rhein-main R3 „Hier wurden schon Hochzeiten gefeiert“ F R A N K F U R T E R A L L G E M E I N E S O N N TA G S Z E I T U N G , 6 . M Ä R Z 2 0 1 6 , N R . 9 Die Palliativärztin Christiane Gog über den Umgang mit dem Tod, die Gefühle Sterbender und die Rolle der Angehörigen Frau Gog, wie reagieren Leute, wenn Sie bei einer Essenseinladung von Ihrem Beruf erzählen? Im Unterschied zu Kollegen aus anderen Fachbereichen werde ich nicht sofort zur privaten Konsultation gebeten, so nach dem Motto „Ich habe da so ein komisches Ziehen links. . .“ oder „Haben Sie vielleicht ein gutes Rezept gegen Fußpilz?“. Ich höre höchstens mal ein „Wie furchtbar!“ und kann den weiteren Abend unbehelligt genießen. Mit dem Thema Sterben möchte eigentlich niemand etwas zu tun haben, wenn er nicht durch die Umstände dazu gezwungen wird. Aber ist das nicht verrückt? Schließlich ist es doch genau das, worauf das Leben hinausläuft. Für uns alle. Man weiß zwar, dass das Sterben kommt. Aber man weiß nicht, wie. Das Ungewisse macht Angst, die Aussicht, das nicht mehr managen zu können. Und man darf nicht vergessen: Sterben spricht eine Ur-Angst an, die im Instinktbereich angesiedelt ist und die wir gar nicht kontrollieren können. Wir haben alle einen unglaublichen Überlebenswillen mitbekommen. Der ganz praktisch ist, der aber auch dafür sorgt, dass wir es uns mit dem Lebensende schwermachen. Wie kommt man dazu, sich auf das Thema Sterben zu kaprizieren, wenn man als Ärztin doch dazu da ist, Menschen wieder gesund zu machen? Bevor ich Medizin studierte, war ich Krankenschwester. Und in der Krankenpflege liegt der Schwerpunkt ohnehin weniger als bei den Ärzten auf dem Kurativen. Durch meinen Doktorvater bin ich dann in der onkologischen Chirurgie gelandet, habe Tumorpatienten betreut, dann lag die Palliativmedizin sehr nahe. Was tun Palliativmediziner? Man braucht gerade hier ein breites Wissen, weil man auf so viele verschiedene Krankheitsbilder trifft. Deshalb arbeiten wir auch mit den verschiedenen Fachrichtungen zusammen. Aber unsere wichtigste Aufgabe ist das Lassen. Das ist manchmal anstrengender als etwas zu tun. Das muss man aushalten können, zu sagen: Wir befinden uns am Ende eines Weges, und wir betreiben nun hauptsächlich Symptomkontrolle, etwa durch eine Schmerztherapie. Wissen die Patienten, wie es um sie steht, wenn sie zu Ihnen kommen? Auch, weil Sie zu Ihnen kommen? Das ist unterschiedlich. Manche glauben, wir wären ihre letzte Station. Auch in der Öffentlichkeit gibt es diese Vorstellung. Aber 90 Prozent der Patienten werden aus der Palliativstation entlassen. Das ist ja das Ziel unserer Arbeit: Dass der Patient wieder in sein gewohntes Umfeld kann, um dort versorgt zu werden. Manche gehen natürlich auch in ein Hospiz. Wird nicht immer auch gehofft, dass es sich eigentlich um einen Irrtum handelt? Dass es noch einen Verhandlungsspielraum gibt? Manche wollen, dass man noch ganz viel tut. Selbst, wenn es aus medizinischer Sicht keinen Sinn mehr macht. Wie etwa, einem Patienten mit Lebermetastasen noch eine Leber zu transplantieren. Das hören wir hier relativ häufig. Eine Tumorerkrankung ist jedoch eine systemische Erkrankung. Da kann man nicht mal eben isoliert ein Organ austauschen. Das muss man dem Patienten und seinen Angehörigen in Ruhe erklären. Das klingt, als würde Zeit wenigstens dann einmal keine Rolle spielen, wenn sie einem gerade sehr knapp wird. Auch am Ende können Dinge noch gut werden: Christiane Gog in der Frankfurter Uniklinik. Allein ein Aufnahmegespräch dauert bei uns anderthalb Stunden. Zuhören ist eine der tragenden Säulen eines Modells der Britin Cicely Saunders, der Begründerin der modernen Hospizbewegung. Sie war die Erste, die für die Behandlung von unheilbar kranken Menschen alle Qualitäten abgedeckt hat, die dem Menschen Leid verursachen und die ihm entsprechend auch Linderung verschaffen können: die physische, psychische, spirituelle und soziale Ebene. Wie hat man sich das vorzustellen? Zunächst einmal als Teamwork. Denn daran beteiligt sind ja nicht nur wir Ärzte und Pflegekräfte, sondern auch Sozialarbeiter, Seelsorger, Physiotherapeuten, eine Kunsttherapeutin, Psychoonkologen, und bei uns auch ein Therapiehund. Wie wird das alles finanziert? Zum Teil über die palliativmedizinische Komplexpauschale. Um sie abrechnen zu können, muss der Patient hier min- ZUR PERSON Christiane Gog, 53 Jahre alt, war Krankenschwester, bevor sie in Frankfurt Medizin studierte, Chirurgin wurde und sich auf chirurgische Onkologie spezialisierte. Im Anschluss absolvierte sie in Dresden einen Masterstudiengang Palliativmedizin, den sie als Master of Science in Palliative Care abschloss. Gog ist seit 2012 leitende Ärztin der Palliativmedizin am Universitären Centrum für Tumorerkrankungen (UCT) der Uniklinik Frankfurt. Mit ihrem Kollegen Ben Klimitz hat sie den Förderverein „Die Brücke“ gegründet. Sein Ziel: Durch Spenden die Betreuung von schwerstkranken Menschen zu verbessern. (Bei Interesse: www.diebruecke-frankfurt.de.) Gog ist verheiratet und hat eine Tochter. destens sieben Tage am Leben bleiben und darf bitte nicht früher versterben. Gezahlt wird für maximal drei Wochen. Aber natürlich werfen wir Patienten nicht einfach raus, wenn sie weiter intensive Betreuung brauchen. Auch wenn die nicht weiter im Rahmen der Kostenpauschale finanziert wird. Wie lange bleiben Patienten im Schnitt? Zehn bis zwölf Tage. Mache sind nur wenige Stunden da und sterben dann, andere sind Monate hier. Das heißt: Das Geld ist immer knapp. Dazu deckt die Pauschale ohnehin nicht alles ab. Deshalb haben wir den Förderverein „Die Brücke“ gegründet. Mit den Spenden finanzieren wir etwa die Kunsttherapeutin, den Therapiehund, aber auch mal ein Essen, das sich der Patient wünscht. Manchen geben wir auch mal Geld, damit sie sich eine Fernsehkarte kaufen können oder eine fürs Telefon. Oder wir kaufen Kleidung für Menschen, die wirklich gar nichts haben. Wie groß ist die Spendenbereitschaft? Nun ja, sagen wir mal: Das Sterben ist offenbar kein Thema, mit dem sich die Menschen zu Lebzeiten gern beschäftigen. Außer, sie werden dazu gezwungen, weil ein Angehöriger sehr krank wird. Erlebt man dann, wie wichtig eine gute Versorgung ist, eine gute Betreuung auch der Angehörigen, dann ist man eher mal bereit, etwas zu spenden. Wir sind ja alle auch so etwas wie Laien im Umgang mit dem Tod. Das Einzige, das man vermutlich mitbringt in eine solche Situation, sind Bilder aus Romanen und Filmen. Das stimmt. Wir haben so eine DisneyVorstellung vom Sterben. Einfach, weil wir so wenig Kontakt damit haben. Heute kann man mühelos 60 werden, ohne jemals erlebt zu haben, wie ein naher Mensch stirbt. An die Stelle der Erfahrung setzten sich auf der einen Seite klischeehafte Bilder und auf der anderen Foto Wolfgang Eilmes Seite natürlich die Ängste vor dem großen Unbekannten. Für den, der krank ist, genauso wie für seine Angehörigen. Es gibt da dieses Gerücht vom schönen Sterben, dass man einfach loslassen muss – und dann mit sich und der Welt im Reinen zufrieden die Augen schließt. Das ist Sterben à la Disney. Ich erlebe, wie Menschen in Wut und Zorn sterben. Weil sie einfach nicht gehen wollen. Weil sie nicht einverstanden sind. Oft sterben Menschen auch, wie sie gelebt haben. Die Kämpfertypen brauchen bisweilen länger, ebenso wie die Bedachten, die Langsamen. Manchmal tun sich gerade die Alten schwerer als die ganz Jungen. Aber man kann daraus keine Regelhaftigkeit ableiten. Sterben ist einfach auch etwas sehr Individuelles. Es gibt keine Vorlage. Jeder stirbt nach seiner Fasson und nicht qualitätsnormiert. Meine Erfahrung ist allerdings, dass Menschen, die einen festen Glauben haben, manchmal leichter sterben. Weil sie ja die Gewissheit haben, dass danach noch etwas kommt. Welche Rolle spielen Angehörige? Eine sehr große. Bei uns gehören sie zum Patienten und ganz klar mit ins Boot. Sie sind unglaublich wichtig. Auch, wenn das manchmal nicht einfach ist. Etwa, wenn Konflikte bereinigt werden sollen. Wir haben tolle Versöhnungen hier auf unserer Station erlebt. Wenn etwa Kinder noch spät zu dem Vater gekommen sind, der sich lange nicht um sie gekümmert hat. Aber genauso haben wir erlebt, dass Kinder jeden Kontakt ablehnen. Für manche Debatten, die hier geführt wurden, hätte man gut eine Schussweste brauchen können. Aber hier wurden auch schon Hochzeiten gefeiert. Ist das Sterben einfacher, wenn man nicht allein ist? Es tut unglaublich gut, wenn man begleitet wird. Aber ganz am Ende ist auch der Angehörige oft nicht mehr so gefragt. Dann ziehen sich die Menschen zurück. Schon Tage vorher. Sie wollen nicht mehr angefasst werden, sie haben keine Bedürfnisse mehr und kein Interesse an Dingen, die ihnen vorher noch unglaublich wichtig waren. Womit beschäftigen sie sich dann? Das ist schwer herauszufinden. Da tauchen oft Bilder auf. Manche sprechen in Metaphern wie vom Reisen. Sie sagen, sie hätten die Koffer gepackt, ein Ticket gebucht. Oder sie glauben, irgendwohin laufen zu müssen. Andere denken, sie werden abgeholt, von nahen Verwandten und sehen sie schon im Zimmer stehen. Gibt es so etwas wie eine Sterbe-Ahnung? Meine Erfahrung ist, dass die Patienten in der Regel die Ersten sind, die wissen, dass es soweit ist. Aber sie reden nicht darüber, um die Angehörigen und auch das Personal nicht zu belasten. Laut eines amerikanischen Bestsellers wird man eines ganz sicher auf dem Sterbebett bereuen: zu viel gearbeitet zu haben. . . Auch das kann man nicht pauschalisieren. Es gibt Menschen, die einfach supergern arbeiten und unglaublich traurig sind, dass sie ihren Beruf nicht mehr ausüben können. Das kommt, ehrlich gesagt, viel häufiger vor. Und dann finde ich es auch schwierig, stets so zu leben, als sei gleich alles vorbei. Na, ich kenne wenigstens zehn Kalender- und Glückskekssprüche, die behaupten, genau das täte uns gut. Ich erlebe immer wieder, dass Familien ihre intensivste Zeit in der letzten Phase des Lebens haben. Dann ist es doch immer noch gut. Man kann nicht über Jahrzehnte dauernd so eng zusammen sein, als wäre in der nächsten Minute alles vorbei. Ich glaube, das würden wir gar nicht aushalten. Wenn es denn schon sein muss, das Sterben, dann daheim, im Kreise der Lieben: Träumt davon nicht jeder? Ich glaube, das wird oft zu sehr idealisiert. Für einen Schwerstkranken muss man das eigene Zuhause praktisch in ein Krankenhaus verwandeln. All das Equipment, dauernd sind fremde Leute da. Trotzdem passiert es schon auch, dass man bei akuter Luftnot oder einem epileptischen Anfall allein ist mit dem Kranken. Das macht ja nicht nur den Angehörigen unsicher, sondern vor allem den Patienten. Wenn es ganz schlimm kommt, sagen manche, dann gehe ich eben in die Schweiz, das ist mein Notausgang, in Gedanken. . . Das ist in Ordnung, wenn es zur inneren Entlastung beiträgt. Aber ich erlebe ganz oft, dass dieser Idee ein Informationsmangel zugrunde liegt. Patienten müssen nicht erleben, wie sie ersticken, weil es die Möglichkeit einer palliativen Sedierung gibt. Wir können sie sehr gut mit Schmerzmitteln versorgen, mit Narkosemitteln. Man schläft ein und erlebt diesen einen Moment eben nicht. Das funktioniert nicht immer. Aber diese Situationen, die diese Urängste wecken – Ersticken, unerträgliche Schmerzen –, sind eher die Ausnahmen. Diese Frage werden Sie sicher kennen: Ist es nicht furchtbar deprimierend, dauernd vom Sterben und vom Tod umgeben zu sein? Ich erlebe das nicht so. Wir kommen den Menschen so nahe, wir erfahren so viel Dankbarkeit. Für mich hat das Sterben, Ähnlichkeit mit einer Geburt. Sterben ist auch ein besonderer Abschnitt im Leben und es ist – so verrückt das klingt – existentiell wichtig, dass dieser Abschnitt gut begleitet wird. Wenn wir den Menschen nicht allein lassen, wenn wir genau den Weg finden, den er und seine Familie brauchen. Wenn wir ihn von seinen Beschwerden entlasten können und er friedlich sterben kann. Das kann einen unglaublich zufrieden machen. Die Fragen stellte Constanze Kleis. Schmerzen oder Operationen an Rücken, Gelenken, Bändern, Sehnen oder Muskeln Wir bieten Ihnen: ! Ambulante Rehabilitation bei orthopädischen Erkrankungen – mehrstündige Komplextherapie an 2 – 5 Tagen in der Woche ! Therapie, Rehabilitation, Prävention und Analysen auf höchstem Niveau ! 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