Ambulant Betreutes Wohnen für psychisch- und suchtkranke (komorbid erkrankte) Menschen Über das, was hält und trägt . . . auch in schwierigen Zeiten von Dipl. Soz. Päd. Sabine Janitzek (Gestalttherapeutin, Suchttherapeutin [VDR], Traumazentrierte Fachberatung) - KOMO e. V. Fakten Tätigkeit seit 2004 Rechtsgrundlage: Wiedereingliederungshilfe nach §§ 53ff SGB XII Träger: Landschaftsverband Rheinland Grundlage der Leistungserbringung: Individuelle Hilfeplanung (IHP) Zielgruppe Erwachsene Frauen und Männer, die gleichzeitig an einer psychischen- und einer Suchterkrankung leiden Psychische Erkrankungen: Schizophrenien, affektive Störungen, Persönlichkeitsstörungen (häufig kombinierte Diagnosen) Suchtmittel: Illegale Drogen, Alkohol, Medikamente, stoffungebundene Süchte (häufig kombinierte Diagnosen) Personal: * 5 Soz.Päd. / Arb. (Dipl., BA) * 1 Ergotherapeutin BA * 1 Pädagogische Hilfskraft / 1 Verwaltungskraft / 1 Mitarbeiterin aus dem Bundesfreiwilligendienst Längerfristige Weiterbildungen: * Gestalttherapie * Systemische Therapie * Suchttherapie (integrativ) * Traumazentrierte Fachberatung * Traumapädagogik im integrativen Verfahren * Management in sozialen Einrichtungen Hochfrequente Fall-Besprechungen: * wöchentlich „Kleinteam“ * 14tägig „Großteam“ * monatlich externe Fall-Supervision * regelmäßig begleitende Fall-Reflexion mit neuen Kollegen * Möglichkeit von Einzelsupervision in besonderen Problemlagen Heilsame Interventionen in verschiedenen Arbeitsfeldern der Sozialtherapie * Interventionen als Eingriffe in problematische Situationen, als Handlungspläne zur Zielerreichung (können schematisch entworfen werden – vgl. IHP-Verfahren) * unter Nutzung methodischer Vielfalt als „Handwerkszeug“ (kann erlernt und eingeübt werden – vgl. Weiterbildungen) Welche Bedingungen sind nötig, damit Interventionen erfolgreich sein können? * Was steht vor der (heilsamen) Intervention? * Wie wird aus einer theoretisch sinnvollen Intervention eine passgenaue Hilfe für den Menschen, der vor Dir steht? Über den Wirkfaktor „Tragfähige Therapeutische Beziehung“ (als in der Forschung allgemein akzeptierter Förderfaktor für die Wirksamkeit von beziehungs-orientierten Therapien) zur „Therapeutischen Haltung“ Arbeitsbegriff einer „therapeutischen Haltung“ Nach Preß, H. und Gmelch, M: Die „therapeutische Haltung“ - Vorschlag eines Arbeitsbegriffs und einer klientenorientierten Variante, in: Psychotherapeutenjournal, 4/2014 Es müssen drei Bedingungen erfüllt sein, damit eine therapeutische Begegnung vom Klienten als „stimmig“, „verlässlich“ oder „eindeutig“ (konsistent) empfunden und positiv bewertet werden kann: ● Der Therapeut vertritt miteinander vereinbare Überzeugungen, Werthaltungen und Einstellungen (überdauernde Muster der Informationsverarbeitung, Wissen um Veränderungsprozesse/Wirkfaktoren, Wissen um Beziehungsgestaltung und Methoden) - z.B. widerspricht eine hohe Wertung von „Ehrlichkeit im Umgang“ der heimlichen Überzeugung, „dass Junkies immer lügen“ ● ● Er vertritt diese über viele Situationen hinweg (stabil) (prozessualer Aspekt) Seine Werthaltungen, Überzeugungen und Einstellungen bilden sich in seinen therapiebezogenen Reaktionen gleichsinnig (synchron/authentisch) ab (prozessualer Aspekt) Zu den prozessualen Aspekten: Diese sind Ausdruck der in den jeweiligen Begegnungen stets neu zu realisierenden Überzeugungen, Werthaltungen, Einstellungen usw., vgl. Häufigkeit von Fall-Besprechungen Elemente der „therapeutischen Haltung“ bei KOMO e.V. 1. Sei offen für andere Auffassungen über die Wirklichkeit! (Konstruktivismus als erkenntnistheoretische Position, Pluralität der Auffassung über „Wirklichkeit“) Interessiere Dich aufrichtig für das Erleben des Klienten! ( Erkunden der „Lebenswirklichkeit“ des Klienten, Annäherung an dessen sprachliches Vermögen und Aufgreifen dessen bildlicher Vorstellungen usw.) 2. Befähige den Klienten zu größerer Selbstbestimmung in sozialer Verantwortung! * nicht wir entscheiden für den Klienten, was für ihn am besten ist, sondern * versuchen, ihn dabei zu unterstützen, eigene Entscheidungen zu treffen * unter Berücksichtigung seines Da-Seins im sozialen Miteinander * verbunden mit der Aufforderung, den ihm möglichen Beitrag zum Leben in der Gemeinschaft beizutragen 3. Orientiere Dich an den Themen des Klienten! Wesentliche Voraussetzung für eine Zusammenarbeit sind positiv formulierte Ziele, die vom Klienten und aus fachlicher Sicht gemeinsam getragen werden können zur Verbesserung oder Stabilisierung der gesamten biopsychosoziokulturellen Situation des Klienten (vgl. IHP-Verfahren) Diese bieten * eine grundlegende Orientierung im Hinblick auf die Themen des Klienten ( z.B. „Ich hätte gerne eine Arbeit, einen Partner, eine Familie, cleane Kontakte“ usw.) * können sich im Laufe der Zeit verändern * und werden vielleicht auch nie erreicht 4. Vermittle Vertrauen in die Ressourcen des Klienten und unterstütze ihn dabei, immer besser und öfter auf sie zugreifen zu können! Sei erfinderisch! 4.1 Aus der Passivität in die Aktivität * Aufdecken aktuell vorhandener Ressourcen ( Abfragen von Fähigkeiten, Fertigkeiten, Interessen, Kontakten usw.) * Reaktivierung von schlummernden Ressourcen (Welche Vorlieben, Interessen usw. gab es zu anderen Zeiten in Deinem Leben? Könnten Dich diese auch heute noch reizen? - Pragmatische Ebene, z.B. sportliche, kulturelle, künstlerische Aktivitäten usw.) 4.2 „Genusstraining“ * Sukzessives Heranführen an weitere Momente eines relativen Wohlbefindens ( Erweiterung von Aktivitäten, die als wohltuend erlebt werden, z.B. Musik-Hören, Spaziergänge in der Natur, Verfassen kleiner Geschichten usw.) * Herstellen von äußeren Umgebungsfaktoren, die an „positiv“ erlebte Situationen aus der Vergangenheit erinnern ( und die dann vielleicht das körperliche Befinden, die psychische Verfassung und/oder die soziale Einbindung in Ansätzen wieder-erfahrbar machen) Link: Janosch Mittelmeer - http://www.zeit.de/zeit-magazin/leben/2014-05/fs-janosch?slide=20 4.3 „Strukturierung der Tristesse“ * Überführung von als außergewöhnlich erlebten Strukturpunkten des Tages in habitualisierte Verhaltensweisen, dadurch Halt und Entlastung (Formulierung eines Klienten bzgl. seines Sieges im langjährigen Kampf gegen die Spülberge in seiner Wohnung: „Darüber diskutiere ich nicht mehr mit mir. Jeden Abend wird gespült“ - Freisetzen von Energie für Neues) 5. Unterstütze den Klienten bei der Suche nach möglichst erfolgversprechenden Lösungsschritten! Respektiere eigensinnige Entscheidungen des Klienten! 5.1 Erarbeiten eines Sicherheitsvertrages Zur Vermeidung von schweren Impulsdurchbrüchen * die Sicherheit des Klienten, aber auch anderer beteiligter Personen (incl. Mitarbeiter) hat oberste Priorität (vgl. Punkt 2) * Erstes Bekannt-Machen mit Grenzen des Settings „Ambulant Betreutes Wohnen“ * Erstes Bekannt-Machen mit (Überlebens-sichernden) Ausnahmen vom Anspruch der Herstellung von Transparenz vor der Umsetzung von Handlungsschritten (vgl. Punkt 8) Link: Janosch Weltrettungsring - http://www.zeit.de/zeit-magazin/leben/2014-05/fs-janosch?slide=17 5.2 Entwicklung und Auswertung zielorientierter Schritte * Unterstützung bei der Identifizierung möglichst erfolgversprechender Schritte * Unterstützung bei der Erfassung von erwartbaren Konsequenzen von Entscheidungen (auf biopsychosoziokultureller Ebene) „Realitätsprüfung“: Wenn Du schon seit einer Woche schreckliche Zahnschmerzen hast, gleichzeitig fürchterliche Angst vor dem Zahnarzt: Was meinst Du, wie Du Dich in einer Woche fühlen wirst, wenn Du nicht beim Arzt gewesen sein wirst? Wie wirst Du Dich fühlen - körperlich / seelisch -? Wie wird es Dir mit Deiner Freundin gehen (mit der gerade ein Konflikt zu klären ist)? Wie wird es Dir auf Deiner Arbeitsstelle gehen (wo Du Dich gerade als zuverlässig und kompetent erweisen möchtest)? Wie wird es Dir langfristig finanziell gehen (wenn vielleicht eine kosten-intensive Zahnsanierung nötig wird)? Aus potentiell zu vermeidenden „schlechten“ Erfahrungen von „eigensinnigen“ Entscheidungen des Klienten werden vor allem gemeinsame Erfahrungen * auf deren Grundlage weniger hierarchisch strukturiert, d.h. kooperativer gelernt werden kann („Wir beide haben zusammen die Erfahrung gemacht, dass . . ., wie würdest Du Dich nun, in einer vergleichbaren Lage, entscheiden?“) * durch die mit Hilfe der „Container-Funktion“ des Betreuers (der an vergangene Situationen als gemeinsame Erfahrung erinnern kann) weitsichtigere und angemessenere Entscheidungen des Klienten gefördert werden können 6. Erkenne die Gefühle des Klienten explizit an! Unterstütze ihn bei der Affektmodulation und beim Einüben von Möglichkeiten der Selbststeuerung / -beruhigung! * Kontinuierlich: Validieren der Gefühle des Klienten * Kontinuierlich: Realitätsprüfung (z.B. „Könnte es nicht auch sein, dass der Mann, der Dich „vermeintlich schräg“ angeguckt hat, ganz einfach in Gedanken war und sein Blick nicht wirklich Dir galt?“ - „Könnte es sein, dass Deine Reaktion sich besser aus vergangenen Erlebnissen erklären lassen könnte als aus der aktuellen Situation?“) * Kontinuierlich: Abfragen der Veränderung der Affekte des Klienten ( im zeitlichen Verlauf, nach Interventionen – Erarbeiten eines Bewusstseins über die zeitliche Veränderung von Affekten und deren „fließendem“ Erscheinungsbild im Hinblick auf Vordringlichkeit und Intensität) Systematisches Einüben von tauglichen Formen der Selbstberuhigung, des „Sich-Selbst-Tröstens“ * Sich-Selbst-Etwas-Gutes-Tun, wenn es einem nicht gut geht (In-Beziehung-Setzen der Ressourcen-Arbeit – vgl. Punkt 4) *Förderung der Fähigkeit, Sich-Selbst-Zu-Trösten oder der zur Selbstberuhigung ( „wenn ich diese Musik höre, dann kann ich mich fallen lassen“; „wenn ich mir Bratkartoffeln zubereite, dann erinnert mich das an schöne Abende zuhause . . .“) * Ermöglichung von Fürsorge für Andere(s), wo Selbstfürsorge (noch) nicht gelingt: * z.B. Sorge tragen für den Hund, die Katze, die Fische * für die arme Nachbarin, die so alt und bedürftig ist * und selbst für den Betreuer ( der in einer festgefahrenen, aussichtslos erscheinenden Situation sein Bedürfnis nach körperlicher Bewegung formulieren kann:„Wenn Du noch nicht weißt, was Du benötigst, damit diese festgefahrene Situation aushaltbar wird: Ich würde jetzt gerne ein paar Schritte gehen . . .“) Vorbildfunktion * Ermöglichen alternativer Bedeutungserteilungen (Ermöglichen von Evidenz-Erlebnissen): z.B. Link: Janosch: Trübsinn im November - http://www.zeit.de/zeit-magazin/leben/2014-05/fs-janosch?slide=35 7. Übernimm die Verantwortung für die Prozess-Gestaltung! Reflektiere den Betreuungsprozess mit Deinem Klienten! * Im-Blick-Behalten sämtlicher vom Klienten formulierten Ziele * Klärung ambivalenter Motivationen (z.B. „Ich möchte unbedingt in Entgiftung gehen, aber vorher muss ich meine Zähne machen lassen“ - und nichts passiert im Hinblick auf die Zähne. . .) * Analyse wiederkehrender problematischer Reaktionen (z.B. Vermeidung von sozialen Kontakten bei einem Klienten mit extremen sozial-phobischen Anteilen als Mittel zur Vermeidung von Rückfälligkeit in den Konsum von Suchtmitteln) 8. Stelle – soweit irgend möglich – (selektive) Transparenz her! * Herstellen von absoluter Transparenz gegenüber dem Klienten über das eigene Verhalten innerhalb des Hilfesystems (Ausnahme: Lebensbedrohliche Situationen, vgl. Punkt 5.1) * Herstellen von Transparenz im Hinblick auf das eigene Verhalten in der Betreuungssituation (soweit möglich, Begründung des eigenen Verhaltens, z.B. „Ich begleite Dich jetzt nicht ins Einkaufszentrum, weil ich befürchte, dass Dich dies in Deiner derzeitigen Verfassung massiv überfordern würde. Lass uns lieber das Nötigste im kleinen Laden an der Ecke besorgen“) * (Selektives) Herstellen von Transparenz in Bezug auf für den Betreuungs-/Beratungsprozess hinderliche eigene Gefühlszustände (z.B. „Entschuldige bitte, wenn ich heute zwischendurch auf's Handy schaue, aber ich erwarte gerade eine wichtige Mitteilung aus dem Krankenhaus . . .“) 9. Ermögliche aktiv die Klärung von Störungen! * Aufmerksam-Machen auf wahrgenommene Irritationen des Klienten (z.B. „Ich hatte eben den Eindruck, Du wärst verärgert gewesen über meine Aussage“ - Einladung zur Formulierung von Unzufriedenheiten als beziehungs-stiftendes Angebot - Stärkung der Konfliktfähigkeit) Abfrage der subjektiven Wahrnehmung des Klienten in Bezug auf * den Betreuungsprozess * die Zielannäherung * die Auswirkungen im „realen Leben“ (nach Preß & Gmelch, a.a.O.) (Wann kann der nächste Entwicklungsschritt gegangen werden?) 10. Berücksichtige die Funktion des Suchtmittels innerhalb der psychiatrischen Symptomatik! * „obsessive craving“: Zwanghafter, ununterbrochener Drang zu konsumieren, der Konsum ist ausschließliches Ziel von Aktivitäten, wobei häufig der Suchtmittelkonsum psychiatrisch auffällige Symptome verschärft (z.B. Kokain-Konsum in manischen Phasen) – Notwendigkeit von Begrenzung (Entgiftung), da sonst keinerlei konstruktive Zusammenarbeit möglich * „relief craving“: Das Suchtmittel dient dazu, als unerträglich empfundene Erlebniszustände zu minimieren; grundlegende Akzeptanz der Tatsache, dass das Suchtmittel das unmittelbarste und effektivste Mittel zur Milderung dieser Erlebniszustände ist; ausdrückliches Formulieren des Nicht-In-Konkurrenz-Tretens zum Suchtmittel; Herausarbeiten der Nachteile des Suchtmittel-Konsums; Unterstützung bei der Differenzierung zwischen kurzfristiger Entlastung versus mittel- bis langfristiger Verbesserung; Identifizieren und Einüben von alternativen Möglichkeiten der Affekt-Regulation (Anknüpfen an Punkt 6) * gegebenfalls: Respektieren von reduziertem kontrollierten Konsum (z.B. der Konsum einer festgelegten Menge Alkohol abends zur Beruhigung bei einer Klientin mit dauerhaft psychotischen Symptomen trotz medikamentöser Einstellung) Link Janosch Vorsätze für das neue Jahr - http://www.zeit.de/zeit-magazin/leben/2014-05/fs-janosch?slide=76 11. Verhalte Dich konsistent! (vgl. Preß & Gmelch, a.a.O.) * Vertreten widerspruchsfreier Werthaltungen, Einstellungen, Überzeugungen usw. * unter Berücksichtigung des Wissens um Lernprozesse und Beziehungsgestaltung * stabil über viele therapeutische Situationen hinweg * authentisch ausgedrückt (synchron abgebildet) als Voraussetzung für die Herstellung von Sicherheit und Verlässlichkeit in der therapeutischen Beziehung und die Ermöglichung von heilsamen Interventionen im Betreuungsprozess Link Janosch Das Richtige richtig machen, wenn es drauf ankommt http://www.zeit.de/zeit-magazin/leben/2014-05/fs-janosch?slide=30 © Sabine Janitzek, KOMO e. V.
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