1 Predigt zum Universitätsgottesdienst am 7. Juni 2015 Stadt- und Universitätskirche St. Michael, Jena; Prediger: Dr. Helmut Hühn Eingangsmusik (Johann Sebastian Bach) Eingangslied Nr. 450: Morgenglanz der Ewigkeit, Strophen 1-3 1) Morgenglanz der Ewigkeit, / Licht vom unerschöpften Lichte, schick uns diese Morgenzeit / deine Strahlen zu Gesichte und vertreib durch deine Macht / unsre Nacht. 2) Deiner Güte Morgentau / fall auf unser matt Gewissen; lass die dürre Lebensau / lauter süssen Trost genießen und erquick uns, deine Schar, / immerdar. 3) Gib, dass deiner Liebe Glut / unsre kalten Werke töte, und erweck uns Herz und Mut / bei entstandner Morgenröte, dass wir eh wir gar vergehn, / recht aufstehn. Liturg: Im Namen des Vaters und des Heiligen Geistes. Gemeinde: Amen Liturg: Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn, Gemeinde: der Himmel und Erde gemacht hat Liturg: Der Friede des Herrn sei mit euch Gemeinde: und mit deinem Geist. 2 Psalm 103 1 Ein Psalm Davids. Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen! 2 Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, was er dir Gutes getan hat, 3 der dir alle deine Sünden vergibt und heilet alle deine Gebrechen, 4 der dein Leben vom Verderben erlöset, der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit, 5 der deinen Mund fröhlich machet, und du wieder jung wirst wie ein Adler. 6 Der Herr schaffet Gerechtigkeit und Gericht allen, die Unrecht leiden. 7 Er hat seine Wege Mose wissen lassen, die Kinder Israel sein Tun. 8 Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte. 9 Er wird nicht immer hadern, noch ewiglich Zorn halten. 10 Er handelt nicht mit uns nach unsern Sünden und vergilt uns nicht nach unserer Missetat. 11 Denn so hoch der Himmel über der Erde ist, läßt er seine Gnade walten über die, so ihn fürchten. 12 So ferne der Morgen ist vom Abend, lässet er unsere Übertretung von uns sein. 13 Wie sich ein Vater über Kinder erbarmet, so erbarmet sich der Herr über die, so ihn fürchten. 14 Denn er kennet, was für ein Gemächte wir sind; er gedenket daran, daß wir Staub sind. 15 Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras; er blühet wie eine Blume auf dem Felde. 16 Wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da, und ihre Stätte kennet sie 3 nicht mehr. 17 Die Gnade aber des Herrn währet von Ewigkeit zu Ewigkeit über die, so ihn fürchten, und seine Gerechtigkeit auf Kindeskind 18 bei denen, die seinen Bund halten und gedenken an seine Gebote, daß sie danach tun. 19 Der Herr hat seinen Stuhl im Himmel bereitet, und sein Reich herrschet über alles. 20 Lobet den Herrn, ihr seine Engel, ihr starken Helden, die ihr seinen Befehl ausrichtet, daß man höre die Stimme seines Worts. 21 Lobet den Herrn, alle seine Heerscharen, seine Diener, die ihr seinen Willen tut! 22 Lobet den Herrn, alle seine Werke, an allen Orten seiner Herrschaft! Lobe den Herrn, meine Seele! Lasst uns anbeten: Gemeinde (mit Orgel): Ehre sei dem Vater EG 177,2 Eingangsgebet: Treuer, unbegreiflicher Gott, die Himmel können Dich nicht fassen – und doch kommst Du uns Menschen nahe ‒ kommst Du in unsere Endlichkeit. Du willst uns begegnen und stärken. Gib uns Deinen Heiligen Geist, der uns Deine Gegenwart spüren lässt mitten in unserem Leben. In Dir und von Dir her und zu Dir hin leben wir. 4 Erhalte in uns die Sehnsucht nach Dir. Darum bitten wir durch unseren Herrn Jesus Christus, Deinen Sohn, der mit Dir und dem Heiligen Geist lebt und regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen. Schriftlesung: Röm. 14, 7-9 (Lektor vom Pult): Denn unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir dem HERRN; sterben wir, so sterben wir dem HERRN. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des HERRN. Denn dazu ist Christus auch gestorben und auferstanden und wieder lebendig geworden, daß er über Tote und Lebendige HERR sei. Glaubensbekenntnis: Lied Nr 184: Wir glauben Gott im höchsten Thron 1. Wir glauben Gott im höchsten Thron, wir glauben Christum, Gottes Sohn, aus Gott geboren vor der Zeit, allmächtig, allgebenedeit. 2. 2. Wir glauben Gott, den Heilgen Geist, den Tröster, der uns unterweist, der fährt, wohin er will und mag, und stark macht, was daniederlag. 3. 3. Den Vater, dessen Wink und Ruf das Licht aus Finsternissen schuf, den Sohn, der annimmt unsre Not, litt unser Kreuz, starb unsern Tod. 4. 4. Der niederfuhr und auferstand, erhöht zu Gottes rechter Hand, und kommt am Tag, vorherbestimmt, da alle Welt ihr Urteil nimmt. 5. 5. Den Geist, der heilig insgemein lässt Christen Christi Kirche sein, bis wir, von Sünd und Fehl befreit, ihn selber schaun in Ewigkeit. Amen. 5 Predigt Gnade sei mit euch und Friede, von dem, der da ist, der da war und der da kommt! „Das Menschlein, wie des Grases sind seine Tage, wie die Blume des Felds, so blühts: wenn der Wind drüber fährt, ist sie weg, und ihr Ort kennt sie nicht mehr.“ (Ps. 103, v. 15-16, in der Übersetzung von Martin Buber) Mit diesen Worten hat der Psalmist unsere menschliche Beschaffenheit zur Sprache gebracht, unsere Hinfälligkeit und Verwundbarkeit. Mitten im dem großen Hymnus, der aus dem Dank des Menschen heraus das Lob Gottes entstehen lässt. Ja, wir Menschen, wir, die wir Staub sind (vgl. Gen. 3, 19), leben, so der Psalmist, von der fortdauernden Güte Gottes. So wie der heiße Wüstenwind eine gerade erblühte Blume in kurzer Zeit verdorren lassen kann (vgl. Jesaja 40, 6 f.), so ist auch unser menschliches Leben dem ausgesetzt, was es alsbald hinraffen kann. Gott weiß, so der Dichter des Psalms 103, „was für ein ‚Gemächte‘ (Luther) wir sind, er denkt daran, daß wir nur Staub sind“ (Ps. 103, v. 14). Er hat Erbarmen mit uns und zeigt seine ewige Güte angesichts der Grenzen des Menschenlebens: „Aber die Güte des Herrn währt immer und ewig“ (Ps. 103, v. 17). Der Psalmist jedenfalls sieht die menschliche Vergänglichkeit und Hinfälligkeit im Lichte solcher umfangender Güte Gottes. Und wir, liebe Gemeinde? Wenn wir heute auf die Wirklichkeit unserer selbst und auf die Endlichkeiten unserer Welt schauen, fällt es uns schwer, vom Unendlichen zu sprechen. Auch von dem Unendlichen, das die Frühromantiker um 1800 in unserer Stadt zu ihrem Thema gemacht haben. Bleiben wir also bei uns selbst, bei unseren 6 eigenen Erfahrungen. Nehmen wir den Ausgang vom Endlichen, gehen wir von unseren eigenen Grenzen aus. Das Leiden an der Endlichkeit unserer selbst hat viele Gestalten: Nur eine davon ist der Tod, den wir in uns tragen und den wir auch antizipieren: eine peinliche, d.h. schmerzhafte Grenze, die unserem Leben gesetzt ist. Eine Grenze, die wir – trotz vieler solcher Anstrengungen – gerade nicht verleugnen können. Dass auch die Lebenszeit der Menschen endlich ist, die wir lieben, schmerzt uns vielleicht noch mehr. Und nicht nur am Ende, sondern auch mitten in unserem Leben zeigen sich viele ‚Endlichkeiten‘: Dinge, die jäh enden oder langsam versiegen, wo uns die Kraft fehlt, ein Abgelebtes wieder zu beleben, ihm neue Energie zu schenken, oder Dinge, die stagnieren, die zu gar keinem Ende gebracht werden können, die bloß angefangen wurden. In welchem Licht schauen wir, liebe Gemeinde, auf diese Endlichkeiten und Lebensfragmente? Und erwarten wir noch etwas jenseits der Todesgrenze ‒ wie die Schwestern und Brüder im Glauben, die vor uns gelebt haben? „Ein Tag, der sagt’s dem andern, / mein Leben sei ein Wandern / zur großen Ewigkeit. O Ewigkeit, du schöne, mein Herz an Dich gewöhne.“ So hat es Gerhard Tersteegen 1729 in einem Lied gedichtet, in dem er Bezug nimmt auf den Prediger Salomo. Dringen solche Verse einer alle Vergänglichkeiten umfangenden Ewigkeit noch in unsere moderne Mentalität? Oder kennen wir nur noch das Denken und Mühen im Horizont der Fristen unseres eigenen Lebens? Schaut man dem herrschenden modernen Bewusstsein zu, dass sich geschichtlich herausgebildet hat, dann kann man den Eindruck gewinnen, dass viele unserer Zeitgenossen sich radikal endlich verstehen wollen und sich gerade deswegen zugleich immer mehr auf ihr eigenes Leben fixieren: Lebenszeit, das ist dann allein eine gegebene individuelle Frist. Nichts ist so knapp wie die Lebenszeit: Ja, sie ist die wichtigste Ressource. Nichts ist so wertvoll wie die befristete Zeit: Deswegen wird sie ‚gespart‘ und deshalb muss sie fortwährend 7 beschleunigt werden, um sie besser ausnutzen zu können. Ist diese zunehmende Beschleunigung der Zeit unseres Lebens, ist diese permanente Ruhelosigkeit ein guter Ewigkeitsersatz? So möchte man fragen. Seien wir ehrlich: Regt sich nicht oft in uns die Empfindung, dass wir keine Zeit haben? Durchflutet dieses Lebensgefühl nicht alle anderen unserer menschlichen Bezüge? Keine Zeit zu haben ‚für etwas‘‚ für andere Menschen und für sich selbst, ist das nicht das notwendige Resultat einer Lebenshaltung, die gebannt ist von Endlichkeiten, die sie nicht mehr überschreiten kann und will? Ist diese moderne Lebenshaltung nicht gefährdet, sich in der Folge immer mehr in sich selbst zu verkrümmen und in sich einzuschließen? Der Psalmist hat da offensichtlich noch ein ganz anderes Zeitverständnis und einen ganz anderen Gesichtskreis. Er rückt die schwindende Zeit unseres Lebens in den Horizont unseres Verhältnisses zu Gott und zu den anderen Menschen. Die schwindende Zeit wird durch die Schuld vor Gott so kurz: durch unsere Versäumnisse in der Zeit, die unser Leben und Dasein versehren. Der Dichter des Psalms weiß, dass Gott unser versehrtes Leben wieder erneuern kann: „Der dir alle dein Schuld vergibt und all deine Gebrechen heilt, / der dein Leben vom Verderben erlöst, / der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit, / der dein Leben mit Gutem erfüllt, / dass Du wieder jung wirst wie ein Adler“ (Ps. 103, v. 3-5): Vergeben – heilen – erlösen – krönen – mit Gutem erfüllen – verjüngen: Gottes Tun umfasst das ganze Menschsein, das er immer wieder aus seinem Lebensgrund heraus erneuert. Im Blick nicht allein auf die Vergänglichkeit, sondern gerade auch auf unsere Versäumnisse und Fehlbarkeiten in der Zeit sprechen die Psalmen auch andernorts die Hoffnung aus, „dass wir klug werden“ (Ps. 90, 12). Werden wir das? Liebe Gemeinde, werden wir klug? Schrumpft nicht unser modernes Zeitbewusstsein immer mehr auf die individuelle Lebensfrist zusammen und bewirkt solche Schrumpfung nicht eine 8 ungeheure Erfahrungsarmut? So haben wir gefragt. „Nach mir die Sintflut“, das ist die logische Konsequenz einer Lebenshaltung, die der lebendigen Verbundenheit mit den anderen Menschen, mit den Lebenden wie den Toten, verlustig gegangen ist, die sich nur noch im Rahmen der eigenen Lebensfrist zu verorten weiß. Die Beobachtung einer zunehmenden Verendlichung des Lebens ist auch der Anlass und der Motor der romantischen Kritik vor mehr als 200 Jahren gewesen: Leben wir im Alltag nicht oft so, als ob es Gott nicht gäbe, als ob es seiner nicht bedürfte? So haben die Romantiker gefragt. Die gewöhnliche, alltägliche Erfahrung hält sich gerne an das Endliche, so als ob es in seinem Sein ganz selbständig wäre, nimmt also seine Verwurzelung im Unendlichen nicht mehr war. Die Natur der endlichen Dinge bleibt dieser Erfahrung verborgen und auch das Kontinuum des Ganzen, in das diese Dinge gehören. Das alltägliche Bewusstsein fragt nach dem Woher und dem Wozu der Dinge, nach Ursachen und Zweckdienlichkeiten, aber nicht nach dem ‚Was‘ und dem ‚Wie‘. Die Diagnose, die Romantiker vor mehr als 200 Jahren gegeben haben, scheint die einer schleichenden Verdrängung Gottes aus der Welt zu sein. Die Romantiker in unserer Stadt befürchteten in eins damit den Verlust des Verstehens der religiösen Erfahrung und Sprache. Deswegen artikulieren sie ihre Kritik als Bewusstsein von dem, was fehlt und verloren zu gehen droht. Novalis, dessen Fest wir heute in Jena feiern, kritisiert die „Philister“, die Spießbürger. Philister, das sind, mit Novalis gesprochen, Menschen, die nur noch alltägliche Zwecke kennen, die die Poesie alle sieben Tage zur Erholung zwischendurch einschieben (wie ein „Septanfieber“), und die ihre „sogenannte Religion“ nur noch als „Opiat“ kennen und als „Opiat“ benutzen: „reizend, betäubend, Schmerzen aus Schwäche stillend. […] Der derbe Philister stellt sich die Freuden des Himmels unter dem Bilde einer Kirmeß, einer Hochzeit, einer Reise oder eines Balls vor: der sublimierte macht aus dem 9 Himmel eine prächtige Kirche mit schöner Musik, vielem Gepränge, mit Stühlen für das gemeine Volk parterre, und Kapellen und Emporkirchen für die Vornehmern.“ So Novalis im Bewusstsein, dass das Unendliche zusehends verendlicht, die Religion instrumentalisiert wird. Ja, wir selbst sind möglicherweise auch „Philister“: Wir passen uns an an die Mentalitäten unserer Zeit. Wir denken, wir entscheiden, wir handeln, ohne dass Gott dafür eine wesentliche Rolle spielen würde. Wir tun dies als Individuen und wir tun dies oft auch in unseren Institutionen. In den Kontext solcher Zeitdiagnose und -kritik gehört auch ein ‚Therapieangebot‘, das Friedrich Schleiermacher in seinen „Reden über Religion“ (1799) unterbreitet hat. Religion, so Schleiermacher sei „Sinn und Geschmack für das Unendliche“. Dieses Unendliche wird im Gefühl, im unmittelbaren Selbstbewusstsein erfasst, und in der Anschauung: der Anschauung des Unendlichen im Endlichen. Die Religion erfasst das Unendliche nach Schleiermacher, und das ist für uns wichtig, gerade im Endlichen: „sie will im Menschen nicht weniger als in allen anderen Einzelnen und Endlichen das Unendliche sehen, dessen Abdruck, dessen Darstellung“ (51). Die Romantiker in Jena und auch in Berlin fordern dazu auf, den Zusammenhang von Endlichem und Unendlichem wieder neu zu entdecken, zu begreifen und zu vermitteln. Die geforderte ‚Romantisierung der Welt‘, die dem Endlichen einen „unendlichen Schein“ gibt, ist gerade nicht als postmoderne Ästhetisierung und Mythisierung der Welt zu verstehen, sondern als Versuch einer Vermittlung: Die zunehmende Macht des Endlichen im Denken und Fühlen der Menschen soll aufgehoben werden, indem das Endliche wieder zurückgebunden wird an das Unendliche, dem es sich verdankt. Romantisierung der Welt, das heißt auch für Novalis: Erfahrbarmachen des Unendlichen mitten im Endlichen. 10 Auch der Psalmist ist davon überzeugt, dass wir den Odem Gottes gerade da erfahren können, wo unsere menschlichen Grenzen beginnen, dass dieser Odem Gottes unser Leben immer wieder erneuern kann. Die menschlichen Grenzen beginnen nicht erst am Rande unseres Lebens, an der Todesgrenze, sondern in der Mitte unseres Daseins (vgl. Dietrich Bonhoeffer: Schöpfung und Fall, Werke Bd. 3, S. 80), mitten in den vielen Endlichkeiten, die unsere ganz eigene menschliche Wirklichkeit ausmachen. Die christliche Lebenshaltung, wenn ich das so sagen darf, lässt sich nicht von solchen Endlichkeiten bannen: Wir glauben, dass jenseits des Endenden und Faktischen und heute absehbar Möglichen noch Neues auf uns wartet. Christen verstehen ihr Leben auch von der Zukunft Gottes her, auf die sich die Hoffnung des Glaubens richtet: eine Hoffnung, die den Tod transzendiert. Wir überschreiten die Perspektive befristeter individueller Lebenszeit auf die Zukunft Gottes hin und wissen unser endliches Leben getragen von der Zukunft Gottes, von seiner Unendlichkeit. Eine Kreatur Gottes sein, heißt in Grenzen existieren. Die (richtig verstandene) Endlichkeit ist unsere Auszeichnung, nicht ein zu behebender Mangel. Unsere Zeit, die Zeit, die wir miteinander leben, ist ein Geschenk Gottes. Jeden Tag leben wir von der Zeit, die uns nicht gehört (vgl. Ps. 31,16). Das ist in der Tat ein kostbares Geschenk, mit dem wir sorgsam umgehen müssen. Vielleicht können wir auch unseren ‚Austritt aus der Zeit‘ als Geschenk Gottes begreifen lernen im Vertrauen darauf, dass unser Leben nicht mit unserem Tod endet. Dieses Vertrauen verbindet den Psalmisten mit dem Apostel Paulus, dessen großes Wort wir in der Schriftlesung gehört haben, eines der schönsten Worte, die es in den paulinischen Briefen gibt: „Keiner von uns nämlich lebt für sich selbst, und keiner stirbt für sich selbst. Denn wenn wir leben, so leben wir dem Herrn; und wenn wir sterben, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn.“ (Röm. 14, 7-9) 11 Das ist eine unerhörte Gewissheit, die Paulus artikuliert: eine Zuversicht und ein Vertrauen auf Gott. Und zugleich auch eine Verantwortung und eine Aufgabe für unser Heute und für unser endliches Leben: „Dem Herren leben“: das heißt nämlich auch: die anderen Menschen sehen zu lernen, die, die meine Zeit brauchen. ‚Mein Leben‘ führen heißt: Meine Zeit, die, die mir geschenkt wird, mit anderen zu teilen und auch für sie da zu sein, wenn es Zeit dafür ist. „Dem Herren leben“ und „dem Herrn sterben“, diese Relation schafft Verbindungen, sie schafft Gemeinschaft über das Eigene hinweg. Weder im Leben noch auch im Sterben ist ein Christ allein auf sich selbst bezogen. Auch der Tod ist keine Privatangelegenheit, das Sterben kein Absturz in die „Beziehungslosigkeit des Todes“ (Eberhard Jüngel). Das will uns Paulus deutlich machen. Wir leben und wir sterben in der Güte Gottes. Diese Lebensund Sterbenshaltung, liebe Gemeinde, gilt es zu erlernen, jeden Tag auf’s Neue. Dann können wir auch das Unendliche im Endlichen erblicken. Und das kann uns manchmal unendlich froh machen mitten in unserem endlichen Leben. Amen. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen. Predigtlied Nr. 64: Der Du die Zeit in Händen hältst 1. Der du die Zeit in Händen hast, Herr, nimm auch dieses Jahres Last und wandle sie in Segen. Nun von dir selbst in Jesus Christ 12 die Mitte fest gewiesen ist, führ uns dem Ziel entgegen. 2. Da alles, was der Mensch beginnt, vor seinen Augen noch zerrinnt, sei du selbst der Vollender. Die Jahre, die du uns geschenkt, wenn deine Güte uns nicht lenkt, veralten wie Gewänder. 3. Wer ist hier, der vor dir besteht? Der Mensch, sein Tag, sein Werk vergeht: Nur du allein wirst bleiben. Nur Gottes Jahr währt für und für, drum kehre jeden Tag zu dir, weil wir im Winde treiben. 4. Der Mensch ahnt nichts von seiner Frist. Du aber bleibest, der du bist, in Jahren ohne Ende. Wir fahren hin durch deinen Zorn, und doch strömt deiner Gnade Born in unsre leeren Hände. 5. Und diese Gaben, Herr, allein lass Wert und Maß der Tage sein, die wir in Schuld verbringen. Nach ihnen sei die Zeit gezählt; was wir versäumt, was wir verfehlt, darf nicht mehr vor dich dringen. 13 6. Der du allein der Ewge heißt und Anfang, Ziel und Mitte weißt im Fluge unsrer Zeiten: bleib du uns gnädig zugewandt und führe uns an deiner Hand, damit wir sicher schreiten. Text: Jochen Klepper 1937 Fürbittengebet Treuer Gott, die Himmel können Dich nicht fassen – Du bist ohne Anfang und Ende, Du bist von Ewigkeit zu Ewigkeit. Wir danken Dir dafür, dass Du uns in unserer Endlichkeit nahe kommst, dass Du unsere Endlichkeit trägst. Du hörst nicht auf, Schöpfer des Lichtes und des Lebens zu sein. Du bist in Jesus Christus endlich und verletzlich geworden wie wir. Im Heiligen Geist berührst Du unser Leben, jeden Tag aufs Neue. Wir rufen: Herr, erbarme Dich. Wir danken Dir, Gott, für unser endliches Leben: für das tägliche Brot, für die Menschen, mit denen wir unsere Lebenszeit teilen, mit denen wir verbunden sind. Segne und behüte uns. Wir rufen: 14 Wir beten für alle, die Licht und Stärkung brauchen. Die Hilfe benötigen und Unterstützung. Die sich nach Gesundung und Heilung sehnen, überlastet und überfordert sind, die auf der Flucht sind oder den Boden unter den Füßen verloren haben. Die nicht aus noch ein wissen. Wir bitten für uns, dass wir die Not unseres Nächsten sehen. Wir rufen: Wir bitten für diejenigen, die krank sind, für alle, die in der Familie, in Krankenhäusern und Heimen Menschen pflegen und begleiten. Schenke Deinen guten Geist, stärkende Worte und helfende Hände. Wir rufen: Wir bitten für diejenigen, die einen nahen Menschen verloren haben und für die, die die letzte Wegstrecke ihres Lebens vor sich haben. Unsere Zeit ist umfangen und getragen von Deiner Ewigkeit. Schenke uns allen die Zuversicht und die Hoffnung, dass wir im Leben und im Sterben die Denen sind, dass Du bei uns bist am Morgen und am Abend und uns zu Dir führst. . Wir rufen: In der Stille bringen wir vor Dich, was uns persönlich bewegt: an Schönem und an Schwerem. 15 Wir rufen: Dir, unendlicher Gott, sei Lob und Preis und Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit. Vaterunser Schlusslied (zur Vorbereitung des Segens) Nr. 503: Geh aus mein Herz, Strophen 13-15 13. Hilf nur und segne meinen geist mit segen / der vom himmel fleußt / Daß ich dir stetig blühe / Gib / daß der sommer deiner Gnad In meiner seelen früh und spat Viel glaubensfrücht erziehe. 14. Mach in mir deinem Geiste Raum / Daß ich dir werd ein guter baum, Und laß mich wol bekleiben / Verleihe / daß zu deinem ruhm Ich deines gartens schöne blum Und pflantze möge bleiben. 15. Erwehle mich zum Paradeis Und laß mich bis zur letzten reis An leib und seele grünen / So wil ich dir und deiner ehr Allein / und sonsten keinem mehr / Hier und dort ewig dienen. 16 Segen Liturg: Der Herr segne dich und behüte dich Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden. Gemeinde: Amen Musik zum Ausgang (Johann Sebastian Bach)
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