Zug Sonntag, 24. Januar 2016 / Nr. 4 Zentralschweiz am Sonntag Umworbene «Alte» S eit Beginn dieser Woche werden die – wie man euphemistisch sagt – älteren Personen im Kanton Zug heftig umworben. Die Kampag ne «Alter hat Potenzial» macht gezielt und richtigerweise darauf aufmerk sam, dass der Begriff «alt» nicht automatisch bedeutet, dass ältere Menschen bettlägerig, dement, in kontinent und kostentreibend sind. Überlegen Sie mal, was Ihnen als erstes einfällt, wenn Sie das Wort «alt» hören. Es ist – sind Sie nicht selber Mitglied der Generation 50 plus – in der Regel negativ besetzt. Harry Ziegler über die plötzliche Attraktivität des Alters ZUG UM ZUG Nun, da sich Politik und Gesell schaft mit den Folgen verschiedener Faktoren auseinandersetzen muss, werden die «Alten» plötzlich wieder attraktiv. Entsprechend hat nicht nur die Werbeindustrie erkannt «Alter hat Potenzial». Neben den bislang nicht genau absehbaren Folgen, die durch die Annahme der Massenein wanderungsinitiative entstehen, ha ben wir bekanntlich ein demografi sches Problem. Die «Babyboomer», die geburtenstarken Jahrgänge, kom men ins Pensionsalter, und es rü cken nicht genügend jüngere Arbeitskräfte nach, um die entste henden Lücken zu füllen. Was also tun, wenn man die Lü cken nicht einfach beispielsweise mit ausländischen Arbeitnehmern füllen kann? Eben. Plötzlich werden die zuvor aussortierten «Alten» wieder für den Arbeitsmarkt attraktiv. So attraktiv, dass die Zuger Regierung in ihrer Legislaturplanung ein eige nes Ziel formuliert hat: «Nutzung des Potenzial der älteren Bevölkerung». Die Kampagne «Alter hat Poten zial» bezweckt unter anderem auch die Sensibilisierung der Arbeitgeber. Sie soll eine öffentliche Debatte an stossen, damit das Bewusstsein in der Bevölkerung geschärft wird, dass ältere Menschen über vielfältige Fä higkeiten und Erfahrungen verfügen, die viel zu wenig genutzt oder eben durch die negative Konnotation des Begriffs «alt» gar nicht wahrgenom men werden. Und: Was für die Wirt schaft gut ist, tut in diesem Fall auch der Gesellschaft gut. Fangen wir doch heute an. Sagen Sie doch allen Mitmenschen, jungen und älteren, denen Sie begegnen herzhaft: «Grüezi». Damit zeigen Sie, dass Sie diese Menschen wahrneh men, respektieren und schätzen. Ich bin 52 Jahre alt, aber ich freue mich immer, wenn ich ein an mich ge richtetes «Grüezi» höre. [email protected] Regierung steht hinter Anpassung KANTON red. Der Regierungsrat be grüsst die Stossrichtung der vorge schlagenen Anpassungen des Bun desgesetzes über Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung und stimmt ihnen weitgehend zu. Dies schreibt der Regierungsrat in einer Mitteilung. Die Verlängerung der Anstossfinanzierungen betrachte man als sinnvoll, solange das be stehende Angebot die Nachfrage nicht abdeckt. Zudem begrüsst es die Re gierung, dass die geplante zusätzliche Finanzhilfe des Bundes neben der Beteiligung der öffentlichen Hand auch jene der Arbeitgebenden be rücksichtigt. Das familienergänzende Betreuungsangebot solle künftig einen vollständigen Arbeitstag der Eltern abdecken, auch während der Schulferien. 14 «Man muss härter bestrafen» SEXATTACKEN Noch immer beschäftigen viele die Vorfälle in der Kölner Silvesternacht, als Männer aus Nordafrika Frauen belästigten. Was sagen Zuger Asylbewerber dazu? Ihre Antworten überraschen. afrikanische Heimat zurückkehren. Für Ahmed Muse ist eine Rückkehr nach Somalia indes kaum mehr vorstellbar. «Für mich ist Zug längst zu meiner zwei ten Heimat geworden», sagt der Vater, der stolz auf seine Familie und seine fünf Kinder ist – die alle in Zug geboren wur den und teilweise schon einen guten Beruf erlernt haben. Seine Frau kümme re sich um die Familie und den Haushalt. So weit, so gut. Aber was kann man tun, um Vorfälle wie in Köln, wo Männer aus muslimischarabischen Gesellschaften Frauen sexuell belästigen oder gar ver gewaltigen, zu verhindern? «Man muss eben arbeiten, sich integrieren und die WOLFGANG HOLZ [email protected] «Das, was in Köln passierte, ist gar nicht gut. Man muss die Leute und die Kultur in einem fremden Land respek tieren», sagt Mahamud Mahamed Adow aus Somalia. So ein Verhalten, wie die Männer dies in Köln in der Silvesternacht vor dem Dom an den Tag gelegt hätten, werfe ein ganz schlechtes Bild auf Flücht linge. Und sein somalischer Kollege, Ahmed Abduqadir Muse, pflichtet ihm bei und betont: «Im Islam lernen wir, Respekt gegenüber Frauen zu zeigen – denn auch unsere Mütter und Schwes tern sind Frauen.» Er vermutet deshalb, dass die Sextäter in Köln wahrscheinlich nicht sehr gläubig seien. Herr Adow und Herr Muse, beide an erkannte Flüchtlinge, die gemäss der Genfer Flüchtlingskonvention vorläufig aufgenommen wurden, leben schon ver hältnismässig lange im Kanton Zug. Bei de sind wegen des Bürgerkriegs aus Somalia geflüchtet. Der 26jährige Maha mud Mahamed Adow ist seit 2009 in Zug und wohnt in einer Asylunterkunft. Der 48jährige Ahmed Abduqadir Muse weilt «Man muss arbeiten und die fremde Kultur respektieren.» AHMED ABDUQADIR MUSE «Vom Islam her dürfen wir Frauen gar nicht hinterher starren»: Mahamud Mahamed Adow aus Somalia. Bilder Stefan Kaiser «Eine weisse Frau zu heiraten, würde bedeuten, in zwei Kulturen leben zu müssen.» Frauen oft nur ein Sexobjekt M A H A M U D M A H A M E D A D OW schon fast eine halbe Ewigkeit hier: Er kam 1996 in die Schweiz. Beide sprechen deutsch und arbeiten in der Zuger Asyl unterkunft Waldheim als Aufsichtsperson, wo sie rund 20 Flüchtlinge betreuen. Ihnen gefällt ihr Job. «Wir sind im Drei schichtbetrieb eingeteilt.» «Arbeiten und sich integrieren» Doch zurück zu den Vorfällen in Köln. Wie ist das für einen jungen Mann wie Mahamud Adow, wenn er etwa im Som mer auf der Strasse vielen im Vergleich zu seinem Herkunftsland sehr freizügig gekleideten Frauen begegnet? Ist das ein Problem für den Ledigen? «Nein,», sagt der 26Jährige und lächelt. «Wir dürfen vom Islam her den Frauen auf der Stras se nicht dauernd hinterherstarren – son dern höchstens in die Augen schauen. Er sei ein zurückhaltender Mensch und religiös, bete regelmässig und gehe frei tags in die Moschee. «Man muss eben auch nachdenken, was man tut», sagt der junge Mann. Er räumt aber ein, dass er es sich nicht vorstellen könne, eine weis se Frau zu heiraten. «Denn das würde bedeuten, in zwei Kulturen leben zu müssen.» Wenn sich die politische Lage zum Positiven wende, wolle er in seine fremde Kultur respektieren», sagt der 48Jährige. Das Rezept seines Lands manns hört sich drastischer an: «Man müsste solche Täter eben auch härter bestrafen.» In Somalia würde Männern, die Frauen vergewaltigten, körperliche Gewalt drohen. Auch Jiyan Malki (Name von der Re daktion geändert) ist als Flüchtling vor läufig aufgenommen worden. Seit zwei Jahren lebt die 45jährige Syrerin nun in Zug in einer Asylunterkunft für Frauen. Die ehemalige Verkäuferin einer Bou tique, die sich lieber nicht fotografieren lassen möchte, empfindet die Kölner Vorfälle als «abscheulich und brutal: So ein Verhalten ist weit weg von allen menschlichen Werten». Die Frau aus dem Norden Syriens ist auch deshalb so ge schockt, weil die sexuellen Übergriffe in der Domstadt sie an die schrecklichen Vergewaltigungen erinnern, welche die ISTerrormiliz an ihren kurdischen Lands frauen begangen hätten. Zug ist seine zweite Heimat: Ahmed Abduqadir Muse. Sie verhehlt aber auch nicht, dass die patriarchalischen Strukturen in den ara bischafrikanischen Ländern dazu führ ten, dass Frauen als Menschen zweiter Klasse behandelt würden. «Der Mann hat immer Recht. Frauen haben nicht die gleichen Rechte», versichert die Sy rerin. Brauche eine Frau etwa einen Zeugen für einen Unfall, müsse sie zwei Personen aufbieten – bei Männern reiche eine. «Eine Frau darf ohne Erlaubnis ihres Mannes nicht aus dem Haus, Frau en müssen sich immer entschuldigen», so Malki. Frauen seien nicht gleichbe rechtigt, wenn es ums Erbe gehe. Die Ehre der Frauen sei auf ihre Jungfräu lichkeit beschränkt. «Für 90 Prozent der Männer ist eine Frau generell nur das, was sie zwischen den Beinen hat.» Harte Worte, die nichts beschönigen. Wobei die Syrerin klarmacht, dass auch islamische Weltanschauungen für ein solches Frauenbild «eine grosse Rolle» spielen. Männer dürften ja laut Islam offiziell vier Frauen haben – «und es gibt viele, die sich kurz mal für eine Ehe auf Zeit auf einer Auslandsreise etwa mit einer anderen Frau zum puren Genuss vermählen, um sich dann hinterher gleich wieder scheiden zu lassen». Andererseits würden viele Muslime Frauen respektie ren. «In vielen islamischen Ländern ha ben eben Politiker den Islam verändert.» Regierungsrat besorgt über die Entwicklung ZUG Ältere Personen haben es auf dem Arbeitsmarkt eh schwer. Einmal arbeitslos, bleiben sie das meistens für längere Zeit. haz. Die aktuellen Zahlen zeigen es klar: Arbeitnehmer im Alter zwischen 50 und 65 machen rund einen Drittel aller Stellensuchenden im Kanton Zug aus. Das geht aus Zahlen hervor, die der Regierungsrat in der Beantwortung einer Interpellation der SPKantonsratsfrak tion offenlegt. Danach suchten im Ok tober des letzten Jahres 2551 Personen im Kanton Zug eine Stelle. Davon waren 811 (31,8 Prozent) zwischen 50 und 65 Jahre alt. Noch vor zehn Jahren, im Oktober 2005 betrug der Anteil der Stellensuchenden in dieser Altersgruppe knapp 25 Prozent. Diese Entwicklung bereitet der Regie rung Sorge. «Die Situation älterer arbeits loser Personen und die Auswirkungen von deren Arbeitslosigkeit, insbesonde re der Langzeitarbeitslosigkeit (über ein Jahr), muss aufmerksam verfolgt wer den», heisst es in der regierungsrätlichen Interpellationsantwort. «Die Langzeit arbeitslosigkeit ist ein soziales Risiko, welches durch das Sozialversicherungs system nur bis zur Aussteuerung aus der Arbeitslosenversicherung abgedeckt ist.» Das Risiko, arbeitslos zu werden, sei zwar für ältere Personen im Vergleich zu an deren Arbeitsgruppen «leicht unter durchschnittlich». Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit einer Langzeit arbeitslosigkeit mit zunehmendem Alter deutlich höher. Hohes Interesse an Vermeidung Die Gesellschaft habe ein hohes In teresse daran, Langzeitarbeitslosigkeit zu verhindern, nicht zuletzt auch wegen der dadurch entstehenden Kosten. Al lerdings seien auch allfällige Diskrimi nierungstendenzen gegenüber älteren Arbeitnehmenden zu verhindern, schreibt die Regierung. In den kommen den Jahren kommen die geburtenstarken Jahrgänge ins Pensionsalter, was zu sammen mit allfälligen Regeln nach der Annahme der Masseneinwanderungs initiative zu einem Mangel an Arbeits kräften führen dürfte. Deswegen wurde im Kanton Zug auch die Kampagne «Alter hat Potenzial» gestartet (Ausgabe vom 19. Januar). Mit der Kampagne soll das regierungsrätliche Legislaturziel, das Potenzial der älteren Bevölkerung besser zu nutzen, umgesetzt werden. Die Arbeitgeber sollen sensibilisiert werden, dass die Erfahrung älterer Menschen vermehrt genutzt werden sollte – unter anderem mit dem positiven Effekt, da durch dem drohenden Fachkräfteman gel zu begegnen.
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