Tagungskonzept und Programm Prinzessin, unterwegs. Reisen

Tagungskonzept und Programm
Prinzessin, unterwegs.
Reisen hochadeliger Frauen in der Frühen Neuzeit (1450-1850)
Justus-Liebig-Universität Gießen, Gästehaus, 21./22.01.2016
Prof. Dr. Anette Baumann / Giessen, Dr. Eva Bender / Marburg, Dr. Annette Cremer / Giessen
Einleitung und Fragestellung
1711 formulierte der deutsche Rechtswissenschaftler Dietrich Hermann Kemmerich in seiner
„Neu eröffneten Academie der Wissenschaften“ die Frage, ob „nicht auch das Frauenzimmer“
reisen solle. Damit sprach er das wesentliche Thema an, das in der geplanten Tagung
diskutiert werden soll.
Für Kemmerich war noch eindeutig, dass Reisen „eigentlich nur vor die Manns-Personen“
vorgesehen war und gab zu bedenken: „vom gereisten Frauenzimmer hält man nicht viel“.1
Offensichtlich existierte in der Frühen Neuzeit eine Diskrepanz zwischen gesellschaftlich
beanspruchten Idealen und real praktizierter Lebenswirklichkeit, die Reisen von Frauen sehr
wohl kannte.2
Die frühneuzeitliche Gesellschaft war von der Mobilität der Menschen aller Stände auf
vielfältige Weise geprägt, sowohl in geographischer aber auch in sozialer Hinsicht.
Insbesondere im Adel waren Reisen und Mobilität stets präsente Phänomene, die jenseits von
den Erfordernissen der Lebenswirklichkeit einen integralen Teil der Ausbildungszeit des
männlichen Adels darstellten. Seit der Goldenen Bulle von 1356 bestand mit ihrem 31.
Kapitel eine erste reichsgesetzliche Ausbildungsvorschrift für die Kurfürsten, die auch den
bildenden Aspekt von Reisen nannte. Galt dies zunächst vornehmlich zur Erlernung fremder
Sprachen, erweiterte sich der Unterrichtskanon unter dem Einfluss des RenaissanceHumanismus Italiens und so berühmter Erziehungsschriften wie der Institutio Principis
Christiani des Erasmus von Rotterdam im 16. Jahrhundert um weitere Disziplinen. Das
höfische Erziehungsideal wurde in allen adligen Schichten rezipiert. In der Folge entwickelten
sich die national geprägten männlichen Idealtypen des Honnête Homme, des Gentleman und
des Kavaliers.3 Seit dem 16. Jahrhundert gehörte zum Abschluss der männlichen
Adelserziehung eine mehrjährige Reise durch Europa an Universitätsstandorte, befreundete
und verwandte Höfe sowie an die Zentren von Kunst, Kultur und Antike.4 Doch auch nach
1
Dietrich Hermann Kemmerich: Neu-eröffnete Academie der Wissenschaften, zu welchen vornehmlich StandesPersonen nützlich können aufgeführet, und zu einer vernünfftigen und wohl angeständigen Conduite geschickt
gemacht werden, 1.-2. Eröffnung, 2. Auflage, Bd. 1-3, Leipzig 1711-1714, S. 529. Dazu: Wolfgang Grieb /
Annegret Pelz: Frauen reisen. Ein bibliographisches Verzeichnis deutschsprachiger Frauenreisen 1700-1810 (=
Eutiner Kompendien, Bd. 1), Bremen 1995, S. 9.
2
Annegret Pelz: Reisen Frauen anders? Von Entdeckerinnen und reisenden Frauenzimmern. In: Hermann
Bausinger / Klaus Beyer / Gottfried Korff (Hg.): Reisekultur. Von der Pilgerfahrt zum modernen Tourismus,
München 1991, S. 174-178, S. 175.
3
Peter Burke: The Fortunes of the Courtier. The European Reception of Castiglione's Cortegiano. Pennsylvania
1996; Leopold Klepacki, Der Hofmann als ideale Lebensart, in: ders. und Jörg Zirfas, Geschichte der
ästhetischen Bildung, Bd. 2, Paderborn et al. 2011, S. 103-122.
4 Eva Bender: Die Prinzenreise. Bildungsaufenthalt und Kavalierstour im höfischen Kontext gegen Ende des 17.
Jahrhunderts (= Schriften zur Residenzkultur 6), Berlin 2011, S. 39-41; Mathis Leibetseder: Die Kavalierstour.
Adelige Erziehungsreisen im 17. und 18. Jahrhundert (= Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 56), Köln
1
dem Grand Tour blieb der frühneuzeitliche adelige Erwachsene mobil: als Militär und
Diplomat, aber auch als Konsument von Luxusgütern oder als Sammler.5
Über die Reisen unter bildenden Aspekten wurden theoretische Abhandlungen verfasst, die
bisweilen auch auf die Ausbildung von Prinzessinnen eingingen, die am heimischen Hof eine
umfassende Ausbildung genießen sollten: „sonderlich weils sichs zutragen kann, daß eine
Fürstliche und Gräfliche Weibes-Person, […] in Vormundschafft ihrer Kinder zu einer
Landes-Regierung gelangen kan.“6 In diesen Schriften war jedoch das Reisen als krönender
Abschluss der Ausbildung für adlige Damen nicht vorgesehen. Das Komplementärkonzept
von geschlechterspezifischem Reiseverhalten in den Handlungsmaximen war in der antiken
Mythologie verankert: Dem auf der Suche nach Neuigkeiten über seinen Vater Odysseus
durch die Welt reisenden Telemach als ruhmreichen Reisenden wurde die durch ihre
Abwesenheit von ihrer Heimatstadt berüchtigte Medea entgegengesetzt.7 Einen schriftlichen
Niederschlag, dass Reisen zur weiblichen Lebenswelt der Frühen Neuzeit gehörte, findet sich
erst unter dem Einfluss der Aufklärung gegen Ende des Ancien Régime, wenn etwa Franz
Ludwig Posselt in seiner „Apodemik oder die Kunst zu reisen“ von 1795 die Frage „ob und
wie Frauenzimmer reisen sollen?“ mit drei Grundsätzen zur Anleitung von weiblichen Reisen
beantwortete.8
Aus dem Fehlen einer konkreten, gesellschaftlich geforderten und schriftlich fixierten
Reisevorschrift oder eines dezidierten Reise-Zeremoniells für adelige Damen wurde von der
Forschung bisher zumeist gefolgert, dass frühneuzeitliche Prinzessinnen und Fürstinnen in der
Regel nicht reisten. Trotz einiger in den Geschichtswissenschaften sehr bekannten Quellen
aus dem 17. und 18. Jahrhundert, die das häufige Reisen hochadeliger Damen nachweisen,
wie zum Beispiel die Memoiren der Sophie von Hannover, die Briefe der Lieselotte von der
Pfalz oder etwa die „Briefe aus dem Orient“ der Lady Wortley Montague9 wird in der
allgemeinen Vorstellung nicht nur der breiten Bevölkerung sondern auch innerhalb der
scientific community immer noch das polare Geschlechterkonzept der als statisch und in ihrem
Raumhandeln begrenzt verstandene Frau dem beweglichen, raumgreifenden Mann
gegenübergestellt.
Aber „es hat natürlich immer reisende Frauen gegeben.“10 Adelige Frauen reisten ebenfalls
häufig und aus vielen verschiedenen Beweggründen.11Die Tagung will sich deshalb dem
2004; Antje Stannek: Telemachs Brüder. Die höfische Bildungsreise des 17. Jahrhunderts. ( = Geschichte und
Geschlechter Bd. 33), Frankfurt-New York 2001.
5
Vgl. Bausinger / Beyer / Korff (Hg.): Reisekultur (wie Anm. 2).
6
Veit Ludwig von Seckendorff: Teutscher Fürsten-Stat, Frankfurt am Main 1656, S. 113.
7
Stannek: Telemachs Brüder, S. 7 und S. 13.
8
Franz Ludwig Posselt: Apodemik oder die Kunst zu reisen, 2 Bd., Leipzig 1795, S. 733f. der relevante
Abschnitt ist zudem abgedruckt in: Grieb / Pelz: Frauen reisen (wie Anm. 1), S. 215-218; zitiert auch in:
Annegret Pelz: „Ob und wie Frauenzimmer reisen sollen?“ Das reisende Frauenzimmer als Entdeckung des 18.
Jahrhunderts (=Bibliotheksgesellschaft Oldenburg Nr. 9), Oldenburg 1993, S. 19.
9
Martina Trauschke (Hg.), Memoiren der Kurfürstin Sophie von Hannover. Ein höfisches Lebensbild aus dem
17. Jahrhundert, Göttingen 2014; Ludwig Wilhelm Holland (Hg.), Elisabeth Charlotte Herzogin von Orléans.
Briefe aus den Jahren 1676-1722, Hildesheim 1988 [Nachdruck von 1881]; Irma Bühler (Hg.), Lady Mary
Wortley Montagu, Briefe aus dem Orient, Frankfurt am Main 1982 [bearb. Ausg. von 1784].
10
Pelz, Reisen Frauen anders? (wie Anm. 2), S. 175.
11
Annette Cremer: Mon Plaisir. Die Puppenstadt der Auguste Dorothea von Schwarzburg, Wien/Köln/Weimar
2015, Kapitel „Eine Prinzessin unterwegs“, S. 282-302.
2
Thema Mobilität im weiblichen Hochadel mittels eines systematischen Zugriffs nähern und
damit die gängigen Vorstellungen über die Unbeweglichkeit der Prinzessinnen, Fürstinnen
und adligen Witwen relativieren. Galt es bisher als selbstverständlich, dass sich eine
Hochadelige im Prinzip nur ein Mal in ihrem Leben auf Reisen begab, nämlich, wenn sie zu
ihrer politisch motivierten Eheschließung als rites de passage in ein anderes Territorium
reiste, zeigt sich bereits beim Blick in die Lebensläufe von adligen Frauen, dass sie sich in
allen biografischen Phasen häufig von ihrem heimischen Hof entfernten.12 Ebenso wie ihre
männlichen Standesgenossen wurden sie von einer unterschiedlich großen Entourage
begleitet, die selbst dieser Mobilität unterworfen war.13 Zu den Standarderfahrungen adligweiblicher Mobilität unabhängig von Personenstand, politischer Position oder Alter gehörten
Verwandtschaftsbesuche, Tagesausflüge, Reisen in die Sommerfrische, Jagden,
Divertissement-Reisen zu den unterschiedlichen Anlässen wie etwa dem Karneval in Venedig
oder an deutschen Höfen (Hannover), aber auch Bäder-Reisen zur Förderung der Gesundheit,
Wallfahrten, Taufen, Hochzeiten, Krönungen oder Beisetzungen.
Die Ausgangsthese lautet also, dass adelige Frauen häufig reisten, ähnlich wie ihre
männlichen Standesgenossen. Dabei etablierten sich jedoch geschlechterspezifische
Erscheinungsformen. Diese sollen während der Tagung in der Diskussion und dem Austausch
mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern herausgearbeitet werden. Ein
erhofftes Ergebnis soll zudem der Zugang zu entsprechenden Quellen sein, da sich die
Informationen zum Reiseverhalten weiblicher Adliger offensichtlich in anderen Quellenarten
niedergeschlagen haben als die der männlichen Adligen.14
Forschungsstand
Reisen und Mobilität in der Frühen Neuzeit sind aufgrund der Tatsache, dass sie präsente
Phänomene der vormodernen Gesellschaft waren, ein wiederholt und gut erforschtes Gebiet,
insbesondere hinsichtlich ihrer Bedeutung innerhalb der Adelserziehung, aber auch unter
landeshistorischen Aspekten oder in der Betrachtung konkreter Länder als Reiseziel. Dabei ist
das Thema an der Schnittstelle interdisziplinärer Forschung angesiedelt, so dass sich sowohl
Historiker, Erziehungswissenschaftler, Germanisten und Kunsthistoriker mit den jeweiligen
12
Mobile Lebensläufe von Adligen werden auch in ihren Leichenpredigten erschlossen. So reiste die
Engländerin Elisabeth Robinson zunächst ihre Tante begleitend von England nach Den Haag. Hier wurde sie
Kammerfrau der Pfalzprinzessin Henriette, die den Fürsten Ragozky von Siebenbürgen heiratete, so dass
Elisabeth Robinson in der Entourage der Fürstin nach Ungarn gelangte. Von hier führte der Weg der Engländerin
in das Hessische, wo sie am Hof der Kasseler Landgräfin Hedwig Sophie in den dortigen Adel einheiratete und
schließlich Hofmeisterin wurde. Dazu die Leichenpredigt: David Pforr: Seelen-Friede deren im Herrn
Sterbenden, Leichenpredigt für Elisabeth von Meysebug, geb. Robinson, Schmalkalden 1681, S. 48ff; Vgl.: Eva
Bender: Elisabeth von Meysebug, geb. Robinson (1629-1681). Spiegel einer recht-Tugend-edlen Matronen –
Das Leben einer (un)gewöhnlichen Adligen?, in: Leben in Leichenpredigten 11/2013, hg. von der
Forschungsstelle für Personalschriften, Marburg, Online-Ausgabe:
http://www.personalschriften.de/leichenpredigten/artikelserien/artikelansicht/details/elisabeth-von-meysebuggeb-robinson-1629-1681.html
13
Dazu: Eva Bender: „...daß Er mit Sr. Ld. hiernegst zu reisen, um sich beßer zu qualifizieren...“. Hofpersonal
als Begleitung bei Prinzenreisen gegen Ende des 17. Jahrhunderts. In: Elena Taddei / Robert Rebitsch / Michael
Müller (Hg.): Mobilität, Migration und Reisen (Innsbrucker Historische Studien Bd. 29), Innsbruck 2012, S.
187-199.
14
Da die männlichen Adligen oft zum Abschluss ihrer Erziehung reisten, finden sich die Informationen zu ihren
Prinzenreisen und Kavalierstouren in der Regel in den entsprechenden Akten zur Erziehung. In den
Adelsarchiven finden sich jedoch selten ausführliche Quellen zur Erziehung der Töchter.
3
Aspekten beschäftigen. Ausgehend von der Publikationsbreite von Reiseberichten und
Länderbeschreibungen hat sich vor allem die germanistische Forschung hier verdient
gemacht, besonders in Bezug auf die Beiträge weiblicher Autorinnen von Reiseberichten und
Handbüchern aus dem 18. Jahrhundert. Annegret Pelz hat in Zusammenarbeit mit Wolfgang
Grieb in den letzten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts grundlegende Forschung
publiziert, die zwar „das reisende Frauenzimmer als Entdeckung des 18. Jahrhunderts“
präsentiert, aber die Ursachenforschung vernachlässigt. In der Wahrnehmung der Forschung
entwickelte sich erst im 18. Jahrhundert das Phänomen der „reisenden Schriftstellerinnen“,
die eine ansehnliche Zahl von Reiseliteratur produzierten. Diese sind jedoch ebenso wie die
Produktion von Apodemiken und Reisehandbüchern in gehäufter Menge seit dem
beginnenden 17. Jahrhundert eine Folge der zahlreichen Reisen, auch von Frauen.15 Sie
belegen die im Call for Papers formulierte Ausgangsthese, dass Frauen ebenso häufig reisten
wie Männer. Hingegen hält sich immer noch die Auffassung, dass reisende Frauen der Frühen
Neuzeit herausragende Ausnahmeerscheinungen waren, die ein konkretes Ziel verfolgten und
sich daher auf Reisen begaben. Ein Beispiel hierfür ist etwa die Frankfurter Patriziertochter
Maria Sibylla Merian, die 1699 in Begleitung ihrer Tochter für zwei Jahre nach Surinam
reiste, um die tropische Flora und Fauna zu malen und zu studieren.16 Ein anderes Beispiel für
eine „klassische“ Reise der Brautfahrt, ist die Reise der Darmstädter Landgräfin Karoline, die
1773 mit ihren Töchtern Amalie, Wilhelmine und Luise nach Russland fuhr, um für eine der
drei Prinzessinnen eine Eheverbindung mit dem russischen Großfürsten Paul zu erreichen.17
Eine weitere Reisemöglichkeit war, ebenfalls im Laufe des 18. Jahrhunderts, eine
Bildungsreise, wie sie von Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach in den Jahren 178890 nach Italien unternommen wurde.18 Diese Beispiele für reisende Damen in der Frühen
Neuzeit sind gut erforscht, gelten zumeist aber als Sonderfälle, da es bisher wenige
Vergleichsbeispiele gibt.
Daran hat auch der herausragende und die neuesten Ergebnisse der wissenschaftlichen
Diskussion zur historischen Reiseforschung mit dem Titel „Grand Tour“ von Rainer Babel
und Werner Paravicini nichts geändert, der die Vorträge der beiden Tagungen in der Villa
Vigoni am Comer See im Jahr 1999 und im Deutschen Historischen Institut in Paris 2000
zugänglich macht. In sieben Sektionen wurden unterschiedliche Aspekte des adeligen Reisens
vom 14. bis zum 18. Jahrhundert von fast dreißig Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern
diskutiert. Die Fülle der Beiträge, die sich von der adeligen Mobilität vor dem Grand Tour
über die Chronologie und Geographie der Herkunfts- und Zielländer sowie der Wirkung in
Form eines Netzes von neuen Bekanntschaften bis hin zu den Grenzen dieser Reiseform –
sowohl in inhaltlicher als auch nationaler und konfessioneller Hinsicht – erstreckt, zeigt die
Justin Stagl / Klaus Orda / Christel Kämpfer: Apodemiken – eine räsonierte Bibliographie der
reisetheoretischen Literatur des 16., 17. und 18. Jahrhunderts, (= Quellen und Abhandlungen zur Geschichte der
Staatsbeschreibung und Statistik Bd. 2), Paderborn et al. 1983, S. 119.
16
Aus den zahlreichen Titeln zu Maria Sibylla Merian: Boris Friedewald: Maria Sibylla Merians Reise zu den
Schmetterlingen, München-London-New York 2015, mit weiterführender Literatur.
17
Ulrike Leuschner: Die Russlandreise der „Großen Landgräfin“ Karoline von Hessen-Darmstadt im Jahre 1773.
In: Schlossmuseum Darmstadt (Hg.): Unterwegs… des Fürsten Reiselust – Begleitband zum Ausstellungsprojekt
„Unterwegs…“, Darmstadt 2012, S. 27-54.
18
Joachim Berger: Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach (1739-1807): Denk- und Handlungsräume einer
„aufgeklärten“ Herzogin (= Ereignis Weimar-Jena 4), Heidelberg 2003, v. a. S. 550-586.
15
4
Vielschichtigkeit der Forschung. Trotz vieler wichtiger Ergebnisse blieben noch zahlreiche
Fragen offen, so etwa: „Weshalb tun sie es damals und auf diese Weise? Weil Fürsten, Adel,
Patriziat im Reich zu jener Zeit besonders auf ihre Unabhängigkeit bedacht waren? Dies sind
immer noch ungeklärte Vorgänge.“19
Diese angedeutete Vermutung dient auch als relevante Hypothese für die geplante Tagung,
indem sie aber konsequent auf weibliche Akteure und weibliche Reiseformen übertragen
wird. Wir fragen also: Weshalb reisen die Prinzessinnen und Fürstinnen und auf welche
Weise?
Diese Frage ist nach wie vor hoch aktuell, da in der Nachfolge zwar weitere Forschungen zu
Reisen publiziert wurden, reisende Damen aber weiterhin außerhalb des Fokus blieben. Auch
der erst vor drei Jahren erschienene Sammelband von Elena Taddei, Michael Müller und
Robert Rebitsch „Migration und Reisen – Mobilität in der Neuzeit“ hat daran nichts geändert.
Er präsentiert in drei Sektionen 25 Beiträge, von denen sich lediglich drei konkret mit
reisenden Frauen beschäftigen. Von diesen bedienen jedoch zwei den Stereotyp von
Frauenreisen als Phänomen der Zeit nach 1800. Lediglich Elenea Taddei fragt nach den
Folgen der Heiratsmigration von Fürstinnen im 16. Jahrhundert.20
Mit übergeordneten kulturwissenschaftlichen Fragen nach der Relation von Raum,
Geschlecht, Handeln bzw. Handlungsmacht und Identität, mit space und agency, hat sich
bislang vor allem die anglo-amerikanische Gender-Forschung auseinander gesetzt.21
Ziele
Die systematische Aufarbeitung von Reisen von Frauen in der Frühen Neuzeit stellt aus
unserer Sicht ein zwingendes Forschungsdesiderat dar. Auf dieses wird konkret mit der
geplanten Tagung hingewiesen und die zahlreiche Resonanz auf den Call for Papers zeigt,
dass dies auch ein Bedürfnis in der wissenschaftlichen Gemeinschaft ist. Der bewusst offen
formulierte Aufruf hat gezeigt, dass es vier Schwerpunkte gibt, die es zulassen, die einzelnen
Beiträge thematisch zu bündeln. So wird es vier Sektionen geben, die folgende Akzente
setzen: Nach einer einleitenden allgemeinen Sektion zu Reisen als höfisch-weiblichen
Kulturphänomen, in der bekannte Reisearten und Bewegungsmuster einzelner Dynastien
aufgegriffen werden, wird es eine zweite Sektion geben, der sich mit konfessionellen
Beweggründen für Reisen beschäftigt. Hier sind so unterschiedliche Themen eingereicht
worden, wie die Mobilität „geistlicher Töchter“ von Reichsfürsten oder die Frage nach
religiös motivierten Exilreisen. Der zweite Tag der Tagung wird sich mit zeremoniellen
Aspekten beschäftigen. So wird etwas das höfische Protokoll für reisende Damen der
napoleonischen Zeit oder die Antrittsreise einer österreichischen Statthalterin nach Brüssel im
19
Werner Paravicini: Der Grand Tour in der europäischen Geschichte: Zusammenfassung. In: Rainer Babel
/Werner Paravicini (Hgg.): Grand Tour. Adeliges Reisen und europäische Kultur vom 14. bis zum 18.
Jahrhundert (= Beihefte der Francia Bd. 60), Ostfildern 2005, S. 657-674, S. 673.
20
Elena Taddei / Robert Rebitsch / Michael Müller (Hgg.): Mobilität, Migration und Reisen (Innsbrucker
Historische Studien Bd. 29), Innsbruck 2012; darin: Elenea Taddei: „Fremde Fürstinnen in Ferrara“Heiratsmigration zwischen Integration und Fremdsein im 16. Jahrhundert, S. 43-54; Karin S. Wozonig: Die
andere Bildungsreise: Mobilität und Politik im Leben der Autorin Betty Paoli (1814-1894), S. 201-212; Martina
Sochin: Emigration auf Staatsbeschluss. Mobile Frauen in der Geschichte Liechtensteins, S. 351-361.
21
Shirley Ardener (Hg.), Women and Space. Ground Rules and Social Maps. Oxford 1993; Helen Hills (Hg.):
Architecture and the politics of gender in early modern Europe, Aldershot 2003; Doreen Massey: Space, Place
and Gender, Oxford/Cambridge 1994.
5
Jahr 1725 beispielhaft vorgestellt. Eine abschließende Sektion spannt den Bogen von der
traditionell geläufigen Brautfahrt zu reisenden Fürstinnen im 19. Jahrhundert, die durch ihre
Reisen vom Hof fern gehalten werden sollten und die dadurch einen Blick auf die Interessen
der „Daheimgebliebenen“ eröffnet. Die Vorträge decken ein breites Spektrum möglicher
Reisemotive ab; Fragen des Kulturtransfers oder einer vergleichenden Perspektive auf
bestimmte Reiseziele und vor allem die Frage nach den unterschiedlichen Funktionen bieten
vielversprechendes Diskussions- und Erkenntnispotenzial. Besonders die Frage nach der
agency, der Handlungsfreiheit oder auch Handlungsmacht, die sich im Reisen ausdrücken
kann und die durch das Reisen hergestellt oder aber auch verhindert werden konnte, wird
einen Schwerpunkt der Betrachtung darstellen. Welche Wirkungen hatten Reisen auf das
Selbstbild und die Fremdwahrnehmung der Prinzessinnen, Fürstinnen, Witwen? Lassen sich
klare, generalisierbare Bewegungsmuster erkennen, die biografischen Lebensphasen,
dynastischen Traditionen oder aber zeitgenössisch wechselnden Moden unterworfen waren?
Oder muss das Reisen als ein völlig individualisiertes Phänomen gelten? Haben adligweibliche Reisen tatsächlich ein dezidiertes geschlechtsgebundenes Profil oder lassen sich
Charakteristika herausarbeiten, die zu verallgemeinern wären?
Ziel der Tagung ist es einerseits, der sich haltenden Vorstellung von geschlechtsgebundenen
polaren Bewegungsmustern im Adel der Frühen Neuzeit entgegenzuwirken, jenseits der
Sonderfälle ein breites Tableau bislang unbekannter Reisen adeliger Damen aufzuzeigen,
diese zu systematisieren und in all ihren Facetten zu beleuchten. Dadurch soll nicht nur eine
existierende Forschungslücke geschlossen werden, sondern ein neues Forschungsfeld als
eigener Zweig der Reiseforschung und der Hofforschung eröffnet werden.
Die Publikation der Tagungsergebnisse ist geplant.
6
Programm
Donnerstag, 21.01.2016
12.00
Get together
12.30
Einleitung
Sektion I: Reisen als höfisch-weibliche Kultur
13.00
Mario Müller / Hildesheim
„Hohenzollerinnen auf Reisen (ca. 1450-1550)“
13.45
Holger Kürbis / Gotha/Potsdam
„Besuche von Fürstinnen und Prinzessinnen am Gothaer Hof von 1660-1756“
14.30
Kaffeepause
15.00
Elena Taddei / Innsbruck
„Hin- und herüber die Alpen: Die Reisen der Erzherzogin Anna Caterina Gonzaga“
15.45
Christina Vanja / Kassel
„Fürstinnen auf Badereise - an der "Bubenquelle" in Bad Ems (18./19. Jahrhundert)".
7
Sektion II: Konfession als Reiseanlass
16.30
Philip Haas / Marburg
„Beistand zur Taufe, „Kavalierstour mit Mutti“ oder Aushandeln politischer Allianzen?
– Die Reise der Landgräfin Hedwig Sophie von Hessen-Kassel nach Dänemark im
Jahre 1671“
17.15
Jasmin Hoven-Hacker / Göttingen
„Kontakte und Mobilität geistlicher Töchter von Reichsfürsten im ausgehenden
Mittelalter und am Beginn der frühen Neuzeit (1450-1550)“
18.00
Pause
18.30
Marco Neumaier / Ettlingen
„Eine Entscheidung für die religiöse Überzeugung. Katherine Brandon, Duchess of
Suffolk, und ihre Exilreise (1555-1559)“
19.15
Teresa Schröder-Stapper / Duisburg-Essen
„Inkognito in Regensburg – Reisen hochadliger Frauen zwischen Vergnügen,
Verpflichtung und Verdrängung“
20.00
Ende und gemeinsames Abendessen im „Melange“
8
Freitag, 22.01.2016
Sektion III: Reise und Zeremoniell
9.00
Sandra Hertel / Wien
„Auf dem Weg von der Jungfrau zum Mann – Die Antrittsreise der Statthalterin Maria
Elisabeth von Wien nach Brüssel (1725)“
9.45
Martin Knauer / Münster
„Die reisende Fürstin im napoleonischen Staatszeremoniell“
10.30
Jutta Schwarzkopf / Bielefeld
„Die Rundreisen Elisabeths I. von England durch ihr Reich“
11.15
Kaffeepause
Sektion IV: Reiselust und Reisefrust
11.45
Christian Gepp & Fabian Hümer / Wien
„Reisen aus Staatsräson – Drei Italienreisen im direkten Vergleich“
12.30
Katrin Gäde / Magdeburg
„Zwischen Reiselust und Reisefrust. Die Reisen der Herzogin Marie Friederike von
Anhalt-Bernburg, geb. Landgräfin von Hessen-Kassel (1768-1839)“
13.15-14.00
Abschlussdiskussion/Ende
9
Anmeldung und Kontakt:
[email protected]
Zu den Organisatorinnen:
Frau Dr. Eva Bender (Geschichte, Marburg) ist eine ausgewiesene Reiseforscherin. Ihre
Promotion (2010) befasste sich mit: „Die Prinzenreise. Bildungsaufenthalt und Kavalierstour
im höfischen Kontext gegen Ende des 17. Jahrhunderts“ (erschienen als Band 6 in den
„Schriften zur Residenzenkultur“ des Rudolstädter Arbeitskreises). 2011-13 war sie
Wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-geförderten Forschungsprojekt „Herrschermemoria
und politische Norm in der Frühen Neuzeit“ (Fachgebiet Neuere Geschichte, PhilippsUniversität Marburg).
Frau Prof. Dr. Anette Baumann (Geschichte/Kunstgeschichte) ist seit 1996 Leiterin der
Forschungsstelle der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung, e. V. Wetzlar,
Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Honorarprofessorin an der JLU Gießen. Fünf
Monographien, etliche Artikel und ihre Arbeit an mehreren Erschließungsdatenbanken zeigen
Sie als beste Kennerin der frühneuzeitlichen Gerichtsquellen von Reichskammergericht und
Reichshofrat. Über ihr umfangreiches Quellenwissen kann sie Streit und gerichtliche
Auseinandersetzungen als hochadelig-weiblichen Reiseanlass oder auch die Verzögerung von
Auseinandersetzungen durch reisende Damen nachweisen, so zum Beispiel in: Frauen vor
dem Reichskammergericht, in: Friedrich Battenberg, Bernd Schildt (Hgg.), Das
Reichskammergericht im Spiegel seiner Prozessakten. Bilanz und Perspektiven der Forschung
(Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich Bd. 58), Köln
Weimar Wien 2010, S. 93-115 und Eine Gouvernante klagt um ihr Gehalt: Caroline Sophie
von Massenbach gegen die Prinzessinnen von Nassau-Weilburg, in: Siegrid Westphal (Hg.),
Frauen vor den höchsten Gerichten des Alten Reiches, Köln Weimar Wien 2005.
Dr. Annette Cremer (Geschichte/Kunstgeschichte) war von 2008-2013 Wissenschaftliche
Mitarbeiterin an der DFG Exzellenzeinrichtung des International Graduate Centre for the
Study of Culture der JLU Gießen und ist seit 2013 Akademische Rätin am Lehrstuhl für Frühe
Neuzeit am Historischen Institut. In ihrer Monografie „Mon Plaisir- Die Puppenstadt der
Auguste Dorothea von Schwarzburg (1666-1751)“ zeichnet sie u.a. die archivalisch
nachweisbaren Reisebewegungen der Prinzessin, Fürstin und Witwe nach. In diesem
Zusammenhang erschien ihr die systematische Untersuchung weiblicher Reisetätigkeit als
eine sinnvolle und notwendige Ergänzung zur bestehenden Forschung.
10