Charles de Coster DIE GESCHICHTE VON ULENSPIEGEL UND

Charles de Coster
LA LÉGENDE ET LES AVENTURES HÉROÏQUES,
JOYEUSES ET GLORIEUSES D’ULENSPIEGEL
ET DE LAMME GOEDZAK AU PAYS DE FLANDRES
ET AILLEURS
Herausgeber
Alexander Bastek
Birgit Kümmel
Jochen Meiners
Übersetzung aus dem Französischen
von Karl Wolfskehl
DIE GESCHICHTE VON ULENSPIEGEL UND
LAMME GOEDZAK UND
IHREN HELDENMÄSSIGEN, FRÖHLICHEN
UND GLORREICHEN ABENTEUERN IM LANDE
FLANDERN UND ANDERWÄRTS
BAND 1
Ausgabe in vier Bänden
mit 1312 Aquarellen von Erich Klahn (1901–1978)
Mit einer Einführung von Wolfgang Holler
Michael iMhof Verlag
INHALT
Die Aquarelle befinden sich als Leihgabe in der
Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel.
Band 1
ERICH KLAHN. ULENSPIEGEL ......................................................... 7
Wolfgang Holler
DER EULE VORWORT ...................................................................... 13
ERSTES BUCH | Kap. 1–67 ................................................................ 17
Titel der 1867 erschienenen Originalausgabe
«LA LÉGENDE D’ULENSPIEGEL»
Die vorliegende Übersetzung erschien zuerst 1926
im Kurt Wolff Verlag, München
Abdruck mit freundlicher Genehmigung der
Deutschen Schillergesellschaft, Marbach am Neckar
Bibliografische Information
Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese
Publikation in der deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet
über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Für die Werke von Erich Klahn gilt:
© VG Bild-Kunst, Bonn, 2015
© 2015 Michael Imhof Verlag GmbH & Co. KG,
Stettiner Straße 25, 36100 Petersberg,
www.imhof-verlag.de
Museum Behnhaus Drägerhaus, Lübeck;
Museum Bad Arolsen; Bomann-Museum Celle;
Autoren; Deutsche Schillergesellschaft, Marbach
am Neckar
ISBN 978-3-7319-0145-7
Band 2
ERSTES BUCH | Kap. 68–85 ............................................................ 463
ZWEITES BUCH | Kap. 1–17 ........................................................... 669
Band 3
ZWEITES BUCH | Kap. 18–20 ......................................................... 943
DRITTES BUCH | Kap. 1–18 ............................................................ 989
Band 4
DRITTES BUCH | Kap. 19–44 ....................................................... 1383
VIERTES BUCH | Kap. 1–22 .......................................................... 1649
FÜNFTES BUCH | Kap. 1–10 ....................................................... 1741
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Seite hinstürzen ließ, wollte sie ihn anhalten und zog ihn an ihren bloßen
Busen, wo er so gerne verweilte, daß sie vermeint hätte, mit der Zumutung,
er solle sich um ein andres Pfühl umschauen, die Sünde der Grausamkeit zu
begehen ...
Indessen kam der Verwalter zurück und sagte, er habe die Tasche nicht gefunden.
„Ich habe sie wiedergefunden, ich selbst“, antwortete die Dame, „sie hatte sich
losgehakt, als ich vom Pferd stieg, und war am Steigbügel hängengeblieben.
Jetzt“, sagte sie zu Ulenspiegel, „führ uns geradeswegs nach Dudzeele, und sage
mir, wie du heißest.“
„Mein Patron ist der Herr Sankt Thylbert“, antwortete er. „Der Name bedeutet:
leichten Fußes, gut Ding zu erlaufen; mein Vaternamen ist Claes, und mein
Spitznamen ist Ulenspiegel. Wenn Ihr Euch in meinem Spiegel beschauen
mögt, so werdet Ihr sehen, daß in diesem ganzen Flandrerland keine Blume
von solcher Schönheit schimmert als wie Eure duftende Anmut.“ Die Dame
errötete vor Wohlgefallen und war Ulenspiegel mitnichten böse.
Und Soetkin und Nele weinten während dieses langen Fernseins.
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Als Ulenspiegel von Dudzeele zurückkam, erblickte er am Rande der Stadt
Nele, an einen Querbalken gelehnt. Sie entbeerte eine schwarze Weintraube.
Sicher fühlte sie sich erfrischt und gelabt, wie sie so die Beeren der Frucht eine
nach der andern zerbiß, doch war ihr keinerlei Behagen anzumerken.
Im Gegenteil, sie schien unmutig zu sein und riß erbittert die Beeren vom Stengel. Sie war so betrübt und machte ein so leidvolles, trauriges und süßes Gesicht,
daß Ulenspiegel von verliebtem Erbarmen ergriffen ward, von rückwärts auf
sie zutrat und ihr einen Kuß auf den Nacken drückte.
Sie indes langte ihm ihrerseits eine mächtige Schelle. „Davon seh ich nicht
deutlicher“, versetzte Ulenspiegel.
Sie weinte und schluckte. „Nele“, sprach er, „legt man jetzt die Brunnen am
Dorfrand an?“
„Geh fort!“ sagte sie.
„Aber ich kann ja nicht fortgehen, wenn du so weinst, Kleine.“
„Ich bin keine Kleine, und ich weine nicht!“ sagte Nele.
„Nein, du weinst nicht, aher trotzdem fließt dir Wasser aus den Augen.“
„Willst du wohl fortgehen“, sagte sie. „Nein“, sagte er.
Indessen hielt sie die Schürze in ihren schmalen bebenden Händen, zerrte ruckweise an dem Zeug, und die Tränen tropften drauf und machten es naß.
„Nele“, fragte Ulenspiegel, „gibt’s bald schön Wetter?“
Und in großer Verliebtheit lächelnd, blickte er sie an.
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