Profikoch und Hobbyautor

Lëtzebuerger Land, 4. Dezember 2015
Profikoch und Hobbyautor
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Tony Tintinger, das Luxemburger Wirtschaftswunder, erzählt über sein Leben
Paul Rauchs
Wer nichts wird, wird Wirt, es sei denn, er bewirtet in seiner Wirtschaft die Wirtschaftsbosse.
Und genau das tat Tony Tintinger, zuerst im bescheidenen Pourquoi pas in Esch, dann im
prunkvollen Clairefontaine in Luxemburg. Pünktlich zu den Walfer Bicherdeeg und dem
Weihnachtsmarkt hat TT jetzt ein beleibtes (und sicher bald beliebtes) Buch geschrieben,
kein Kochbuch, sondern das Buch eines Kochs, der etwas naiv und sehr erfrischend die
Revanche des armen Minettsdapp am Leben erzählt. Und was für Apicius das Küchenlatein
ist, ist für Tintinger das Küchendeutsch, das uns unweigerlich an das Radebrechen unseres
Außenministers erinnert, als der den Kochbengel vor den Fernsehkameras schwang. Mal
prahlt Tintinger wie ein Bub auf dem Schulhof, mal doziert er wie der Jang am Stammtisch.
Denn von jemandem, der skrupellos himmlisch-hedonistische Saucen auftischte und
herrliche alkohol- und tanninstarke Weine ausschenkte, darf man natürlich keine politisch
korrekte Lektüre erwarten. Und so schreibt unser Profikoch und Hobbyautor dann auch ganz
erfrischend und ungeniert über seine Sehnsucht nach der guten, alten Zeit, da das
Schwarzgeld in Gerichte, Gelage und Getränke investiert wurde und Führerschein und
Promille einander fröhlich zuprosteten.
Das Buch ist deftige Hausmannskost, wie wir sie oft in der Escher Kneipe aufgetischt
bekamen, und keine edle Sternekost, die wir uns (zu) selten in der Luxemburger
Luxusherberge leisten konnten. Und darum liest es sich auch so erfrischend angenehm, bald
mit einer nostalgischen Träne im Auge, wenn vom Esch der Arbeiter, Studenten und
Ingenieure die Rede ist, bald mit einem schadenfrohen Lächeln um die Lippen wenn Lea
Linster, Pierrick Guilloux
oder gar der Erbe Arnaud Magnier ihr Fett abbekommen. Bei Tony Tintinger ist der
„Lëtzebuerger Beschass“ aber auch immer ein Stück Luxemburger Zeitgeschichte die den
Bogen spannt von den optimistischen trente glorieuses der rauchenden Schlote im Minett
über die prassende bling-bling-Zeit der hauptstädtischen Banken bis hin zu der heutigen
pessimistischen (Nach? -) Krisenzeit.
Die Hobbyköche und Start-up-Unternehmer finden zu Essen und zu Trinken in dem Buch,
das zwischen den Kapiteln (aber beileibe nicht zwischen den Zeilen, das ist nicht die Art des
Autors) nützliche Hinweise gibt, was man tun und lassen muss, um ein Gericht oder eine
Karriere hinzubekommen. Und so ist das Buch auch ein bisschen eine scientiam popinae,
eine Wissenschaft der Wirtschaft, wie der römische Stoiker Seneca einmal die Schriften des
Apicius betitelte. Kein Wunder also, wenn Wirtschaftswissenschaftler im Clairefontaine
speisten und Bierologiestudenten im Pourquoi pas prosteten.
Aber auch der Psychoanalytiker kann Gefallen an dem Buch finden. Etwa wenn Tony von
seiner unglücklichen Kindheit erzählt, von dem strengen, fast sadistischen Vater, der in ihm
nur den Ersatz für den verstorbenen erstgeborenen Tony sah, oder von der streng religiösen
Mutter, die als Mitglied der neuapostolischen Kirche, bei der „alles verboten war, was mit
Freude und Vergnügen zu tun haben könnte“, den Buben abends hungrig ins Bett schickte.
Tony schlug Mutter und Vater also mit ihren eigenen Waffen und wurde zum Luxemburger
Küchenpapst, der alle Möchtegerngroße des Großherzogtums und viele zeitweilige Größen
des Universums duzte und bekochte. Den deutschen Büchnerpreis wird Tony Tintinger wohl
nicht bekommen, dafür aber ganz sicher den luxemburgischen Buchpreis.