(/Y1 STANDPUNKT .......................................................................................... :jA & I 29. 9.AS; .' : . An VW wird das Falsche kritisiert )/~. 9. 22&/ 73 Von Stefan Kühl E sgilt dass als wissenschaftlich gesichert, durch den Autoverkehr jedes Jahr weltweit Hunderttausende von Menschen ums Leben kommen - durch Verkehrsunfälle, Schadstoffvergiftung oder als Folge der Lärmbelastung. Man braucht zur Verdeutlichung den Blick nicht nach Peking, Lagos oder Bogeta zu . richten, in denen einem der Autoverkehr buchstäblich den Atem raubt. Man kann die Folgen problemlos in München, Frankfurt oder Zürich beobachten. Diese Toten stellen nur deswegen keinen Dauerskandal in den Medien dar, weil die Menschen an Schadstoff--und Lärmbelastung nicht unmittelbar, sondern zeitlich verzögert sterben, und die Verkehrsunfälle über die Verantwortlichmachung des Unfallverursachers personalisiert werden können .. Weswegen regt man sich also plötzlich auf, wenn ein Automobilkonzern ein wenig bei der Messung der Abgaswerte getrickst hat? Die Verkehrspolitik befindet sich nicht nur in den Industriestaaten in einer Sackgasse. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich der motorisierte Individualverkehr weltweit durchgesetzt, ohne dass anfangs die verkehrspolitischen Effekte abzusehen gewesen waren. Menschen haben sich daran gewöhnt, ihreArbeitsstelle mit dem Auto zu erreichen, Däs hat dazu geführt, dass es als Recht betrachtet wird sich auch in Städten mit einer Fließgeschwindigkeit von 50 km zu bewegen, was wiederum den Druck auf die Politik erhöht hat, die Straßennetze weiter aus. zubauen. Das setzt Anreize, sich ein Auto zu kaufen, und dadurch wird wiederum der Anspruch auf eine staufreie Fortbewegung gefördert - schließlich hat man ja in ein Auto investiert. In der Technikforschung werden solche Vernegelungseffekte als "Lock-in" bezeichnet. Die QWERTY-Schreibmaschinentastatur, .so das klassische Beispiel für einen technischen Lock-in, hatte nur bei ihrer Einführung Mitte des neunzehnten Jahrhunderts die sinnvollste Verteiiung der Buchstaben, weil durch die nur suboptimale Tastaturanordnung die' Schreibkräfte in ihrer Geschwindigkeit "gebremst wurden und so das Verhaken der Typenhebel verhindert werden konn. te. Obwohl das Verhaken von Typenhe- beln angesichts von Computern heute kein Problem mehr darstellt und eine schreibergonomisch effizientere Form der Buchstabenanordnung sich anbietet, kommt es nicht zu einer Veränderung, weil die Investitionen in Form des Erlernens einer neuen Tastaturanordnung zu hoch wären. In der Verkehrspolitik haben wir es zurzeit mit genau diesem Effekt zu tun. Wirtschaft und Politik kommen aus dieser Verriegelung in der Verkehrspolitik nicht heraus - das zeichn~t Verriegelungen ja gerade aus. Gleichzeitig lassen sich die Probleme des Autoverkehrs nicht ausblenden. Die Reaktion auf dieses Problem wird in der Organisationswissenschaft als "umgekehrte Kopplung" bezeichnet. Mit der Größe der Probleme werden auch die Bekenntnisse zu ihrer Lösung lauter. Die Probleme, die Organisationen damit haben, Wertell wie Umweltschutz, Menschenrechten' oder Effizienz gerecht zu werden, führen fast automatisch zu einem verstärkten Bekenntnis zu genau diesen Werten. Man kann daraus fast ein Suchschema ableiten: Je entschiedener eine Organisation sich in der Öffentlichkeit zu Umweltschutz, Menschenrechten, Geschlechtergleichstellung oder Profitabilität bekennt, desto größer sind in der Regel ihre Schwierigkeiten, genau diesen Ansprüchen gerecht zu werden. Dies bietet Moralaposteln vielfältige Möglichkeiten, sich über die Differenz zwischen "offizieller Wirklichkeit" und "praktizierter Wirklichkeit" zu echauffi~ren ..Die öffentliche Empörung über die Tricksereien von Volkswagen ist nur das jüngste Beispiel dafür. Dabei darf ~.an nicht übersehen, dass das "Aufhubsehen" der eigenen Schauseite zum professionellen Management in jeder Organisation gehört. Gefilterte Reports, übersichtlich dargestellte Proz-essabläufe oder geglättete Aussagen dienen dazu, ein schlüssiges Bild der Organisation zu zeichnen. Den Außenstehenden soll durch eine attraktive Fassade der Blick auf die.Hinterbühne der Qrganisation verwehrt werden, um in Ruhe Entscheidungenvorbereiten zu können, Konflikte nach außen zu verbergen oder Fehler und Peinlichkeiten zu verheimlichen.' Man mag das scheinheilig finden - aber jede Organisation, die auf den Aufbau von Fassaden verzichtet, wäre innerhalb kürzester Zeit am Ende. Das Management von Volkswagen ist letztlich ll1~ht daran gescheitert, dass es geheuchelt hat. Keine Organisation kann auf H~uchelei verzichten. Das Management Ist daran gescheitert, dass es nicht professionell genug geheuchelt hat. Das Problem bei Volkswagen'1iegt darin, dass eine aus der Sicht der betroffenen Abteilung effiziente und kostengünstige Maß,nahme zur punktuellen Senkung der AI:igaswerte nicht mit Blick auf Reputationsprobleme bei deren Bekanntwerden geprüft wurde. Das Versagen des VW-Managements bestand darin, dass man über Jahre eine Organisationsstruktur geduldethat, in der solche Probleme nicht kommunizierbar waren und deswegen das Schauseitenmanagement nur noch begrenzt-von der Zentrale. kontrolliert werden konnte. ' Die Reaktionen des VW-Konzerns sind vorhersagbar. Organisationen in Legitimationskrisen nehmen erhebliche Veränderungen in ihren Strukturen vor, weil die hohen Kosten für solche Strukturänderungenals Zeichen da:füf gedeutet werden sollen, dass die Organisation ernsthaften Anderungswillen zeigt. Neben der Veränderung des Regelwerks und der Schaffung neuer Abteilungen für Compliance ist der Wechsel des Spitzenpersonals das Mittel der Wahl. Schließlichist die effizienteste Form organisier.ter Heuchelei immer noch, über die öffentliche Demontage von Führungskräften Besserung zu geloben. Die Fassade wird 'so repariert. Nur an der Verriegelung einer maßgeblich auf dem Automobil basierenden Verkehrspolitik wirdsich nichts ändern. Stefan Kühl ist Professor fürOrqanrsatronssozlologie an der Universität Bielefeld und arbeitet als Organisationsberater in der Automobilindustrie,
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