62 Im Fürstenkreis Sigmaringen ›Die Wolke seh’ ich wandeln und den Fluss‹ Eduard Mörike 63 64 IM FÜRSTENKREIS SIGMARINGEN 65 Vom Quell, an dem sich Musen küssen Das Naturparadies im Donaudurchbruch Der Alb-Durchbruch der Donau zwischen Tuttlingen und Sigmaringen ist von atemberaubender Faszination. Ihr Kraftakt durch den schwäbischen Jura hat ein Naturparadies geschaffen, das seinesgleichen sucht. Diese felsenbewehrte, burgengekrönte Landschaftsdramaturgie ist ein wahrhaft mythischer Schauplatz. Man könnte ihn ohne viel Fantasie im germanischen Reich des Odin ansiedeln oder ins griechische Elysion verpflanzen. Doch wer weiß? Vielleicht hat Gustav Schwab, der Vater der Sagen des klassischen Altertums, vor 200 Jahren auf dem Eichfelsen oder dem Rauhen Stein, dem Bischofsfelsen oder dem Wildenstein hoch droben über dem ›blauen Band der Donau‹ die zündenden Impulse für sein dichterisches Werk empfangen. Für seine Höhenflüge via Pegasus zum Olymp und Helikon an den Sitz der Musen und der Götter wäre das sicher ein inspirierender ›Startplatz‹ gewesen. Warum auch sollten die schwäbischen Dichter und Denker aus dem Tübinger und Stuttgarter Umfeld als ›junge Wilde der Romantik‹ die Einmaligkeit dieser weltabgewandten, naturgeschaffenen Klause nicht als Donaufurt beim Stiegelesfelsen 66 IM FÜRSTENKREIS SIGMARINGEN Schloss Bronnen Quelle der Inspiration genutzt haben. Um sich anregen zu lassen beispielsweise von Hug von Werenwag, dem legendären Minnesänger des 13. Jahrhunderts … Oder von den Schilderungen aus der spätmittelalterlichen Adelswelt, der ›Zimmernschen Chronik‹, die der in Schloss Meßkirch und auf Burg Wildenstein residierende Graf Froben Christoph von Zimmern mit vielfach deftigen Geschichten aus dem damaligen Alltagsleben schmückte … Oder vom wortgewaltigen Prediger Abraham a Sancta Clara aus Kreenheinstetten, der dem Volk nicht nur aufs Maul geschaut und ins Gewissen geredet und damit die deutschsprachige Literatur herzerfrischend bereichert hat … DAS NATURPARADIES IM DONAUDURCHBRUCH Geborgen und beschützt vom festen Kranz der Felsentürme Die säulengleich die dichten Wälder tragen Und dich bewahren vor der Wucht der Lebensstürme Ruhst Du in Dir, Du schönstes aller Täler Vom Strom durchzogen, der noch jung und unbekümmert Die Macht nicht kennt, die er auf unserm Kontinent Durch Zeit und Raum ertragen muss In endlos langer Tage Fluss Auf seinem Weg vom Quell zum Meer Keine Handbreit voneinander entfernt waren sie an den Ufern der jungen Donau zu Hause. Ein weiteres Indiz dafür, wie stark die Faszination des heimatlichen Umfeldes die Sensibilität des menschlichen Geistes beeinflussen und zu kreativem Schaffen anregen kann? Bis hin zum Philosophen Martin Heidegger, dessen Großeltern im Talhof unterhalb des Wildensteins dereinst gewohnt haben, oder den literarisch, künstlerisch und wissenschaftlich aktiven Beuroner Benediktinern gibt es eine ganze Reihe bemerkenswerter Geistesgrößen, die entlang der etwa 30 Donaukilometer zwischen Fridingen und Sigmaringen verwurzelt waren. Burg Wildenstein Ruine Hausen Schloss Gutenstein Talhof Wie viele Tränen sich ins Donauwasser mischen werden Und wieviel Blut es abzuwaschen gilt Das Menschen sich und anderen schuldhaft aufgeladen Hier, nah dem Ursprung ihres Laufes kann sie all dies Leid nicht ahnen Verströmt sich launisch, glücklich, wie es ihr gefällt Schmückt ihre Ufer reich mit allen Erdenwundern: Hell in der Sonne blitzt der Morgentau Die Mittagswiesen duften und im Abendgold der Buchenhaine Strahlt schon der erste Sternenglanz vom Himmelsblau Von den Musen geküsst kann man sich auf einem dieser privilegierten Aussichtsplätze durchaus fühlen, von denen es so viele entlang der felsigen Donauwindungen zwischen Mühlheim und Laiz gibt. Ein Landschaftspanorama zu Füßen, das die jeweils zauberhafte Aussicht mit dem Reiz der Vielfalt noch verstärkt und entsprechend auch den Flug der Gedanken. Im Zwiegespräch mit Burgen und Ruinen werden Sagen und Märchen lebendig, von denen es mindestens ebenso viele gibt wie Orte, um die die Fantasie sie gewoben hat. Das Schlossfräulein im Bergfried auf Ruine Kallenberg; die weiße Frau, die die NS-Reichsfrauenführerin einst aus dem von den Enzbergern requirierten Schloss Bronnen vertrieben haben soll; der Beuroner Augustiner-Abt, den der Sohn des Steighofbauern vor marodierenden französischen Revolutionssoldaten in einer seither ›Prälatenloch‹ genannten Felsenhöhle versteckte; die keltische Befestigung Altstadt mit der großartigen Aussicht auf das Mönchskreuz auf dem Petersfelsen; die tragische Liebesgeschichte des Grafen vom Wildenstein mit dem Fräulein von Werenwag, deren Happy End ein böser Mönch verhinderte; die Burghöhle Dietfurt, die in den 1920er-Jahren von den Neutemplern, den geistigen Wegbereitern und Vorläufern der Nationalsozialisten, als obskure Kultstätte genutzt wurde und in der Raubgräber nach dem legendären Goldenen Kegelspiel suchten. 67 Schloss Werenwag Du grünes Tal! Bist mir das allerliebste auf der Erden Mit Falken, Federkraut und Orchideen Dein Felsenparadies kann noch die letzten Wunder bergen Und Dein Geheimnis künden Burgen dort auf stolzen Höhen Und wenn hier auf dem Wildenstein ich stehe, Das sanfte Waldesrund, St. Maurus und die schroffen Felsendome In weitem offnen Blick zu meinen Füssen Dann darf ich auch mein stilles Kloster fromm von oben grüßen Und meinem Schöpfer danken für das Wunderbare, das ich sehe. Bischofsfelsen Geschichten, Legenden, Märchen, Sagen – eingebettet in einen Naturraum von unglaublich vielfältiger Schönheit und einen Lebensraum seltener Flora und Fauna münden sie alle hinein in die poetische Hymne. Kloster Beuron
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