Schreibabys

Schreibabys
Maßnahmen zur Hilfe
und Behandlung
Fühlt sich gut an.
Warum schreit mein Kind?
Es ist völlig normal, dass ein Baby schreit. Schließlich ist das seine „Sprache“ und die beste
Möglichkeit, auf sich und seine Bedürfnisse aufmerksam zu machen. Manche Babys aber
schreien stundenlang ohne erkennbaren Grund, vorwiegend abends. Oft ist das Gesichtchen dabei hochrot, der Bauch gebläht, die Beine werden an den Leib gezogen und plötzlich wieder gestreckt, die Füßchen sind oft kalt. Alle Beruhigungsversuche helfen nichts,
die Schrei­attacken hören erst auf, wenn der Säugling völlig erschöpft ist.
Die Anpassung eines Babys an seine Außenwelt vollzieht sich in Stufen. Die Fähigkeit,
die Reize der Welt um sich herum zu verarbeiten, ist bei jedem Kind verschieden. Bei der
Mehr­zahl der betroffenen Kinder scheint noch eine Unreife der Schlaf-Wach-Regulation
und der Steuerung von Erregungszuständen vorzuliegen: sie können also Umweltreize
schlechter verarbeiten, insbesondere, wenn zu viele Reize auf sie einwirken.
Sie haben eine gestörte Fähigkeit, zur Ruhe zu finden, schlafen tagsüber oft zu wenig und
können abends schlecht einschlafen. Ärzte sprechen deshalb von unstillbaren Schrei- und
Unruhe­zuständen.
Blähungen und Bauchschmerzen sind viel seltener Ausgangspunkt der Beschwerden
als früher angenommen. Nur bei einem kleinen Teil der Kinder mit Koliken ist eine
Nahrungsmittel­allergie, meistens Kuhmilchallergie, die Ursache; seltener sind es auch
Verdauungsprobleme.
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Hilfe ist möglich
Nichts bringt Eltern so sehr zur Verzweiflung wie ein Baby, das ständig schreit. Besonders
die Mütter von „Schreibabys“ fühlen sich häufig völlig überfordert, die Nerven liegen blank,
die Panik wächst. Das Baby ist gefüttert, gewickelt und wohl­versorgt, warum also schreit es
unentwegt? Ratlos und unsicher suchen sie dann meist die Ursache bei sich selbst.
Aber: Dieses Schreien ist weder eine Ausnahmeerscheinung noch haben Sie als Eltern versagt. Viele junge Eltern sind in der gleichen Lage. Bis zu einem Drittel aller Babys werden
von Kinder­ärzten als „Schreibabys“ bezeichnet!
Wenn die Eltern ihre eigene Sicherheit zurückgewinnen, nicht mehr an sich selbst zweifeln,
überträgt sich diese entspanntere Atmosphäre unmittelbar auf das Kind!
Es gibt Bücher und Kurse, die schnell Hilfe bringen. In „Schreisprechstunden“ werden Eltern
individuell beraten (siehe Seite 10).
Von vielen Elternschulen, Familienbildungsstätten oder kirchlichen Organisationen werden Kurse zur Babymassage oder z. B. PEKiP-Gruppen für Spiel- und Bewegungs­
anregungen mit Kleinkindern angeboten, die den Eltern Hilfe, Erfahrungsaustausch und
Anregungen ­bieten können.
Die eigene Ruhe finden
Die Übererregbarkeit und leichte Reizbarkeit des Kindes belastet die Beziehung zwischen
Eltern und Kind extrem. Vater und Mutter sind verständlicherweise verun­sichert und
meist nervlich und körperlich am Ende. In dieser angespannten Situation ist es sehr
­schwierig, die notwendige Ruhe zu finden, um sich auf die Bedürfnisse des Kindes einzustellen und damit dessen Selbstberuhigung zu unterstützen. Viele Eltern verfallen im
Gegenteil in A
­ ktionismus, versuchen alle möglichen Tricks, um ihr Baby zu besänftigen.
Das Kind spürt die Anspannung und Unsicherheit der Eltern, seine eigene Erregung wird
eher noch verstärkt. Deshalb ist es wichtig, diesen Teufelskreis zu durchbrechen!
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Ärztliche Untersuchung
und Beruhigung
Ihr Baby sollte als Erstes eingehend ärztlich untersucht werden, um mögliche organische
Erkrankungen, mangelnde Gewichtszunahme oder Schmerzen des Kindes auszuschließen.
Da gibt es zum Beispiel das KiSS-Syndrom, eine Funktionsstörung der Wirbelsäule, die bei
der Geburt auftreten kann. Möglich­erweise leidet es auch unter einem versteckten Infekt
oder hat eine schmerzhafte Entzündung.
Auch ist der Verdauungsapparat noch nicht perfekt ausgebildet. Dadurch entstehen
manchmal Nahrungsunverträglichkeiten, die durch eine unzureichende Verarbeitung
der aufgenommenen Nahrung im Magen entstehen. Dies kann beim Stillen wie bei einer
­Säuglingsnahrung auftreten. Etwa 0,6 % der Schreibabys sind davon betroffen, schätzen
die Fachleute. Bei dem gastroösophagealen Reflux – so der Fachausdruck – stößt das
Baby einen Teil der noch nicht verarbeiteten Nahrung wieder auf. Es muss dabei gar nicht
zum Erbrechen kommen, schon die Magensäure in der Speiseröhre ist unangenehm und
­ver­ursacht ein Schreien etwa ein bis eineinhalb Stunden nach dem Füttern.
Zur Sicherheit sollten solche organischen Ursachen ausgeschlossen werden. Die Be­­
stätigung des Arztes, dass Ihr Kind gesund ist, hilft bereits wesentlich, Ihre Ängste und
Unsicher­heiten abzubauen.
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Zur Ruhe kommen – bei sich selbst anfangen
Kinder haben feine Antennen und nehmen Nervosität und Anspannung ihrer Eltern sofort
wahr. Die Unruhe und Besorgnis der Eltern vermehrt nur die Unruhe des Babys.
Machen Sie sich vor allem keine Vorwürfe. Bei Ihnen liegt nicht die Ursache für das Schreien Ihres Kindes. Es fühlt sich trotz seiner Anspannung wohl und geborgen bei Ihnen. Sie
­können ihm jetzt helfen, langsam über seine eigenen Unruhezustände hinwegzukommen.
Grundvoraussetzung dazu ist Ihre eigene Entspannung. Versuchen Sie – auch mit Unter­
stützung von Familie und Freunden – Freiräume zu schaffen, damit Sie körperlich und
seelisch wieder auftanken können. In Kursen wie Yoga, Qigong, autogenem Training oder
meditativem Tanz können Sie Entspannungstechniken und Atemübungen er­lernen; auch
Bücher zu diesen Themen vermitteln praktische Übungen.
Nehmen Sie die Hilfsangebote anderer unbedingt an! Der Partner, die Großeltern, eine
­Freundin oder auch ein Babysitter können Sie bei der Kinderbetreuung ablösen und so
wenigstens kurzzeitig für Ihre Entspannung und ein „Durchatmen“ sorgen.
Sind Sie vom andauernden Geschrei und Rumtragen des Babys erschöpft, ist es besser, das
Baby für eine Zeit in sein Bettchen zu legen. Gehen Sie in einen anderen Raum und versuchen
Sie zu entspannen. Wenn Sie sich besser fühlen, können Sie sich mit frischer Kraft um Ihr
Kind kümmern.
Ein Schaukelstuhl kann sehr nützlich sein. Das Kind genießt die Nähe, Wärme und das gleichmäßige Schaukeln in den Armen der Mutter; Sie selbst können sich ebenfalls entspannen.
Ein Kind muss auch mal schreien „dürfen“, es entlastet sich dadurch.
Konzentrieren Sie sich nicht ausschließlich auf das Babygeschrei. Erledigen Sie Dinge, die
auch wichtig für Sie sind: aufräumen oder das Abendessen vorbereiten oder sich um die
anderen Geschwister kümmern. Mit einem Tragetuch können Sie das Sinnvolle mit dem
Nützlichen verbinden. Das Kind erlebt Wärme und rhythmische Bewegung, Sie können
Notwendiges tun und die eigene Anspannung abbauen.
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Weniger Reize, mehr Rituale
Die Anpassung des Kindes an die Außenwelt vollzieht sich schrittweise, bei einem Kind
schneller, beim anderen langsamer. Vor einem Zuviel an Anregung und Anreizen müssen
die Eltern ihr Kind schützen, vor allem in den ersten beiden Lebensmonaten. Ganz wichtig
ist dafür ein geregelter Tagesablauf, der nach stets wiederkehrendem Muster verläuft.
Versuchen Sie, die Umwelt und das Leben des Kindes zu „vereinfachen“ und die
Sinnesreize, denen es ausgesetzt ist, zu reduzieren.
Liebevolle Rituale, z. B. beim Ins-Bett-Gehen oder beim Wickeln, helfen bei der Gliederung
des Tages. Beschäftigen Sie sich nicht nur noch mit Ihrem Kind, wenn es schreit. Nutzen
Sie ausschließlich die ruhigen Phasen für ein spielerisches Miteinander. Lieber nur wenige
Spielzeuge in unmittelbarer Reichweite des Kindes, auch am Kinder­wagen, platzieren.
Bewegungsrituale bieten sich auch bei der täglichen Körperpflege und bei verschiedenen
Bewegungs- und Krabbelspielen an. Ein Baby fühlt mit der ganzen Körperoberfläche und
genießt es, wenn seine Körperteile in gleichbleibender Reihenfolge berührt werden.
Achten Sie auf das Umfeld Ihres Kindes:
Reizminderung im Umfeld und im Tagesablauf
Kein lauter Streit
Fernseher aus
Viel Schlaf an der frischen Luft
Rauchfreie Umgebung
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Gleichbleibender Rhythmus hilft entspannen
Es ist wichtig, nicht immer neue Beruhigungsmethoden aus­zuprobieren oder die Lage des
Kindes ständig zu verändern. Statt Vielfalt und Unregelmäßigkeit sollte Ihr Kind Rhythmus
und Verlässlichkeit erfahren. Dabei kommt es weniger auf die Art der Methode an, als auf
den regelmäßigen, gleichbleibenden Ablauf, auf den das Kind sich verlassen kann.
Manche Kinder vermissen beispielsweise den vom Mutterleib gewohnten Rhythmus und
fordern ihn mit ihrem Schreien. Summen oder leises Singen kann die Situation entspannen.
Auch das Wiegen im Arm oder in einer Hängematte wirkt oftmals beruhigend auf das Baby.
Hat eine Mutter schon während der Schwangerschaft häufig sanfte Musik gehört, kann
diese zur eigenen und zur Beruhigung des Babys beitragen.
Ständige Lärmquellen wie Radio oder gar Fernsehen steigern dagegen seine Unruhe noch
weiter und sollten vermieden werden.
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Empfehlungen zum Tagesablauf
Das Team der „Münchner Sprechstunde für Schreibabys“ unter Leitung von Dr. Mechthild
Papoušek empfiehlt folgende Ratschläge zur Strukturierung und Gestaltung des Tagesablaufs:
Reizreduktion
Schaffen von gemeinsamen Ruhe-Inseln am Tag: abgedunkeltes Zimmer, sanfte Musik,
sanftes Wiegen auf dem Arm, beruhigendes Summen/Zureden/Singen.
Übermüdung vermeiden
Regelmäßig nach 1 bis 1 1/2 Std. Wachzeit allmählich zur Ruhe und frühzeitig zum
Schlafen bringen.
Schlaf unterstützen
Zum Schlafen „Pucken“ des Kindes, enges Wickeln des Babys in ein Tuch, Arme an den
Körper, oder im Pucksack. Auf Überhitzung achten, keine zusätzlichen Decken.
Zyklischen Wechsel
Von Aufwachen – Stillen/Fläschchen (anschließendes Nickerchen) – Wachphase –
Schlaf anstreben.
Ausnutzen von Wachphasen
Für entspannte Zwiegespräche, Spielchen und Anregungen. Je besser die Wachzeit,
umso leichter das Einschlafen, umso geruhsamer der Schlaf.
Kritische Schreistunden am Tag oder Abend
Überbrücken durch spazieren fahren/spazieren gehen mit Tragetuch/-sack.
Auszeit für die Mutter zur eigenen Entspannung
Ablegen des Kindes bei großer Anspannung und Erschöpfung. Erst selbst entspannen,
dann beruhigen.
Es gibt kein Patentrezept für Beruhigungs- und Einschlafhilfen. Wichtiger als die
Methode ist die Regelmäßigkeit. Gewöhnung des Babys an bestimmte „Routinen“.
Sanftes Vorgehen, ohne Hektik.
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Bücher und Adressen,
die weiterhelfen
Petra Kunze, Catharina Salamander: Die schönsten Rituale für Kinder. München, Gräfe
und Unzer GU Ratgeber Kinder, 2008
Remo Largo: Babyjahre. Piper, 2010
Joachim Bensel: Wie Sie Ihr Schreibaby verstehen und beruhigen. Oberstebrink-Verlag, 2009
Renate Barth: Was mein Schreibaby mir sagen will. Beltz Verlag, 2008
Sprechstunde für Schreibabys Kinderzentrum München, Heiglhofstraße 63,
81377 München, 0 89-71 00 93 30
Baby- und Kleinkindsprechstunde der Charité
Campus Virchow Klinikum, 13353 Berlin. Anmeldung: 0 30-4 50 56 62 29
http://kjp.charite.de/patienten/baby_und_kleinkindsprechstunde
Bübchen Baby-Service 0 800-2 344 944
Gesellschaft für seelische Gesundheit in der frühen Kindheit – GAIMH – www.gaimh.de
Interaktives Netzwerk Schreibabys – www.trostreich.de
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