Im Fürstenkreis Sigmaringen

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Im Fürstenkreis Sigmaringen
›Die Wolke seh’ ich wandeln und den Fluss‹ Eduard Mörike
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Vom Quell, an dem
sich Musen küssen
Das Naturparadies
im Donaudurchbruch
Der Alb-Durchbruch der Donau zwischen Tuttlingen und Sigmaringen ist
von atemberaubender Faszination. Ihr
Kraftakt durch den schwäbischen Jura
hat ein Naturparadies geschaffen, das
seinesgleichen sucht.
Diese felsenbewehrte, burgengekrönte Landschaftsdramaturgie ist ein
wahrhaft mythischer Schauplatz. Man könnte ihn ohne viel Fantasie
im germanischen Reich des Odin ansiedeln oder ins griechische Elysion verpflanzen. Doch wer weiß? Vielleicht hat Gustav Schwab, der Vater der Sagen des klassischen Altertums, vor 200 Jahren auf dem Eichfelsen oder dem Rauhen Stein, dem Bischofsfelsen oder dem Wildenstein hoch droben über dem ›blauen Band der Donau‹ die zündenden
Impulse für sein dichterisches Werk empfangen. Für seine Höhenflüge via Pegasus zum Olymp und Helikon an den Sitz der Musen und
der Götter wäre das sicher ein inspirierender ›Startplatz‹ gewesen. Warum auch sollten die schwäbischen Dichter und Denker aus dem Tübinger und Stuttgarter Umfeld als ›junge Wilde der Romantik‹ die Einmaligkeit dieser weltabgewandten, naturgeschaffenen Klause nicht als
Donaufurt beim Stiegelesfelsen
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IM FÜRSTENKREIS SIGMARINGEN
Schloss Bronnen
Quelle der Inspiration genutzt haben. Um sich anregen zu lassen beispielsweise von Hug von Werenwag, dem legendären Minnesänger des
13. Jahrhunderts … Oder von den Schilderungen aus der spätmittelalterlichen Adelswelt, der ›Zimmernschen Chronik‹, die der in Schloss
Meßkirch und auf Burg Wildenstein residierende Graf Froben Christoph von Zimmern mit vielfach deftigen Geschichten aus dem damaligen Alltagsleben schmückte … Oder vom wortgewaltigen Prediger
Abraham a Sancta Clara aus Kreenheinstetten, der dem Volk nicht nur
aufs Maul geschaut und ins Gewissen geredet und damit die deutschsprachige Literatur herzerfrischend bereichert hat …
DAS NATURPARADIES IM DONAUDURCHBRUCH
Geborgen und beschützt vom festen Kranz der Felsentürme
Die säulengleich die dichten Wälder tragen
Und dich bewahren vor der Wucht der Lebensstürme
Ruhst Du in Dir, Du schönstes aller Täler
Vom Strom durchzogen, der noch jung und unbekümmert
Die Macht nicht kennt, die er auf unserm Kontinent
Durch Zeit und Raum ertragen muss
In endlos langer Tage Fluss
Auf seinem Weg vom Quell zum Meer
Keine Handbreit voneinander entfernt waren sie an den Ufern der jungen Donau zu Hause. Ein weiteres Indiz dafür, wie stark die Faszination
des heimatlichen Umfeldes die Sensibilität des menschlichen Geistes beeinflussen und zu kreativem Schaffen anregen kann? Bis hin zum Philosophen Martin Heidegger, dessen Großeltern im Talhof unterhalb des
Wildensteins dereinst gewohnt haben, oder den literarisch, künstlerisch
und wissenschaftlich aktiven Beuroner Benediktinern gibt es eine ganze
Reihe bemerkenswerter Geistesgrößen, die entlang der etwa 30 Donaukilometer zwischen Fridingen und Sigmaringen verwurzelt waren.
Burg Wildenstein
Ruine Hausen
Schloss Gutenstein
Talhof
Wie viele Tränen sich ins Donauwasser mischen werden
Und wieviel Blut es abzuwaschen gilt
Das Menschen sich und anderen schuldhaft aufgeladen
Hier, nah dem Ursprung ihres Laufes kann sie all dies Leid nicht ahnen
Verströmt sich launisch, glücklich, wie es ihr gefällt
Schmückt ihre Ufer reich mit allen Erdenwundern:
Hell in der Sonne blitzt der Morgentau
Die Mittagswiesen duften und im Abendgold der Buchenhaine
Strahlt schon der erste Sternenglanz vom Himmelsblau
Von den Musen geküsst kann man sich auf einem dieser privilegierten
Aussichtsplätze durchaus fühlen, von denen es so viele entlang der felsigen
Donauwindungen zwischen Mühlheim und Laiz gibt. Ein Landschaftspanorama zu Füßen, das die jeweils zauberhafte Aussicht mit dem Reiz
der Vielfalt noch verstärkt und entsprechend auch den Flug der Gedanken.
Im Zwiegespräch mit Burgen und Ruinen werden Sagen und Märchen lebendig, von denen es mindestens ebenso viele gibt wie Orte, um die die
Fantasie sie gewoben hat. Das Schlossfräulein im Bergfried auf Ruine Kallenberg; die weiße Frau, die die NS-Reichsfrauenführerin einst aus dem
von den Enzbergern requirierten Schloss Bronnen vertrieben haben soll;
der Beuroner Augustiner-Abt, den der Sohn des Steighofbauern vor marodierenden französischen Revolutionssoldaten in einer seither ›Prälatenloch‹ genannten Felsenhöhle versteckte; die keltische Befestigung Altstadt
mit der großartigen Aussicht auf das Mönchskreuz auf dem Petersfelsen;
die tragische Liebesgeschichte des Grafen vom Wildenstein mit dem Fräulein von Werenwag, deren Happy End ein böser Mönch verhinderte; die
Burghöhle Dietfurt, die in den 1920er-Jahren von den Neutemplern, den
geistigen Wegbereitern und Vorläufern der Nationalsozialisten, als obskure Kultstätte genutzt wurde und in der Raubgräber nach dem legendären
Goldenen Kegelspiel suchten.
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Schloss Werenwag
Du grünes Tal! Bist mir das allerliebste auf der Erden
Mit Falken, Federkraut und Orchideen
Dein Felsenparadies kann noch die letzten Wunder bergen
Und Dein Geheimnis künden Burgen dort auf stolzen Höhen
Und wenn hier auf dem Wildenstein ich stehe,
Das sanfte Waldesrund, St. Maurus und die schroffen Felsendome
In weitem offnen Blick zu meinen Füssen
Dann darf ich auch mein stilles Kloster fromm von oben grüßen
Und meinem Schöpfer danken für das Wunderbare, das ich sehe.
Bischofsfelsen
Geschichten, Legenden, Märchen, Sagen – eingebettet in einen Naturraum von unglaublich vielfältiger Schönheit und einen Lebensraum seltener Flora und Fauna münden sie alle hinein in die poetische Hymne.
Kloster Beuron