48 Pro & Contra Industrie 4.0 Die deutsche Industrie steht vor einer großen Aufgabe. Die Digitalisierung ihrer Produktionsanlagen. Damit verbunden sind neue Formen des Arbeitens, neue Geschäftsmodelle und neue Mitarbeiter, die neue Forderungen stellen. Schafft Deutschland das? PRO Eigentlich habe ich das Projekt bereits 2014 zu Grabe getragen. Das „paradoxe“ Ziel meines damaligen Beitrags bei der Huffington Post war es, durch die Kritik zugleich Notwendigkeiten und Möglichkeiten der Optimierung aufzuzeigen. Dr. Winfried Felser www.elektrotechnik.de 11.2015 gewähltes Nischendasein. Was ist mit Logistik und dem ganzen Rest der Ökonomie? Und was ist mit der Schnittstelle zum Kunden (Smarter Services!), wenn man sich auf eine Branche und oder eine Funktion fokussiert? Auch das ist im Widerspruch zur Next Economy. Dabei will ich gar nicht reflektieren, wie das Ende der Netzneutralität zum Innovationsaufbruch passt. Dieser Beitrag ist trotzdem eine ProPosition. Meine Hoffnung setze ich trotz meiner Appelle nicht mehr auf die Bundesregierung, dafür aber auf die Gemeinschaft der engagierten Industrie 4.0-Akteure aus Wissenschaft und Praxis, die einfach Industrie 4.0 aus ihrer eigenen Überzeugung voranbringen. Ob es diesen Vordenkern und Pionieren gelingt, den Mittelstand in der Breite mitzunehmen? Auf jeden Fall stimmt bei diesen Akteuren das Engagement und ganz oft auch das Ergebnis. Zudem versteht die Kern-Community Industrie 4.0 immer weniger als nur ein Technik-Thema und denkt auch über den Produktions-Tellerrand hinaus. So macht diese Graswurzel 4.0 unserer Hidden Champions und führenden Forschungsinstitutionen das Richtige richtig. Und vielleicht schafft die Bundesregierung irgendwann doch noch einen Rahmen und eine „Plattform“ im weitesten Sinne, die unsere Graswurzel 4.0 dabei besser unterstützt als die Über-Uns-Seite. PRO Bild: Felser U nd in der Tat hat die Politik auch irgendwann auf die zunehmende Zahl der Kritiker reagiert. Der Versuch eines Reloads durch die Bundesregierung kann mich aber bisher nicht überzeugen. Ein Beispiel: Wenn ein Projekt uns in die Zukunft der kollaborativen Netzwerk- und Plattform-Ökonomie bringen will, dann aber das Portal dafür auch beim Restart nur aufgehübscht wird und ansonsten weitgehend in einer alten 1.0-Logik verbleibt, dann ist das für mich ein Verstoß gegen das „Eat your own doogfood“-Prinzip. Da können neue Sharebuttons nicht viel rausreißen. Das Portal der www.plattform-i40.de ist ein Ort der Verkündung ex cathedra von News und Deklarationen und ein Verzeichnis. Ist das adäquat für die neue Zeit? Kein Blog, wenig PartnerContent, keine Anbindung an eigene Communities, keine Mobilisierung der Akteure auf der Plattform, kein offener Dialog (aber ein Kontaktformular!), keine Kollaboration. Wir werden aber nur in einem lebendigen Netzwerk erfolgreich sein.Das Industrial Internet Consortium hat dagegen nicht nur einen Blog, Whitepapers, Premium-Contents, Anbindungen an alle wichtigen Netzwerke, sondern natürlich auch einen umfangreichen Mitglieder-Bereich (was auch immer da passiert). Auch da ist noch nichts perfekt, aber bemüht. Meine Skepsis geht aber noch weiter: Ich bin ich sogar davon überzeugt, dass das Projekt Industrie 4.0 zwei entscheidende Geburtsfehler bei der initialen Ausrichtung hatte: Die Technikfixierung in der Kommunikation ließ die Öffentlichkeit das Projekt unter Hightech verbuchen. Das schreckt den Mittelstand ab und wird dem Projekt nicht gerecht. Technik ist nur Enabler, es geht um ein Neudenken der Wertschöpfung. Die Selbstbeschränkung auf Industrie wirkte verschärfend wie ein selbst- Dr. Winfried Felser ist ehemaliger FraunhoferMitarbeiter und Betreiber der Competence Site. „ Die Kern-Community versteht Industrie 4.0 immer weniger als nur ein TechnikThema und denkt auch über den Produktionsund Industrie-Tellerrand hinaus.“ Pro & Contra 49 CONTRA Deutschland schafft es nicht alleine. Die Politik bremst die Entwicklung, da sie vor allem eine nationale Perspektive einnimmt. Von Forschungsgeldern sollen heimische Unternehmen profitieren, wie immer man diese auch definiert. Robert Weber Bild: Bernhard Richter CONTRA Robert Weber ist Chefredakteur der elektrotechnik und Meinungsmacher im Manager Magazin T echnologisch sind deutsche Unternehmen, wie immer man „deutsche“ auch definieren will, spitze. Wenn es um Sensorik, Antriebstechnik oder Spritzgussmaschinen geht, dann können weltweit nur wenige Staaten mit so einer Kompetenz aufwarten. Darauf können wir stolz sein. Diesen Schwung will die Plattform Industrie 4.0 mitnehmen und den Begriff Industrie 4.0 weltweit als deutsche Marke etablieren. Das ist knallharte Industriepolitik und nicht verboten. Die Franzosen betreiben diese Form der Industriepolitik seit Jahrzehnten. Das Bundeswirtschaftsministerium fördert das Projekt und muss Erfolge verkünden, denn Gabriel will mit der Industrie der Zukunft punkten – bei den Bossen und den Genossen. Der Einfluss der Politik ist groß und in den letzten Monaten gewachsen. Nationale Egoismen tauchen in machen Diskussionen immer wieder auf. Doch das bringt Deutschland und sein Projekt nicht weiter. Wir dürfen uns nichts vormachen: Wir brauchen die IT-Kompetenz von Unternehmen wie Cisco, Microsoft und Co. Industrie 4.0 fokussiert vor allem die Digitalisierung der Produktion. Der vermeintliche Wettbewerb vom Industrial Internet Consortium mit General Electric bindet Elektromobili- „Am Ende entscheidet sowieso nur der Markt. Die beste Idee, das beste Geschäfts modell wird den Kunden letztendlich überzeugen.“ tät, Energieversorger und Logistikunternehmen in das Netz des Industrial Internets mit ein. Diese Firmen brauchen auch die „deutschen“ Unternehmen – als Partner in ihrer globalen Supply Chain. Deshalb fordere ich eine Zusammenarbeit, weltweit. Dazu kommt die ewige Standarddiskussion. Wir werden sicher mehrere Standards erleben. Das meine nicht nur ich. Standards helfen uns, aber sie definieren nicht mehr ausschließlich Märkte für eine Branche, eine Nation. Sie sind keine Garantie für das Geschäft der Zukunft. Dazu kommt: Wer TTIP will, der muss auch mit den Partnern auf der anderen Seite des Atlantiks über gemeinsame Standards sprechen und sich nicht in Grabenkämpfen zermürben. In diese Diskussion fließen dann deutsche, europäische und amerikanische Ideen ein. Die Industrie 4.0-Vertreter wünschen sich intelligente Fabriken, aber die Aufgabe ist noch viel größer. Die Unternehmen müssen neue Geschäftsmodelle für sich entwickeln. Dafür brauchen Unternehmen Ideen aus anderen Branchen, aus anderen Kulturen und eine neue Mentalität. Deshalb wird Deutschland es nicht alleine schaffen, auch wenn sich mancher Politiker das gerne wünscht. Die Realität ist eine andere. Mein Appell: Sucht die Kooperation, öffnet Euch, um Innovationen zu ermöglichen. Verdrängt die nationalen Egoismen, denkt global und lernt voneinander. Das gilt für die Plattform in Berlin und die Vertreter vom Industrial Internet Consortium. Am Ende entscheidet sowieso nur der Markt. Die beste Idee, das beste Geschäftsmodell wird den Kunden letztendlich überzeugen. Und beides muss nicht unbedingt bei der Plattform Industrie 4.0 oder beim Industrial Internet Consortium entstanden sein. www.elektrotechnik.de 11.2015
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