Mach Dir nicht so viele Sorgen

GEISTLICHES LEBEN
„Mach Dir nicht
so viele Sorgen …!“
Carsten Görsch
M
ein Schwiegervater ist ein weiser, gottesfürchtiger Mann. Er hat vier Kinder großgezogen und
kümmert sich mit seinen über 80 Jahren vorbildlich um seine 10 Enkelkinder. Er trägt sie alle im Gebet.
Er hat den 2. Weltkrieg und die Nachkriegsjahre gemeistert. Ist über 40 Jahre einem ehrenwerten Beruf nachgegangen und ebensolange mit seiner Frau verheiratet und
ihr treu. Er ist heute noch aktiv in der Gemeindearbeit und
spielt regelmäßig die Kirchenorgel zu allerlei Anlässen.
Er ist körperlich rüstig und klar bei Verstand. Sein weißes
Haar trägt er wie eine Krone auf dem Weg zur Herrlichkeit. Einmal saß er allerdings in einem Linienbus, als eine
unbekannte Frau, die ihm gegenüber saß, aus heiterem
Himmel einen gut gemeinten Rat gab: „Darf ich Ihnen
etwas sagen?“ „Ja“, antwortete mein Schwiegervater.
„Machen Sie sich nicht so viel Sorgen, es lohnt sich nicht!“
Später gestand er, dass nur getroffene Hunde bellen.
Denn tatsächlich machte er sich oft über dieses und jenes
Sorgen. Seine Lebensleistung schmälert dies nicht. Aber
seine Ausstrahlung schon, denn die Sorge verdunkelt die
Herrlichkeit Gottes wie ein Schleier.
›› Die Sorge und deren
Bewältigung im Glauben
Sorge ist die wohl hoffähigste Sünde in christlichen Kreisen. Sie kommt in dem ehrenwerten Gewand des Pflichtbewusstseins und des Verantwortlichkeitsgefühls daher.
Sie dringt mit dem Zeitgeist in die Gemeinde Gottes
ein. Immer häufiger treten auch bei den Kindern Gottes Angststörungen auf. Man sagt, dass ungefähr jeder
zweite Patient im Wartezimmer einer Arztpraxis damit
zu tun hat. Sorge und Angst sind die logischen Konsequenzen eines Denkens, das die Fürsorge und Vorsorge
des lebendigen Gottes in Frage stellt. Die Welt hat ihre
Mechanismen gefunden, wie sie dies zu kompensieren
versucht. Für Christen sind diese Lösungen nur selektiv
akzeptabel. Sie sollten lernen, ihre Sorgen im Gebet an
Gott abzugeben. Denn dort gehören sie letztendlich hin.
Alle Ängste und Sorgen des Lebens sind dazu angetan,
uns in die Arme Gottes zu treiben. Dort dürfen wir lernen,
dass der Allmächtige mächtig genug ist, uns aus aller Not
zu erretten, dass der Allwissende bereits alles über unsere
Zukunft weiß und dass der Erlöser seines Volkes schon
die Lösungen für unsere Probleme bereit hält. In einem
solchen Wissen sollten Angst und Sorge überwunden
werden.
›› Ein Hirtenwort zur Sorge
Eines der geflügelten Worte zur Sorge und deren Überwindung befindet sich in abgewandelter Form im ersten
Brief des Apostels Petrus an die Judenchristen in der Zerstreuung. Sie waren der Verfolgung durch die römischen
Imperatoren ausgesetzt und taten sich schwer, die Leiden, die sie erdulden mussten, in ihrem Glauben an einen
barmherzigen Gott richtig einzuordnen. Im engeren Kontext stellt das Wort, von dem wir reden, eine seelsorgerliche Hilfe zur Überwindung innergemeindlicher Probleme
dar. Im erweiterten Sinne kann man es legitimer Weise
sicherlich aber auch auf alle Sorgen des Lebens übertragen: „So demütiget euch nun unter die mächtige Hand
Gottes, auf dass er euch erhöhe zur rechten Zeit, indem
ihr alle eure Sorge auf ihn werfet; denn er ist besorgt für
euch.“ (1Petr 5,6.7)
Sorge ist die wohl hoffähigste Sünde in christlichen Kreisen. Sie kommt in dem ehrenwerten
Gewand des Pflichtbewusstseins und des Verantwortlichkeitsgefühls daher und dringt mit
dem Zeitgeist in die Gemeinde Gottes ein.
›› Die „Gesichter“ der Sorge
„Der Begriff Sorge beschreibt ein durch vorausschauende
Anteilnahme gekennzeichnetes Verhältnis des menschlichen Subjektes zu seiner Umwelt und zu sich selbst.
Eine subjektiv erwartete Not (Bedürfnis, Gefahr) wird
gedanklich vorweggenommen und wirkt sich im Fühlen,
Denken und Handeln des Besorgten oder Sorgenden aus.
Das Spektrum reicht dabei von innerlichem Besorgt- oder
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Beängstigt-Sein bis zur tätigen Sorge für oder um etwas.“
(Wikipedia). Laut einer Studie der Unternehmensberatung
Mc Kinsey aus dem Jahr 2005 lebt ein Großteil der bundesdeutschen Bevölkerung zunehmend in Sorge:
• 60% der Befragten befürchten, dass sich ihre finanzielle Situation verschlechtert
• 58% der Befragten sorgen sich darum, dass sie im
Alter für ihre Lebenshaltung – und Gesundheitskosten nicht mehr aufkommen können.
• 44% befürchten, dass sich der persönliche Gesundheitszustand verschlechtern könnte.
• 42% haben Angst, dass sie ihren Arbeitsplatz verlieren, bzw. keinen neuen mehr finden könnten.
• 22% befürchten, dass sie mit ihrem Wissen bei den
vielen Veränderungen in der Gesellschaft nicht mehr
mithalten können.
• 14% bangen vor einem Terroranschlag.
Mach aus Sorgen ein Gebet!
Es ist wohl die edelste Art des Recyclings,
dies zu tun. Aus dem was uns belastet
wird eine Begegnung mit Gott.
›› Ein besorgter Gott
Wie treffend liest sich da die Antwort Jesu auf die Sorge
des modernen Menschen:
„Deshalb sage ich euch: Seid nicht besorgt für euer
Leben, was ihr essen und was ihr trinken sollt, noch für
euren Leib, was ihr anziehen sollt. Ist nicht das Leben
mehr als die Speise, und der Leib mehr als die Kleidung?
Sehet hin auf die Vögel des Himmels, dass sie nicht säen
noch ernten, noch in Scheunen sammeln, und euer
himmlischer Vater ernährt sie. Seid ihr nicht viel vorzüglicher als sie? Wer aber unter euch vermag mit Sorgen
seiner Größe eine Elle zuzusetzen? Und warum seid ihr
um Kleidung besorgt? Betrachtet die Lilien des Feldes,
wie sie wachsen: sie mühen sich nicht, auch spinnen sie
nicht. Ich sage euch aber, dass selbst nicht Salomon in
all seiner Herrlichkeit bekleidet war wie eine von diesen. Wenn aber Gott das Gras des Feldes, das heute ist
und morgen in den Ofen geworfen wird, also kleidet,
nicht vielmehr euch, Kleingläubige? So seid nun nicht
besorgt, indem ihr saget: was sollen wir essen? oder: was
sollen wir trinken? oder: was sollen wir anziehen? denn
nach allem diesem trachten die Nationen; denn euer
himmlischer Vater weiß, dass ihr dies alles bedürfet.“
(Mt 6,25-35)
›› Ein sorgenfreies Leben
Der Mensch ohne Gott ist sich selbst überlassen. Er muss
für sich selbst sorgen, weil er niemanden hat, der für
ihn sorgt. Maximal gilt noch: „Hilf Dir selbst, so hilft Dir
Gott!“ Weil es keinen fürsorglichen Gott in der Vorstellung des einstmals christianisierten Abendlandes mehr
gibt, müssen die Ersatzgötter der Sozialgesellschaft her:
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Volksfürsorge, Krebsvorsorge, Altersvorsorge, Lebensversicherung, Pflegegeld, etc. Aber diese papiernen Konstruktionen können das liebende Herz eines fürsorgenden
Gottes nicht ersetzen. Ein vertrauender Christ sollte daher
an seiner Sorglosigkeit – und ich meine hier nicht etwa
Fahrlässigkeit – zu erkennen sein und seine Ausstrahlung
„gnaden – sonnen – gebräunt“ und nicht „griesgrämig –
grau, sorgen – verhangen“.
„Unverzagt und ohne Grauen, sollt ein Christ, wo er
ist, stets sich lassen schauen“, dichtet Paul Gerhardt in
dem Lied „Warum sollt ich mich denn grämen“. So vielfältig wie die Formen der Wolken, so mannigfaltig ist das
Angesicht der Sorge. Immer aber verhängt sie uns die
Sonne seiner Fürsorge und Gnade. Für unser Zeugnis ist
es deshalb wichtig, dass wir sorgenfrei leben. Es gehört
zur Psycho-Hygiene des Christen, den Müll der Sorgen
aus dem Herzen zu entsorgen.
›› Was die Welt uns rät …
Die Welt, in der wir leben, hat einen einschlägigen Rat
für die Besorgten: Machen Sie sich nicht so viele Sorgen!
Auch wenn diese Aufforderung nur bedingt weiterhilft,
birgt sie dennoch eine Erkenntnis: die meisten Sorgen
machen wir uns selbst. Wir sind wie die Hennen, „die über
ungelegten Eiern“ brüten. Ein alter, reifer Mann hat einmal
Folgendes bekannt: Ich habe mich in meinem Leben mit
vielen Problemen auseinandergesetzt – aber die meisten
waren nicht meine …! Also ist es sicherlich gut, die Dinge
erst einmal auf sich zukommen zu lassen.
Einem anderen, eher kuriosen Umgang mit Sorgen
begegnete ich in meiner Arbeit in der Psychiatrie. Dort riet
eine Psychologin einer Gruppe von Menschen mit Angststörungen, ihre Sorgen vor dem Schlafengehen in einen
virtuellen Schuhkarton zu packen, ihn zu verschließen
und unter das Bett zu stellen. So wie wir es mit dem guten
alten Nachttopf taten, wenn andere Lasten uns plagten!
Na dann, Gute Nacht! Solche und andere Methoden einer
Welt ohne Gott können nicht das ersetzen, was die Bibel
über den effektiven Umgang mit Sorgen rät.
›› Wirf Deine Sorgen auf den Herrn!
Petrus, der sich sicherlich als Hirte etlicher Gemeinden
viele Sorgen anhören musste, rät seinen Hörern: Werfet
alle Eure Sorgen auf ihn; denn er ist besorgt für euch.
(1Per 5,7)
Diskuswerfer sind eine seltsame Art von Menschen.
Sie rotieren solange, bis ihnen der Diskus aus der Hand
gleitet, um ca. 60 Meter weit entfernt von ihnen wieder
auf den Boden zu fallen. Sie scheinen die Scheibe um
jeden Preis loswerden zu wollen. So, als ob sie radioaktiv
kontaminiertes Material enthielte. Von ihnen lernen wir
die große christliche Disziplin des „Sorgen – Weitwurfs“.
Wir sollten die Sorgen so weit wie möglich von uns entfernen, damit sie uns nicht belasten!
„Wirf auf den Herrn, was dir auferlegt ist, und er wird
dich erhalten; er wird nimmermehr zulassen, dass der
Gerechte wanke!“ (Ps 55,22), bestätigt uns David. Gott
verbindet mit dem Rat zwei Versprechen: erstens wird
er uns erhalten, wenn wir es tun, und zweitens werden
GEISTLICHES LEBEN
wir nicht wanken. Gott lässt es sich nicht nehmen, unser
Paket an Sorgen zu tragen. So wie wir es uns nicht nehmen lassen, die Rucksäcke unserer Kinder bei Bergwanderungen zu tragen. Die Nerven der Heiligen
brechen dann zusammen, wenn sie mit Sorgen
überlastet sind. So wie die Leitungen von
Telegrafenmasten reißen, wenn der Schnee
sich auf ihnen sammelt. Sieh zu, dass Du
den Ballast los wirst, der Dich plagt. Wirf
auf den Herrn, was Dir auferlegt ist.
seiner sechs Kinder
verlor und den Herrn
dennoch
fröhlich
bezeugt hat: „Er weiß
viel tausend Weisen,
zu retten aus dem Tod,
ernährt und gibet Speisen
zur Zeit der Hungersnot,
macht schöne rote Wangen
oft bei geringem Mahl; und
›› Mach aus Sorgen
ein Gebet
Nicht zu unterschätzen ist beim „SorgenWeitwurf“ die Rolle des Gebets. Paulus
lehrt uns: „Seid um nichts besorgt, sondern in allem lasset durch Gebet und
Flehen mit Danksagung eure Anliegen vor
Gott kundwerden“ (Phil 4,6). Mach aus Sorgen ein Gebet!
Es ist wohl die edelste Art des Recyclings, dies zu tun. Aus
dem was uns belastet wird eine Begegnung mit Gott. Es
scheint, als ob die Sorgen dazu bestimmt sind, uns zu
Gott zu drängen. Wir machen aus der Not eine Tugend,
wenn wir beten. Der Druck der Lasten bringt uns auf die
Knie. Wo wir ja auch hingehören! Dabei ist es erfrischend,
mit welcher Radikalität Paulus argumentiert. Nichts, aber
auch gar nichts, sollte uns Sorge machen. Wer alle seine
Sorgen auf Gott wirft, hat folglich nichts, was ihm Sorgen
machen könnte. Viele Menschen schlafen schlecht, weil
sie schlecht beten. So nett ja auch der Rat der Psychologin
war, aber ein Schuhkarton kann nicht den Thron Gottes
ersetzen! Diese Mentalreisen ins Nirwana der Gedanken
sind Ersatzmittel für das gute alte Nachtgebet, das wir ja
mittlerweile zusammen mit dem Buß- und Bettag abgeschafft haben. Aber ein gutes Gewissen, bleibt ein sanftes
Ruhekissen. Und ein entlasteter Geist schläft gut. Wenn es
denn aber unbedingt ein Karton sein muss, dann schnüre
das Paket Deiner Anliegen mit einer roten Schleife der
Danksagung. Denn Christi Blut macht allen Schaden gut!
Gott hat für jedes Problem schon die Lösung bereit.
›› Der Allmächtige wird
das schon machen!
Gott ist besorgt um uns. Das muss reichen! Wenn der
allmächtige Gott sich um uns sorgt, dann dürfte es uns
an nichts mangeln. „So demütiget euch nun unter die
mächtige Hand Gottes …“, fordert Petrus zuvor seine
Zuhörer auf. Ist Gott mächtig genug, um uns in Zukunft zu
versorgen? Ganz sicher. Das Problem ist, dass unser Vertrauen in seine Macht recht beschränkt ist. Nicht umsonst
nennt der Herr die Zuhörer der Bergpredigt ganz bewusst
„Kleingläubige“. Der Psalmist bescheinigt den Israeliten
ein ähnliches Misstrauen gegen Gott: „Und sie redeten
wider Gott; sie sprachen: Sollte Gott in der Wüste einen
Tisch zu bereiten vermögen?“ (Ps 78,19). Wird Gott mich
im Alter versorgen? Hat Gott Arbeit für mich, wenn ich
meinen Arbeitsplatz verliere? Ist er mächtig genug, mich
vor einem Terroranschlag zu schützen? Lassen wir einen
antworten, der in den Wirren des 30jährigen Krieges fünf
die da
sind gefangen, die reißt Er aus
der Qual.“ („Du meine Seele
singe“, Paul Gerhardt). Gott macht das schon – eben weil
er allmächtig ist.
›› Der Allwissende weiß
um Dein Morgen
Gott weiß auch um Dein Morgen. „Eine subjektiv erwartete Not (Bedürfnis, Gefahr) wird gedanklich vorweggenommen …“ hieß es in der Eingangs erwähnten Definition von Sorge. Wir Menschen nehmen uns dieses Recht
der Vorwegnahme häufig heraus. Eigentlich aber steht es
Gott alleine zu, denn er kennt das Morgen schon, von dem
Du gar nichts weißt. Was er uns überlässt, ist die Gegenwart. „So seid nun nicht besorgt auf den morgenden Tag,
denn der morgende Tag wird für sich selbst sorgen. Jeder
Tag hat an seinem Übel genug.“ (Mt 6,34)
Reicht Dir die Arbeit nicht, die Du heute hast? Darf’s
etwas mehr sein? Hast Du nie gelesen, dass die Lade des
Herrn dem Volk Gottes ca. 1 km voranging? (Jos 3,4) Gott
ist Deiner Zeit voraus.
Gott ist besorgt um uns. Das muss reichen!
„Weißt Du den Weg auch nicht, er weiß ihn wohl, das
macht das Herz Dir still und friedevoll.“ („Weiß ich den
Weg auch nicht“, Hedwig von Redern)
„Abend und Morgen sind seine Sorgen; segnen und
mehren, Unglück verwehren sind seine Werke und Taten
allein.“ („Die güldne Sonne“, Paul Gerhardt).
Wir sind es gewohnt, Vorsorge zu üben. Deswegen
kochen wir Pflaumen und frieren Gulasch ein. Aber besser
wäre es doch, die Dinge frisch zu essen. Nichts ist köstlicher als die taufrische Gnade Gottes frisch auf den Tisch
in der Wüste! Gott ist ein Gott der Vorsorge. Überlassen
wir ihm diesen Job, der zu groß für uns ist!
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KIRCHENGESCHICHTE
›› Der Erlöser hat die Lösungen
Mit der Sorge ist ein wenig wie mit der Schuld. Entweder
wir werfen sie auf den HERRN oder sie bleibt auf uns. Nur
tun wir uns im Fall der Schuld leichter, sie wegzugeben,
als im Fall der Sorge. Wir begründen das mit unserem
Verantwortungs- oder auch Pflichtbewusstsein. Aber das
ändert nichts an den Auswirkungen. Sorge verdunkelt die
Herrlichkeit Gottes in unserem Leben. Man sieht sie förmlich an dem Runzeln der Stirn und dem sorgenvollen Blick.
Aber ist das ein erlöstes Leben? Sieht man den Erlöser
darin? Der Herr tadelt Martha mit den Worten: „Martha,
Martha! du bist besorgt und beunruhigt um viele Dinge;“
(Lk 10,41) Dieser Satz atmet berechtigte Sorge Gottes.
Denn er möchte sein Volk zur Sorglosigkeit führen. Wir
finden das vielleicht „chique“, immer ein wenig ausgebrannt und übermüdet zu sein. Ihn aber verherrlicht das
keineswegs. Mich persönlich machen die Personen in der
Gemeinde nervös, die nie zur Ruhe kommen. Es mag eine
Ruhe für das Volk Gottes vorhanden sein, aber diese nehmen sie nicht in Anspruch. Wie anders war da Ruth, die zu
den Füßen des Erlösers lag, bis dieser sich um ihre Ange-
legenheiten kümmerte. Ein erlöstes Leben sollte immer
auch ein sorgenfreies Leben sein. Denn der Erlöser hat
auch die Lösungen für die Nöte von morgen.
›› Wie der Vater, so die Tochter
Was ich über meinen Schwiegervater vergessen habe zu
sagen, ist, dass ich seine Tochter geheiratet habe. Seine
Verdienste, an die meine niemals heranreichen werden,
sind in ihr unschwer zu erkennen.
Sie ist unglaublich pflichtbewusst. Selten habe ich
eine Mutter gesehen, die so konsequent erzogen hat,
wie sie. In Sekunden erfasst sie intuitiv das, worüber ich
erst einmal zwei Tage lang nachdenken muss. Neben
meiner Bekehrung war das Leben mit ihr der zweite große
stabilisierende Faktor in meinem Leben. Sie ist fast perfekt. Bis auf die Momente, wo ich sie nachdenklich ins
Leere schauen sehe. Dann runzelt sie ihre Stirn, legt den
Kopf auf die Hand und seufzt kurz vor sich hin. In diesem Moment liegt mir ein Wort auf der Zunge, dass ich
ihr dann manchmal auch sage: „Mach Dir nicht so viel
■
Sorgen! Es lohnt sich nicht!“
Jan Hus (1370-1415)
Rudolf Koch
J
an Hus, auch bekannt unter dem
Namen Johannes Hus, starb vor 600
Jahren als Märtyrer und gilt zu Recht
als einer der wesentlichen Vorläufer der
großen Reformatoren des 16. Jahrhunderts.
Ohne Männer wie John Wyclif und Lord
Cobham in England sowie Jan Hus und Hieronymus von Prag in Böhmen wäre die mehr
als 100 Jahre später eintretende Reformation unter Luther und Zwingli wohl kaum
denkbar gewesen.
Jan Hus wird um 1370 in dem kleinen
unweit der bayerischen Grenze gelegenen
böhmischen Dorf Husinec geboren, nachdem er auch benannt wird. Er stammt aus
einfachen Verhältnissen, zeichnet sich aber
schon früh durch große Intelligenz aus. Er ist von stattlicher Statur, dazu freundlich und bescheiden. Ab 1390
studiert er an der Universität Prag und wird Magister der
allgemeinen Wissenschaften. Als Hochschullehrer macht
er sich um die Entwicklung der tschechischen Rechtschreibung verdient.
›› Der Einfluss von John Wyclif
Entscheidenden Einfluss auf seine Überzeugungen hatte
der Engländer John Wyclif, von dem der Ausspruch überliefert ist: „Die Schrift allein ist die Wahrheit!“ Getrieben
von dieser Einsicht, machte sich dieser an die Übersetzung
der Heiligen Schrift in die englische Sprache. Und bereits
nach relativ kurzer Zeit, im Jahre 1380, war die englische
Bibel vollständig, und zahllose Abschreiber machten sich
ans Werk, das göttliche Wort auch ungelehrten Bürgern
1 Zunächst waren es Gregor XII. in Rom und Benedikt XIII. in Avignon (es war die Zeit der „Babylonischen Gefangenschaft“ der Päpste, obwohl diese
offiziell nur von 1309 bis 1377 gerechnet wird). Auf dem Konzil zu Pisa (1409), das sich mit dieser verzwickten Situation zu befassen hatte, kam noch
ein weiterer Papst hinzu, nämlich Alexander V. Da Alexander V. aber nur noch ein Jahr lebte, trat dann Johannes XXIII. an seine Stelle.
2 Mancher Leser wird sich fragen: War Johannes XXIII. nicht der Nachfolger von Pius XXII.? Also der Papst, der von 1958 bis 1963 das Pontifikat einnahm
und das Zweite Vatikanische Konzil einberief? Das ist korrekt, aber dieser konnte den gleichen Namen wohl nur deshalb annehmen, weil sein Vorläufer, der von 1410 bis 1415 das päpstliche Amt besaß, seit dem 20. Jh. als „Gegenpapst“ gerechnet wird.
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