Fachtag 07.05.2015
„Zwischen Ohnmacht & Stärke –
Gewalt ausübende Mädchen“
Workshop Nummer 2:
„Die Schlampe hat‘s doch verdient“ –
Das Kölner Anti-Gewalt-Programm für
Mädchen (KAPM)
KAPM bei der AWO Köln
• Seit 2004
• ganzheitliches pädagogisch-psychologisches
Behandlungsprogramm für Mehrfachgewalttäterinnen
(14-21 Jahre)
• Kognitiv behavioraler u. psychodynamischer Ansatz
• Traumapädagogisch und lösungsorientiert
ausgerichtet, aber auch KVT und Konfrontation
• Entwicklungspsychologisch ausgerichtet
• Mädchenspezifisch
• Auf der Grundlage eines Logischen Modells
• Evaluation durch das DJI: 2007 und 2009
Rahmenbedingungen des KAPM
•
Durchführung im Team (Psychologin/Sozialpädagogin, evt. weitere)
•
Aufnahme- und Informationsgespräche (Anamnese: Familie, Schule, Peer,
Trauma-Verlust; Werte und Überzeugungen, Sucht, Selbstverletzung und
Suizidalität, Kriminalität, aktuelle Lebenssituation u.a.)
•
Mehrere Einzelgespräche (ca. 3-6, je nach Überbrückungszeit bis zum
nächsten Kursbeginn)
•
Wöchentliche Gruppensitzungen (max. 6 TN)
•
Offenes Nachsorgeangebot
•
Geschlossene Gruppen (ca. 100 Gruppenstunden, 2 Gruppen im Jahr)
•
Flankierende Einzeltermine möglich
•
Netzwerk-/Elternarbeit
Teilnahme mit juristischen Weisungen/Auflagen von Heimen u.ä.
Ziele des KAPM
• Verhinderung neuer Straftaten
• Verhinderung erneuter Viktimisierung
• Reduktion gesundheitlicher, emotionaler und sozialer
Folgeprobleme
Anna
Aus dem Abschlussbericht der Jugendarrestanstalt:
„Ihre Führung war nicht hausordnungsgemäß; wegen ihres völlig
unangemessenen Verhaltens musste sie wiederholt mit Hausstrafen
sanktioniert werden.
Ordnung und Sauberkeit waren beanstandungsfrei.
In Gesprächen zeigte sie sich äußerst laut, mitteilungsbedürftig, unruhig,
respektlos, oberflächlich, unreif, rücksichtslos und aufsässig.
Reue und Einsicht in ihr Fehlverhalten waren nicht erkennbar.
Gegenüber den Bediensteten verhielt sie sich nicht immer ansprechbar,
uneinsichtig und unbelehrbar.
Im Kontakt mit ihren Mitarrestantinnen zeigte sie dominante, zum Teil
dissoziale Persönlichkeitsstrukturen.
Insgesamt verhielt sie sich nicht regelkonform und erwies sich als nur sehr
begrenzt gruppenfähig.
Sie arbeitete aktiv aber destruktiv mit, verhielt sich überwiegend unfair und
wirkte unmotiviert und desinteressiert…“
Inhaltliche Foki des KAPM
Die Auseinandersetzung mit den eigenen
Opfererfahrungen und der Umgang mit aktuellen
traumatischen Situationen und Krisen ist von
zentraler Bedeutung und steht gleichbedeutend
neben der Auseinandersetzung mit dem
Täterverhalten.
• Bei Mädchen stellt das Risiko für eine antisoziale
Entwicklung nur einen Teilrisikobereich dar.
• Sie haben zusätzlich höhere Risiken als Jungen,
körperliche, seelische und soziale Folgeprobleme zu
entwickeln, die sowohl individuell als auch
gesellschaftlich zu erheblichen Schwierigkeiten
führen können.
• In der Anti-Gewalt-Arbeit mit Mädchen muss die
Verringerung dieser Probleme neben der
Verhinderung antisozialer Entwicklungspfade im
Fokus stehen.
• Das Gewaltverhalten von Mädchen steht in einem
engen Zusammenhang mit Geschlechterbildern und
geschlechtertypischen Machtverhältnissen.
Weiblichkeit = Schwäche und Bedrohung ►Ablehnung wesentlicher
Aspekte der Weiblichkeit und des Selbst (u.a. Körper und Sexualität)
► Taten gegen andere Mädchen, Demütigung und Abwertung der
Weiblichkeit
Männlichkeit = überlegen und gefährlich ► Anpassung und
Unterordnung, Selbstwert abhängig von der Akzeptanz durch
Männer, andere Frauen= Bedrohung).
Die Entwicklung eines stabilen Selbstwertes bei
gewalttätigen Mädchen zu fördern bedeutet immer
eine kritische Auseinandersetzung mit den
vorhandenen Konzepten von Weiblichkeit und
Männlichkeit.
• Die Wahl des Partners ist von entscheidender
Bedeutung für die weitere Entwicklung gewalttätiger
Mädchen. Dies muss inhaltlich berücksichtigt
werden.
• Die thematische Berücksichtigung von früher
Mutterschaft ist von hoher gewaltpräventiver
Bedeutung für die folgende Generation.
Übersicht der Förderbereiche des KAPM
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Bindung
Psychische Stabilisierung
Emotionale Entwicklung
Ich-Entwicklung
Soziale Entwicklung
Veränderung von gewaltfördernden
Einstellungen und Überzeugungen
Förderung der Bindungsfähigkeit
• Berücksichtigung unterschiedlicher
Bindungsstörungen
• Verhinderung erneuter Beziehungsabbrüche
(z.B. Kontaktmöglichkeit auch nach Programmende bzw.
zwischendurch)
• Überwindung von Spaltungstendenzen (z.B.
Umgang mit Geheimnissen)
• Bedürfnisadäquate Zuwendung (z.B.
Nachbeelterung)
Bindungsgestörte Mädchen erleben Beziehungen als
unerträgliches Spannungsfeld aus Bindungssuche
und der gleichzeitigen Unerträglichkeit von Bindung:
Auf der einen Seite fühlen sich die betroffenen
Mädchen hilflos, selbstunwirksam und abhängig von
der Zuwendung und Versorgung anderer Menschen,
auf der anderen Seite haben sie Angst vor
Beziehungen, da sie erwarten erneut geschädigt zu
werden und nicht vertrauen können.
Das Bindungsverhalten dieser Mädchen ist
gekennzeichnet durch Verhaltensweisen die:
– unberechenbar erscheinen
– vermeintlich keinen Bezug zum Verhalten des Gegenüber
haben: Extreme Zurückweisung, Hass und Misstrauen als
Reaktion auf positive Zuwendung oder ein übermäßiges,
nicht altersentsprechendes Bedürfnis nach Nähe und
Kontakt mit scheinbarem Vertrauen, das unvorhersehbar
in das extreme Gegenteil und sogar Kontaktabbruch
umschlägt.
Umgang mit Bindungsstörungen im
pädagogischen Alltag
• Besonderheiten im Bindungsverhalten dieser Jugendlichen
erkennen
• regelmäßige Reflektionen über die eigene Rolle und das
eigene Verhalten
• enge Absprachen im Team
• nicht reziprok auf das Verhalten reagieren und sich nicht in
die Reinszenierung der Traumata verstricken lassen
Sondern:
• Verhaltensauffälligkeiten mit Kontinuität und Verlässlichkeit
begegnen
• Auf Bedürfnisse und Gefühle, nicht auf Verhalten reagieren
Psychische Stabilisierung
• Die Schaffung äußerer Sicherheit
(Struktur, Verlässlichkeit und Transparenz, Vertrauen wahren,
Verdeutlichung von Grenzen, Parteilichkeit mit den
Teilnehmerinnen / Symptomverständnis)
• Erhöhung der Sicherheit außerhalb des KAPM
• Unterstützung bei Problemen
• Balance zwischen Eigenverantwortung und
Orientierung
• Versorgung von Grundbedürfnissen
(Nachbeelterung)
• Unterstützung bei der Bewältigung von Krisen und
Gefühlsausbrüchen
Förderung der Ich-Entwicklung
• Sich selbst besser kennen lernen
o Den eigenen Körper kennenlernen
o Ressourcen und Fähigkeiten erkennen
o Auseinandersetzung mit Selbst- und
Weiblichkeitskonzepten
• Entwicklung von Zielen und einer positiven
Zukunftsvision
• Förderung von Selbstwert und Selbstwirksamkeit
• Förderung positiver Selbstattributionen
• Schulische und lebenspraktische Förderung
• Konkrete Begleitung
• Förderung einer realistischen Selbsteinschätzung
Förderung der emotionalen Entwicklung
• Berücksichtigung des emotionalen Entwicklungsalters
• Förderung des Zugangs zum eigenen Körper, zu Emotionen
und Bedürfnissen
• Förderung situationsangemessener emotionaler Äußerungen
• Förderung der Eigenfürsorge
• Unterstützung bei der Regulation unangenehmer Affekte
(Methoden der kognitiven Umstrukturierung, Erlernen von
Selbstregulationstechniken, Entwicklung von Tagesstrukturen,
Förderung von Wohlfühl-Aktivitäten
• Förderung von Empathie und der Fähigkeit zur
Perspektivübernahme
(Emotionales Feedback und Induktion, Einforderung von
Personalisierungen, Auseinandersetzung mit den Tatfolgen für
die Gewaltopfer)
Förderung von alternativen Einstellungen und
Überzeugungen zu Gewalt
• Auseinandersetzung mit Begrifflichkeiten von Gewalt und
Aggression
• Vermittlung von Wissen über reale und mögliche Tatfolgen
• Vermittlung von Wissen über gesellschaftliche Normen in
sozialen Beziehungen
• Erkennen von Warnsignalen in zwischenmenschlichen
Beziehungen, Schutz- und Hilfsmöglichkeiten
• Kosten- und Nutzenanalyse von Gewalt
• Auseinandersetzung mit Geschlechterkonzepten
• Auseinandersetzung mit dichotomen Denkmustern und
gewaltfördernden Einstellungen
Förderung der sozialen Entwicklung in der
Gruppe
• Miteinander respektvoll in Kontakt gehen
• Sich gegenseitig kennenlernen - anderen zuhören und über
sich selbst sprechen
• Auf Körpersprache achten – sich selbst und andere besser
verstehen lernen
• Mit anderen kooperieren
• Konflikte angemessen ausdrücken und lösen
• Erlernen und Einüben neuer Verhaltensweisen
• Einforderung konkreter Veränderungsschritte im realen Leben
• Förderung der Verantwortungsübernahme
• Förderung der Abgrenzungs- und Durchsetzungsfähigkeit
• Unterstützungs- und Hilfsmöglichkeiten bei Gewalt im
sozialen Nahraum
Danke für Ihre Aufmerksamkeit
Anja Steingen
Diplom-Psychologin / AAT-Trainerin
Arbeiterwohlfahrt Kreisverband Köln e.V.
Venloer Wall 15
50672 Köln
Tel. 0221 88810-102
[email protected]