sicherung des Mindestabflusses, Wasserrückhaltung in der Fläche • Stoffliche Belastungen Verminderung der Emissionen in die Gewässer, Gewässerrandstreifen, Nutzung im Einzugsgebiet 19 Verbesserung der Gewässerstruktur – naturnahe Gewässerentwicklung Naturnahe Gewässer brauchen Raum - Entwicklungskorridor Der Erfolg vieler Renaturierungen der letzten Jahre ist ungewiss! 20 Verbesserung der Gewässerstruktur – naturnahe Gewässerentwicklung Naturnahe Gewässer brauchen Raum - Entwicklungskorridor Der Erfolg vieler Renaturierungen der letzten Jahre ist ungewiss! • Nur in wenigen Fällen wurde die Entwicklung der aquatischen Tierwelt systematisch untersucht • Oft profitierten mehr terrestrische Arten und Arten der Aue • Die erhoffte Verbesserung des ökologischen Zustands blieb – vorerst – aus. • WARUM? 21 Viele Maßnahmen – kein guter Zustand – WARUM? Ursachen der Zielverfehlung im Jahr 2015 • Langsame Reaktionszeit der Natur natürliche Fließgewässerlebensgemeinschaften brauchen lange, um sich nach einer Maßnahme zu entwickeln • Zu wenige und zu kleine Maßnahmen bezogen auf das Gewässernetz erfolgten zu wenige Maßnahmen, die Ausdehnung der renaturierten Abschnitte ist zu gering, um stabile Lebensgemeinschaften auszubilden • Renaturierte Abschnitte sind für die Tierwelt nicht erreichbar mangelnde Durchgängigkeit oder zu große Entfernung der nächsten naturnahen und von charakteristischen Arten besiedelten Gewässerstrecke • Renaturierungen wurden falsch oder mangelhaft ausgeführt die gewässertypischen Lebensräume und dynamischen Prozesse wurden nicht geschaffen oder konnten nicht geschaffen werden. • Andere Gewässerbelastungen schließen den guten Zustand aus (stoffliche Belastungen, Hydrologie, Feinsedimenteintrag, …) 22 Verbesserung der Gewässerstruktur – naturnahe Gewässerentwicklung Naturnahe Gewässer brauchen Raum - Entwicklungskorridor Die Ausbildung typgerechter Lebensräume im Gewässer hängt von natürlichen dynamischen Vorgängen ab (Beispiel Donau Ehingen). 23 Verbesserung der Gewässerstruktur – naturnahe Gewässerentwicklung Naturnahe Gewässer brauchen Raum - Entwicklungskorridor Die Ausbildung typgerechter Lebensräume im Gewässer hängt von natürlichen dynamischen Vorgängen ab (Beispiel Jagst bei Westhausen). 24 Verbesserung der Gewässerstruktur – naturnahe Gewässerentwicklung Naturnahe Gewässer brauchen Raum - Entwicklungskorridor Die Ausbildung typgerechter Lebensräume im Gewässer hängt von natürlichen dynamischen Vorgängen ab (Beispiel Röhlinger Sechta). 25 Verbesserung der Gewässerstruktur – naturnahe Gewässerentwicklung Naturnahe Gewässer brauchen Raum - Entwicklungskorridor Der Platzbedarf natürlicher Gewässer ist je nach Gewässertyp sehr unterschiedlich (Beispiel Brugga). 26 Verbesserung der Gewässerstruktur – naturnahe Gewässerentwicklung Naturnahe Gewässer brauchen Raum - Entwicklungskorridor Die Hochwassergefahrenkarten geben Hinweise auf den Entwicklungskorridor und die natürliche Überflutungsdynamik. 27 Verbesserung der Gewässerstruktur – naturnahe Gewässerentwicklung Naturnahe Gewässer brauchen Raum - Entwicklungskorridor Die Hochwassergefahrenkarten geben Hinweise auf den Entwicklungskorridor und die natürliche Überflutungsdynamik. 28 Verbesserung der Gewässerstruktur – naturnahe Gewässerentwicklung Naturnahe Gewässer brauchen Raum - Entwicklungskorridor Entlang naturferner Gewässer ist die natürliche Überflutung verloren gegangen. 29 Verbesserung der Gewässerstruktur – naturnahe Gewässerentwicklung Naturnahe Gewässer brauchen Raum - Entwicklungskorridor Kriterien einer erfolgreichen naturnahen Gewässerentwicklung: • Orientierung am natürlichen Gewässertyp • Zulassen natürlicher dynamischer Prozesse – Bereitstellung von Entwicklungsraum für das Gewässer (i.d.R. nur im Außenbereich möglich) • Systematische Bereitstellung von Flächen entlang der Gewässer notwendig hierfür müssen gesetzliche Grundlagen geschaffen und langfristig Finanzmittel bereit gestellt werden. • Hochwassergefahrenkarten können wichtige Hinweise auf Entwicklungsflächen liefern (HQ10-Flächen im Außenbereich). 30 Verbesserung der Gewässerstruktur – naturnahe Gewässerentwicklung Naturnahe Gewässer brauchen Raum - Gewässerrandstreifen Alleine die Umsetzung des jetzt in Baden-Württemberg geltenden Rechts wäre ein großer Fortschritt (Reduzierung P-Eintrag, Sedimenteintrag) 31 Verbesserung der Gewässerstruktur – naturnahe Gewässerentwicklung Naturnahe Gewässerabschnitte müssen erreichbar sein – Wiederherstellung der Durchgängigkeit Die Durchgängigkeit der Gewässer ist in vielfältiger Weise eingeschränkt und aufgehoben: • Querbauwerke aller Art • Verdolungen • Gestaute Gewässerabschnitte • Naturferne strukturarme Gewässerabschnitte • Sohlverbau • Ausleitungsstrecken ohne ausreichenden Mindestabfluss 32 Verbesserung der Gewässerstruktur – naturnahe Gewässerentwicklung Die Durchgängigkeit der Gewässer ist in vielfältiger Weise eingeschränkt und aufgehoben: 33 Verbesserung der Gewässerstruktur – naturnahe Gewässerentwicklung Naturnahe Gewässerabschnitte müssen erreichbar sein – Wiederherstellung der Durchgängigkeit Maßnahmen: • Beseitigung des Querbauwerkes am besten samt des Rückstaus (bei kleinen Gewässern kann das im Rahmen der Unterhaltung ohne aufwändiges Genehmigungsverfahren erfolgen) • Bau einer Anlage zur Herstellung der Durchgängigkeit (Fischwanderhilfe) • Fischaufstiegsanlagen ≠ Fischabstiegsanlagen daher Notwendigkeit der Nachrüstung vieler Wasserkraftanlagen • Rückbau von Verdolungen wo immer möglich • Renaturierung zumindest der Gewässersohle Vernetzung von naturnäheren Abschnitten oberhalb und unterhalb 34 Verbesserung der Abflussverhältnisse Wiederherstellung naturnaher Abflussverhältnisse Viele Gewässer im urbanen Raum leiden unter einem irreversibel veränderten Abflussregime (Beispiel Einzugsgebiet Körsch (Landkreis ES)) 35 Verbesserung der Abflussverhältnisse Maßnahmen zur Verbesserung der Abflussverhältnisse: Wasserrückhalt im urbanen Bereich: • Mulden- und Rigolensysteme • Dachbegrünung • Zisternen 36 Verminderung stofflicher Belastungen Punktquellen • Ausbau der Regenwasserbehandlung, dezentraler Rückhalt • Ausbau der Abwasserbehandlung (vierte Reinigungsstufe) Diffuse Quellen • Gewässerrandstreifen • Extensivierung der Landwirtschaft (in der Aue) 37 Förderrichtlinien Wasserwirtschaft Baden-Württemberg Förderrichtlinien Wasserwirtschaft FrWw • Landeszuschuss zur naturnahen Gewässerentwicklung für Kommunen an Gewässern II. Ordnung und I. Ordnung • Maximal 85 % der Kosten werden durch das Land übernommen. • Gefördert werden auch Gewässerentwicklungspläne (allg. Planungsleistungen) und Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung am Gewässer (Infotafeln, Gewässerpädagogik, Lernort am Gewässer). 38 Handeln vor Ort - Handlungsmöglichkeiten für Naturschutzgruppen • Motivation der Kommune, die Chancen der neuen Förderrichtlinien Wasserwirtschaft zu nutzen • Viele kleine Gewässer sind nicht Gegenstand der Bewirtschaftungsplanung, hier ist die Aufstellung eines Gewässerentwicklungsplans (selbst förderfähig) sinnvoll. • Flächenerwerb und -sicherung (Entwicklungskorridor) sind teuren baulichen Maßnahmen vorzuziehen. • Gut ausgeführte Maßnahmen der Gewässerentwicklung sind auch dann sinnvoll, wenn der gute Zustand im Sinne der WRRL zunächst nicht erreicht werden kann: Erst über längere Zeiträume führen Renaturierungen zum guten Zustand Naturnahe Gewässerlandschaften sind ein wichtiger Beitrag zum Biotopverbund (oberhalb der Wasserlinie) 39 Weiterführende Informationsquellen Im Internet: • www.wrrl.baden-wuerttemberg.de Umsetzung der WRRL im Land Baden-Württemberg • www.lubw.baden-wuerttemberg.de/publikationen fachliche Grundlagen der LUBW • http://wrrl-info.de/ Informationsportal zur WRRL der Grünen Liga • www.wasserblick.net Offizielle Seite Deutschlands zur Wasserrahmenrichtlinie 40 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
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