Predigt über Matthäus 27,33-51 I. „Steig doch herab vom Kreuz

Predigt über Matthäus 27,33-51
I. „Steig doch herab vom Kreuz - dann wollen wir an dich glauben“, sagen die
Menschen zu Jesus.
Aber Jesus, der Sohn Gottes, steigt nicht vom Kreuz herab. Aber warum
eigentlich nicht?
Antonij Suroschkij, ein russisch-orthodoxer Geistlicher, schreibt:
Die Leute im Volk, das sich um das Kreuz versammelt hatte, dachten:
„Wenn er vom Kreuz herabsteigt – dann sind wir für Ihn, für den Sieger, können
ihm gefahrlos folgen.
Andere dachten: Wenn er bloß nicht vom Kreuz herabsteigt!
Denn dann, wenn er tatsächlich vom Kreuz steigt, wenn er tatsächlich –
der Sohn Gottes ist, der gekommen ist, um die Welt zu retten, dann muss die
schreckliche Nachricht von der Kreuzesliebe, (dh. Der Liebe, die es in Kauf
nimmt am Kreuz zu enden), zum Gesetz des Lebens werden
– das kann ich nicht! Nein, besser er steigt nicht herab.“
II. Schauen wir uns diese zwei wesentlichen Momente genauer an. Die einen
dachten: „Wenn er herabsteigt, können wir ihm, dem Sieger, folgen.“
Ja, wenn er hinabsteigt, denken sie, dann ist er der wahre König von Israel,
wenn, er, der Jude vom Kreuz der Römer hinabsteigt.
Wie hätte das die Juden in ihrem Hass gegen die Römer, ihre Besatzer bestärkt!
Dann hätten die Juden wahrhaftig Grund gehabt, sich als ein auserwähltes Volk
zu denken –
aber nicht auserwählt, um stellvertretend für die anderen Völker zu leiden,
wie es so unbegreiflich schmerzhaft Jesaja prophezeit hat
- sondern auserwählt, die anderen Völker zu besiegen und zu vernichten.
Dann ließe sich Gott in der Tat vereinnahmen als Kriegsherr, als ein Gott
Deutschlands gegen den Rest der Welt, ein Gott der Amerikaner gegen die
bösen Terroristen,
ein Gott des Westens gegen und so weiter…
Als Kaiser Konstantin 312 das Kreuz im Anschluss an einen Feldzug zum
Siegeszeichen erhob, konnte er die christliche Botschaft nicht gründlicher
missverstehen.
Das Kreuz ist und bleibt das Zeichen des Unterliegens, des Scheiterns, ein
Zeichen für die dunkle Seite in unserer Welt, die nur durch den Tod hindurch
überwunden werden kann.
Ja, wenn Jesus herabgestiegen wäre, dann hätte er uns einen parteilichen Gott
offenbart, der sich im gewaltsamen Kampf auf eine Seite stellt, allen, die ihm
folgen, Sicherheit und Schutz gewährt, aber grausam vorgeht gegen alle, die
ihm nicht gehorchen.
III. Die anderen dachten bang: „Wenn er bloß nicht herabsteigt!“
Die Hohepriester, die Schriftgelehrten und Ältesten sind erleichtert darüber,
dass er am Kreuz hängt, weil dann das, was er gesagt hat, für sie nicht weiter
von Bedeutung sein muss.
Sie sind froh, dass sie mit Jesu Tod auch alle kritischen Anfragen, die er an sie
gestellt hat, getrost vergessen dürfen.
„Wenn – dann“, sagen sie. Dass er von sich gesagt haben soll, dass er der Sohn
Gottes sei, kränkt und beleidigt sie im Innersten.
„Was maßt sich dieser Mensch an?“, sagen sie empört, aber sie empören sich
gar nicht eigentlich über seine Anmaßung, sondern darüber, dass er tatsächlich
um so viel vollkommener ist als sie.
Sie sehen es – und sie sehen es doch nicht.
Seine Art zu lieben als die richtige anzuerkennen, das hieße ja die eigene Art zu
lieben zu hinterfragen.
Sie wollen ihm nicht Recht geben – ihm Recht geben, das hieße, eigenes
Unrecht einzugestehen.
In Jesus das Besondere, das Einmalige zu sehen – das hieße, der eigenen
Gewöhnlichkeit ins Auge zu sehen.
So zeigen sie auf ihn, von sich weg: „Anderen hat er geholfen und kann sich
selber nicht helfen!“, denn es ärgert sie maßlos, dass er andere heilen und
glücklich machen konnte und ihnen das nicht gelungen ist.
Wenn er herabsteigen würde, denken sie, dann müsste ja auch ich so lieben,
wie er geliebt hat.
Dann müsste auch ich bereit sein mich ans Kreuz nageln zu lassen?
Dann soll ich nicht nur meine Freunde, sondern auch meine Feinde lieben?
Aber das kann und will ich nicht.
Diese Worte sind ja die reinste Zumutung.
Wenn wir schon so oft unter der Liebe zu unseren Freunde leiden – weil sie
krank sind, weil sie sterben können , um wie viel mehr leiden wir, wenn wir
versuchen, auch unsere Feinde zu lieben?
Wenn wir in den verhärteten, missgestalteten Zügen der Frau, die uns grundlos
Vorwürfe macht, mit um ihre verlorene Güte trauern müssten?
Wenn wir mit Anteil nehmen sollen an der tiefen Verzweiflung, die einen
Menschen, der uns in seiner Wut tiefe Verletzungen zufügt, im Innersten quält?
Ja, können wir uns denn dann noch stolz auf die Schulter klopfen und sagen,
„was sind wir doch für gute Menschen?“
Aber Jesus ist nicht vom Kreuz herabgestiegen, er hat kein „Gesetz der Liebe“
aufgerichtet, er sagt nicht: „Das müsst ihr, „Das dürft ihr“, „Das ist verboten“,
„das ist unzulässig.“
Es gibt kein allgemein gültiges: „Das darf ein Christ nicht. Das muss ein Christ.“
Jesus mutet uns alles zu, aber er zwingt uns zu nichts.
In Jesus offenbart sich nicht nur ein barmherziger Gott, sondern auch ein Gott,
der an uns glaubt, der uns zutraut, selbst zu entscheiden, was die Liebe von uns
fordert und was nicht.
Er weiß um unsere Schwächen, aber er weiß auch um unsere Stärken.
Da gibt es keine Pauschalurteile wie: „Wenn du deine Mutter ins Heim gibst,
bist du herzlos“ – da wird verstanden, wenn wir überfordert sind, da wird
gefragt, was wir leisten können und was uns zerbricht.
Da muss nicht jedes vermeintliche Kreuz getragen werden.
Da muss eine Frau, deren Mann sie jeden Tag beleidigt und schlägt, sich nicht
sagen: „Ich muss dieses Kreuz tragen. Jesus hat auch gelitten.“
Da sagt kein Außenstehender zynisch: „Stell dich nicht so an. Du willst nicht
leiden – schau doch auf Jesus, wie viel der gelitten hat,
Wenn du nicht bereit bist, das und das auszuhalten, dann bist du Jesu nicht
würdig. “
Eines tut das Kreuz ganz sicher nicht: Das Leid und den Tod rechtfertigen.
Wo das geschieht, da schlüpfen die angeblichen Jünger Jesu wieder in die Rolle
derer, die Jesus am Kreuz verspotten.
Nein, so nicht.
Denn Jesus leidet nicht um des Leidens willen!
Sondern um der Liebe willen.
Er wurde hingerichtet, weil er sich eben nicht abgefunden hat mit den
Zuständen um sich herum.
Nicht der Aufruf ins Leiden hinein, sondern der Aufruf zu wahrer Liebe hat ihn
ans Kreuz gebracht.
Und wahre Liebe lässt sich nicht in Regeln oder Gesetze auflösen, nein, sie geht
unter diesen Regeln und Gesetzen kaputt, sie stirbt, sie stirbt wie Jesus starb.
Sie opfert sich nicht um des Opferns willen, sondern um des Menschen willen.
Danke, Jesus, dass du nicht vom Kreuz herabgestiegen bist,
dasa du die wahre Liebe in die Welt getragen hast, eine Liebe, die wahrhaft frei
ist, frei von Regeln, von Geboten und Verboten, frei sich einzulassen auf den
einzelnen, einmaligen Menschen mit dessen Schwächen und Sehnsüchten.
Eine Liebe, die so frei und so stark ist, dass sie nicht stirbt, wenn sie stirbt.
Und nur in diesem Sinn ist das Kreuz auch ein Zeichen des Sieges.
Aber nicht eines Sieges im gewaltigen Kampf, nicht eines Sieges der Starken
über die Schwachen, sondern der Schwachen über die Starken, sondern der
Liebe über den Tod.
Der Friede Gottes, welcher ist höher als alle Vernunft, bewahre eure Herzen
und Sinne in Christus Jesus. Amen.