chronik Loewen-Messer IM NORDEN BEGEHRT Ob auf einem Fischkutter vor der Küste Schottlands, beim Netze reparieren in Norddeutschland oder beim Schnitzen im bayerischen Wald – nicht nur Seeleute wissen die Loewen-Messer aus Solingen zu schätzen. Text & Fotos: Oliver Lang > „Messer für Profis“ steht auf einem Plakat im Empfangsraum der Solinger Schneidwarenfabrik C.Lütters & Companie – und so ist es auch. Denn die meisten Loewen-Messer gehen nicht an Privatabnehmer, sondern in Bestellungen von bis zu 1000 Stück vor allem an Industrie und Handwerksbetriebe. Insgesamt gehören rund 400 Werften, Schiffsausrüster, Fische reigenossenschaften, Elektriker und Papierfabriken zu den Hauptabnehmern. Und diese Firmen sitzen nicht nur in Deutschland, sondern auch in Skandinavien, Großbritannien und sogar in Namibia. Dabei be- treibt Loewen-Messer in den meisten dieser Länder kein Marketing – doch Qualität spricht sich eben rum. Das Unternehmen – wie es heute existiert – ist eigentlich Aus der FischereiIndustrie Nordeuropas sind die Loewen-Messer nicht wegzudenken. das Produkt zweier SchmiedeBetriebe und einer Heirat. Die Schneidwarenfabriken Lütters & Cie. wurden im Jahr 1840 gegründet. In den Fabrikgebäuden wurde alles selbst gemacht: das Schmieden des Stahls, die Anpassung und Oberflächenbehandlung der Griffschalen sowie der Schliff und das Feinpließten der Klinge (das Verleihen des allerletzten Schliffs, das die Oberfläche versiegelt). Das änderte sich erst, als Wilhelm Backhaus auf den Plan trat. Backhaus stammt selber aus einer Familie mit einer langen Klingenschmiede-Tradition und führte, als er Ricarda Lütters kennen lernte, den familien eigenen Schmiedebetrieb in der dritten Generation fort. Als die bei- Fangfrisch: Mit Kehlmessern werden Fische oft schon an Bord ausgenommen – ohne die Kiemen vollständig zu entfernen. Es geht voran: Vom ausgestanzten und gestempelten Rohling zur vorgeschliffenen Klinge. 70 MESSER MAGAZIN Dauerhafte Verbindung: Bei der Solinger Manufaktur werden die Messer noch vernietet. chronik xx xx Loewen-Messer Treue Begleiter: Das Ankermesser hat seine besten Jahre noch vor sich. Das untere CarbonstahlModell hat seinem Besitzer ganz offensichtlich schon treu gedient. Gelernt: Wilhelm Backhaus beim Einlegen des Stahlblechs – noch bis in die 80er Jahre versorgte er viele Solinger Messer hersteller mit selbstgeschmiedeten Klingen. den heirateten, wurde die Lütters-Schmiede in dem Fabrikgebäude in der Solinger Bismarckstraße geschlossen, und der Schwiegersohn Wilhelm Backhaus versorgte von da an Lütters & Cie. mit Klingen aus der eigenen Schmiede. Doch nicht nur der Schwiegerpapa, sondern auch die Solinger Metallwarenfabrik und viele weitere Messerhersteller wurden noch bis An- fang der achtziger Jahre von der Schmiede Backhaus mit Rohklingen beliefert. Nach dem Tod des Schwiegervaters Hans Lütters im Jahr 1972 übernahm Wilhelm Backhaus die Geschäftsleitung von Lütters & Cie – seinen eigenen Betrieb führte er jedoch noch 20 Jahre lang weiter parallel fort. Heute sind es vor allem seine Tochter Susanne und sein Sohn Manuel, die ihn bei der alltäglichen Arbeit unterstützen. Daneben arbeiten noch vier Festangestellte (zum Teil schon seit vielen Jahren), vier Teilzeitbeschäftigte und – in bester Solinger Tradition – drei Heimarbeiter (richtige Spezialisten fürs Ausmachen und Feinpließten) für die kleine, im Zentrum von Solingen gelegene Messermanufaktur. Wilhelm Backhaus’ erster und letzter Gang des Tages führt immer in die Schleiferei, denn der saubere Schliff ist für ihn eines der wichtigsten Merkmale an einem hochwertigen Messer. Da kennt Wilhelm Backhaus kein Nachsehen, und seinem genauem Blick entgeht so schnell nichts. Und so heißt es in der Schleiferei immer nur: „Genau auf zwei Zehntel Millimeter Altbewährt: Ganz neu ist diese Maschine zum Ausstanzen der Klingenrohlinge nicht mehr, doch sie läuft immer noch regelmäßig. Abgestempelt: Auf der ausgestanzten, gelochten und mit dem Nagelhieb versehenen Klinge fehlt nur noch die Herstellerprägung. MESSER MAGAZIN 71 chronik LoEwEN-MESSER Ahoi Seemann: Typisches Matrosenmesser mit nicht-rostfreier Carbonstahl-Klinge und BubingaHartholz-Griff ohne Fingerschutz. Zeitlose Klassiker: Von dem Palisandergriff-Modell gibt es aktuell mehrere Varianten – von 8,5 bis 10,5 Zentimetern Grifflänge. Das Herrenmesser stammt aus den 50ern. muss der Vorschliff gehen, nicht mehr und nicht weniger.“ Doch das Team ist eingespielt, der Schleifer besitzt selbst jahrzehntelange Erfahrung, und so gibt es nur ganz selten mal etwas zu bemängeln. Begleitet man Wilhelm Backhaus durch die Produktionsräume, dann merkt man ihm an, dass er stolz ist auf die Messer, die hier hergestellt werden. Praktisch alle Arbeitsschritte erfolgen noch im eigenen Haus: vom Ausstanzen, Stempeln, Lochen und Schleifen der Klingen, über die Behandlung der Holzgriffschalen, der Vernietung bis zum Anbringen des letzten Finish (das „Ausmachen“). Nur zum Härten verlassen die Klingen kurz das Haus: Es wäre viel zu unwirtschaftlich, selbst einen Härteofen zu betreiben. Die meisten Kunden, auch die aus der Schifffahrts- und Fischerei-Industrie, verlangen vor allem Messer aus nicht-rostfreiem Kohlenstoffstahl. Diese Klingen zeichnen sich vor allem durch ein sehr feines Gefüge und große Flexibilität aus und können leicht nachgeschärft werden. Doch auch bei den rostträgen Klingen wird auf maximale Qualität geachtet. Nach dem Härten gehen die Klingen für fünf bis acht Stunden bei Minus 80 Grad in die Tiefkühlung, woraufhin sie wieder auf etwa 150 Grad angelassen werden. Diese Behandlung nimmt die Spannungen aus dem Stahl und macht ihn so flexibel wie klassischen Carbonstahl. Heute umfasst die Produktpalette neben feststehenden Spe- Arbeitstier: Klinge, Platinen und Holzgriffe werden durch eine extra-starke Achsvernietung verbunden. 72 MESSER MAGAZIN chronik Loewen-Messer zialmessern für Matrosen und Fischerei-Industrie (Kehl-, Garn-, Dorsch-, Darm- und Filetiermesser) vor allem Klappmesser ohne Verriegelung – etwas Klassischeres wird man kaum in die Finger bekommen. Einige Modelle wie das bekannte Ankermesser sind noch mit Stahloder Messingbacken ausgestattet. Immer häufiger werden die Taschenmesser aber mit einem durchgehendem Holzgriff (oft aus Honduras-Palisander, Oliven- und Bubingaholz) gefertigt. Sie sind genau so stabil wie die Backenmesser und werden mit Eines von ehemals 20 000: Zwei Klingen und ein Korkenzieher – mehr brauchte „Mann“ damals nicht. Die Loewen-Messer stehen für Solinger MesserQualität und Tradition. einem extra starken Messingniet ausgestattet – schneidfreudige Handschmeichler. Von den sage und schreibe 20000 verschiedenen Modellen, die noch um 1920 von Lütters & Cie. hergestellt wurden, werden heute nur noch die belieb testen und gefragtesten Modelle produziert. Allesamt gut verarbeitete Messer für den privaten und professionellen Anwender und zugleich auch ein Stück Solinger Handwerkskunst. < Überbleibsel aus vergangenen Zeiten: Klassische Herrenmesser aus den 50er und 60er Jahren. Einige wenige soll es noch auf Lager geben. Abtransport: Hunderte Kehlmesser kurz vor dem Besitzerwechsel. Spezialgebiet: Das Darmmesser besitzt eine abgerundete Spitze, um die Fischinnereien nicht zu beschädigen. Solinger Geschichte: Eine alte Aufnahme des Firmengebäudes – ganz so idyllisch sieht es heute im Zentrum Solingens nicht mehr aus. Hauptaugenmerk: Auf den akkuraten Schliff wird bei Loewen-Messer besonders viel Wert gelegt. MESSER MAGAZIN 73
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