Geld & Leben Nassrasur Unterm Messer: Anita Ekberg barbiert Frank Sinatra im Western ‚Vier für Texas‘ 120 €URO 09|07 Nach der Rasur ist vor der Rasur. Lästige Pflicht? Nicht, wenn Mann die Pflicht zur Kür erhebt. Und dass Kür angesagt ist, zeigt der Trend zur Messerrasur. Scharfe Sache Von Mariella Bauer und Katharina Heuberger | [email protected] FOTOS: Cinetext Bildarchiv (1) S ich in die Hand einer Frau zu begeben, ist für Männer nicht immer ganz einfach. Erleichternd ist es sicher, verfügt Frau über so ein verführerisches Dekolleté wie Anita Ekberg, die in Robert Aldrichs Westernpersiflage von 1963 „Vier für Texas“ Frank Sinatra barbiert. In der Regel ist die Rasur jedoch eine Sache, die Mann mit sich selbst ausmacht. Morgens vor dem Spiegel. Dann muss er sich entscheiden – ob nass oder trocken. Pinsel, Schaum, Klinge oder Hobel (Sicherheitsrasierer) versus Elektro. In Deutschland heißt es: Die Rasur geht retro. Bereits annähernd 60 Prozent der deutschen Männer bevorzugen die feucht-schaumige Methode, ergab eine Studie des US-Rasierklingenherstellers Gillette. Und es werden immer mehr. Die Zahlen des Weltmarktführers Gillette zeigen, dass der Absatz von Rasierklingen Jahr für Jahr um rund drei Prozent steigt. Grund ist der Y-Faktor: Nassrasur gilt als männlicher. War in der Nachkriegszeit der Elektrorasierer das männliche Statussymbol – zwischen 1950 und 1970 stieg der Anteil der Elektrorasierer in deutschen Haushalten von 1,5 auf 60 Prozent –, so definiert sich der moderne Mann weit mehr über seine Neigung zum Handwerklichen. „Wir sehen einen Trend zum Redesign der Geschlechter“, sagt Stefanie Bierbaum, Sprecherin der Hamburger Beratungsgesellschaft Trendbüro, die sich mit gesellschaftlichem Wandel beschäftigt. „Der Mann will sich als echter Mann erleben. Dazu passt auch das Hantieren mit Messer oder Hobel.“ Rund 3000 Stunden seines Lebens verbringt ein Mann durchschnittlich beim Rasieren, um das täglich um bis zu vier Millimeter nachwachsende Barthaar zu kappen. Von vielen Männern wird die tägliche Rasur als Last empfunden. Höchste Zeit also, daraus eine Lust zu machen. Und es kann Lust sein. „Nassrasur hat einen emotionalen Wert“, sagt Jens Poenitzsch, Inhaber des Berliner Trendshops „The Different Scent“, in dem exklusive Herrendüfte und Pflegeprodukte sowie Rasiermesser angeboten werden. „Das Ritual ist das Faszinierende, man nimmt sich Zeit. Es ist eine Form der Entschleunigung.“ Ein weiteres Argument ist die Gründlichkeit der Technik. Denn wird das Gesichtshaar mit der Klinge entfernt, wird jeweils rund ein Zehntel Millimeter Haut mit abgeschabt. So viel wie bei einem Peeling. Innerhalb der etablierten Nassrasur-Fraktion formiert sich nun eine neue Gruppe: die mit dem Messer rasieren. Rückkehr der Barbershops. „In New York ha- be ich die Barbershops gesehen und war fasziniert“, sagt Christian Weishäupl, Inhaber des Onlineversands Tonsus, der 2004 als einer der Ersten im deutschsprachigen Raum das Geschäft mit hochwertigen Rasur-Uten- ➞ Nassrasur-Utensilien: Mühle Rasierpinsel Silberspitz Dachszupf (72 Euro), Rasiermesser Schulze (85,50 Euro), Mühle Rasierseife Aloe (3 Euro) und Mühle Seifentiegel (13 Euro), Dovo Abziehriemen Juchten (42 Euro), der dazu dient, den Grat des Rasiermessers wieder aufzurichten. Pinsel, Seife, Tiegel, Abziehriemen über www. tonsus.at, Rasiermesser über www.warenhaus-schulz.de Geld & Leben Nassrasur Messerkunde Die alten Ägypter verwendeten im 4. Jahrhundert noch Rasiermesser aus Kupfer oder Bronze, im 17. Jahrhundert wurde dann im englischen Sheffield das Klapprasiermesser aus Edelstahl erfunden. Neben der Qualität des Stahls und des Holzes gilt als aussagekräftiges Kriterium die sogenannte Hohlung. Halb- bis ganzhohle Messer sind sehr flexibel. Das ist besonders bei den problematischen Zonen Kinn und Oberlippe wichtig. Kopf Hohlung Schneide Einlage Griffschale ➞ silien begann. Unter anderem vertreibt Tonsus auch die Produkte der US-Barbershop-Kette „The Art of Shaving“, die allein in New York fünf Filialen unterhält. Doch nicht nur aufwendig schäumende Rasierseifen, elastische Dachshaarpinsel oder sanft duftende Aftershaves sind beim Onlinehändler Tonsus gefragt. Rasiermesser sind das ultimative Objekt der Begierde. „Bleiben die Kunden bei den Rasiermessern stehen, kann man richtig sehen, wie die kribbelig werden“, sagt auch der Berliner Poenitzsch. Und beim großen Kribbeln bleibt es nicht. Die Messer, je nach Art der Herstellung zwischen rund 50 und 750 Euro angesiedelt, werden gekauft. Der Run auf die scharfen Geräte ist mittlerweile so groß, dass die wichtigsten Messerproduzenten Dovo in Solingen und Thiers-Issard in Frankreich Liefer engpässe von einigen Wochen haben. Königsdisziplin Messerrasur. Auch wenn das Hantieren mit dem Rasiermesser als maskuline Königsdisziplin und Streicheleinheit für das männliche Ego gilt, sollten Novizen vor dem ersten Mal ihre Feinmotorik unter sachkundiger Anleitung schulen. „Es zu erlernen ist nicht schwer, doch es braucht eben Übung“, sagt Poenitzsch, der zwei- bis viermal pro Monat Messerrasurkurse anbietet. Vor über zehn Jahren hat er sich von einem amerikanischen Barbier in San Francisco in die Geheimnisse der Messerkunst ein- weihen lassen. Nun ist er selbst Lehrer. Die Nachfrage ist enorm, die Klientel bunt gemischt. Und nicht nur männlich. Von der Flamenco-Tänzerin bis zum Unternehmer, alle waren schon dabei. Inklusive einiger Zweifler. „Einmal nahm ein Manager teil, bei dem sofort klar war, dass er es nicht gewohnt ist zu verlieren.“ Am nächsten Tag rief dieser Mann völlig empört bei Poenitzsch an, weil die erste selbstständige Messerrasur nicht so perfekt ausfiel, wie er es eben haben wollte. Poenitzsch konnte ihn beruhigen. Denn in einem ist sich der 40-jährige Geschäftsinhaber sicher: „Überwindet man anfängliche Schwierigkeiten, dann will man nie wieder anders rasieren, da gibt es kein Zurück mehr, das ist ein Genuss.“ Messervielfalt: Die Auswahl lässt Männerherzen höher schlagen Erfahren Weltmännisch Kraftvoll Im Hause Wacker wird die handwerkliche Königsdisziplin des Rasiermesserschleifens in dritter Generation perfektioniert. Außergewöhnlich: Lochmusterverzierung des Rückens mit blauer Einlage. Heft: Büffelhorn (195 Euro). www.wacker-rasiermesser.de Bis in die letzten Winkel der Erde verkauften unzählige Solinger Firmen ihre Raisermesser zu Glanzzeiten. Sammlerstück von Schulze mit blondem Cellitheft (85,50 Euro). www.warenhaus-schulz.de Handgeschmiedet vom Firmen gründer Pierre Thiers. Der legendäre Schmied brauchte nur 50 Schläge für einen Rohling. Original von 1884, mit Hammerspuren am Rücken (399 Euro). www.rasurpur.de Rücken So geht’s glatt Goldätzung Erl Zeichen Angel Steg 1. Die beste Zeit für eine Nassrasur ist nach Bad oder Dusche, dann sind die Gesichtsmuskeln entspannt. Bart mit warmem Seifenwasser anfeuchten. 2. Bart gründlich mit Rasiercreme oder -seife einschäumen. Am besten mit einem angefeuchteten Dachshaarpinsel. 3. Mit einer sauberen, scharfen Klinge in Richtung des Bartwuchses rasieren. Unter den Koteletten Richtung Kinn beginnen, am Hals die Rasur beenden. FOTOS: Maerzinger/Westend61 (1) 4. Die Haut anschließend mit Wasser abspülen. Dann mit einem Aftershave oder Shaving-Balsam die Rasur komplettieren. Neben Privatpersonen lässt sich auch zunehmend der Friseurnachwuchs wieder in der Messerrasur schulen. Denn obwohl im Lehrplan zur Friseurausbildung enthalten, wird die Messerrasur in der Praxis kaum noch unterrichtet. „Der Impuls zum Anbieten der Dienstleistung wird aus dem orientalischen Kulturkreis zu uns zurückgebracht“, sagt Doris Ortlieb, Geschäftsführerin des Landesverbands Bayern der Friseurinnung. Männer, die sich im Urlaub rasieren ließen, suchen nun auch zu Hause nach einem Friseur, der ihnen dieses Wohlgefühl vermitteln kann. Und davon gibt es in Deutschland bereits einige, quer durch die Republik. Ist der Messerrasur-Service bei allen Anbietern weitgehend gleich, zeigen sich beim Preis Unterschiede. Zwischen zehn und 25 Euro muss Mann für eine Rasur beim Fachmann rechnen. Als Wellnessangebot für den gepflegten Mann versteht man beispielsweise beim Hamburger Salon Eric Barbier das Angebot. Beim Herrenfriseur Hild in Ludwigshafen kann Mann sich in einer Originalsaloneinrichtung aus den 20er-Jahren barbieren lassen. Brants Barber & Shop am Münchner Flughafen ist auf Geschäftsreisende aus aller Welt spezialisiert, der gebürtige Spanier Delfino Garcia-Lopez bietet im Frankfurter Bahnhofsviertel den Service seiner „Multi-Kulti-Kundschaft“ an. Diese honoriert die zwanzigminütige Behandlung, deren krönender Abschluss eine sanfte Gesichtsmassage ist. Auf einen derartigen Luxus muss der Zu-Hause-Selbst-Nassrasierer freilich verzichten. Es sein denn, er begibt sich in die Hände einer Frau. _ Zubehör: www.dergepflegtemann.de www.muehle-pinsel.de www.nassrasurboerse.de Kurse: www.haarstudio-fahn.de www.rasurpur.de www.thedifferentscent.de Friseure (Auswahl): Brants Barber & Shop, Terminal 2 Ebene 04, Pier Nord, 85326 München, Tel.: 089/97 59 45 60. eric : barbier, Ballindamm 36, 20095 Hamburg, Tel.: 040/32 90 17 00. Hild Herrensalon, Pfarrer-FriedrichStraße 7, 67071 LudwigshafenRuchheim, Tel.: 062 37/62 63. Salon Garcia, Taunusstr. 18, 60329 Frankfurt a. M., Tel.: 069/25 24 70. Auffällig Kompetent Männlich Ein Beau im Badezimmer: dekorative Goldätzung, mit Fuchs und Hahn, bogenförmig verzierter Rücken, exotisch gemaserte Schlangenholz-Griffschale (230 Euro). www.rasurpur.de Dieses Messer wurde von Raymond Rosa handgefertigt, dem letzten Schmied für Damaszenerstahl in der französischen Messerstadt Thiers. Durch Falten des Metalls entsteht das charakteristische Wellenmuster (708,50 Euro). www.dick.biz Appelliert an den Urinstinkt beim starken Geschlecht: Griffschale (lt. Hersteller) aus Mammut-Elfenbein. Das seltene Naturmaterial aus den Stoßzähnen des frühzeitlichen Jungtiers ist rund 40 000 Jahre alt (424 Euro). Händlerliste: www.dovo.com
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