Predigt über 1. Mose 22, 1 - Evangelische Kirche im Rheinland

Predigt über 1. Mose 22, 1 – 13
gehalten von Pastor i. R. Rolf Wagner in unserer Petruskirche
Nach all den zuvor berichteten Geschehen stellte Gott Abraham auf eine harte Probe.
In der Nacht rief Gott: „Abraham“, und der antwortete: „Hier bin ich“. Und der Herr sprach zu
ihm: „Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du über alles liebst, und gehe in das Land
Morija und opfere ihn dort auf einem Berg, den ich dir zeigen werde.“ Früh am Morgen stand
Abraham auf, zäumte seinen Esel, nahm seinen Sohn zu sich und zwei Knechte und Feuerholz
für ein Brandopfer und machte sich auf zu dem Ort, den Gott gesagt hatte. Am dritten Tag
sah Abraham aus der Ferne den Berg. Er sagte den Knechten: „Bleibt hier mit dem Esel. Ich
will mit dem Jungen dort hinaufgehen und den Herrn anbeten, dann kommen wir zu euch
zurück.“ Abraham packte das Brennholz auf Isaaks Schultern, er selbst nahm das Gefäß mit
der Glut und as Messer in seine Hand. So gingen die beiden miteinander.
Unterwegs sprach Isaak zu seinem Vater: „Mein Vater, sieh mal, wir haben Holz und Feuer.
Aber wo ist das Schaf für das Opfer?“ Abraham gab ihm zur Antwort: „Mein Sohn, Gott wird
sich schon ein Lamm zum opfern aussuchen.“ So gingen sie miteinander weiter. Als sie auf
dem Berg angelangt waren, baute Abraham aus Steinen einen Altar, legte das Holz darauf,
fesselte seinen Sohn und legte ihn oben auf das Holz, nahm das Messer in seine Hand und
wollte seinen Sohn als Opfer schlachten.
Doch in diesem Augenblick rief der Engel des Herrn: „Abraham, Abraham!“ Und Abraham
hielt inne und sprach: „Hier bin ich!“ Der Engel aber sprach: „Lege das Messer beiseite und
tue dem Jungen nichts an! Jetzt weiß ich, dass Gott dir über alles geht und dir wichtiger ist als
dein einziger Sohn.“
Da blickte Abraham auf und sah einen jungen Widder, der mit seinen Hörnern im Gebüsch
fest hing. Abraham ging hin, packte das Tier und opferte es anstelle seines Sohnes. Und
Abraham nannte den Ort „Der Herr sieht“ – so nennt man ihn noch heute.
Und der Enge des Herrn rief noch einmal Abraham und sprach: „Weil du deinen Sohn nicht
verschont hast, um auf mich zu hören, habe ich mir geschworen, dich und deine
Nachkommen zu segnen und aus euch so viele zu machen wie Sterne am Himmel sind,
Sandkörner am Meer, also unzählig viele, und durch sie alle Völker auf der Erde segnen. Das
tue ich, weil du auf mein Wort gehört und gehorcht hast.“
Danach kehrte Abraham mit Isaak zurück zu seinen Knechten und sie machten sich dann auf
nach Hause.
Liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder!
„Schaffe mir Recht, Gott – führe meine Sache wider die gottlosen Leute“. So haben wir zu
Beginn des Gottesdienstes mit Worten aus dem 43. Psalm gesprochen. Aber – tut Gott das?
Schafft er mir Recht, nimmt er mich in Schutz? Oder sieht das nicht immer wieder ganz
anders aus! Sieht er nicht zu, wenn ich zu Schaden komme durch Unrecht und böswillige
Leute, und tut gar nichts? Diesen Eindruck haben wir doch immer wieder! Und wenn wir
dann so eine Geschichte hören wie die eben, wo Gott von seinem Freund Abraham verlangt,
den einzigen, geliebten Sohn zu opfern, dann fühlen wir uns doch nur bestätigt in unserem
Empfinden: Gott lässt uns allein!
Doch da sollten wir erst einmal genau hinhören, was die Bibel uns erzählt, bevor wir zweifeln
und uns aufregen. Unsere Geschichte eben beginnt mit einer meistens gar nicht beachteten
Bemerkung: „Nach all den berichteten Geschehen…“ Da ist also vorher, in der Vergangenheit
etwas passiert, was Gott herausgefordert hat, für das der Mensch Abraham verantwortlich
ist. Und das sollten wir uns erst einmal ansehen.
Abraham und seine Frau Sara hatten viele, viele Jahre vergeblich auf einen Sohn und Erben
gewartet, der einmal ihre Viehherden übernehmen und dann seine Eltern im Alter versorgen
sollte. Als dieses mit zunehmendem Alter so gut wie aussichtslos erschien, hatte Sara zur
Selbsthilfe gegriffen und dem Abraham ihre Magd Hagar in Bett gesteckt – mit Erfolg. Denn
die bekam dann von Abraham einen Sohn – Ismael -, der nach damaliger Gepflogenheit aber
als Sohn von Abraham und Sara galt. Eine Zeit danach bekam Sara dann doch einen eigenen
Sohn, den Isaak. Aber was nun? Nun galt Isaak als der rechtmäßige Erbe, als
Zukunftssicherung im Alter. Um das klarzustellen, triezte Sara den Abraham so lange, den
Sohn der Magd beiseite zu schaffen, bis er die beiden in die Wüste schickte. Das bedeutete
normalerweise den sicheren Tod der Verjagten. (Dass Gott diese aber davor bewahrte,
erfuhr Abraham erst viel später. Schließlich war der Sohn der Magd ja auch sein Sohn.)
Damit ist ganz offensichtlich: Abraham überlässt die Sicherung seiner Zukunft nicht Gott,
sondern nimmt sie selbst in die Hand. Er hat ja nun einen rechtmäßigen Sohn – und Gott,
den braucht er da nicht mehr. Der hat für ihn ausgedient.
Und seht! Da greift Gott nun ein, fordert Abraham heraus, stellt ihn vor die Entscheidung:
Eigenmächtiges Handeln und Sohn – oder Gott! Wer Gottes Gabe an Gottes Stelle setzt, der
macht sich selbst zum Sklaven dieses Gottersatzes, und wenn es der eigene Sohn ist, der
vergöttert wird. Und das bringt Verderben! Wer aber Gott als seinen Herrn anerkennt und
walten lässt, der hat Zukunft, und, wie in Abrahams Fall, auch den Sohn. Doch das erkennt
Abraham – und wohl jeder Mensch – erst im allerletzten Moment, fast als es schon zu spät
ist.
Doch bei Gott gibt es kein zu spät, bei Gott ist nichts unmöglich. Unser Gott ist kein
gewalttätiger, blutrünstiger Gott, wie heute manche Theologen behaupten. Unser Gott ist
ein Gott, der seine Menschen liebt und sie vor Unheil bewahren will, der weiter blickt als wir,
und dazu mitunter schweren Herzens bis zum Letzten geht. Gott allein kann unsere Zukunft
garantieren, aber keine seiner Gaben, wenn diese ihn ersetzen sollen, also kein Kind, kein
Vermögen, keine Versicherung.
In dem Augenblick, wo Abraham Gott gehorcht und ihm den ersten Platz lässt, der ihm
gebührt, ist der Sohn und damit sein Leben im Alter und seine Zukunft gesichert. Der Sohn
ist Abraham neu geschenkt – und für ein Zeichen anerkennender Verehrung sorgt Gott sogar
selbst. „Gott schafft Recht, führt meine Sache – auch gegen die, die mir was anhaben
wollen.“ Das war damals so, und das ist heute so! Dazu die alten Geschichten!
Ich habe vor kurzem in meiner Heimatstadt Betzdof gepredigt in einem Gottesdienst, wo der
Zerstörung dieser Stadt durch amerikanische Bombenangriffe am 12. März 1945 gedacht
wurde. Wir persönlich haben damals Haus und Habe verloren, liebe Verwandte blieben tot
unter den Trümmern. Auch unsere Kirche wurde zerstört. Für mich persönlich hatte dieser
Angriff lebenslange Folgen, weil dadurch meine Schulausbildung total aus den Fugen geriet.
Da tauchte auch das zweifelnde Fragen nach Gottes Gerechtigkeit auf. Denn das, was da
geschah, war sicherlich Unrecht, zumal der Krieg praktisch schon verloren war. Und doch hat
Gott das zugelassen. Und warum?
Damals hat Deutschland in weiten Teilen gemeint, es brauche keinen Gott, und hat seine
Zukunft Adolf Hitler und dessen Schergen anvertraut. Der aber hat einen Flächenbrand
gelegt, ganz Europa mit Krieg, Mord und Zerstörung überzogen. Um dem Einhalt zu gebieten,
musste Gott ein Gegenfeuer legen, weil nur so ein Flächenbrand zu Ersticken gebracht
werden kann. Es war praktisch Gottes letzte Möglichkeit, ein dem Untergang geweihtes Land
vor dem Machtwahn von Menschen zu retten, ihm Hoffnung und Zukunft zu geben. Ein für
viele Menschen schmerzlicher Weg, der uns aber letztlich zu Gott zurückgebracht hat. Wir
haben von ihm in neuer Weise wiederbekommen, was uns genommen worden war, und
letztlich mehr dazu. Das lässt versöhnen.
Weil wir Menschen aber immer wieder versagen und die Herrschaft und die Zukunft selbst in
die Hand nehmen wollen und uns damit in Gefahr begeben, alles zu verlieren, hat Gott selbst
in noch anderer Weise eingegriffen.
Er hat seinen einzigen Sohn, Jesus Christus, in die Gewalt der Menschen dahingegebne, um
uns zu retten. Als Jesus ans Kreuz genagelt und getötet wurde, da hat kein Engel Einhalt
geboten. Jesus ist dem Vater trau geblieben und ist unter Menschenhand gestorben, damit
wir alle Leben und Zukunft haben. Durch seine Wunden sind wir geheilt. Gott ist selbst für
uns alle den Weg zu Ende gegangen, den er Abraham und den er nun uns allen erspart hat.
Und so zeigt uns die zunächst so schrecklich erscheinende Geschichte von Gottes Forderung,
den eigenen Sohn zu opfern, dass sie letztlich eine Geschichte der unwahrscheinlichen
Größe und Menschenliebe Gottes ist.
Gott besiegt durch seine Menschenliebe unsere Unmenschlichkeit, die letztlich zur
Selbstvernichtung führt, und macht uns fähig, ihm als unseren Herrn zu gehorchen, zu
vertrauen und einander zu lieben. Nur so haben wir Zukunft, über unser Sterben hinaus.
Deshalb sagt Jesus: „Liebe Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen, von ganzer Seele, und
mit ganzem Gemüte, und deinen Nächsten so wie dich selbst.“
Er gibt uns die Kraft, das auch zu tun. Nehmen wir sie an.
Amen.
Pastor i. R. Rolf Wagner