Termini für ein unbeschreibliches Verbrechen: Shoah – Holocaust – The Jewish Catastrophe Deutschsprachige Zusammenfassung der Rede von Professor Dr. Dan Michman Akademischer Direktor der Forschungsabteilung in Yad Vashem Jerusalem Warum verwenden wir heutzutage die Begriffe “Holocaust” und “Shoah”, obwohl anfänglich und später sehr viele/zahlreiche andere Begriffe verwendet und vorgeschlagen wurden? Was bedeuten diese Begriffe, woher stammen sie und was bezeichnen sie? Shoah, was “Katastrophe“ oder “Unglück“ und zu einem geringeren Grad Hurban (in Hebräisch) oder Churbn (die yiddische Aussprache desselben Wortes), bezeichnend für “Zerstörung“, bedeutet, sind die hebräischen Wörter, die in den letzten sieben Dekaden innerhalb des internen jüdischen Diskurses über das Schicksal der Juden in der Nazizeit in Gebrauch geblieben sind, obwohl zusätzliche Begriffe in der Zeitperiode oder unmittelbar nach 1945 entstanden sind: Tevah Am (“Massaker einer Nation“), Kataklysmus, Yemei (or: Shenot) Haza’am (“Tage/Jahre des Zorns“), Umkum (“Ausrottung“), Ondergang (das niederländische Äquivalent zum deutschen “Untergang“), Die Hitler-Tekufe (die Hitler-Zeit), und mehr. Keiner dieser Begriffe war dazu vorhergesehen/bestimmt, um spezifisch das Schicksal der Juden zu bezeichnen – aber wurden eher spontan aus dem schon vorliegenden Vokabular entnommen. Hurban/Churbn (“Zerstörung“) ist ein talmudisches Wort, welches in dem babylonischen Talmud und später in der jüdischen Geschichte verwendet wurde, um die Zerstörung des Ersten und des Zweiten Tempel zu bezeichnen. Holokauston, ein griechisches Wort, welches “völlig/gesamt aufgebranntes Opfer“ bedeutet [und] ursprünglich auf heidnische Opfer verweist, wurde in der griechischen Version der Bibel (Septuagint) benutzt, um das biblische gesamt aufgebrannte Opfer, das korban 'ola, zu übersetzen. Es wurde dann in der lateinischen Übersetzung der Bibel übernommen (Vulgata), und fand von dort Eingang im allgemeinen, säkularen Diskurs seit dem siebzehnten Jahrhundert nach dem Zweiten Weltkrieg; letztendlich fand es Eingang im Diskurs als der Hauptbegriff für das jüdische Schicksal in der Nazizeit zu Ende der 1950er - hauptsächlich, aber nicht ausschließlich in der englischsprachigen Welt, wo der größte Anteil von Juden seit dem Zweiten Weltkrieg leb/gelebt hat. Es ist wichtig zu betonen, dass der Begriff nicht von jüdischen Überlebenden oder aus den traditionellen jüdischen Kreisen hervorgegangen ist, vielmehr war er Teil eines uralten europäischen Vokabulars, welches von einer christlichen Tradition entstammt und wurde in allgemeinen Diskursen verwendet, um großflächige/umfassende reelle oder bevorstehende Massaker zu beschreiben – vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Die hebräischen Begriffe Shoah und Hurban/Churbn wurden im internen jüdischen Diskurs in Bezug auf die gesamte Nazizeit, welche in 1933 begann, benutzt. Tatsächlich wurde Shoah, d. h. Katastrophe oder Desaster, seit 1933 in Hebräisch im Diskurs der Jischuw, der jüdischen Gemeinschaft in Palästina, benutzt, [dabei] hinweisend auf die eskalierenden katastrophalen Verfolgungen die beobachtet wurden; somit wurde die semantische Bedeutung des Begriffes kontinuierlich mit zusätzlicher Bedeutung belastet je mehr Neuigkeiten über die sich ausweitenden Verfolgungen einströmten. In 1945 wurde Shoah geheiligt/geweiht, d. h. die (ultimative) Katastrophe, was dazu führte, dass der Begriff fast ausschließlich für diese Katastrophe vorbehalten ist. Der graduell zunehmende Gebrauch des Begriffs Holocaust ereignete sich in den 1950er als ein Resultat mehrere Entwicklungen; die kumulativen Resultate der ersten Welle wissenschaftlicher Forschung über die Täter, die zum Entschluss kam, dass Antisemitismus und antijüdische Maßnahmen nicht nur ein Teil der mehreren Facetten des dritten Reiches waren, sondern im Zentrum des Gesamten stand; die Festnahme und der Prozess von Adolf Eichmann (1960-1961) mit der weltweiten Medienberichterstattung; und die breite öffentliche Diskussion in vielen Ländern um das Schauspiel von Rolf Hochhuth, Der Stellvertreter, und über das Verhalten von Papst Pius XII vis-a-vis der Endlösung. Die Besonderheit dieses Ereignisses verlangte nach einem Epitheton. Von nun an wurde der bestehende Begriff “Holocaust“ zusammen mit seinen teilweise sakralen Konnotationen in der ganzen Welt als ein Begriff der einzigartig für das sich herauskristallisierende Bewusstsein über dieses Ereignis angenommen. Während der 1970er und 1980er vermehrte sich der Gebrauch der Begriffe Holocaust und später Shoah und fanden Eingang in weiteren Sprachen, hauptsächlich resultierend aus ihrer Verwendung in den Massenmedien, die sehr beliebte amerikanischen TV-Serie “Holocaust“, welche in 1978 und 1979 gezeigt wurde; und der neun Stunden lange Film Shoah von Claude Lanzmann. Aber Shoah und Holocaust waren nicht die Begriffe der Überlebenden - es gibt Begriffe die im hebräischen Diskurs der “Jischuw“ (der jüdischen Gemeinschaft in Palästina, vor der Staatsgründung Israels) und im Englischen. Die Begriffe der Überlebenden verschwanden auf Grund der Emigration der meisten Überlebenden aus Europa in das hebräischsprachige Israel, oder englisch-sprachige Nordamerika, britische Südafrika und Australien. Jiddisch als wichtigste Sprache nahm ab und Hebräisch und Englisch wurden die Sprachen, die von den meisten Juden gesprochen wurden. Aber es sollte hervorgehoben werden, dass diese Begriffe aus einem vorhandenen Vokabular entstammen und vage sind. Um dieser Vagheit entgegen zu setzen, schlug der Historiker aus Princeton, Arno Mayer, in 1988 vor, den Begriff “Judeozid“, d. h. der systematische Genozid der Juden, vor, “Genozid“, ein Begriff, der vom polnischen Wissenschaftler Rafael Lemkin in 1943 vis-a-vis der mörderischen Kampagne der Nazis, geprägt/eingeführt/herangeführt wurde. Der Begriff “Judeozid“ konnte sich nicht durchsetzen (meiner Meinung richtigerweise, da der Holocaust als Ereignis viel umfassender/umfangreicher als alleinig “der Genozid der Juden“ ist). Aber die Begriffe Hurban und Shoah konkurrieren auch miteinander, sowie Holocaust und Shoah. Und das Verständnis von dem was in dem Begriff “Holocaust“ inbegriffen ist, hat sich mit der Zeit auch verändert.
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