Was Lehrerbildung leisten kann

Dietlinde H. Vanier, Anne Ratzki (Hrsg.)
Was Lehrerbildung
leisten kann
Kreative Professionalisierung
für die Schule
© 2015 Bildungshaus Schulbuchverlage
Westermann Schroedel Diesterweg Schöningh Winklers GmbH, Braunschweig
www.westermann.de
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Druck A1 Jahr 2015
Redaktion: Jutta Herrmann, Stadecken-Elsheim
Herstellung: PER Medien+Marketing GmbH, Braunschweig
Satz und technische Umsetzung: PER Medien+Marketing GmbH, Braunschweig
Illustrationen: Barbara Schneider-Rank, Bremen
Druck und Bindung: westermann druck GmbH, Braunschweig
ISBN 978-3-14-162176-4
2
Inhalt
Vorwort (Dietlinde H. Vanier) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
Zu den Beiträgen dieses Bandes (Anne Ratzki) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
Marie-Luise Wengert-Köppen
1 Studieren für inklusive Schulen? Eine kritische Exploration . 16
Was bedeutet Inklusion für die Lehrerbildung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Inklusion in der ersten Phase der Lehrerbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Fragestellungen der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Umfang der Lehrangebote in den Bildungswissenschaften . . . . . . . . . . . .
Inhaltliche Schwerpunkte in den Bildungswissenschaften . . . . . . . . . . . .
Inhaltliche Schwerpunkte in den unterschiedlichen Lehrämtern … . . . . .
… und im Bereich der Fachdidaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Welche Tendenzen sind erkennbar – und was folgt daraus? . . . . . . . . . . .
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Anne Ratzki
2 Gespräch mit einer Studentin der Sonderpädagogik . . . . . . . . . 34
Carmen Druyen
3 Kooperatives Lernen – ein Konzept zur Ausbildung
professioneller Handlungskomptenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
Ausgangssituation der Lehramtsanwärter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Erwerb von Unterrichtsstrategien durch Kompetenztrainings . . . . . . . . .
Die Bedeutung Kooperativen Lernens für die Gestaltung von
Lernprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Merkmale lernwirksamen Unterrichts und Kooperatives Lernen . . . . . .
Kooperatives Lernen im Kontext pädagogischer Handlungsfelder . . . . .
Kompetenztrainings zum Kooperativen Lernen als Bestandteil
von Ausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Perspektiven für eine inklusive Lehrerbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Silke Kargl
4 School is open: Studierende lernen Schritte zur Teamarbeit . . 53
Die Universität – ein Platz für Einzelkämpfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Teamfähigkeit als Ziel der Lehramtsausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Definition von Teamarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die anwendungsbezogenen Lehrstandards von „school is open“ . . . . . .
Multiperspektivität ermöglichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Drei Praxisbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Resümee und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
Anne Ratzki
5 Kooperation in der Lehrerausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
Warum Teamarbeit in der 1. Phase der Lehrerausbildung wichtig ist . . . 68
Kooperation statt Einzelkämpferdasein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
Hanna Kiper
6 Zur Ausbildung von Lehrkräften für die Gestaltung
der inklusiven Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
Die politische Entscheidung für Inklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
Eine allseits dienliche Gemeinsamkeit des Lernens ermöglichen . . . . . . . 90
Inklusion – Fragen an eine flächendeckend angelegte Reform . . . . . . . . . 95
Erfahrungen aus einem Inklusionsseminar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
Mögliche Folgewirkungen der Inklusionsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
Irmtraud Schnell
7 Studierende auf inklusive Pädagogik vorbereiten –
Möglichkeiten im Lehramt für Sonderpädagogik . . . . . . . . . . . . . 110
Zur Einführung in die Sonderpädagogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
Kulturtechniken und Anfangsunterricht in heterogenen Lerngruppen . . 112
Ausgrenzung und Teilhabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
Wahlpflichtmodul Inklusion und Schulpraktische Studien . . . . . . . . . . . . 117
Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
Barbara Brokamp
8 Vorbereitung auf Inklusion heißt:
Heute schon inklusiv handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
Ebenen inklusiven Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
Der Index für Inklusion – ein internationales
Unterstützungsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
Der Index in der Lehrerausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
Saskia Erbring, Philipp Krämer, Stefan Nessler
9 Lehrerbildung als Vorbereitung auf inklusives Lernen –
Ein Seminar zur inklusiven Biologie-Didaktik . . . . . . . . . . . . . . . 132
Seminarschwerpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
Seminarkonzeption und Ablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
Eindrücke und Ideen der Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
Dietlinde H. Vanier/Katharina Weber
10 Selbstkonzepte, subjektive Theorien und Professionalisierung –
Portfolios als Reflexionsinstrument im Studium . . . . . . . . . . . . . 143
Portfolioarbeit in Seminarkontexten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
Portfolios in Äußerungen von Studierenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
4
Inhalt
Rekonstruktion subjektiver Theorien Studierender
über Professionalisierung anhand von Portfolios . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
Theoretischer Hintergrund des Seminars . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150
Alltagstheorien, Professionalität und Expertentum im
Verständnishorizont der Studierenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
Ergebnisse am Semesterende: Professionalisierung ist machbar . . . . . . . . 153
Konsequenzen für die Gestaltung von Lehrveranstaltungen . . . . . . . . . . 154
Edwin Stiller
11 Auf dem Weg zum reflektierenden Praktiker –
Das Portfolio Praxiselemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
Zum aktuellen Stand der Portfoliodiskussion im Bereich
der Lehrerbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
Das Portfolio Praxiselemente in Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . . . . . . . . 168
Beispiele für die Nutzung des Portfolio Praxiselemente
im Kontext von Inklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
Portfoliodidaktische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
Perspektiven der Weiterentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
Dietlinde H. Vanier
12 Professionalisierung durch Studienprojekte
innerhalb der derzeitigen Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
Wie kann Professionalisierung in der Lehrerbildung gelingen? . . . . . . . . 177
Studienprojekte im universitären Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
Zur Idee der „denkenden Erfahrung“ bei John Deweyy . . . . . . . . . . . . . . 181
Vom Professionswissen zum Praxishandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
Studienprojekte unter Lehraspekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
Informationen zur Projektarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
Professionalisierungsperspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
Alice Busch-Karrenberg
13 Subjektive Kriterien guter Lehre – ein Studienprojekt . . . . . . . 194
Projektmodul im Masterstudiengang ORWi/OGB
der Technischen Universität Braunschweig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
Studienprojekt „Gute Lehre“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
Reflexion: Ist das Projektmodul ein Beispiel für „Gute Lehre“? . . . . . . . . 202
Gabriele Graube
14 Die Erfinderwerkstatt: Strukturierte Erfahrungsbildung
und Selbstwirksamkeitsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
Die Erfinderwerkstatt im Kontext von Technoscience Education . . . . . . . 207
Konzeption der Lehrveranstaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
Aspekte zur Entwicklung von Selbstwirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
5
Inhalt
Entstehung und Beeinflussung von Selbstwirksamkeitserwartung . . . . . 213
Analyse der Faktoren zur Beeinflussung der Selbstwirksamkeit
in der Erfinderwerkstatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
Peter Wendt
15 Eckpunkte einer Lehrerbildung, die Persönlichkeit stärkt . . . . 224
Lehrerpersönlichkeit und Lehrerverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
Der „gute Lehrer“ – wer ist das und wie ist er? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
Anstöße durch Verunsicherung und Selbstzweifel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
Persönlichkeitsarbeit im Kontext von Forderungen, Anforderungen
und Überforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
Persönlichkeitsarbeit im berufsbezogenen Lebensskript . . . . . . . . . . . . . . 234
Inklusion fordert die Lehrerpersönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
Belastungen und Beanspruchungen im Berufsfeld als Ausgangspunkt
für Qualifizierungsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
Eckpunkte einer Lehrerbildung, die pädagogische
Persönlichkeiten fördert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
Heidrun Lotz
16 Widersprüche der Schulpolitik –
Dilemmata des Lehrerberufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
Die Ursachen von Burnout im Arbeitsleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
Emotion und die „Kultur“ einer Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
Das System Schule, Widersprüche, Dilemmata und
emotionale Dissonanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248
Wertekonflikte im pädagogischen Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250
Der Weg aus dem Dilemma ist authentisches Handeln . . . . . . . . . . . . . . . 255
Wertekonflikte im Kollegium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256
Die Teamschule als Ausweg aus Dilemmata und Wertekonflikten . . . . . 262
Anregungen für eine verbesserte Vorbereitung auf Dilemmata
in der Ausbildung zum Lehrerberuf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
Meike Kricke
17 Auf die Lehrerinnen und Lehrer kommt es an!
Lehramtsausbildung in Finnland als „Erfolgsgeheimnis“
des finnischen Bildungserfolges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
Die finnische Lehramtsausbildung – strukturelle Merkmale . . . . . . . . . . . 272
Besonderheiten und Merkmale der finnischen Lehramtsausbildung . . . . 273
Was sagen die Experten vor Ort? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285
6
Ein Vorwort von Dietlinde H. Vanier
Kreative Professionalisierung
für die (inklusive) Schule
Die universitäre Lehrerausbildung in Deutschland steht traditionell im Verdacht, Studierende unzureichend auf ihre spätere Berufstätigkeit vorzubereiten.
Als damit einhergehendes Problem wird die Gewichtung theoretischer und
schulpraktischer Ausbildungsanteile sowie deren Bedeutung und Verhältnis zueinander diskutiert.
Seit 2009 haben wir eine weitere Diskussionslinie: Lehrerausbildung für ein
zu etablierendes inklusives Schulsystem. Damit stellen sich nochmals andere
strukturelle und inhaltliche Herausforderungen.
Betrachtet man die bisherigen Reformempfehlungen – bei aller Verschiedenheit in Einzelaussagen und Fokussierung – von einer Metaebene aus, fällt auf,
dass
• die didaktischen und methodischen Kompetenzen der angehenden Lehrerinnen und Lehrer sowie der Studierenden angemahnt werden;
• eine stärkere Orientierung an den tatsächlichen Anforderungen des
Lehrerberufs bei gleichbleibend hoher fachwissenschaftlicher Qualifikation
gefordert wird;
• Innovations- und Kooperationsfähigkeit inzwischen als unverzichtbare
Professionalisierungsaspekte gelten;
• diagnostische sowie selbst- bzw. rollenreflexive Fähigkeiten als grundlegende
Kompetenzen zu sehen sind;
• die Vorschläge zur Gestaltung der Schulpraktischen Studien nach wie vor
uneinheitlich sind und von einwöchigen Einführungen mit nachfolgenden
Hospitationen, Tages- und mehrwöchigen Blockpraktika bis zu Praxissemestern bzw. Halbjahrespraktika reichen – wobei eine Tendenz zur
Intensivierung der Praxiserfahrungen offensichtlich ist;
• hochschuldidaktisch eine Reduzierung der Stofffülle (auch in Prüfungen)
postuliert wird zugunsten eines exemplarischen, kooperativen, interdisziplinären, kompetenzorientierten Studiums;
• Lehrveranstaltungen nicht nur methodisch vielfältiger, sondern auch als
Modellsituationen für Lehr-Lern-Prozesse gestaltet werden sollten.
Als dem entgegenstehend wird die mangelnde Abstimmung, Kooperation und
auch eigene hochschuldidaktische und -methodische Qualifikation der Lehrenden thematisiert sowie als strukturelle Probleme die nach wie vor fachwissenschaftliche Orientierung der lehrerbildenden Fakultäten bzw. Institute sowie die
Aufteilung der deutschen Lehrerbildung in drei Phasen.
7
Ein Vorwort von Dietlinde H. Vanier
Mit Blick auf inklusive Schulen kommen getrennte Fachkulturen der Sonder-,
Förder- und Integrationspädagogik sowie der allgemeinbildenden Schulen
hinzu, die nun aufgefordert sind, inklusive Studienstrukturen zu entwickeln –
und dies gegen teils erheblichen Widerstand in der je eigenen Disziplin und mit
unverbindlichen Kooperationsangeboten der je anderen Seite. Daneben gibt es
bereits Inklusionspädagogik als Studiengang – wie in Bremen – oder im Entstehen begriffene Konzepte wie zum Beispiel an der Universität Potsdam, an der
seit dem Wintersemester 2013/2014 das Lehramt für die Primarstufe mit inklusionspädagogischer Schwerpunktbildung studiert werden kann, oder wie an der
Universität Paderborn, an der das Lehramt für sonderpädagogische Förderung
mit den Förderschwerpunkten „Lernen“ sowie „Emotionale und soziale Entwicklung“ aufgebaut wird. Wir stehen also vor vielfältigen und vielschichtigen
Entwicklungsprozessen, die als Bereiche zumindest dies beinhalten:
• Wissen über und Strategien für das Lernen und Unterrichten in sehr
heterogenen Lerngruppen
• Reflexion von persönlichen und professionellen Einstellungen mit Blick auf
inklusive Schulen einschließlich des Arbeitens in multiprofessionellen Teams
• Einordnungswissen über besondere Unterstützungsbedarfe und Beteiligungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen im inklusiven Unterricht
• Kenntnis inklusionsspezifischer Schulentwicklungsinstrumente wie des Index
für Inklusion
Berücksichtigt man Ergebnisse der Lehrerkognitions- und Expertenforschung,
scheinen Praxiserfahrungen von Studierenden vor allem dann wirksam zu professionalisieren, wenn sie in einer Wechselbeziehung mit darauf abgestimmten
Theorieangeboten stehen und zu einem kontextualisierten Lehren und Lernen
beitragen. Das komplexe, dabei nicht hoch abstrakte, kasuistische und wenig
vorhersagbare Professionswissen von Lehrerinnen und Lehrern ist weder durch
fachsystematische Orientierungen noch durch einfache Akkumulation erreichbar.
Nicht zuletzt aus der Überlegung heraus, dass die Studierenden von heute
mit großer Wahrscheinlichkeit in inklusiven Schulen arbeiten werden, sind
pragmatische und kreative, praxisnahe und zugleich theorieorientierte Studienangebote sowie flexibel einsetzbare Entwicklungsinstrumente, wie z. B. Professionalisierungsportfolios, gefragt, die auch hier und jetzt und teils vor den ebenfalls erforderlichen Strukturreformen für ein inklusives Bildungssystem
umsetzbar sind.
Lehrer/innen, die nicht nur professionell arbeiten, sondern nach einem
mehrkriterialen Auswahlverfahren als Expertinnen und Experten in ihrem
Beruf gelten, verfügen über unmittelbar, flexibel und zielführend nutzbares Systemwissen, über komplexe, situations- und handlungsbezogen organisierte und
integrierte Wissensbestände nebst damit verbundener Handlungsroutinen und
-prozeduren.
8
Kreative Professionalisierung für die (inklusive) Schule
Verbalisierendes Reproduzieren scheint keine geeignete Methode zu sein, um
Studierenden solcherart Wissen und Können näher zu bringen. In der Expertenforschung wird vermutet, dass dafür Rekonstruktionsprozesse – auch in unmittelbarer zeitlicher Folge – des jeweiligen Expertenwissens und -könnens vonnöten sind. Solche können u. a. als kooperative Lernprozesse gestaltet werden,
durch die Methode des lauten Denkens von Experten beim Handeln oder ihres
Kommentierens von Videoaufzeichnungen für die Novizen, in diesem Fall die
Studierenden.
Über derartige Rekonstruktionen und Analysen von Handlungsvoraussetzungen sowie mittels damit verbundener kooperativer und individueller
Lern- und Problemlösearrangements wird Expertenwissen auch als Ausbildungswissen zugänglich. Weitere Möglichkeiten, um fachinhaltsbezogene Aktivitätsszenarien und kontextualisierte Wissensbestände aufzubauen sowie erste
komplexitätsreduzierende Handlungsroutinen zu entwickeln, bieten modifizierte Formen des Mikroteaching, der Simulationen (im kasuistischen Kontext)
und des Lehrertrainings.
Schulpraktische, Projekt- und Fallstudien könnten zu Kernelementen einer
professionalisierenden inklusiven Lehrerausbildung werden – allerdings nur,
wenn sie so konzipiert und kompetent in den universitären Lehrbetrieb integriert werden, dass sie Erfordernissen guter Lehre entsprechen. Zugleich sollte
deutlich werden, dass Expertentum bei Lehrer/innen einer mehrjährigen Berufserfahrung bedarf.
Ein Studium – auch wenn es integrierte Praktika beinhaltet – stellt lediglich
den ersten Teil dieses Weges dar. Begleitende inklusive Weiterbildungsangebote – in nennenswertem Umfang – sind unerlässlich.
Eine stärkere Berufsorientierung beinhaltet eine stärkere Orientierung von
Lehramtsstudiengängen an personalen, sozialen, methodischen, fachwissenschaftlichen, fachdidaktischen und diagnostischen Kompetenzen. Dies gilt auch
mit Blick auf inklusive Schulsysteme. Zugleich darf das Ziel des reflektierenden
Praktikers, der reflektierenden Praktikerin nicht aus dem Blick geraten. Professionalisierungsportfolios (oder auch andere Portfolios) bieten sich als flexible
und studienbegleitende Instrumente für strukturierte Reflexionen über das erworbene – und weiter zu erwerbende – Theorie- und Handlungswissen an.
Die überwiegend vorhandene Organisation in Modulen ermöglicht ein solches kompetenzorientiertes Lehramtsstudium, wobei die Verantwortung für die
einzelnen Module (oder auch Studienbereiche) bei den zuständigen Lehrenden
liegen sollte und eine kooperative Besetzung mit Vertretern sonder- oder heilpädagogischer Disziplinen und allgemeinbildender Disziplinen sowie die Mitarbeit von Praktikern aus Schulen und Ausbildungsseminaren anzustreben wäre.
Anders werden sich inklusive Themen insbesondere an solchen Universitäten,
die nicht über Heil- oder sonderpädagogische Studiengänge verfügen, ohnehin
schwer etablieren lassen.
9
Ein Vorwort von Dietlinde H. Vanier
Eine Organisation von Lehramtsstudiengängen in Form von inklusionsorientierten Modulen stellt eine von mehreren denkbaren Optionen dar. Institutionenökonomisch betrachtet sind Veränderungen vor allem dann zu erwarten,
wenn sich die daran Beteiligten bzw. die davon Betroffenen Vorteile davon versprechen. Dies impliziert organisationale – und auch karriererelevante – Anreize, inklusive Studiengänge und Weiterbildungsangebote zu implementieren,
die Lehrqualität weiterzuentwickeln und anzureichern sowie an den dafür erforderlichen Kooperationsprozessen zu arbeiten.
Denkbar sind Studienkonzeptionen, bei denen Teile des bestehenden Angebotes durch inklusionsorientierte Fallstudien und Studienprojekte ergänzt und
mit Kompetenztrainings angereichert werden. Auch eine solche Option könnte
nachhaltige Veränderungen bewirken, wenn sie im Kontext eines universitären
Qualitätsentwicklungskonzeptes steht, durch Evaluationen den Entwicklungsbedarf transparent werden lässt und zur Verbesserung der Lehrqualität wie der
ausbildungsbezogenen Kooperationen beiträgt.
Ein Ansatz, der sowohl die Entwicklung der Unterrichts- und Lehrqualität
beinhaltet wie auch die von Organisationen, wäre das amerikanisch-kanadische
Cooperative Learning, das zugleich Überschneidungsbereiche mit Konzepten der
Inclusive Education aufweist. Da die Arbeit in multiprofessionellen Teams für inklusive Schulen unerlässlich ist, wird Cooperative bzw. Collaborative Learning
sowohl unter dem Aspekt der Teambildung im Kollegium als auch unter dem
Aspekt der Gestaltung gemeinsamen Unterrichts interessant. Insgesamt muss
die vernachlässigte dritte Sozialform, die Gruppenarbeit, in professionalisierenden Studiengängen deutlich mehr Gewicht bekommen.
Nachhaltige Innovationen sind überwiegend dort zu erwarten, wo Anreize
zur Qualitätsentwicklung über das je persönliche, unverbindlich bleibende Engagement hinaus geschaffen werden. Die – in den Anfängen stehende – Aufwertung der universitären Lehre insgesamt ist in diesem Kontext zu sehen. Realisierte Reformen sind – in der Lehrerbildung wie anderswo – verbunden mit der
individuellen wie kollegialen Bereitschaft, sich selbst und damit die Organisation oder Institution, in der man tätig ist, im Sinne eines gemeinsam entwickelten Leitbildes, einer Leitvorstellung o. Ä. zu verändern, und zwar in einem angemessenen Zeitraum und mit aufeinander abgestimmten Schritten, in einem
verlässlichen Rahmen.
An Forschungsarbeiten und Reformvorschlägen zur Lehrerausbildung fehlt
es nicht. An ihrer konsequenten Umsetzung und an den dafür erforderlichen
Ressourcen schon eher. In diesem Band werden daher Ansätze, Konzepte und
Modelle vorgestellt, die eine kreative Professionalisierung innerhalb der vorhandenen Strukturen ermöglichen – und manchmal auch trotz der vorhandenen
Strukturen und über sie hinaus. Was die Autorinnen und Autoren bei aller Unterschiedlichkeit vereint, ist ihr Engagement für eine Lehrerbildung, die alltagsnah ist ohne wissenschaftsfern zu sein, und ihre Expertise darin, dementsprechende Modelle zu kreieren.
10
8
Anne Ratzki
Zu den Beiträgen dieses Bandes
Die Veränderungen der Schule durch PISA, durch Schulen des gemeinsamen
Lernens, durch den Inklusionsanspruch stellen erhebliche Anforderungen an
die Lehrerprofessionalisierung der ersten Phase. Wie reagieren die Hochschulen
mit Ihrem Lehrangebot? Marie-Luise Wengert-Köppen gibt in ihrem Beitrag
einen Überblick über den bisherigen Forschungsstand und berichtet von ihrer
Online-Recherche in den elektronischen Vorlesungsverzeichnissen des Wintersemesters 2012/13 aller 49 Hochschulen Deutschlands mit Lehramtsstudiengängen. Sie suchte u. a. nach Veranstaltungen zum Umgang mit Heterogenität,
zur Inklusion, Diagnostik, Individuellen Förderung, Portfolio, zum Gemeinsamen Unterricht. Das Ergebnis nennt sie „ausbaufähig“. Auf die neuen Anforderungen im Lehrerberuf bereiten noch zu wenige Angebote der Universitäten
vor.
Dies wird auch in dem Interview deutlich, das Anne Ratzki mit einer Studentin der Sonderpädagogik führt. Dieses Interview alleine ist zwar nicht repräsentativ, korreliert aber stark mit den Ergebnissen der Online-Recherche von
Wengert-Köppen und ergänzt sie. Die Studentin kritisiert, dass ihr innerhalb
ihres Studiums der Praxisbezug gefehlt hat. Vorlesungen und Seminarsitzungen, in denen nur Referate gehalten werden, genügen nicht. Sie befürwortet Projekte, gemeinsame Fachseminare mit Regelschulstudierenden und verbindliche
Praktika in inklusiven Regelschulen, auch für Studierende der Sonderpädagogik, um deren Angst vor Regelschulen zu überwinden.
Die folgenden drei Beiträge greifen ein zentrales Thema auf, das in der Lehrerbildung der ersten und zweiten Phase noch zu wenig berücksichtigt wird, jedoch eine immer größere Rolle in der Berufspraxis spielt: Kooperation und
Teamarbeit. Der Umgang mit heterogenen Lerngruppen benötigt die Perspektiven verschiedener Beobachter/innen, ebenso der Austausch über Diagnose und
Förderung.
Carmen Druyen führt in die Grundzüge des Kooperativen Lernens nach
Johnson und Green ein. In ihrem Beitrag macht sie deutlich, wie in der zweiten
Phase der Lehramtsausbildung durch Kooperatives Lernen die Handlungskompetenz der Lehrkräfte entwickelt und gestärkt wird. Für Trainings zum Kooperativen Lernen ist es kennzeichnend, dass Trainingseinheiten theoretische
Grundlagen des Lernens mit praxisrelevantem Wissen und praktischem Tun
verbinden. Sie können dazu beitragen, dass Lehrkräfte Sicherheit bei der Gestaltung von Unterricht gewinnen.
Ein konkretes Projekt, in dem Studierende mit Teamarbeit vertraut gemacht
werden, stellt Silke Kargl vor. Das Konzept einer inklusiven Universitätsschule
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Anne Ratzki
in Köln als Praxis- und Ausbildungsschule ist Basis für unterschiedliche praxisorientierte Seminare, die – dem Interaktionistischen Konstruktivismus und der
konstruktivistischen Didaktik nach Kersten Reich folgend – alternative Formen
des Lehrens und (forschenden) Lernens erproben und weiterentwickeln. Die Arbeit in möglichst heterogenen Kleingruppen von drei bis fünf Studierenden ist
konstitutiver Bestandteil von drei innovativen Lehr-Lernprojekten.
In einem Seminar, von dem Anne Ratzki berichtet, stehen die nordischen Bildungssysteme thematisch im Mittelpunkt, ergänzt durch Ergebnisse der Heterogenitätsforschung. Im Vergleich werden die Ungerechtigkeiten und Brüche
des selektiven deutschen Schulsystems sichtbar, aber auch die Chancen eines inklusiven Schulsystems. Mit Verfahren des Kooperativen Lernens, ergänzt durch
eine Schulhospitation, ist es möglich, nicht nur Kenntnisse zu vermitteln, sondern auch praktische Erfahrungen mit Kooperation zu machen, Einstellungen
zu hinterfragen und eine neue Sicht auf den Umgang mit Heterogenität zu gewinnen, die Heterogenität als Chance auch für den Unterricht versteht.
In den nächsten vier Beiträgen geht es um die Vorbereitung der künftigen Lehrkräfte auf die Herausforderung Inklusion. Wem gebührt das Primat – der Sonderpädagogik? Der allgemeinen Pädagogik? Wie und mit welchem Gewicht
beide Richtungen zusammenwirken können, dazu gibt es unterschiedliche Positionen. Zwei praktische Beispiele zeigen anschließend konkret, wie man in der
Lehrerbildung mit der Vorbereitung auf Inklusion beginnen kann.
Hanna Kiper führt zunächst in die politische Entscheidung für Inklusion ein
und fragt dann nach den Gelingensbedingungen für Inklusion. Sie bezieht sich
auf einen Auftrag des niedersächsischen Kultusministeriums, im Masterstudium sonderpädagogische Grundkenntnisse in allen Lehramtsstudiengängen
zu vermitteln. An der Universität Oldenburg wird ein solches Modul entwickelt,
das stark von der Vermittlung sonderpädagogischen Wissens bestimmt wird. Es
soll ab dem Wintersemester 2014/15, wenn alle Lehrämter einen zweijährigen
Master of Education absolvieren, in das Curriculum eingebaut werden.
Irmtraud Schnell dagegen geht vom Primat der Allgemeinen gegenüber der
Sonderpädagogik aus und charakterisiert die Stellung der Sonderpädagogik als
subsidiär. Sie beschreibt, wie Studierende für das Lehramt Förderpädagogik an
der Goethe-Universität Frankfurt auf die Arbeit mit heterogenen Lerngruppen
und in inklusiven Schulen vorbereitet werden. Durch kreative Seminargestaltungen sollen Studierende in den Anfangssemestern einen heterogenitätsgerechten Unterricht in seinen unterschiedlichen Aspekten selbst erfahren können.
Exkursionen zu besonderen Schulen wie Berg Fidel eröffnen neue Sichtweisen.
Wichtig ist Schnell die Auseinandersetzung mit bisherigen Vorstellungen und
Annahmen sowie der Erwerb sozialer und kommunikativer Fähigkeiten.
Als hilfreiches Instrument zur Entwicklung inklusiven Denkens und Handelns auch an der Universität stellt Barbara Brokamp den Index für Inklusion
vor. Von Tony Booth entwickelt, von Andreas Hinz und Ines Boban ins Deut12
Zu den Beiträgen dieses Bandes
sche übertragen, beinhaltet der Index neben ausführlichen Auseinandersetzungen mit dem Begriff Inklusion viele Hinweise und Erfahrungsberichte sowie
konkrete Methoden der Prozessgestaltung. Kern des Index sind 560 Fragen, die
dabei helfen, sich aus vielen verschiedenen Blickwinkeln mit dem Thema Inklusion zu befassen. In der Lehrerbildung kann mit diesen Fragen ein „inklusiver
Blick“ erreicht werden durch Selbstreflektion, durch den Austausch mit anderen. Wenn Hochschulen auf Inklusion vorbereiten wollen, sollten sie selber inklusives Handeln als Erfahrungsraum bieten.
In einem Seminarkonzept, das Saskia Erbring, Philipp Krämer und Stefan
Nessler vorstellen, wird der Kompetenztransfer zwischen SonderpädagogikStudierenden und anderen Lehramtsstudierenden explizit angebahnt. Im Seminar „Inklusion und Didaktik im naturwissenschaftlichen Unterricht“ an der
Kölner Universität arbeiten Studierende sonderpädagogischer und naturwissenschaftlicher Lehramtsstudiengänge fakultätsübergreifend in Stammgruppen
zusammen. Sie übernehmen verschiedene Rollen als Experten und entwickeln
Unterrichtsstunden, die sie im Teamteaching in Schulklassen der Sekundarstufe I durchführen, die auch Schüler/innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf besuchen.
Das Instrument Portfolio kann viele Rollen in der Lehrerbildung übernehmen.
In den beiden nächsten Beiträgen geht es vor allem um Portfolios als Reflexionsinstrumente.
Dietlinde H. Vanier & Katharina Weber haben im Rahmen eines Forschungsprojektes untersucht, inwieweit Portfolios in traditionellen Lehrveranstaltungen
ein professionalisierendes Studieren unterstützen und zur Motivation der Studierenden beitragen können. In einem Seminar geht es um Reflexionsportfolios
zum Selbstkonzept, in einem anderen Beispiel um die Veränderung von Alltagstheorien der Studierenden über Professionalisierung. Die Autorinnen berichten
über sehr positive Rückmeldungen der Studierenden zur Steuerung der Lernprozesse und zur Bewertung mithilfe des Reflexionsportfolios. Reflexivität wird
als eine Schlüsselkompetenz von Professionalität verstanden.
Edwin Stiller fragt in seinem Beitrag, inwieweit das „Portfolio Praxiselemente“ helfen kann, die berufsbiografische Entwicklung zu steuern und die objektive und subjektive Seite des Lehrerbildungscurriculums zusammenzubringen. Das in Nordrhein-Westfalen verbindliche „Portfolio Praxiselemente“ wird
in der Regel ab Beginn des Eignungspraktikums bis zum Ende der Ausbildung
geführt. Es dokumentiert die Ausbildung als zusammenhängenden berufsbiografischen Prozess. Der Autor sieht in der Einführung der Portfolioarbeit im
neuen Lehramt enorme Chancen, die Professionalisierung für Inklusion an
Schulen allgemein voranzubringen.
Auch ohne völlige Veränderung der gegenwärtigen Strukturen sehen die drei
folgenden Beiträge Möglichkeiten einer „ideenreichen, kreativen, angemessen
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Anne Ratzki
persönlichkeitsorientierten und professionalisierenden Lehrerbildung“ (Vanier
im nächsten Beitrag). Projekte im Studium sind dabei ein Weg, handlungsorientiert und realitätsnäher zu arbeiten.
Der Beitrag von Dietlinde H. Vanier bezieht sich auf ein zweisemestriges
Projektmodul der TU Braunschweig. Dort lernen Studierende ein Projekt zu planen, durchzuführen, mit anderen zu kooperieren und vorzustellen. Die Themen
können von außerschulischen Partnern, einem Unternehmen, einer Schule oder
von inneruniversitären Fragestellungen kommen. Projekte ermöglichen ein
interessegeleitetes, kontextualisiertes und kompetenzorientiertes Studieren, das
theoretische wie berufsbezogene Studienanteile miteinander verbindet. Insofern
scheint die Projektmethode geeignet, Studierende angemessen zu professionalisieren und die Lehrqualität anzureichern.
Alice Busch-Karrenberg berichtet aus studentischer Sicht von einem Projekt
„gute Lehre“, mit dem eine Gruppe von Studierenden untersuchen will, ob ihre
eigene studentische Erfahrung und ihre persönliche subjektive Sicht auf „gute
Lehre“ sich von der der Lehrenden unterscheidet. Nach Abschluss der Projektarbeit stellen sie sich die Frage, ob dieses Projektmodul selbst ein Beispiel für
gute Lehre sei und reflektieren das Projektmodul in Bezug zu den Forschungsergebnissen des Projektes. Für die Studierenden war die Freiheit, selbst entscheiden, strukturieren und organisieren zu dürfen, äußerst wichtig – ebenso der
Spaß bei der Arbeit.
In Gabriele Graubes Beitrag zur Erfinderwerkstatt geht es um eine regelmäßig stattfindende Lehrveranstaltung an der Universität Braunschweig, in der
Studierende in Moderatoren-Tandems für Kinder Workshops zu technischen
Themen anbieten und dabei von anderen Studierenden in ihrem pädagogischen
Handeln beobachtet werden. Die Autorin beschreibt die Erfinderwerkstatt als
einen Ort, der direkte, indirekte und symbolische Erfolgserfahrungen der Studierenden ermöglicht und ihnen die Chance gibt, die komplexe Interaktion zwischen Individuen, Verhalten und Umwelt zu reflektieren. Die Erfinderwerkstatt
leistet damit schon im Studium einen Beitrag zur Selbstwirksamkeit und damit
zur Persönlichkeitsentwicklung. Ebenso wichtig ist, dass die Studierenden eine
Vorstellung davon bekommen, wie sie Kindern und Jugendlichen Erfolgserfahrungen ermöglichen können.
Auch Peter Wendt geht es um die Persönlichkeitsentwicklung der zukünftigen
Lehrkräfte, sie steht im Mittelpunkt seines Beitrags. Er hinterfragt eine Qualitätsoffensive der Bundesregierung zur Lehrerbildung, die die Lehrerpersönlichkeit außer Acht lässt, und bezweifelt, dass der Fokus der fachwissenschaftlichen
Ausrichtung und des verstärkten methodisch-didaktischen Kompetenzerwerbs
die Bedürfnisse von Schulen und Lehrkräften wirklich abdeckt. Wenn diese
Qualitätsoffensive die Lehrerpersönlichkeit ignoriert, dann ignoriert sie die
wichtigste Bedingung für die Qualitätsentwicklung der Schule. Wendt zeigt,
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Zu den Beiträgen dieses Bandes
wie eine Stärkung der Lehrerpersönlichkeit im Studium möglich und sinnvoll
wäre.
Heidrun Lotz nähert sich dem Thema Lehrerausbildung aus einer ganz anderen
Perspektive: Als Supervisorin fragt sie nach den Möglichkeiten, Studierende bereits in der Ausbildung auf die Dilemmata und Widersprüche des Lehrerberufs
vorzubereiten. Eine Chance, mit zu erwartenden emotionalen Dissonanzen besser umzugehen, sieht sie sowohl darin, die Persönlichkeit zu stärken als auch
darin, die strategischen Kompetenzen für Lehrerhandeln zu erweitern. Im Zentrum steht hier das Team, nicht nur in seiner Funktion der Verbesserung der Unterrichtsqualität, sondern auch in seiner Funktion der gegenseitigen professionellen und persönlichen Unterstützung.
Den Band beschließt ein Beitrag von Meike Kricke über die finnische Lehrerausbildung, die die Autorin im Auslandssemester selbst erlebt hat. Neben dem
Fachstudium steht vor allem das Bewusstmachen und Reflektieren der eigenen
Haltungen in Bezug auf die spätere Tätigkeit im Vordergrund. Angefangen von
einem aufwendigen Auswahlverfahren der Lehramtsstudierenden, über begleitende und dialogische (Peer-)Beratungsangebote im Studium, individuelle
„study plans“ und vielfältige Teamerfahrungen bis hin zu einer konkreten
Theorie-Praxis-Verknüpfung in Form von an die Universitäten angegliederten
Praxisschulen dient die Ausbildung der Entwicklung hoher Professionalität.
Finnland führt seinen Erfolg in internationalen Assessment-Studien auf die
Qualität seiner Lehrkräfte zurück.
In der finnischen Lehrerausbildung lassen sich viele der in den vorhergehenden Beiträgen beschriebenen Elemente einer neuen, kreativen, professionalisierenden Lehrerausbildung erkennen: Entwicklung der Lehrerpersönlichkeit,
Teamarbeit, Reflexion, Verknüpfung von Theorie und Praxis, forschendes Lernen, sonderpädagogische Elemente. Klar wird das grundlegende Ziel der Ausbildung für eine inklusive Schule benannt: eine positive fördernde Haltung der
zukünftigen Lehrer/innen gegenüber den Schüler/inne/n in ihrer Vielfalt. Finnland zeigt, „was Lehrerbildung leisten kann“.
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